
Der nächste Schritt der digitalen Vorherrschaft
Ein Standpunkt von Günther Burbach.
Vor ein paar Jahren galt Elon Musk als der Mann, der das Internet aus der staatlichen Umklammerung befreit. Mit Starlink versprach er ein Netz ohne Grenzen, frei von nationalen Gatekeepern und alten Telekom-Monopolen. Heute wirkt diese Erzählung wie ein Märchen aus einer anderen Zeit. Denn dort, wo seine Satelliten über uns kreisen, verschiebt sich längst mehr als Daten, es verschiebt sich Macht. Leise, technisch, unauffällig, aber unumkehrbar.
Starlink war der Testlauf. Ein Experiment, wie man staatliche Souveränität Stück für Stück in private Umlaufbahnen verlegt, getarnt als Fortschritt. Jetzt folgt der zweite Akt, größer, teurer, folgenreicher: Stargate. Kein Film, sondern das ehrgeizigste Technologieprogramm der USA, ein Bündnis aus Politik, Energie und digitaler Kontrolle. Mit Stargate wollen die Vereinigten Staaten nicht weniger, als das Rückgrat der globalen KI-Ära bauen, ein Netz aus Superrechnern, Solarparks, Serverfarmen und Satelliten, das Rechenleistung zur geopolitischen Währung macht.
Was als Versprechen begann, endet in einer neuen Abhängigkeit. Denn jede Maschine, die denkt, braucht Strom. Viel Strom. Und je größer das Modell, desto tiefer der Hunger. Heute verbraucht ein einziges KI-Rechenzentrum so viel Energie wie eine Kleinstadt. Wenn man bedenkt, dass OpenAI, Google, Amazon und Microsoft zeitgleich ihre Systeme trainieren, wird klar: Künstliche Intelligenz ist kein digitales, sondern ein energetisches Projekt. Sie verwandelt Strom in Wissen und Wissen in Macht.
Stargate ist das Symbol dieser neuen Ordnung. Es steht für den Versuch, die Rechenkapazität der Welt zu bündeln, an Orten, wo Energie billig, politisch sicher und unerschöpflich scheint. Deshalb zieht die amerikanische KI-Industrie gen Osten, nach Saudi-Arabien. Dort, wo früher Öl aus der Erde sprudelte, entstehen heute Rechenzentren, die ganze Landstriche in Licht und Wärme tauchen. Der Wüstensand wird zur Platine der Zukunft.
Die Idee ist ebenso simpel wie genial: Amerika liefert Technologie, Chips, Software und Sicherheitsgarantien. Saudi-Arabien liefert Fläche, Sonne und Kapital. Aus dieser Zweckgemeinschaft wächst ein digitales Energieimperium, das neue Abhängigkeiten schafft, diesmal nicht durch Öl, sondern durch Strom. Wer die Energie für künstliche Intelligenz liefert, liefert zugleich die Grundlage der globalen Informationsmacht.
Offiziell sprechen beide Seiten von Partnerschaft. In Wahrheit ist es ein stilles Machtgeschäft. 20 Milliarden Dollar fließen von DataVolt in amerikanische Rechenzentren, weitere 80 Milliarden in gemeinsame Technologieprojekte mit US-Konzernen. Hinter den nüchternen Zahlen steht ein strategisches Kalkül: Washington sichert sich den Zugriff auf die Energiequellen, die seine KI-Vorfahrt garantieren, während Riad seinen Einfluss ausweitet – als neuer Energielieferant des Denkens.
Die Parallelen zur Ölgeschichte sind unübersehbar. In den 1970ern waren es die Tanker, die Europa und Amerika in Abhängigkeit hielten. In den 2030ern könnten es die Stromkorridore sein, die Serverparks speisen und Datenströme lenken. Damals reichte ein Embargo, um ganze Industrien lahmzulegen. Morgen könnte ein gedrosseltes Stromnetz reichen, um KI-Systeme zum Stillstand zu bringen. Der Unterschied: Diesmal wird die Waffe nicht sichtbar. Kein Ventil wird zugedreht, kein Hafen blockiert. Die Kontrolle liegt im Code, in Verträgen, in Prioritätenlisten. Man muss nur den richtigen Schalter drücken und ganze Datenflüsse verdunkeln sich. So entsteht im Schatten der Digitalisierung ein neues geopolitisches Druckmittel:
die Energie der Intelligenz.
Während Washington also eine Weltmaschine baut, die Strom, Daten und Macht verschränkt, verfolgt China längst seinen eigenen Kurs. Peking will sich nicht in amerikanische Abhängigkeit begeben, sondern eine vollständig autarke Infrastruktur schaffen, vom Chip über den Reaktor bis zur Antenne. Die Firma Ada Space brachte 2025 den ersten orbitalen KI-Supercomputer ins All. Kein Labor, kein Marketinggag, ein reales, funktionsfähiges Rechenzentrum, gespeist von Solarstrom, gekühlt im Vakuum und verbunden durch Laserlinks. Die Chinesen nennen es poetisch „Tianyan“, Himmelsauge. Im Westen klingt es bedrohlicher: das erste neuronale Netz im Orbit.
Während die Amerikaner also Milliarden in Wüsten schaufeln, verlegt China die Rechenleistung gleich in den Himmel. Dort oben gibt es keine Grundstückspreise, keine Umweltauflagen, keine Proteste. Nur Sonne, Stille und absolute Kontrolle. Einmal installiert, ist ein solches System kaum mehr greifbar. Keine Regierung, kein Gericht, kein Untersuchungsausschuss kann es anhalten. Der Orbit wird damit nicht nur zum Symbol für technische Überlegenheit, sondern zu einem Ort der Unangreifbarkeit.
Die USA reagieren darauf mit Stargate und Saudi-Arabien wird zum Knotenpunkt dieser Macht. Doch während beide Blöcke bauen, schaut Europa zu, wie immer, wenn es ernst wird. In Brüssel schreibt man Richtlinien, während anderswo Netzteile glühen. Der europäische Reflex ist bekannt: regulieren, bevor man verstanden hat, was es zu regulieren gilt. Der AI Act ist das Musterbeispiel, eine Fleißarbeit aus Paragrafen, Ethik und guten Absichten. Aber Regeln ersetzen keine Rechenzentren. Souveränität braucht Strom, Stahl und Chips, nicht nur moralische Überlegenheit.
Europa redet von Unabhängigkeit, während 80 Prozent seiner KI-Anwendungen auf amerikanischen Clouds laufen. Es plant Ethikplattformen, wo andere Industrieallianzen schmieden. Gaia-X, einst als europäische Cloud-Vision gefeiert, ist heute ein Flickenteppich aus Pilotprojekten und PDFs. Während Brüssel die Risiken von Chatbots debattiert, bauen die USA und China physische Infrastrukturen, hunderte Meter hoch, kilometerlang, unübersehbar. Man kann ihnen beim Wachsen zusehen, nachts, wenn ihre Lichter die Wüste erhellen.
Das Problem ist nicht, dass Europa reguliert. Es ist, dass es stattdessen reguliert. Statt Politik für eigene Kapazitäten zu machen, delegiert man Verantwortung an Paragrafen. Der Kontinent, der einst Industrien erfand, diskutiert heute über Definitionen. Er verhält sich wie jemand, der über die Sicherheitsnorm einer Brücke spricht, während sie längst woanders gebaut wird.
Währenddessen verschiebt sich das Gleichgewicht der Welt. Wer über Rechenleistung verfügt, kontrolliert, was wahr wird, nicht im philosophischen, sondern im ganz praktischen Sinn. Modelle gewichten Daten, filtern Informationen, priorisieren Sichtbarkeit. Sie entscheiden, welche Geschichte erzählt wird, welche Version von Realität im Stromnetz überlebt. Wahrheit wird zu einer Rechenfrage. Und der Zugang zu dieser Rechenmacht, zur wahren Währung der Zukunft, liegt in den Händen einiger weniger Konzerne.
Diese Macht hat kein Gesicht. Sie spricht nicht, sie rechnet. Sie reagiert auf Signale, Verträge, Zahlen. Doch ihre Wirkung ist tief politisch. Sie bestimmt, welche Sprachen eine KI versteht, welche Themen sie blockiert, welche Länder Zugriff auf Trainingsdaten erhalten und welche nicht. In den Händen falscher Betreiber wird aus einem Datennetz ein Werkzeug der Einflussnahme. Man kann Staaten nicht mehr besetzen, aber man kann sie abschalten.
Dasselbe Prinzip zeigt sich im Militärischen. Die Grenzen zwischen ziviler Technologie und Kriegsführung sind kaum mehr zu erkennen. Starlink begann als Kommunikationssystem, heute ist es Teil der Gefechtsführung. Unter dem Namen Starshield bietet SpaceX militärische Satellitenkommunikation, Datenrelais und Aufklärungsdienste an. Im Ukrainekrieg liefen Befehle und Zielkoordinaten über Starlink-Terminals, zivile Technik in militärischem Einsatz. Später folgten vertragliche Anpassungen, Haftungsausschlüsse, juristische Verrenkungen. Das Muster ist klar: Was als ziviles Netz beginnt, endet als Kriegsinfrastruktur.
Auch Israel hat die Schwelle überschritten. Das System „Lavender“, 2024 durch Haaretz enthüllt, nutzte künstliche Intelligenz, um im Gaza-Krieg Verdächtige zu identifizieren. Der Algorithmus lieferte Listen, auf deren Grundlage Menschen ins Visier gerieten, oft auf Basis fehlerhafter Daten. Offiziell hieß es, der Mensch entscheide weiterhin. Doch wer die Abläufe kennt, weiß: Zwischen Algorithmus und Befehl blieb kaum Zeit zum Denken.
Krieg wurde zur Datenoperation, Verantwortung zur Variable.
Mit Stargate bekommt diese Logik eine neue Dimension. Denn wenn die Rechenleistung der Welt in wenigen Netzen gebündelt wird, sind auch die Systeme, die töten können, Teil derselben Infrastruktur. Die Verbindung von ziviler KI und militärischer Nutzung ist keine hypothetische Gefahr mehr, sie ist eingebaut.
Der Krieg der Zukunft wird nicht mehr an der Front entschieden, sondern im Rechenzentrum. Und wer diese Zentren kontrolliert, kontrolliert die Gewalt.
Europa spielt in dieser Welt kaum eine Rolle. Seine Rechenleistung beträgt kaum fünf Prozent des globalen Anteils. Die USA halten mehr als 60, China fast 30. Europa besitzt Ethikräte, Datenschutzbeauftragte und Förderprogramme, aber keine Reaktoren, keine Chips, keine Rechenparks, die diesen Namen verdienen. Es hat Prinzipien, aber keine Server. Und Prinzipien ohne Strom leuchten nicht.
Die Abhängigkeit ist total. Schon heute hängen Verwaltungen, Banken, Medien und selbst Militärprogramme an Diensten amerikanischer Anbieter. Ein Ausfall oder Embargo würde binnen Stunden weite Teile der europäischen Infrastruktur treffen, digital, nicht militärisch. Das Risiko ist real, aber politisch verdrängt. Man redet über KI-Ethik, als ginge es um gute Manieren, nicht um Macht.
Man könnte sagen: Der Westen hat zwei Gesichter. In Washington redet man über „nationale Sicherheit durch KI“, in Brüssel über „vertrauenswürdige Anwendungen“. Das eine baut Fabriken, das andere Ausschüsse. Doch der Boden unter beiden ist derselbe: Strom, Rohstoffe, Serverräume. Der Unterschied ist nur, wer sie besitzt.
Die Amerikaner haben begriffen, dass Souveränität in der Zukunft nicht mehr an Grenzen hängt, sondern an Bandbreite. China hat dasselbe begriffen, nur früher. Europa begreift es noch nicht. Wer in dieser neuen Ordnung nicht liefert, wird beliefert. Wer nicht denkt, wird gedacht. Das ist der Kern der digitalen Abhängigkeit.
Und doch wäre es falsch, den Niedergang als Schicksal zu akzeptieren. Es gäbe Wege aus dieser Schwäche, wenn man den Mut hätte, sie zu gehen. Man müsste Rechenleistung zur öffentlichen Infrastruktur erklären, ähnlich wie Wasser, Bahn oder Strom. Man müsste den Aufbau eigener Kapazitäten finanzieren, nicht als Subvention, sondern als Daseinsvorsorge. Man müsste wieder begreifen, dass Unabhängigkeit kein romantischer Begriff ist, sondern harte Arbeit.
Aber dafür bräuchte es eine Politik, die baut, statt bloß zu beraten. Die versteht, dass Ethik ohne Hardware nichts bewirkt. Eine Demokratie kann nur so frei sein, wie ihre Infrastruktur es zulässt. Wenn die Grundlagen des Denkens, Energie, Daten, Rechenleistung, in privater Hand liegen, dann gehört auch das Denken irgendwann nicht mehr uns.
Europa müsste sich entscheiden: Will es Zuschauer oder Akteur sein? Will es weiterhin Paragrafen exportieren, während andere Realität produzieren? Oder will es wenigstens einen Teil der digitalen Zukunft selbst gestalten? Es geht nicht um nationale Größe, sondern um Selbstachtung.
Denn der Himmel, den wir einst als Ort der Freiheit sahen, wird gerade zur Kommandozentrale der Macht. Er strahlt nicht vor Licht, sondern vor Daten. Milliarden Bits rasen über uns hinweg, gesteuert von Algorithmen, gespeist von Energie, überwacht von Unternehmen, die keiner wählen kann. Und während die Menschheit nach oben blickt, um Antworten zu finden, liefert der Himmel längst nur noch Berechnungen.
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Wir sind längst Teil eines Systems, das wir weder gebaut noch verstanden haben. Ein System, das uns verspricht, klüger zu machen und uns gleichzeitig entmündigt. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Maschinen denken können, sondern wer dafür sorgt, dass wir es noch dürfen.
Das orbitale Zeitalter hat begonnen. Es begann nicht mit einem Schuss, sondern mit dem Surren von Kühlern, dem Schein von Solarfeldern und dem unsichtbaren Puls von Laserverbindungen.
Wer dort oben die Regeln setzt, wird hier unten bestimmen, wie wir leben, reden, arbeiten und womöglich, wie wir sterben. Der Rest ist Schweigen.
Quellen und Anmerkungen
Stargate / USA–Saudi-Investments / Offizielle Angaben
Reuters – Trump announces private-sector $500 billion AI infrastructure (21.01.2025)
White House – Fact Sheet: $600B investment commitment in Saudi Arabia; DataVolt $20B; $80B U.S.–KSA tech (13.05.2025)
OpenAI – Five new Stargate sites (23.09.2025)
Saudi-Arabien / DataVolt / Energie-Compute
DataCenterDynamics – DataVolt plans 1.5GW data center campus in NEOM’s Oxagon (11.02.2025)
NEOM – DataVolt signs agreement with NEOM (10.02.2025)
DataVolt × MODON – Pressemitteilung (20.02.2025)
China / Ada Space (Orbit-Compute)
Handelsblatt – Ada Space bringt KI-Supercomputer in den Orbit (2025)
GIP Digital Watch – China launches first AI satellites in orbital supercomputer network (19.05.2025)
Zivil/Militär – Starshield & Lavender
Wikipedia (mit Primärquellen) – SpaceX Starshield
+972 Magazine / Local Call – Lavender: How Israel used AI to identify targets in Gaza (03.04.2024)
The Guardian – Israel’s AI targeting system raises legal concerns (03.04.2024)
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Illustrationskonzept einer Flotte von Internet-Starlink-Satelliten im Orbit über dem Planeten Erde. Eine Reihe von Kommunikationssatelliten mit der Sonne am Horizont.
Bildquelle: xnk / shutterstock
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