Hinter jedem Flüchtling steht ein Waffenhändler

Von Jan Öberg.

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union versuchen den Eindruck zu erwecken, dass sie ernsthaft bemüht sind, jenen armen und von Katastrophen heimgesuchten Leuten zu helfen, die unter höchst riskanten und unmenschlichen Bedingungen aus Kriegsgebieten nach Europa flüchten.

Neben dem Fehlen von wahrem Humanismus und Mitgefühl, sowie der zynischen Absicht, den “Abschreckungsfaktor” aufrecht zu erhalten, werden diese tragischen Ereignisse von weiteren Umständen begleitet.

In diversen Medien und politischen Aussagen wird zunehmend das Wort ‘Flüchtling’ durch den Begriff ‘Migrant’ ersetzt – ein schwerlich reiner Zufall in Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl von Flüchtlingen, Vertriebenen und Asyl suchenden Menschen weltweit bereits mehr als 50 Millionen beträgt. Ein Migrant ist laut UN eine Person, die in einem Land, dessen Nationalität sie selbst nicht angehört, eine einträgliche Betätigung sucht. Ein Flüchtling hingegen ist eine Person, die sich aus gänzlich anderen Gründen außerhalb ihres eigenen Landes befindet, weil sie Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität oder politischer Meinung entweder erleidet oder befürchtet, weil sie wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie verfolgt wird oder weil sie vor Krieg flüchtet. Zudem hat ein Flüchtling das Recht, um Asyl zu ersuchen und den Schutz vor Bestrafung aufgrund von illegaler Grenzüberschreitung und illegalem Aufenthalt zu erhalten.

Hinzu kommen oft wiederholte, jedoch irreführende Äußerungen, dass diese Flüchtlinge nach Europa kämen, um ein besseres Leben zu finden – als ob ihr Leben bereits gut wäre und sie bloß versuchten, es zu verbessern. Das ist blanker Unfug. Hier dreht es sich nicht um die Frage wohin, sondern wovor sie flüchten. In der Regel ist das irgendeine Version von Hölle. Ohne Schuhe, Geld oder Besitz flüchten sie auf Booten zu anderen Kontinenten, weil ihr Leben unerträglich und absolut ohne Hoffnung ist. Sie suchen nicht bloß nach Fröhlichkeit.

Die Verwendung des Begriffes ‘Migrant’ anstelle von ‘Flüchtling’ lenkt das Augenmerk von der Frage weg, warum sie flüchten und worin unsere Beteiligung an all dem liegt und beeinträchtigt unsere Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Gebieten, in denen der Westen mit militärischen Einsätzen und Waffenexporten seine öffentlich proklamierten Vorsätze verfehlt und weitere Probleme verursacht hat.

“Hinter beinahe jedem Flüchtling steht ein Waffenhändler”. Ein freies Zitat des schwedischen Humanisten und Verfechters von Menschenrechten Dr. Peter Nobel, ehemals Leiter des schwedischen Roten Kreuzes, als er Vorsitzender der Organisation „The Transnational Foundation for Peace and Future Research“ war. Es ist freilich nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn Anlass zu Flucht geben unter anderen auch Naturkatastrophen oder Schäden, die durch das ausbeuterische Durchsetzen westlicher Wirtschaftsinteressen entstehen. Hier liegt ein klassischer Fall vor, bei dem ein echtes humanitäres Eingreifen angebracht ist. Jedoch wurde seit dem “humanitären” Eingreifen im ehemaligen Jugoslawien dieses Konzept nur zur Legitimierung militärischer Einsätze herangezogen. Alle Staatsführer in der EU sollten sich einig sein, dass die Problematik der “Bootsflüchtlinge” nicht mit dem Einsatz von F16 Kampfflugzeugen zu lösen ist.

Wie bei vielen anderen Problemen dieser Zeit gibt es eine “psycho-politische” Verneinung der Tatsache, dass die vorrangige Ursache unserer Probleme im westlichen Militarismus liegt. Hass und Terrorismus gegen den Westen (u. a. ISIS) ist eine Problematik, die hauptsächlich durch die von den USA angeführte Invasion und Okkupation des Irak und anschließender Fehler in dessen Administration entstand. Die nukleare Frage im Irak und Iran kam erstmal daher auf, weil es in der Region Länder gab, die Nuklearwaffen besaßen, ein Monopol darüber beanspruchten und jenen, die keine hatten, dieses Privileg versagen wollten.

Die einzige, wichtigste Ursache der Zersetzung von Staaten, wie etwa Libyen, liegt im Versuch, strukturelle und ökonomische Probleme sowie Demokratiefragen mit militärischen Mitteln zu lösen. Weiteres ist die langsame, aber stetige Schwächung des Westens, insbesondere der Rückgang der US-Wirtschaft, zum großen Teil aufgrund der Kosten ihrer (verlorenen) Kriege und Militärbasen, für die es in den Augen von Millionen von Menschen keine Legitimation gibt. Nirgends haben wir bislang eine anständige öffentliche Debatte über die negativen Auswirkungen von Krieg.

Nun, sehen wir, was die EU macht: Sie hält ein Treffen ab – höchst politisch, aber intellektuell und ethisch tiefstehend. Ihre Anführer verlangen schnell zu handeln und Verantwortung zu übernehmen, während sich in Wirklichkeit zeigt, dass die typisch westlichen Konzepte nicht funktionieren. Um ein Problem zu lösen, wird zwar Geld bereitgestellt, aber die den Problemen zu Grunde liegenden Ursachen, oder das Hinterfragen von Werten und Ethik, werden nicht diskutiert. Sie üben keine Selbstkritik und sind nicht bewandert in Staatskunst oder moralischer Führung. Ihre Lektionen ignorierend behandeln sie Symptome und bleiben ungefeit gegenüber weiteren Katastrophen mit denselben, alten Ursachen. Stellen wir uns dagegen vor, dass die Mächtigen der EU folgendes sagten: “Wir haben herausgefunden, dass die Steigerung der Anzahl der Flüchtlinge im Wesentlichen durch Waffenhandel und Krieg bedingt ist und wir werden daher in die Früherkennung von Konflikten und Vermeidung von Gewalt investieren, Leute schulen, um sie zu Experten auf diesen Gebieten zu machen und dabei auf vernünftige zivile Methoden setzen, wie etwa Dialog, Mediation und Verhandlung. Des Weiteren werden wir Waffenembargos einführen, anstatt die Lieferung von Waffen in bestehende oder zukünftige Konfliktzonen zu intensivieren.”

Die Führenden der internationalen Gemeinschaft behaupten zwar, dass Saudi Arabien Aggression gegen den Yemen schürt, üben jedoch keinerlei Selbstkritik über die katastrophalen Friedensmissionen im Irak, in Libyen oder in Syrien und sehen dabei die Zusammenhänge nicht. Unser eigener Profit durch Krieg und mit Waffen ist die Hauptursache dieser Probleme, denen wir nun in Form von Flüchtlingen, Terrorismus und wirtschaftlichen Krisen gegenüberstehen.

Die Menschheit hat Sklaverei, absolutistische Monarchien, Kannibalismus und, im Prinzip, Kinderarbeit abgeschafft. Um das anwachsende Flüchtlingsproblem zu lösen oder zumindest zu reduzieren, sollten wir anfangen darüber zu diskutieren, wie wir die menschliche Zivilisation weiterbringen, indem wir Waffenhandel kriminalisieren und Krieg überwinden – wie es im Vorwort der UN-Charta steht.

In vielen Staaten allerdings, die sich selbst als zivilisiert bezeichnen und als moralisch höherstehend, wie jene, die sie zerstören, sind noch manche Dinge mit einem Tabu belegt, die einem der gesunde Menschenverstand sagen sollte.

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