Standpunkte

Souveränität versus Zwangsumsiedlung | Von Wolfgang Effenberger

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Standpunkte 20250912 apolut
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Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) und die US-Pläne zur Umsiedlung der Palästinenser im Spannungsfeld internationaler Prinzipien

Ein Standpunkt von Wolfgang Effenberger. 

Die SCO definierte auf ihrem Gipfel vom 30. August bis 1. September 2025 die Achtung staatlicher Souveränität, die Territorialintegrität und die Nichteinmischung als zentrale Werte, während aktuelle US-Initiativen zur "Umsiedlung" beziehungsweise "freiwilligen" oder erzwungenen Relokation der palästinensischen Bevölkerung aus Gaza als völkerrechtlich umstritten und dem Geist der SCO widersprechend gelten. (1)

Deutlicher als im fundamentalen Gegensatz zwischen den Prinzipien der "Shanghai Cooperation Organisation" (SCO) und den aktuellen US-Initiativen zur Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung konnten die weltanschaulichen Unterschiede des sogenannten Wertewestens (der goldenen Milliarde nach Borrell/EU) und des Globalen Südens für die ganze Welt nicht sichtbar werden.

Gipfel der "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit" in Tianjin 31.8.-1.9. 2025

Am Gipfel der SCO in Tianjin nahmen die zehn Mitgliedsstaaten (China, Indien, Pakistan, Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Iran und Belarus) sowie zwei Beobachterstaaten (Afghanistan und Mongolei) teil. Anwesend waren auch Armenien, Aserbaidschan und die Türkei.

Obwohl die Beziehungen zwischen Indien und China traditionell schon immer von wechselnden Spannungen geprägt waren, betonten der indische Premierminister Narendra Modi und Chinas Präsident Xi Jinping ihre Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit, nicht zuletzt auch als Reaktion auf US-Zölle (Indien wurde mit 50% Strafzöllen belegt). So scheint sich das Verhältnis zwischen Indien und China merklich in Richtung Kooperation und Freundschaft zu verändern. China und Russland sind in ihren Beziehungen bereits weiter und setzen auf eine Neugestaltung der globalen Ordnung, wie Präsident Xi Jinping auf dem SCO-Gipfel sagte.

Xi beklagte die anhaltenden hegemonialen Bestrebungen der USA und rief dazu auf, ein gerechteres, ausgewogeneres internationales System zu schaffen. Russland und China bekräftigen ihre umfassende strategische Partnerschaft und streben eine alternative wirtschaftliche, finanzielle und politische Ordnung an, die nicht mehr vom Veto der USA oder Europas abhängig ist.

Diese Entwicklungen zeigen deutlich, dass die Annahme eines auseinanderbrechenden China-Russland-Verbundes sowie das Ziel einer westlichen Unterwerfung der beiden Staaten an der Realität vorbeigehen. Indien, China und Russland arbeiten aktiv an der Schaffung eines multipolaren Weltordnungssystems, während die USA mit konfrontativen Maßnahmen und Strafzöllen eher eine isolierende Politik verfolgen.

Die aktuellen politischen Dynamiken der SCO- und BRICS-Gipfel spiegeln eher eine Festigung der Beziehungen zwischen Russland, China und Indien wider, die gemeinsam Alternativen zum US-geführten internationalen System vorantreiben.

Tianjin-Erklärung: Engagement für eine gerechte, multipolare Weltordnung

Die Staats- und Regierungschefs der SCO bekräftigen ihr Engagement für eine gerechte, multipolare Weltordnung auf Basis der Charta der UNO und der SCO sowie für gegenseitigen Nutzen, Gleichheit, Souveränität und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten. Sie lehnen konfrontative und blockbasierte Politikansätze ab und betonen die Bedeutung einer integrativen Sicherheitsarchitektur in Eurasien. Die Mitglieder betonen die gemeinsame Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und Separatismus, einschließlich einer Vielzahl von internationalen Abkommen und Programmen. Sie verurteilen die Gewalt und fordern, dass alle Täter vor Gericht gestellt werden. Im Zentrum der Sicherheitsstrategie stehen multilaterale Kooperation und ein starker, souveräner Staat.

In der Tianjin-Erklärung werden die militärischen Angriffe Israels und der USA gegen den Iran als grobe Verletzung des Völkerrechts und der UN-Charta verurteilt sowie die Wahrung der nuklearen Sicherheit und die Rückkehr zum Dialog gefordert.

Die SCO befürwortet Chinas "Belt and Road"-Initiative und die Schaffung offener, gerechter Wirtschaftsräume in Eurasien, die Weiterentwicklung von Handelsabkommen und den Einsatz nationaler Währungen im gegenseitigen Zahlungsverkehr. Die internationalen Finanzinstitutionen sollen reformiert, die Gründung einer SCO-Entwicklungsbank in Angriff genommen und auf internationale Initiativen zu Pandemiebekämpfung, nachhaltiger Entwicklung, Umweltschutz und Klimawandel Bezug genommen werden. Unter dem Motto "25 Jahre der SCO: Gemeinsam für nachhaltigen Frieden, Entwicklung und Wohlstand" wechselte der Vorsitz zur Kirgisischen Republik.

Der absteigende Hegemon USA setzt auf Spaltung

Am 1. September 2025 nahm Wladimir Putin den indischen Premierminister Narendra Modi in seiner Panzerlimousine mit zum bilateralen Treffen in Tianjin. So konnten sie sich 50 Minuten lang ungestört unterhalten.

Indien gehört neben Russland und China zu den großen Mächten der eurasischen Weltinsel. Seine Bedeutung ist seit den Weltherrschaftsaxiomen des britischen Geographen Halford Mackinder (1904) und aktuell im Hinblick auf eine neue multipolare, kooperative und friedliche Weltordnung gewaltig.

Im Februar 1999 veröffentlichten die chinesischen Obersten Qiao Liang und Wang Xiangsui das Buch "Uneingeschränkte Kriegsführung"

Am 5. März 2005 verstieg sich US-Verteidigungsminister Pete Hegseth zu der Aussage:

„Sind auf Krieg mit China vorbereitet“.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die sich im Abstieg befindliche Weltmacht USA alle Hebel in Bewegung setzt, Indien zu sich zu ziehen. Für diese "Drecksarbeit" schickte der deutsche Kanzler Merz seinen Außenminister nach Dehli.

Während sich Premierminister Narendra Modi in Tianjin in der Rolle eines gleichwichtigen Akteurs anscheinend wohlfühlte, bereitete sein Außenminister S. Jaishankar gegenüber den USA Schadensbegrenzung vor. Kaum dass Modi nach Delhi zurückgekehrt war, hatte er die aggressivsten antirussischen Politiker Europas um sich geschart, um sich demonstrativ von der Troika Russland-Indien-China zu distanzieren. Allen voran der Außenminister Johann Wadephul des deutschen Kanzlers Friedrich Merz, der nicht müde wird damit zu drohen, dem ukrainischen Militär Langstreckenraketen vom Typ Taurus zu übergeben, um tief ins russische Landesinnere vorzudringen.

Während seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Jaishankar äußerte Wadephul sich besonders scharf über China:

„Wir stimmen mit Indien und vielen anderen Ländern darin überein, dass wir die internationale, auf Regeln basierende Ordnung (4)verteidigen müssen und dass wir sie auch gegen China verteidigen müssen. Zumindest ist das unsere klare Analyse... Aber wir sehen China auch als systemischen Rivalen. Wir wollen diese Rivalität nicht. Wir stellen zunehmend fest, dass die Zahl der Bereiche zunimmt, in denen China diesen Ansatz gewählt hat.“ (5)

Mit diesem Statement verstieß Wadephul gegen diplomatische Gepflogenheiten, indem er unmittelbar nach der Entscheidung von Modi und Xi, sich nicht mehr als Gegner zu betrachten, sondern partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, von indischem Boden aus derart harte Äußerungen machte. Das Merkwürdige daran war jedoch, dass Jaishankar sich daran nicht zu stören schien und Modi den deutschen Diplomaten tatsächlich empfing.

Trumps enger Berater Peter Navarro ging sogar noch weiter als Wadephul, indem er sagte, Modi sei in Tianjin mit Putin und Xi „ins Bett gestiegen”. Anscheinend hat der vergiftete Pfeil sein Ziel getroffen, denn nach dem Empfang von Wadephul am 4. September 2025 führte Modi ein gemeinsames Dreiergespräch mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Antonio Costa, und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, um die Neutralität seiner Regierung im Ukraine-Konflikt zu betonen.

Viele Inder sehen in dem schnellen Aufgeben des „Tianjin-Geistes“ einen großen Gesichtsverlust für Indien. Der Globale Süden, dessen Führungsrolle Indien für sich beansprucht, beobachtet die Entwicklung kritisch. Indiens Außenpolitik könnte vom Streben nach strategischer Autonomie motiviert sein, ohne dabei genau zu erkennen, wo genau die langfristigen Interessen des Landes in einer Gegenwart liegen, in der sich die Weltordnung in einem epochalen Wandel befindet. Fünf Jahrhunderte westlicher Vorherrschaft gehen zu Ende. Da ist kluges und weitsichtiges Handeln nötiger denn je.

Der US-GREAT-Plan zur "Umsiedlung" der Palästinenser (6)

Im Kontrast zur Tianjin-Erklärung, die eine gerechte Weltordnung sowie friedliche, kooperative Lösungen für internationale Konflikte fordert, (7) steht der US-amerikanische „GREAT-Plan“ (Gaza Relocation and Economic Assistance and Transformation), der auf eine dauerhafte Umsiedlung der palästinensischer Bevölkerung aus Gaza abzielt – oft als „freiwillig“ oder durch wirtschaftliche Anreize maskiert. Dieses Vorgehen wird von internationalen Beobachtern und Organisationen als völkerrechtlich bedenklich und als Bruch fundamentaler Menschenrechts- und Souveränitätsprinzipien bewertet. (8)

Die aktuellen Pläne von Donald Trump und der US-Regierung für den Gazastreifen sehen die Umsiedlung und dauerhafte Neuansiedlung großer Teile der palästinensischen Bevölkerung außerhalb von Gaza vor. (9)

Mittels finanzieller Anreize (5.000 US-Dollar, Mietzuschüsse für vier Jahre und Nahrungsmittelhilfen für ein Jahr) sollen die GAZA-Bewohner im Rahmen einer "Freiwilligen Umsiedlung" dazu bewegt werden, das Gebiet zu verlassen. (10)

Als Zielländer für palästinensische Umsiedlung werden unter anderem Staaten wie Libyen und andere Regionen in Afrika diskutiert. Auch Deutschland könnte ein Zielland sein, leben doch immerhin über 200.000 Menschen mit palästinensischen Wurzeln in Deutschland, das ist die größte palästinensische Community in Europa (11) und die etwa 40.000 Palästinenser in Berlin die größte Gemeinde in einer westeuropäischen Stadt. (12)

Andererseits gibt es auch Visionen von „intelligenten Städten“ für die Neuansiedlung mit technikbasierter Infrastruktur und wirtschaftlicher Unterstützung, wobei es angebliches Ziel ist, eine dauerhafte Lösung für die langjährige humanitäre Krise und das Flüchtlingsproblem im Nahen Osten zu schaffen. Kritiker sehen in diesen Ansätzen jedoch eine Zwangsumsiedlung und verurteilen sie als völkerrechtswidrig. Die internationalen Organisationen und Menschenrechtler sehen das als gravierender Verstoß gegen das Recht der Palästinenser auf Rückkehr und Selbstbestimmung.

Vor allem die SCO lehnt solche erzwungenen Umsiedlungen ab und pochten auf diplomatische, inklusive Lösungen im Sinne der UN-Charta.

Der Kern der US-Pläne für Gaza ist eine weitgehende Leerung der Region von der heute dort lebenden Bevölkerung. Diese Perspektive steht im starken Widerspruch zum Völkerrecht und wird international vielfach abgelehnt und hat erhebliche politische und humanitäre Kontroversen ausgelöst. (13)

Die US-Pläne gelten als radikaler und umstrittener Ansatz in der internationalen Politik, dessen Realisierung zahlreichen legalen, moralischen und politischen Barrieren begegnet. (14)

Netanjahu ließ 2023 auf der UN-Vollversammlung die Katze aus dem Sack

Netanjahus Rede vor der UN-Vollversammlung am 22. September 2023 stand im Zusammenhang mit seiner Strategie, Israels Kontrolle und Sicherheit über das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan weiter festzuschreiben und die Vision eines Nahen Ostens ohne souveränen palästinensischen Staat hervorzuheben. Indem er in seiner Präsentation die palästinensischen Gebiete als Teil Israels darstellte und eine Zweistaatenlösung ausschloss, dürfte er den Konflikt mit Gruppen wie der Hamas weiter verschärft haben. (15)

Mit dieser Karte beschwor Netanjahu seine Vision für einen neuen "Nahen Osten", in der das gesamte Gebiet Israels inklusive der palästinensischen Gebiete wie den Gazastreifen eingezeichnet war. (17) Die Karte zeigt ein Israel in einem neuen geopolitischen Rahmen auf. (18)

Netanjahu sprach davon, dass die Völker vor einer Entscheidung stünden – zwischen dem Segen eines historischen Friedens und dem Fluch von Krieg und Terrorismus. (19)

Er hob in seiner Rede die Annäherung Israels an arabische Staaten hervor und stellte dies sogenannte Abraham-Abkommen als Grundlage für weiteren Frieden in Aussicht. (20)

Die „Friedenskarte“ illustriert nach seiner Sicht einen Nahen Osten mit mehreren normalisierten Beziehungen Israels zu arabischen Staaten, jedoch ohne explizite Anerkennung eines unabhängigen Palästinas. Da das Westjordanland und Gaza als israelisches Staatsgebiet dargestellt wurden – kritisieren Einige die Karte als „Karte der Annektierung“. (21)

Mit Bezug auf Moses beschrieb Netanjahu die gegenwärtige Situation als eine historische Weggabelung zwischen Wohlstand und Krieg, die den gesamten Nahen Osten betreffe. (22)

Netanjahus Auftritt wurde so zu einem Symbol für seine Vision eines Nahen Ostens, in dem israelische Kontrolle über die palästinensischen Gebiete fest verankert bleibt, was sowohl Hoffnung als auch scharfe Kritik auslöste.

Seine Weigerung, einer international geforderten Zweistaatenlösung näherzukommen, galt nach Ansicht vieler Beobachter als Provokation für die Hamas und weitere militante Gruppen, die einen unabhängigen Staat anstreben. (23)

Nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 verwies Netanjahu erneut darauf, dass die israelische Kontrolle unabdingbar sei und keine Alternative zur militärischen Zerschlagung der Hamas bestehe. (24)

Die Haltung und Symbolik von Netanjahus UN-Rede – Betonung der Kontrolle über alle Gebiete, Ablehnung eines palästinensischen Staates – passten zu der Linie, die die Hamas als Rechtfertigung für einen „Widerstandskampf“ gegen Israel anführt. Eine direkte Verursachung ist nicht belegbar, aber die Rede und ihre Kernbotschaften sind klar Teil der Konfrontationsdynamik, die in den Angriff der Hamas und die folgende Eskalation mündete. (25)

Geopolitik scheint die Zukunft Gazas zu diktieren

Ohne Zweifel stellen die aktuellen militärischen Operationen im Nahen Osten in direktem Zusammenhang mit der US-Langzeitstrategie vom September 2014 "Win in a Complex World 2020-2040". Diese direkte Verbindung wird von einem US-Präsidenten natürlich nicht angesprochen. So gibt Donald Trump vor, dass die Zukunft der Palästinenser im Gazastreifen mit einer Umsiedlung aus Gaza, einem Besitzwechsel des Gebiets an die USA und einem umfassenden Wiederaufbau angestrebt wird. Die USA wollen die Verwaltung des Gazastreifens übernehmen und das Gebiet umfassend rekonstruieren. Dabei plant Trump, die rund 2 Millionen Palästinenser aus Gaza umzusiedeln, vor allem in andere arabische Länder wie Ägypten, Jordanien oder auch weitere Länder, die bereit sind, sie aufzunehmen. Er bezeichnete Gaza als „Riviera des Nahen Ostens“ nach dem Wiederaufbau, betonte aber auch, dass die Palästinenser nicht in das Gebiet zurückkehren dürften. Trump sprach von einer geplanten Umsiedlung, bei der die Bevölkerung in „sichere Gemeinschaften“ außerhalb von Gaza gebracht werden soll.

Nun, das ist die offizielle Version. Den Gaza-Streifen für die Reichen als „Riviera des Nahen Ostens“ aufzubauen, mag für einige Vertreter der westlichen Elite vielleicht wünschenswert sein, ist aber keineswegs ein geopolitisches Ziel. Die USA kontrollieren als mächtigste Seemacht alle Wasserstraßen der Welt. Zu wichtigsten zählt zweifellos der Suezkanal. Er ist seit Jahrhunderten der zentrale Knotenpunkt des globalen Handels. Durch ihn verkehrt nicht nur der lukrative Handel zwischen Europa und Asien, sondern er verbindet auch die Ölfelder des Nahen Ostens mit dem Rest der Welt. Wie wichtig er für die Weltwirtschaft ist, zeigte sich im Jahr 2021 als das Containerschiff Ever Given für 5 Tage in dem Nadelör steckenblieb und dadurch die gesamte globale Lieferkette für kurze Zeit ins Wanken geriet.

Seit wenigen Jahren tanzen jedoch die jemenitischen Huthis dieser Seemacht auf der Nase herum, indem sie eine Teilkontrolle über den Suezkanal ausüben. Ein sicherer Ersatz für den Suez-Kanal wurde schon vor Jahren angedacht: Ausbau des Hafens von Eilath/Akaba, der mittels Eisenbahnlinie mit dem israelischen Hafen in Haifa, der jedoch kaum Möglichkeiten zum Ausbau bietet, verbunden werden sollte. Ein Eisenbahnlösung ist für eine Seemacht keinesfalls eine geeignete Lösung, diese verspricht nur ein Kanal!

So wundert es kaum, dass vor einigen Jahren der Bau eines neuen Kanals zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer als Alternative und Konkurrenz zum Suezkanal als israelisches Megaprojekt angedacht worden ist. Dieser Kanal hätte allerdings den Gazastreifen umgehen müssen. (26)

Nun schafften der Krieg und die US-Interessen die Voraussetzungen für einen großzügigen Entwurf dieses Megaprojekts. Gaza muss nicht mehr umgangen werden, sondern bietet auch das Gelände für einen Welthafen. Das wäre das Ende einer "Riviera des Nahen Ostens" bevor sie überhaupt begonnen wurde. In diesem Zusammenhang ist auch die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen im Hinblick auf den Schutz von Kanal und Hafen zu sehen.

Der geplante alternative Kanal zu Suez soll am südlichen Ende Israels am Golf von Akaba (Teil des Roten Meeres) beginnen und durch das Araberatal verlaufen, etwa 100 km zwischen dem Negevgebirge im Westen und dem jordanischen Hochland im Osten. Dann sollte der Kanal westlich das Becken des Toten Meeres umgehen, um anschließend den Gazastreifen durch ein Tal im Negevgebirge südlich zu umgehen. Dieses Problem wird nach der Vertreibung nicht mehr bestehen. Schließlich mündet der Kanal ins Mittelmeer.

Mit zwei parallelen Kanalrinnen – was ihn von Suez unterscheidet – sollen Schiffe in beiden Richtungen fahren können.

Die geplante Bauzeit soll bei etwa 5 Jahren liegen, mit Kosten zwischen 16 und 55 Milliarden US-Dollar. Das scheint zwar ein wenig tief gegriffen. Aber bei einem Kostenaufwand von über 100 Milliarden ist das zu den Kriegskosten in der Ukraine direkt lächerlich. Ungeachtet der bautechnischen Probleme (ca. 300m Höhenunterschied erfordern aufwendige Schleusen) scheint der Kanal höchstens im ersten Moment als eine gute Idee zu sein. Israel würde dadurch Ägypten, den einzigen Nachbarstaat, mit dem es gut auskommt, vor den Kopf stoßen. Die weitere Dimension des geopolitischen Konfliktpotentials soll hier nicht weiter beleuchtet werden.

Wie stellt sich die Kosten-Nutzen-Frage, sollte künftig die Route über die Nordostpassage ganzjährig möglich sein?

Mit dem Bau wird signalisiert, dass Macht und wirtschaftliche Interessen über allem stehen – Der Frieden und das Wohl der Menschen scheint einen geringen Stellenwert zu haben.

Die USA fröhnen weiter ihrem Exeptionalismus und setzen das um, was Biden im Strategiepapier vom Oktober 2022 festgeschrieben hat:

Eine Nation, die für sich den Aufbau eines dauerhaften Vorteils reklamiert, wird kaum mit dem Rest der Welt in Frieden leben können. Deshalb hofft die überwiegende Menschheit auf eine multipolare Friedensordnung.

Israels Luftwaffenangriff am 9. September auf ein Ziel in Katars Hauptstadt Doha

Einen Tag nach dem Angriff hielt "focus-jerusalem.tv" fest:

Ein kühner israelischer Luftangriff hatte am Dienstag ein Treffen der obersten Führer der Hamas in Katars Hauptstadt Doha im Visier. Die Hamasführung hatte sich angeblich dort versammelt, um einen neuen, von den USA unterstützten Vorschlag für einen Waffenstillstand im Austausch gegen Geiseln zu diskutieren“. (28)

Laut Angaben von Vertretern des israelischen Militärs warfen mehr als 10 Kampfflugzeuge der IAF (Israelische Luftwaffe) innerhalb von Minuten ihre Bomben ab: „Die heutige Aktion gegen die obersten Hamasführer war eine völlig unabhängige israelische Operation“, schrieb das Büro des Premierministers.

„Israel hat sie initiiert, Israel hat sie durchgeführt, und Israel übernimmt die volle Verantwortung dafür.“ In einer Erklärung der israelischen Armee heißt es:

Die Mitglieder der Führung, die getroffen wurden, leiteten jahrelang die Aktivitäten der Terrororganisation und sind direkt verantwortlich für die Durchführung des Massakers vom 7. Oktober und die Führung des Krieges gegen den Staat Israel“,

heißt es in einer Erklärung der israelischen Armee. (29)

US-Präsident Donald Trump zeigte sich noch am Angriffstag gegenüber Reportern nicht erfreut (Es ist keine gute Situation) über Israels Luftangriff in Doha:

Einseitige Bombardierungen innerhalb Katars, einem souveränen Staat und engen Verbündeten der Vereinigten Staaten, der sich sehr engagiert und mutig Risiken eingeht, um gemeinsam mit uns Frieden zu stiften, bringen weder Israel noch Amerika ihren Zielen näher. Die Beseitigung der Hamas, die vom Elend der Menschen in Gaza profitiert hat, ist jedoch ein erstrebenswertes Ziel … Ich glaube, dass dieser bedauerliche Vorfall als Chance für Frieden dienen könnte.“ (30)

Welchen Frieden meint Trump denn?

Umgehende Kritik kam aus europäischen Staaten, den USA oder der Schweiz. Jordanien nannte den Angriff eine «feige Aggression», Ägypten «inakzeptabel», die Türkei «niederträchtig», und Saudi-Arabien warnte vor schwerwiegenden Folgen.

Die Schweizer SRF-Auslandsredakteurin Susanne Brunner erklärte: Israel habe sich zwar immer wieder auf Verhandlungsrunden mit der Hamas eingelassen, wenn auch nur indirekt. Dieser Angriff zeige nun aber, dass die israelische Regierung von Verhandlungen – oder wie sie sagt – von Verhandlungen mit Terroristen nichts halte. (31) Laut Brunner zeige der Angriff erneut, dass sich die israelische Regierung um internationales Recht nicht weiter kümmert und damit auch ein Zeichen an die Staaten Ägypten und Jordanien – sie haben mit Israel ein Friedensabkommen – in der Region sendet. „Diese beiden Staaten werden sich wohl hüten, je Gastgeber von solchen Verhandlungen zu sein“, schätzt Brunner. „Für die Verhandlungen heisst das wohl, dass sie zumindest für eine Weile vom Tisch sind. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich Katar für weitere Verhandlungen zur Verfügung stellen wird“, (32) sagt Brunner.

Israel flog einen Luftangriff auf die Hauptstadt von Katar, einem Verbündeten der USA. Nur 32 km westlich von Doha befindet sich die Al Udeid Air Base, einer der wichtigsten US-Militärstützpunkte im Nahen Osten. Die Basis dient auch als Hauptquartier für das United States Central Command (CENTCOM). Dort befindet sich u.a. ein Combined Air Operation Center, das die Lufteinsätze der USA und der NATO in insgesamt 21 Ländern der Region koordiniert.

Welche Rolle spielen die Vereinigten Staaten? Ist es Teil der abgesprochenen Dramaturgie, dass aus den USA ein Waffenstillstandsvorschlag kommt und aus Israel der Angriff auf die Verhandlungsführer? Oder hat hier der Schwanz mit dem Hund gewedelt.

Ist der Zirkel um Netanjahu am Ende mächtiger als die amerikanische Regierung?

Auf jeden Fall ist der Verdacht begründet, dass sowohl Israel als auch die USA ein Interesse an der vollständigen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung haben und daher jede Friedensmöglichkeit torpedieren.

Anmerkungen und Quellen

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete "atomare Gefechtsfeld" in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie "Die unterschätzte Macht" (2022)

1) https://www.washingtonpost.com/national-security/2025/08/31/trump-gaza-plan-riviera-relocation/

2) Wolfgang Effenberger, PPT-Folie

3) Ebda.

4) Mit diesem von Washington seit dem 1999 ohne UN-Mandat geführten Angriffskrieg gegen Restjugoslawien hebelten die USA unmittelbar das Völkerrecht und die UN-Charta aus und definieren nun willkürlich ihre Regeln, während die BRICS und der globale Süden weiter an dem Völkerrecht und der UN-Charta festhalten.

5) https://www.indianpunchline.com/india-disavows-tianjin-spirit-turns-to-eu/

6) https://www.washingtonpost.com/national-security/2025/08/31/trump-gaza-plan-riviera-relocation/

7) https://www.globaltimes.cn/page/202508/1342199.shtml

8) https://theconversation.com/trump-plans-to-permanently-resettle-palestinians-outside-gaza-the-very-reason-unrwa-was-originally-created-249185

9) https://www.washingtonpost.com/national-security/2025/08/31/trump-gaza-plan-riviera-relocation/

10) https://theconversation.com/trump-plans-to-permanently-resettle-palestinians-outside-gaza-the-very-reason-unrwa-was-originally-created-249185

11) https://www.deutschlandfunk.de/laith-arafeh-palaestinensischer-botschafter-interview-100.html

12) https://www.fr.de/politik/land-palaestinenser-in-deutschland-das-ist-nicht-mehr-mein-93337073.html

13) https://www.washingtonpost.com/national-security/2025/08/31/trump-gaza-plan-riviera-relocation/

14) https://www.globaltimes.cn/page/202508/1342199.shtml

15) https://www.boell.de/de/2024/01/05/netanjahu-zieht-den-krieg-die-laenge-um-sein-lebensziel-zu-retten

16) Wolfgang Effenberger: Screenshot https://www.youtube.com/watch?v=Atag74u01AM

Benjamin Netanjahu und seine "Friedenskarte" ohne ein Palästina (16)

17) https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/nahostkonflikt-benjamin-netanjahu-israel-palaestinenser-un-vollversammlung-kritik

18) https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/nahostkonflikt-benjamin-netanjahu-israel-palaestinenser-un-vollversammlung-kritik

19) https://www.fokus-jerusalem.tv/2023/09/24/netanjahu-beschwoert-vor-un-generalversammlung-einen-neue-nahen-osten/

20) https://www.israelnetz.com/netanjahu-historischer-wandel-fuer-israel/

21) https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/nahostkonflikt-benjamin-netanjahu-israel-palaestinenser-un-vollversammlung-kritik

22) https://www.fokus-jerusalem.tv/2023/09/24/netanjahu-beschwoert-vor-un-generalversammlung-einen-neue-nahen-osten/

23) https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-09/nahostkonflikt-benjamin-netanjahu-israel-palaestinenser-un-vollversammlung-kritik

24) https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/benjamin-netanjahu-israel-hamas-ansprache

25) https://www.dw.com/de/netanjahu-wollte-pal%C3%A4stinenser-spalten-und-spaltete-israel/a-68045450

26) https://www.israelnetz.com/netanjahu-historischer-wandel-fuer-israel/

27) Screenshot (ergänzt durch Wolfgang Effenberger) https://www.youtube.com/watch?v=XaavOLb5jWg

Ein alternativer Kanal: Ein mögliches geopolitisches Ziel?

28) https://www.fokus-jerusalem.tv/2025/09/10/israel-fuehrt-luftangriff-auf-hamas-fuehrung-in-doha-in-katar-durch-israel-optimistisch-hinsichtlich-des-erfolges-der-operation/

29) Ebda.

30) Ebda.

31) https://www.fokus-jerusalem.tv/2025/09/10/israel-fuehrt-luftangriff-auf-hamas-fuehrung-in-doha-in-katar-durch-israel-optimistisch-hinsichtlich-des-erfolges-der-operation/

32) Ebda

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bild: Der indische Premierminister Narendra Modi spricht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor dem SCO-Gipfel 2025 im Meijiang Convention Center, Tianjin, China, 1. September 2025.

Bildquelle: Brian Jason / Shutterstock  


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