Tagesdosis

„Recht, Unrecht, Egal" | Von Rainer Rupp

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Der kollektive Westen und das Völkerrecht

Ein Kommentar von Rainer Rupp.

Die westlichen „Wertegesellschaftler“ sprechen zwar unermüdlich von Völkerrecht und ermahnen andere Völker schon wegen geringer Vergehen mit empört erhobenem Zeigefinger, sie selbst aber treten das Völkerrecht mit Füßen oder instrumentalisieren es, gerade wie es ihren eigenen Interessen dient.

In einem einstündigen exklusiven Video-Interview des investigativen Journalisten Walter van Rossum mit dem emeritierten Prof. Norman Paech macht der renommierte deutschen Staatsrechtler und Politikwissenschaftler deutlich, wie vor allem die „Eliten“ der mächtigsten Staaten des kollektiven Westens die internationale Rechtsordnung umschiffen, bzw. einfach komplett ignorieren, wenn diese ihren Macht- und Geschäftsinteressen zuwiderläuft. Nach dem NATO-Angriff auf Serbien wurde Prof. Paech als unbeirrter Verteidiger des Völkerrechts bekannt. Seither ist er trotz seines Alters unermüdlich aktiv geblieben.

Ein typisches Beispiel dafür, wie doppelbödig die Eliten des politischen und medialen Establishments der westlichen „Wertegesellschaft“ mit dem Völkerrecht umgehen, ist Israels Angriffskrieg gegen Iran. Die Völkerrechtsverletzung ist dabei doppelt klar:

Erstens handelt es sich eindeutig um einen Aggressionskrieg, denn Israels Berufung auf ein angebliches Recht auf Selbstverteidigung gegen Iran entbehrt jeder faktischen Grundlage.
Zweitens griff Israel gezielt Atomanlagen an, was völkerrechtlich ebenfalls strikt verboten ist.

Nach dem israelischen Angriff war in westlichen Regierungskreisen und Redaktionsstuben für ein paar Stunden ein seltenes Phänomen zu beobachten: westliche Politik und Medien waren sichtlich orientierungslos und wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Doch sie fassten sich schnell wieder. Und der deutsche Kanzler, Friedrich Danke für-die-Drecksarbeit Merz bedankte sich sogar bei den Israelis für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der nicht provoziert war und für den es keine Rechtfertigung gibt.

Die Lage in der Ukraine ist wiederum ganz anders. Die Phrase von Russlands angeblich brutalem, unprovozierten und völkerrechtswidrigem Angriffskrieg kann von Westpolitikern und Medien gar nicht oft genug wiederholt werden. Dieser Begriff solle den Menschen im Westen ins Hirn eingebrannt werden, denn er dient dem Westen als Begründung für eine neue und sehr teure und Opfer von der Bevölkerung fordernde Kriegstüchtigkeit.

Prof. Paech argumentiert dagegen, dass die militärische Sonderoperation (MSO) der Russen in der Ukraine zwar formal ein Angriffskrieg sei, doch der politische und geostrategische Kontext lege nahe, ihn als defensiven Angriff einzuordnen, und nicht als imperialen Eroberungskrieg. Eine solche Differenzierung aber werde von der westlichen Propaganda strikt unterbunden.

In dem einstündigen Video-Interview, das am 6. Juli von Manova auf Odysee veröffentlicht wurde, wurden folgende heißen Themen aufgegriffen, die bisher von den selbsterklärten westlichen „Qualitätsmedien“ sorgsam ignoriert wurden.

  • Fällt Israels Angriff auf den Iran unter Selbstverteidigung?
  • Legitimiert ein iranisches Atomprogramm einen israelischen Angriff?
  • Angriffe auf Atom-Anlagen sind völkerrechtlich untersagt
  • Wie hätte die UN Israels Angriff unterbinden können?
  • Hätte der Kriegseintritt der USA verhindert werden können?
  • Wie völkerrechtskonform sind Sanktionen?
  • Hat Trump durch den Iran-Angriff einen größeren Krieg verhindert?
  • Welche Mitschuld hat Deutschland?
  • War Merz' „Drecksarbeit“-Formulierung justiziabel?
  • War der Ausbruch aus Gaza am 7. Oktober völkerrechtskonform?
  • Zerstörung Gazas ist nicht von Israels Selbstverteidigungsrecht gedeckt
  • Wie bewerten andere Völkerrechtler die Lage in Nahost?
  • Die konfuse Neuordnung im Nahen und mittleren Osten
  • Warum Russlands Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig war
  • Fantasiekonstrukt „Right to protect“
  • Ist ein „(nicht) provozierter Angriffskrieg“ eine völkerrechtliche Kategorie,

Einige dieser Themen habe ich im nachfolgenden Text verkürzt dargestellt. Um jedoch das sehr ehrliche und ausführliche Interview hier in Gänze zu präsentieren, würde dieses Format überfordern. Deshalb habe ich das auf Odysee erschienene Interview hier verlinkt (1).

 War der Ausbruch aus Gaza am 7. Oktober völkerrechtskonform?

In diesem Teil analysiert Prof. Paech die Völkerrechtskonformität des Ausbruchs aus Gaza am 7. Oktober 2023 durch palästinensische Kämpfer, insbesondere der Hamas. An diesem Tag überwindet eine bewaffnete Truppe von Palästinensern die Mauern des Freiluftgefängnisses von Gaza und tötet dabei angeblich über 1000 israelische Soldaten und Zivilisten.

„Wir wissen mittlerweile, dass in der Geschichte so einiges nicht stimmt, wie sie kolportiert wird. Doch unzweifelhaft wurden auch sehr viele israelische Zivilisten getötet“, meine der Interviewer van Rossum.

In Erwiderung verweist Paech auf die Tendenz im Westen, vor allem aber in Deutschland, dass das alles völkerrechtswidrig war, was die Palästinenser dort gemacht haben. Für Medien und Politiker war das natürlich ein Terroranschlag, insbesondere weil ja auch die Hamas immer nur mit dem Beiwort „Terrororganisation“ erwähnt wird.

Man müsse aber auch bei den Vorgängen des 7. Oktobers sehr genau differenzieren. Denn die Hamas operierte aus einem besetzten Gebiet heraus. Das ist eine palästinensische Organisation, die - wie immer man sie auch sieht - das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes im Gazastreifen auf ihrer Seite hat. Das heißt, auch militärischer Widerstand gegen die (israelische) Besatzung ist vollkommen legal!!! „Das ist in Erinnerung der ganzen Befreiungsbewegung in Afrika in den 70er Jahren und das gilt auch heute für die Hamas."

Anschließend betonte Paech jedoch, dass die Angriffe auf israelische Zivilisten, wie beim Rave-Festival oder in Kibbuzim, sowie die Entführung von Geiseln Kriegsverbrechen darstellen und nicht vom Völkerrecht gedeckt sind. Er forderte zugleich ein Ende der undifferenzierten Darstellung der Hamas als reine „Terrororganisation“ hierzulande und fordert eine präzise Abgrenzung zwischen legitimen und illegitimen Handlungen. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Internationale Strafgerichtshof diese Unterscheidung bei seinen Untersuchungen berücksichtigen werde.

Leider hat Paech nicht den Hintergrund erwähnt, vor dem die palästinensische Geiselnahme von israelischen, bzw. jüdischen Geiseln stattfand. Sie sollten ausgetauscht werden, gegen die Tausende von Palästinensern, einschließlich viele Jugendliche unter 18 Jahren, die oft willkürlich auf den Straßen der von Israel besetzten Gebiete aufgegriffen und verschleppt wurden. Laut Protokollen von überlebenden und bei früheren Austauschen freigelassenen Palästinensern waren sie entweder unter falschen Beschuldigungen oder einfach ohne Angabe von Gründen und nicht selten ohne Gerichtsurteil viele Jahren in israelischen Foltergefängnissen wie Tiere gehalten worden.

Zerstörung Gazas ist nicht von Israels Selbstverteidigungsrecht gedeckt

Israels Recht auf Selbstverteidigung gilt nur, was die Hamas-Angriffe gegen israelische Zivilisten, z.B. gegen die Kibutzim und die zivilen Strukturen betrifft. Darauf ist das Verteidigungsrecht einer Besatzungsmacht, was auf Israel zutrifft, völkerrechtlich limitiert. Verbatim betonte Paech:

„Das heißt, wenn sich die Palästinenser militärisch gegen die Besatzung und damit gegen die militärischen Strukturen wenden, die Israelis eigentlich nur ein Recht haben, nämlich sich zurückzuziehen und die Besatzung aufzugeben, denn diese ist rechtswidrig. Aus einer rechtswidrigen Besatzung können sie keinen Völkerrechtstitel auf Selbstverteidigung basteln.“

Das heißt, im Grunde hatten die Israelis nur am 8. Oktober das Recht auf Verteidigung, sodass der israelische Angriff an diesem Tage durchaus gerechtfertigt war. Die weitere Frage ist aber, wie lange die israelischen Angriffe weiter gehen durften.

„Nach bald zwei Jahren machen sie ja immer noch weiter. Und Kanzler Merz verbreitet immer noch die Legende von der Selbstverteidigung weiter. Etwas, was ich gerne jetzt zitiere, ist eine Erklärung sehr prominenter Künstlerinnen und Künstler. Sandra Hüller, dann Fati Akin, aber auch Frank Pra und Luisa Neubeurer, die schon ab 25. Oktober 2023 gesagt haben, dass dies laut prominenter internationaler Völkerrechtler ein Völkermord ist.“

Weiter führt er aus:

„Meine erste Publikation dazu war im Februar (2024) und auch dort habe ich von einem Völkermord gesprochen. und zwar nicht etwa wegen der Heftigkeit der Angriffe, sondern wegen der sie begleitenden Absichtserklärung sowohl des Militärs wie auch der Regierung, denn das ist das Allerwesentlichste bei dem Tatbestand eines Völkermords, nämlich die Absicht, eine Gruppe oder ein Volk zu zerstören, gar nicht mal vollständig zu vernichten. Und diese Absicht ist immer wieder bis auf den heutigen Tag auch von Regierungsmitgliedern und anderen immer sehr deutlich bekräftigt worden und vor allem kriegt diese Absicht ihre Entsprechung in den Taten.“
„Was hier gemacht wird, die Vertreibung der Restbevölkerung von einem Platz zum anderen, um dann den Platz zu vernichten, den sie gerade verlassen haben, um sie dann weiter zu vertreiben, um den Platz zu vernichten. Das alles erfüllt den Tatbestand vieler Kriegsverbrechen, einschließlich des Einsatzes des Hungers als Waffe, welche die Israelis seit Dezember 24 gezielt einsetzen. Schon damals hatte Human Rights Watch das als eine nicht zulässige Form der Kriegsführung, nämlich als Ansatz zu einem Völkermord bezeichnet.“

Wie bewerten andere Völkerrechtler die Lage in Nahost?

Auf die Frage von van Rossum, ob Prof. Paech mit seiner Auffassung nun als Extremist gilt und wie es kommt, dass in den deutschen Mainstream Medien immer Völkerrechtler zu Wort kommen, die sagen, das israelische Vorgehen wäre ganz okay?

Paech antwortete darauf: „Gut, Antisemiten sind wir alle, allein schon deshalb, weil wir Fragen stellen“. … Was die Völkerrechtler im Fernsehen betrifft, also die, die sich in den öffentlichen Medien äußern dürfen, die seien „dementsprechend ausgesucht“. Die lenkten auch vom Thema ab, weil sie immer wieder vorgeben, sie hätten immer noch „Detailfragen zu klären“. So ähnlich lässt die Bundesregierung auf der Pressekonferenz immer erklären: „Ja, wir prüfen das, aber wir sind noch nicht davon überzeugt, dass das so ist.“

Nicht anders verhält sich der von (von Westinteressen dominierte) internationale Gerichtshof, der „noch nicht von einem Völkermord gesprochen hat", sondern gesagt, „wir müssen noch weiter untersuchen, ob es ein Völkermord ist. Inzwischen hat die Regierung von Südafrika ihrem Dossier von 227 Seiten weitere Fakten und auch Erklärungen ihrer Klage hinzugefügt, die beweisen, dass es ein Völkermord ist. Die Kollegen, soweit ich sie kenne, scheuen sich, sich klar zu äußern, denn das wäre natürlich mit der Folge verbunden, dass man dies strafrechtlich verfolgen müsste.

„Es geht um sehr viel mehr als nur Kriegsverbrechen, denn Völkermord ist noch eine Stufe höher und das gegenüber (dem mit Sonderrechten ausgestatteten, auserwählten Volk. Anmerkung RR) Israel offen zu sagen, Ähm, ich glaube, die (Kollegen) scheuen davor zurück."

Ich bin der Überzeugung, dass in einem Gespräch unter vier Augen sehr viele davon ausgehen, dass es überwältigende Beweise für Völkermord gibt. Sie brauchen sich nur einmal zu überlegen, wenn so etwas wie in Gaza in der Ukraine oder in sonst irgendwo geschehen würde, da wäre man sofort dabei, eine Verurteilung wegen Völkermord zu verlangen, so wie auch der Bundestag keine Schwierigkeiten hat, den Völkermord an Armenien, also einen fremden Völkermord festzustellen. Zugleich ist es im Bundestag immer noch nicht gelungen, den Völkermord in Namibia an den Hereros im damaligen Südwestafrika zu formulieren. Das ist immer noch nicht geschehen.

Welche Mitschuld hat Deutschland?

In diesem Teil wird Deutschlands mögliche Mitschuld an Völkerrechtsverletzungen, bzw. Beihilfe zum Völkermord in Gaza und - im Zusammenhang mit dem israelischen Angriff auf den Iran - Beihilfe zu einem Angriffskrieg thematisiert. Nicaragua hat beim Internationalen Gerichtshof (IGH) die Klage gegen Deutschland wegen Beihilfe zu einem Völkermord erhoben, basierend auf Waffenlieferungen an Israel. Die Bundesregierung wiegelte zunächst ab, indem sie log und behauptete, nur minimale militärische Ausrüstung geliefert zu haben, keine Waffen. Später gab jedoch Bundeskanzler Olaf Scholz zu, dass Waffen geliefert wurden und dies fortgesetzt wird. Seither hat das auch Kanzler Merz bekräftigt und fortgesetzt.

Der Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof mit Nicaragua läuft weiter, wobei die Klage bis Mitte Juli 2025 präzisiert werden soll, und Deutschland ein Jahr Zeit hat, darauf zu antworten. Im Kontext des Iran-Angriffs wird argumentiert, dass deutsche Waffenlieferungen an Israel Beihilfe zu einem Völkerrechtsbruch darstellen könnten, wenn nachgewiesen wird, dass diese Lieferungen (z. B. Raketen- oder Panzermotoren) im Krieg eingesetzt wurden. Solche Beihilfe könnte als Kriegsverbrechen gewertet werden, was eine genaue Analyse der Lieferungen erfordert.

Zum Abschluss nochmals die Empfehlung, sich das ganze Interview anzusehen, es lohnt sich, auch wenn Prof. Paech aus bekannten Gründen etwas vorsichtig formuliert, was jedoch der Klarheit seiner Argumente nicht abträglich ist. Hier nochmals der Link: [1] https://odysee.com/@Manova_Magazin:3/der-voelkerrechtliche-nihilismus:4?r=7EothkCcP9MG9n99zbGB72qvAPR95iCP

Quellen und Anmerkungen

[1] https://odysee.com/@Manova_Magazin:3/der-voelkerrechtliche-nihilismus:4?r=7EothkCcP9MG9n99zbGB72qvAPR95iCP

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Fehmiu Roffytavare / shutterstock


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