Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Die Lage der Ukraine auf dem Schlachtfeld wird immer verzweifelter. Zugleich spiegeln die öffentlichen Reaktionen und Schuldzuweisungen für diesen Zustand innerhalb des kollektiven Westens die komplexe Natur internationaler Bündnisse wie der NATO wider, besonders in Kriegszeiten. Dabei hat die vorsichtige Gratwanderung der USA im Umgang mit den Verbündeten weiteren diplomatischen Mutmaßungen und Spannungen Tür und Tor geöffnet. Zumal schon vor der Wiederwahl Trumps in Washington zunehmend die Tendenz zu beobachten war, die Verantwortung für die Ukraine an die EU und Europa-NATO abzuschieben und sich ganz auf China zu konzentrieren. Diesbezüglich ist ein jüngst in der US-Zeitschrift National Review erschienener Artikel von John O’Sullivan interessant.
In dem Artikel setzt sich der Autor mit den bekannten, inzwischen abgedroschenen Argumenten für die weitere Unterstützung der Ukraine bis zum Sieg auseinander. Was jedoch den Artikel interessant macht, ist der Stein des Widerspruches, den er losgetreten hat, und der inzwischen andere Steine mitgerissen hat und zur Lawine zu werden droht. Ein Beispiel dafür kann man auf der "Webpage of American Greatness" vom 28. Oktober lesen, mit dem Titel "Regional Conflict vs. World War III?", zu Deutsch "Regionaler Konflikt oder Dritter Weltkrieg?", mit dem Untertitel: "Die USA können nicht alles allein machen, und je früher die Europäer erwachsen werden und das erkennen und dann entsprechend handeln, desto besser wird es ihnen – und uns – gehen."
Im Text erörtert O‘ Sullivan, ob die USA Europa gegen eine russische Bedrohung unterstützen sollten und wenn ja, ob sie dies zum Nutzen Europas oder in erster Linie zum eigenen Nutzen tun sollten. Im Folgenden sind die wichtigsten Argumente aus diesem Artikel zusammengefasst:
1. In Bezug auf die europäische Verantwortung und militärische Bereitschaft wird die Frage aufgeworfen, warum die europäischen Länder nicht besser vorbereitet sind, sich zu verteidigen, wenn die Bedrohung durch Russland angeblich so unmittelbar bevorsteht. Das Bruttoinlandsprodukt der USA übertrifft das der Europäer inzwischen deutlich, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die EU mit regulatorischen Beschränkungen nicht nur die Entwicklung von US-Unternehmen, sondern ganz allgemein Europas wirtschaftliche Expansion hemmt.
2. Das derzeitige Wirtschaftsmodell Europas wird als weniger robust als das der USA angesehen, und es wird vorgeschlagen, dass Europa seinen Verteidigungsbedarf besser decken könnte, wenn es sich mehr auf die freie Marktwirtschaft einlassen würde. Der Text deutet jedoch an, dass dieser Wandel wahrscheinlich nicht so bald, wenn überhaupt, eintreten wird.
3. Die europäische Neigung, sich auf die Unterstützung der USA zu verlassen, könnte die amerikanischen Steuerzahler und künftige Generationen belasten. Europas mangelnde militärische Bereitschaft deutet darauf hin, dass es sich allzu sehr auf die Unterstützung der USA verlässt. Als Länder mit besonders schwachen militärischen Fähigkeiten werden insbesondere Großbritannien, Frankreich und die baltischen Staaten identifiziert.
4. Eine weitere vorgeschlagene Strategie für die USA, ohne Krieg Russland in die Knie zu zwingen, besteht darin, die heimische Ölproduktion zu erhöhen, was zu einer starken Senkung der weltweiten Energiepreise und damit zu einer Verringerung der Einnahmen Russlands führen könnte. Eine Senkung der Ölpreise würde auch andere verfeindete Staaten wie Iran treffen, ohne dass die USA direkt militärisch eingreifen müssten.
5. Den USA rät der Artikel, sich mehr auf China zu konzentrieren, das eine größere Bedrohung für die amerikanischen Interessen darstellt als Russland, und die militärischen Ressourcen von Europa nach Asien zu verlagern. Während Russland weiterhin Anlass zur Sorge gibt, werden Chinas angebliche "globale Ambitionen" als dringlicher dargestellt.
6. Europäische Autonomie: In dem Text wird dafür plädiert, dass Europa mehr Verantwortung für seine eigene Verteidigung übernimmt, da es, wenn die USA weiterhin ohne Gegenleistung militärische Unterstützung leisten, keinen Anreiz hat, mehr Geld für seine eigene Verteidigung auszugeben.
Letztendlich impliziert der Text, dass ein gewisses Maß an US-Hilfe für Europa zwar gerechtfertigt sein mag, die USA ihre Ressourcen jedoch vorrangig in Richtung China einsetzen sollten. Damit ließe der amerikanische Macho, nachdem er hier auf dem alten Kontinent das Europäische Haus ramponiert hat, die zarte kleine Europa mit dem hässlichen Baby Ukraine im Arm allein im Regen stehen und setzt sich über den Atlantik ab.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Alexandros Michailidis/ shutterstock
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