
Ein Standpunkt von Stephan Ossenkopp.
Auf der Pressekonferenz des chinesischen Außenministers Wang Yi am 7. März anlässlich der Sitzung des Volkskongresses in Peking fragte ein Journalist nach dem Stand der Beziehungen zwischen China und Russland. Wörtlich:
„Einige fragen sich, ob die jüngsten Gespräche zwischen Russland und den USA die chinesisch-russische strategische Koordination beeinflussen werden.“
Der chinesische Spitzendiplomat antwortete ohne zu zögern:
„Die reifen, beständigen und stabilen Beziehungen zwischen China und Russland werden durch nichts aus der Bahn geworfen.“
Er bezeichnete das Verhältnis zwischen Moskau und Peking sogar als Modell für den Umgang zwischen Großmächten. Damit wurde wieder einmal allen sich hartnäckig haltenden Spekulationen der Wind aus den Segeln genommen, eine Annäherung der USA an Russland bedeute eine mögliche Abkehr Russlands von China.
Nur eine Woche zuvor, am 28. Februar, hatte sich der russische Sicherheitsratssekretär Sergej Schoigu in Peking mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping getroffen. Das klingt zunächst nicht besonders außergewöhnlich. Dennoch könnte man meinen, dass ein Armeegeneral, ehemaliger Verteidigungsminister und hochrangiger Sicherheitsbeamter wie Schoigu normalerweise am ehesten mit seinem Amtskollegen zusammentrifft. Warum ausgerechnet mit dem chinesischen Staatschef? Einige Kommentatoren in den russischen Medien werteten dies sogleich als einschneidendes Ereignis. Offiziell sei es bei dem Besuch selbstverständlich um Sicherheitsfragen und internationale Politik gegangen. Doch hinter den geschliffenen Formulierungen würden sich wichtige Nuancen verbergen, so der Tenor. Gegenüber Außenminister Wang Yi, der ebenfalls an den Gesprächen teilnahm, soll Schoigu direkt erklärt haben, er sei im Auftrag des russischen Präsidenten Wladimir Putin unterwegs.
Das macht natürlich Sinn, vor allem wenn man bedenkt, dass der russische Außenminister Lawrow und Putins Berater Uschakow den russischen Präsidenten zuvor sicherlich über die Tauwetter-Gespräche mit der US-Delegation im saudi-arabischen Riad informiert hatten. Insofern war Schoigu nicht nur ein Vertreter des Sicherheitsapparates oder eines bestimmten Segments der russischen politischen Führung, sondern ein direkter Abgesandter von Putin, der seinen Freund Xi und die chinesische Führung persönlich über den Stand der amerikanisch-russischen Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine informieren wollte. Dies machte unzweifelhaft deutlich, dass das Vertrauen zwischen Moskau und Peking in strategischen Fragen weiter ungebrochen hoch ist.
Laut verschiedenen Presseberichten hätten Shoigu und Xi betont, dass es wichtig sei, die diplomatischen Bemühungen zur Lösung des Ukraine-Konflikts fortzusetzen. Man müsse sich auf internationalen Plattformen untereinander abstimmen. Damit sind vor allem die BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) gemeint, das weltgrößte Sicherheits- und Entwicklungsbündnis mit der ausgedehntesten und bevölkerungsreichsten Landfläche. Sie ist in den letzten 24 Jahren von einer Organisation mit 6 Mitgliedern zu einer bedeutenden Gemeinschaft von 26 Ländern angewachsen. In diesem Jahr hat China den Vorsitz inne. Kürzlich wurde bekannt, dass das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der SCO Anfang September in der chinesischen Hafenmetropole Tianjin stattfinden wird. Es wird erwartet, dass wichtige Entscheidungen getroffen und Dokumente unterzeichnet werden. Bis dahin werden im Rahmen des SCO-Mechanismus 40 Veranstaltungen abgehalten.
Der SCO-Gipfel fällt in etwa mit dem 80. Jahrestag des Gedenkens an den Widerstandskrieg des chinesischen Volkes gegen die japanische Besatzung am 3. September zusammen. Bei beiden Anlässen wird Präsident Putin der wichtigste Ehrengast sein. Aber auch Premierminister Modi aus Indien wurde eingeladen, denn da Indien Mitglied der SCO ist, hält er sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Tianjin auf. Bis nach Peking fährt man mit dem Schnellzug ein halbe Stunde. Modis Besuch in China wird sicherlich von enormer geostrategischer Bedeutung sein, da sich die beiden asiatischen Giganten erst kürzlich auf eine Beruhigung ihrer Grenzstreitigkeiten geeinigt hatten. Dieses politische Tauwetter könnte die Chance für Größeres sein. Shoigu wird bei seinen Gesprächen sicherlich auch über die Koordination von Putins Besuch beim SCO-Gipfel und dem Jahrestag des Kriegsendes gesprochen haben. Auf russischer Seite findet die große Siegesparade vom 7. bis 9. Mai in Moskau statt. Dazu wird neben zahlreichen anderen Staatsgästen vor allem der chinesische Präsident Xi erwartet.
Nach der Annäherung zwischen der Trump-Administration und Russland rieben sich die liberalen Medien in den USA bereits die Hände, dass das unerschütterliche Vertrauen zwischen China und Russland vielleicht ein wenig ins Wanken geraten sein könnte. Denn die Washingtoner Medien und Think Tanks sind im Denken des geostrategischen Nullsummenspiels komplett gefangen. Gleichzeitig wird aber zähneknirschend festgestellt, dass China und die Russische Föderation nicht nur eine starke bilaterale und institutionelle Basis haben, sondern auch multilaterale Foren wie die BRICS und die Shanghai Cooperation Organization gemeinsam vorantreiben, meinte u.a. der US-Sender CNN. China habe sogar mehrfach die Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen den USA und Russland begrüßt. Wie absurd und tragisch ist es da, dass man in Brüssel, London, Berlin und Paris um jeden Preis an der militärischen und wirtschaftlichen Niederlage Russlands festhalten will.
Europa hat es China nicht verziehen, dass es sich trotz massiven Drucks den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen hat. Man erinnere sich: China wurde hart in die Mangel genommen, weil es angeblich die russische Wirtschaft und deren Verteidigungssektor am Leben erhalten habe. Immer wieder wurde China beschuldigt, so genannte Dual-Use-Hochtechnologiegüter nach Russland zu liefern. So hatte die EU mehrere Listen mit Gütern veröffentlicht, die nicht mehr nach Russland eingeführt werden dürfen. Aber ob Maschinen in der Automobilindustrie, in der Öl- und Gasförderung oder im Raketenbau eingesetzt werden, hängt ja nicht von der Maschine ab. Offensichtlich sind die Sanktionspakete im Westen nicht wirklich bis zum Ende durchdacht worden. Den Schaden hat Europa jetzt selbst, wirtschaftlich und diplomatisch.
Der Druck auf China hat jedenfalls nicht gewirkt, und Russland und China haben sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Im Gegenteil: Die Rhetorik der Sanktionen und anderer Maßnahmen hat Moskau und Peking noch enger zusammengeschweißt, so dass ihr Handelsvolumen rapide gestiegen und dabei immer sanktionsresistenter geworden ist. China hat sogar von den gescheiterten Sanktionen des Westens gegen Russland profitiert. Die Art und Weise, wie Moskau mit den Sanktionen des Westens umgegangen ist, wurde in Peking bis ins kleinste Detail analysiert. Die ruhige Hand in der Währungspolitik, die Sicherung der Lieferketten, der systematische Ausbau der internationalen Beziehungen vor allem in den globalen Süden, die Verringerung der Abhängigkeit vom Dollar und anderen westlichen Währungen.
Trotz aller Spannungen, Konflikte und unterschiedlicher historischer Pfade haben sich Russland und China 1996 mit der Gründung der Shanghai Five, der Vorgängerorganisation der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, und mit dem Freundschaftsvertrag von 2001 strategisch immer weiter aufeinander zubewegt. Im Jahr 2021 wurde der russisch-chinesische Freundschaftsvertrag um weitere 20 Jahre verlängert. Anfang Februar 2022, als sich die Präsidenten Putin und Xi zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in China trafen, veröffentlichten sie ein weitreichendes strategisches Dokument. Darin hieß es, dass sie sich in der außenpolitischen Sicht weitgehend einig seien, einschließlich der negativen Beurteilung der NATO bei der Entstehung von Konflikten. In Washington ließ dieses gemeinsame Positionspapier die Wände in den Beraterbüros der transatlantischen unipolaren Weltordnung wackeln. Russland hat eine Reihe strategischer Alternativen aufgetan, die eine Isolierung und Ächtung durch Washington, London und Brüssel unmöglich machen.
Eine der wichtigsten neuen strategischen Orientierungen Russlands ist die Annäherung an die am schnellsten wachsenden Regionen der Welt. Dies betrifft insbesondere die ASEAN-Staaten. So ist es nur folgerichtig, dass Sicherheitsratschef Schoigu kurz vor seinem Besuch in Peking einige Schlüsselstaaten Südostasiens besucht hat. Zu seinen Begegnungen zählten der indonesische Präsident Subianto und der malaysische Staatschef Anwar Ibrahim. In Jakarta und Kuala Lumpur erörterte man „die vielfältigen Möglichkeiten künftiger Zusammenarbeit“, wie es in den meisten veröffentlichten Stellungnahmen hieß. Beide Länder verfolgen eine neutrale Außenpolitik und eine nichtpaktgebundene multipolare Strategie. Indonesien ist erst Anfang Januar Vollmitglied der BRICS geworden und Malaysia hat den Status eines BRICS-Partnerlandes erhalten.
Nimmt man all diese Elemente zusammen: die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China, ihr gemeinsames Erbe als Verteidiger gegen die Besatzung im Zweiten Weltkrieg, ihre Tandem-Funktion bei den BRICS als Motoren einer neuen nichtwestlichen Weltordnung, ihre Stärken als Wirtschafts- und Militärmächte und ihre strategische Ausrichtung auf den globalen Süden, dann ergibt sich das Bild einer völligen Neuordnung des globalen Gefüges, in dem die G7-Staaten einschließlich Deutschlands eine immer weniger dominante Rolle spielen werden, sollten sie bei ihrer jetzigen Irrfahrt bleiben. In den Amtsstuben der europäischen Bürokratie und in den Redaktionsräumen der meisten Medienhäuser scheint diese Realität noch nicht voll angekommen zu sein. Die meisten Menschen, vor allem in Westeuropa, werden so in einer Blase der Unwissenheit gehalten. Aber, wie alle Blasen wird auch diese früher oder später platzen.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Sasa Dzambic Photography / shutterstock
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