Eine Studie des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI legt gnadenlos offen: Deutschland ist aktuell Aufrüstungs-Weltmeister! Kann das gut gehen?
Ein Standpunkt von Hermann Ploppa.
Alle Jahre wieder kommt nicht nur der Weihnachtsmann, sondern auch ein aktueller Bericht zur weltweiten Waffenproduktion und zum Waffenhandel durch SIPRI. SIPRI steht für: Stockholm International Peace Research Institute. Das internationale Friedensforschungsinstitut in Schwedens Hauptstadt hat sich jetzt mal die Umsätze und Gewinne von Rüstungskonzernen zur Brust genommen (1). Und da kommt raus, dass noch nie in der Menschheitsgeschichte derart viel Geld für Rüstung ausgegeben wurde wie gerade jetzt. Die Umsatzsteigerungen sind teilweise als exorbitant zu bezeichnen. Oder sagen wir besser: obszön?
In einer Zeit, in der die nackte Not in bestimmten Gebieten, zum Beispiel in Gaza, absolut unerträgliche Größenordnungen angenommen hat; in einer Zeit, in der Ackerflächen unfruchtbar werden und Wälder kaputt gehen; in einer Zeit, in der Bildung und gesundheitliche Versorgung mit den zunehmenden Herausforderungen nicht mehr Schritt halten können – in einer solchen Zeit haben viele Regierungen die Frechheit, immer mehr Steuergelder für Aufrüstung buchstäblich zu verpulvern.
Den Rüstungskonzernen und ihren Aktionären und Vermögensverwaltern kann dies nur recht sein. SIPRI hat nur die einhundert größten Rüstungskonzerne in ihre Berechnungen aufgenommen. Es ist also nicht alles an volkswirtschaftlicher Verschwendung in diesen Zahlen dokumentiert. Dennoch kommen wir für das Jahr 2024 auf eine stolze Summe von 676 Milliarden Dollar, die aus den Töpfen der Solidargemeinschaft der Steuerzahler in die Taschen der Rüstungsprofiteure umgeleitet wurde. Das waren annähernd sechs Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Wohlgemerkt: wir sprechen hier ja nur von der Neuanschaffung von Waffen und Munition. Nicht von Instandhaltung der Geräte und Gebäude. Nicht von den Personalkosten und Ruhestandsgeldern für ehemalige Soldaten, den oftmals traumatisierten oder verstümmelten Veteranen der diversen perversen Exkursionen in fremde Länder.
Spannend ist zunächst einmal, die großen regionalen Unterschiede in der Neuanschaffung von Kriegsspielzeug zu beobachten. Es wird sicher niemanden überraschen, dass die in den USA beheimateten Rüstungskonzerne mit einem Auftragsvolumen von 336 Milliarden US-Dollar den Löwenanteil der Geschäfte mit 49 Prozent ausmachen. Und wer schon so eine dominante Stellung hat, kann sich auch mal mit einem Wachstum gegenüber dem Vorjahr von etwa vier Prozent zufrieden geben. Wobei sich die US-Konzerne besser nicht allzu sehr auf ihren Lorbeeren ausruhen sollten. Denn möglicherweise ist das relativ langsame Wachstum der US-Rüstungsbranche doch auf eigenes Verschulden zurückzuführen.
Tabellenführer Lockheed Martin hat mit seinem Jagdflieger F-35 die Geduld seiner Kunden doch sehr überbeansprucht. Die F-35 wird im Schnitt ein Dreiviertel Jahr nach dem versprochenen Liefertermin beim Kunden angeliefert. Und dann ist der Blechvogel doch deutlich teurer als ursprünglich versprochen. Genau diese Unzuverlässigkeit wird auch den anderen Rüstungsschmieden Made in the USA nachgesagt. Für eine dauerhafte Kundenbindung ist das nicht gerade hilfreich.
Eine Studie aus den USA hatte bereits im Jahre 2009 beklagt, dass die Regierung Rüstungsaufträge ohne Ausschreibungen vergibt (2). Und dass jeder Kongressabgeordnete in Washington einem Rüstungsprojekt nur dann zustimmt, wenn für seinen Wahlkreis dabei Arbeitsplätze abfallen. Ein Rüstungsprojekt wird also nicht so geplant, dass dabei die beste technische Lösung herauskommt. Gesucht wird stattdessen eine Lösung, der dann alle Kongressmänner und -frauen zustimmen können. Es könnte also sein, dass die so ungeheuer aufgeblähte amerikanische Kriegsmaschine ein Papiertiger ist. Wir werden das dann sehen, wenn die USA irgendwann einmal auf einen wirklich ebenbürtigen Gegner trifft.
Rüstungs-Bonanza in Europa – Stagnation in China
Die eigentliche Musik in der Rüstungsbranche spielt aktuell in Europa. Der Ukraine-Krieg gilt als geeigneter Vorwand, so richtig aufzutrumpfen. Und so sind die Geschäfte der europäischen Rüstungskonzerne im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent angestiegen. Insgesamt sind die europäischen Tötungstechniker mit 151 Milliarden Dollar und 22 Prozent Marktanteil in der Hitparade der Top One Hundred vertreten. 26 europäische Konzerne teilen sich den Kuchen. Großbritannien hat mit BAE Systems mit 52,2 Milliarden Dollar und einem Wachstum von 7,7 Prozent einen echten Hochkaräter auf Platz vier in der Weltrangliste vorzuweisen. Frankreich hat mit 26 Milliarden Dollar Verkaufsvolumen und einem Wachstum von zwölf Prozent gerade mal halb so viel Potential wie die Briten. Neueinsteiger in der Hitparade ist die Czechoslovak Group mit einem sagenhaften Umsatzplus von 193 Prozent und einem Wert von 3,6 Milliarden Dollar. Diesen kometenhaften Aufstieg verdankt die tschechische Waffenschmiede den üppigen Aufträgen aus der Ukraine. Der ukrainische Rüstungskonzern JSC Ukrainian Defense Industry hat mit seinen drei Milliarden Dollar Umsatz im letzten Jahr ein Plus von 41 Prozent hingelegt.
Kriegsgegner Russland hat auf dem internationalen Exportmarkt Anteile eingebüßt. Das wird durch den Einsatz an der ukrainischen Front allerdings wieder wettgemacht. Die russische Rüstungsindustrie ist in dem staatlichen Konzern Rostec konzentriert. Rostec bringt allerdings gerade mal so viel Volumen wie die französischen Konzerne auf die Waage, nämlich 27,1 Milliarden Dollar, mit einem Wachstum von 26 Prozent. Der russische Wehretat ist tatsächlich eher bescheiden, und er soll im kommenden Jahr sogar gesenkt werden.
Um die destruktive Macht des russischen Bären aufzuplustern, berichten deutsche Medien immer wieder, Russland wolle den Etat für das Jahr 2026 auf sage und schreibe 12,93 Billionen Rubel bringen (3). Dabei wird dann unterlassen, diesen Betrag in Euro umzurechnen. Denn ein Rubel entspricht einem Euro-Cent (4). Die Russen wollen also im nächsten Jahr etwa 129 Milliarden Euro für ihre Verteidigung ausgeben. Das macht weniger als ein Zehntel dessen, was die westliche Wertegemeinschaft für ihre Rüstung ausgibt.
Während Japan und Südkorea ebenfalls mit ihren Rüstungskonzernen fabelhafte Zuwächse verzeichnen können, läuft die Entwicklung in China in die entgegengesetzte Richtung. Die chinesischen Rüstungskonzerne haben mit einem Volumen von insgesamt 88,3 Milliarden Dollar ein Minus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr zu beklagen. Das resultiert indes nicht aus einer zunehmend pazifistischen Gesinnung in China – leider nicht. Vielmehr wurde die chinesische Rüstungsindustrie von einem riesigen Korruptionsskandal durchgeschüttelt. Massenhaft musste Führungspersonal entlassen werden. Und jetzt läuft gerade ein Umstrukturierungsprozess, der die Branche für eine gewisse Zeit lahmlegt. Das dürfte sich aber wohl im nächsten Jahr wieder reguliert haben.
Deutschland ist Weltmeister – in der Aufrüstung
Sicher werden Sie sich schon gefragt haben, ob ich im Eifer des Gefechts Deutschland vergessen haben könnte. Mitnichten. Deutschland knöpfe ich mir jetzt extra vor. Denn die deutsche Rüstungsindustrie ragt hervor in all dem Aufrüstungswahnsinn. Insgesamt hat Deutschland unter den Top One Hundred vier Rüstungskonzerne platziert. Und nur die schon erwähnten Tschechen haben höhere Wachstumsraten wie die Deutschen. Der Diehl-Konzern konnte seinen Anteil um 53 Prozent auf 2,1 Milliarden Dollar steigern. Und der weitaus bekanntere Konzern Rheinmetall, auf Platz 20 der Charts, konnte seinen Anteil um 47 Prozent auf 8,2 Milliarden steigern. Und die Planungen gehen davon aus, dass Rheinmetall in einigen Jahren auf Platz zwei der Rangliste der größten Rüstungskonzerne der Welt vorrücken könnte.
Das ist nun allerdings sehr befremdlich. Die deutsche Politik fördert nämlich tatkräftig die einseitige Umstrukturierung der eigenen Wirtschaft in Richtung Militarisierung. Während Deutschland ernste Anzeichen einer zunehmenden De-Industrialisierung aufweist, lässt die Bundesregierung diese Fehlentwicklung willig geschehen. Und schiebt einfach eine Rüstungsindustrie als neues Modell über die geplättete Zivilwirtschaft.
Und weil eine exorbitante Steigerung des Militärhaushaltes aus dem regulären Bundeshaushalt nicht finanzierbar ist, setzt man sich einfach frech über die Schuldenbremse hinweg, mit der bislang so ziemlich jede Förderungsmaßnahme in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Infrastruktur abgebügelt wurde. Ein „Sondervermögen“, also eine rasante Verschuldung außerhalb und parallel zum Bundeshaushalt. Im kommenden Fiskaljahr 2026 sollen tatsächlich 108,2 Milliarden Euro für Aufrüstung verschleudert werden (5).
Aus dem regulären Topf des Bundeshaushalts kommen dabei etwa 80 Milliarden Euro. Aus dem so genannten Sondervermögen fließen dann 25 Milliarden Euro hinzu. Dafür müssen dann unter anderem die Rentner kürzer treten. Auch in anderen Bereichen soll Schmalhans Küchenmeister sein.
Mit diesem Modell ahmt die Bundesregierung den Weg der USA nach dem Zweiten Weltkrieg nach. Damals wurde wenige Jahre nach den Kampfhandlungen ein gigantischer Militärisch-Industrieller Komplex aufgebaut, der sukzessive die Zivilwirtschaft immer mehr erstickt hat. Die USA produzierten nicht mehr für zivile Zwecke. Es wurde alles importiert, was nicht niet- und nagelfest war: Lebensmittel, Konsumgüter. Weil immer weniger in die Breitenförderung investiert wurde, holten sich die USA ihre Fachkräfte aus dem Ausland – Brain Drain nennt man das. Die USA konnte sich das leisten. Denn sie hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die ganze restliche Welt konzentrisch um sich versammelt und konnte die Spielregeln bestimmen. Mit der Leitwährung des Dollar konnten sich die USA Vorteile verschaffen, die sich kein anderes Land der Welt genehmigen darf. Die Bedingungen des Ölhandels konnten die USA aus eigenem Ratschluss bestimmen. Und sollte doch mal ein Land dieser Welt sich der Pax Americana verweigern, gab es harte Strafexpeditionen und Regime Change Manöver.
Haben die deutschen Eliten nichts kapiert? Eine komplette Umstellung der Wirtschaft auf Militärisch-Industriellen Komplex muss man sich auch leisten können. Deutschland ist nicht der Nabel der Welt. Deutschland ist ein enthauptetes Gliedstück der amerikanischen Machtmaschine. Deutsches Militär wird nie in der Lage sein, andere Länder zu unterwerfen und mit Strafexpeditionen zu überziehen. Immer wieder gab es derweil den Versuch Deutschlands, sich zum Hegemon in der Europäischen Union aufzuschwingen. Das ist aber immer wieder kläglich gescheitert. Auf halbem Wege stehen geblieben. Der Versuch, durch eine Militarisierung wieder aus der Sackgasse der DE-Industrialisierung herauszukommen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Militärmacht Deutschland können wir jetzt schon als klägliche Bauruine abschreiben.
Es kann sein, dass sich im Scheitern dieses Projektes Militärmacht Deutschland die Eliten aus dem Staub machen werden und ein politisches Vakuum hinterlassen, gerade so wie im Jahre 1918. Wenn wir ein Konzept der Zivilgesellschaft diesem militaristischen Schwachsinn entgegensetzen können, bestehen einmalige Chancen für ein menschlicheres Deutschland.
Quellen und Anmerkungen
(1) https://www.sipri.org/sites/default/files/2025-11/fs_2512_top_100_2024.pdf
(2) https://www.sup.org/books/politics/americas-defense-meltdown
(3) https://meta-defense.fr/de/2025/12/02/Wachstum-des-russischen-Milit%C3%A4rbudgets-2026/
(4) https://www.xe.com/de/currencyconverter/convert/?Amount=1&From=RUB&To=EUR
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Hermann Ploppa ist freier Journalist und Buchautor. Gerade hat er sein neustes Buch „Der Neue Feudalismus – Privatisierung, Blackrock, Plattformkapitalismus“ veröffentlicht, das im Handel erhältlich ist.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bild: Klaipeda Litauen 2022-08-20 Deutscher GTK Boxer, Infanterie-Version von Kmw und Rheinmetall steht auf einer Plattform nahe dem Schlachtfeld
Bildquelle: Karolis Kavolelis / shutterstock
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