Manche Sätze altern wie billiger Wein – andere reifen wie Prophezeiungen. Wladimir Schirinowski, der lauteste Provokateur der russischen Politik, mischte einst in einer Rede Größenwahn mit Satire und trug einen Dialog vor, in dem Merkel und Obama über Krim, Ukraine und den „Maidan in den USA“ sprachen. Er endete mit der Zeile: „Bald werdet ihr den Maidan haben, bereitet Alaska vor, sie sind schon losgefahren.“ Lange galt das als grotesker Scherz aus der Duma. Doch am 15. August 2025 treffen sich in Anchorage, Alaska, tatsächlich Wladimir Putin und Donald Trump. Offiziell, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Inoffiziell, so berichten westliche und russische Medien, um einen „Gebietstausch“ zu verhandeln, der Kiew vor vollendete Tatsachen stellen könnte.
Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.
Alaska ist nicht nur geographisch der US-Bundesstaat, der Russland am nächsten liegt – zwischen Tschukotka und der Küste Alaskas liegen nur 85 Kilometer. Es ist auch historisch aufgeladen: 1867 verkaufte das Zarenreich Alaska an die USA für 7,2 Millionen Dollar. Für viele russische Geschichtstraditionalisten ist das bis heute ein Sinnbild für „verlorene Größe“. Ein Treffen hier trägt Symbolkraft. Einerseits als „neutraler“ Ort fernab europäischer Einmischung, andererseits als stiller Wink auf das, was in den Köpfen patriotischer Strömungen mitschwingt – Rückgewinnung, Einfluss, Prestige.
Analyst Rainer Rupp beschreibt die Ausgangslage so: Putin verfolgt seit Beginn der militärischen Sonderoperation dieselben Kernziele – Sicherheitsgarantien, Neutralität der Ukraine, dauerhafte Abtretung bestimmter Gebiete. Trump dagegen denkt weniger in geopolitischen Kategorien als in PR-Wirkung. Ein Friedensdeal würde ihn, so hofft er, als großen Vermittler in die Geschichtsbücher bringen und, wichtiger noch, dem Friedensnobelpreis näher. Diese unterschiedliche Motivation schafft ein asymmetrisches Verhandlungsszenario. Putin könnte Trump einen „Erfolg“ gönnen – einen Waffenstillstand –, wenn dieser die russischen Bedingungen akzeptiert. Für Trump zählt das Bild – Händeschütteln, Kameras, „Peace in our time“.
Der slowakische Premier Robert Fico hat den Kern in eine afrikanische Weisheit gegossen: „Wenn Elefanten kämpfen oder sich lieben, leidet immer das Gras.“ In diesem Fall die Ukraine. Fico spricht offen aus, was viele in Osteuropa denken, aber selten sagen: Der Westen habe die Ukraine benutzt, um Russland zu schwächen. Erfolglos. Die ukrainische Führung habe diese Strategie mitgetragen und trage dafür Verantwortung. Nun werde Kiew den Preis zahlen. Sein Appell, sofortiges Ende des Blutvergießens unter Slawen und keine Einmischung Dritter in einen möglichen Waffenstillstand.
Die mögliche Übereinkunft von Alaska hätte eine Besonderheit: Sie würde vermutlich zwischen den USA und Russland besprochen – mit Einbeziehung von Großbritannien als stillem Zuarbeiter – während Deutschland, Frankreich und die Ukraine selbst nicht verhandeln, sondern allenfalls informiert würden. Das Muster ist klar. London ist als Nicht-EU-Land flexibel, Berlin als zweitgrößter Waffenlieferant politisch gebunden, Paris spielt die Rolle des semi-unabhängigen Europäers. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen hat sich öffentlich gegen Gebietsabtretungen positioniert, aber in Washington wenig Gewicht. Selenskyj, weder offiziell eingeladen noch kompromissbereit in der Territorialfrage, wird de facto zum Zaungast degradiert.
Die Erfahrung mit Minsk I und II zeigt, Friedensabkommen ohne echten Willen zur Umsetzung dienen oft nur als Atempause. Damals fehlte der Druck auf Kiew, Kompromisse umzusetzen, während der Westen Waffen und Ausbildung lieferte. Andererseits erinnert die Szene an Reykjavik 1986, als Reagan und Gorbatschow zwar keinen Durchbruch erzielten, aber den Grundstein für spätere Abrüstung legten. Oder an Helsinki 2018, als Trump und Putin in einem politisch aufgeheizten Klima symbolisch die Gesprächsfäden hielten. Alaska könnte ähnlich in die Geschichte eingehen – als Beginn einer Neuordnung oder als PR-Stunt.
Während die Kameras in Alaska klicken, läuft in Europa die militärische Uhr weiter. US-General Christopher Donahue erklärte vor einigen Wochen, man könne Kaliningrad „in beispiellos kurzer Zeit“ nehmen – als Antwort auf einen russischen Angriff. Deutschland investiert Milliarden in militärische Infrastruktur: Brücken, Bahnstrecken, Hafenanlagen werden so ertüchtigt, dass Panzer und schweres Gerät schnell an die Ostflanke verlegt werden können. Offiziell ist das „Dual Use“. Es ist ein beschwichtigender Ausdruck. Es klingt nach zivilem Nutzen, verschleiert aber, dass ein Projekt gezielt kriegsrelevant angelegt wird. In der Praxis ist es klar Kriegslogistik. Die Suwałki-Lücke, der schmale Korridor zwischen Polen und Litauen, bleibt der neuralgische Punkt, den Russland im Ernstfall schließen, die NATO aber offen halten würde.
Friedensverhandlungen sind nicht nur Politik, sondern auch Geschäft: BlackRock, JPMorgan und andere Finanzgiganten haben längst Pläne für milliardenschwere Wiederaufbauprogramme in der Ukraine, inklusive privater Beteiligungen an Energie, Infrastruktur und Landwirtschaft. Solange gekämpft wird, sind diese Pläne eingefroren. Ein stabiler Waffenstillstand, selbst unter russischer Gebietskontrolle, könnte den Investitionsstrom freisetzen. Die Frage, ob der Westen einen Frieden aus humanitären oder aus wirtschaftlichen Motiven anstrebt, ist offen – vermutlich gilt beides zugleich. Der Council on Foreign Relations (CFR) fordert, erst militärischen Druck, dann Verhandlungen – um Russland zu zwingen, Garantien zu akzeptieren, die einen erneuten Angriff verhindern. Die RAND Corporation dagegen warnt vor einem endlosen Abnutzungskrieg und plädiert für pragmatische Kompromisse, um Eskalationen zu vermeiden. Das Spannungsfeld ist Druck versus Deeskalation. Alaska könnte der Ort sein, an dem entschieden wird, welche Linie dominiert. Großbritannien kann als Nicht-EU-Land freier agieren, ist aber fest transatlantisch gebunden. Deutschland steckt zwischen kriegskritischer Bevölkerung und NATO-Verpflichtungen. Frankreich sucht den Mittelweg, um nicht als US-Satellit zu wirken, aber im Spiel zu bleiben. Diese Divergenzen sind im Alaska-Format elegant umgangen: Man lädt gar nicht erst alle ein.
Der Mann, der einst im Brustton des Größenwahns Alaska ins Spiel brachte, steht heute posthum Pate für ein Treffen, das beides sein könnte: geopolitische Wegmarke und Theaterstück. Ob Putin und Trump am 15. August die Ukraine in eine neue Phase führen – Frieden, eingefrorener Konflikt oder nur eine Pause –, eines steht fest: Die Elefanten werden verhandeln. Und das Gras, so Fico, wird weiter leiden. Und irgendwo zwischen Dalton Highway und Beringstraße hallt die Stimme Schirinowskis:
„Sie sind schon losgefahren…“
Quellen und Anmerkungen
1. https://www.bbc.com/news/articles/crev9ep2vdgo
2. https://alaskapublic.org/news/politics/2025-08-08/trump-sets-meeting-date-with-putin-in-alaska
3. https://www.reddit.com/r/HistoryMemes/comments/1jkb959/2000_russian_presidential_election_be_like/
4. https://en.wikipedia.org/wiki/Political_positions_of_Vladimir_Zhirinovsky
5. https://www.cfr.org/article/limits-putins-ambitions
7. https://www.newsweek.com/donald-trump-gets-new-nobel-peace-prize-nomination-2110310
8. https://www.nytimes.com/2025/03/24/us/politics/trump-nobel-peace-prize.html
9. https://www.yahoo.com/news/articles/slovak-pm-calls-ukraine-grass-090100997.html
10. https://www.pravda.com.ua/eng/news/2025/08/10/7525480/
13. https://kyivindependent.com/us-general-says-nato-could-seize-russias-kaliningrad-unheard-of-fast/
18. https://www.ft.com/content/3d6041fb-5747-4564-9874-691742aa52a2
19. https://www.cfr.org/article/how-end-russia-ukraine-war
20. https://www.cfr.org/article/securing-ukraine-next-steps
21. https://www.rand.org/pubs/perspectives/PEA2510-1.html
22. https://www.newgeopolitics.org/2024/12/30/rand-a-pathway-to-peace-in-ukraine/
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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Illustration von US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin
Bildquelle: TPYXA_ILLUSTRATION / shutterstock
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