
"Es ist unsere demokratische Aufgabe, diese Instrumente zu nutzen, um die Verfassung zu schützen"
Ein Kommentar von Paul Clemente.
Blamage muss sein! Und nicht nur einmal. Sonst hätte die SPD aus der Compact-Blamage gelernt. Das Blatt wurde im Sommer 2024 von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verboten. Sechs Wochen später hob das Bundesverwaltungsgericht den Zensur-Akt im Eilverfahren auf. Und letzte Woche wurde er komplett gekippt. Nach diesem Dämpfer wären andere vorsichtig geworden. Nicht so die SPD. Die hat auf ihrem dreitägigen Parteitag mehrheitlich für einen AfD-Verbotsantrag votiert. Das Schlimmste dabei: Das ist so ziemlich alles, was die Sozialdemokraten noch zu bieten haben.
Dabei wollte die SPD sich nach dem Wahldebakel radikal neu erfinden. Auf dem Parteitag am Wochenende sollte der Startschuss fallen. Deadline für die Neukonzeption: 2027. Natürlich kein leichtes Vorhaben. Denn ihre traditionelle Rolle als Vertreterin der Arbeiter- und Unterschicht hat sie vor 20 Jahren höchstselbst liquidiert. Mit Gerhard Schröders Hartz-Reform. Die sollte Arbeitslose in den Billiglohnsektor peitschen. Solch einen Klientelverrat begeht man nicht ungestraft. Da mochten Wirtschaftsbosse und neoliberale Ökonomen noch so penetrant applaudieren. Erst 2023, als Bestandteil der Ampel-Koalition, versuchte die SPD ihre antisoziale Gesetzgebung zu korrigieren: Hartz IV hieß ab sofort „Bürgergeld“. Das war eher Kosmetik als reale Verbesserung. Und jetzt, nur zweieinhalb Jahre später? Nun ist die SPD bereit, selbst diese Mini-Reparatur wieder rückgängig zu machen, den Hartz-Terror zu reaktivieren. In alter Schärfe.
Auch das Image einer Friedenspartei, die Entspannungspolitik im Geiste Willy Brandts ist dahin. Okay, verglichen mit Politikern wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Anton Hofreiter ist SPD-Kanzler Olaf Scholz als gemäßigt einzustufen. Zumindest wollte der keine Taurus-Raketen in die Ukraine senden, Westeuropa nicht noch tiefer in den Abgrund treiben. Aber als Koalitionspartner der bellizistischen CDU wird man sich rasch anpassen. Hauptsache an der Macht. Über Prinzipien reden wir später.
Die FAZ brachte das SPD-Dilemma jüngst auf den Punkt: Die arbeite zwar routiniert, erwärme aber nicht das Herz ihrer Wähler: „Denn die entscheidende Frage beantwortet sie seit Jahren nicht: Was will sie eigentlich sein?“ Begnügt sie sich damit, „eine Funktionspartei zu sein, die verlässlich Regierungsmehrheiten organisiert? Selbst hartnäckige SPD-Wähler wissen nicht, wofür sie stimmen.“ Um das zu ändern, fand am Wochenende der Parteitag statt. Ein Countdown wurde gestartet. 2027, in zwei Jahren, soll das Auslaufmodell SPD in neuem Glanz erstrahlen. Gleich zu Beginn ließ sich ihr künftiges Wunsch-Klientel erahnen: Die postmodernen Linken, die Klassenkampf durch Great Reset-Globalismus ersetzt haben. Diese klassischen Grünen-Wähler sind gemeint, wenn SPD-Chef Lars Klingbeil feierlich den neuen Auftrag seiner Partei verkündet: Ein Verbot der AfD zu bewirken. O-Ton Klingbeil: „Es ist unsere historische Aufgabe, die wieder aus den Parlamenten herauszukriegen. Wir haben aus geschichtlicher Erfahrung eine Verfassung, die die Instrumente vorsieht.“ Nein, das ist kein Witz, das ist Klingbeil. Dass der Koalitionspartner CDU am Erfolg eines Verbotsantrages zweifelt, kann diesen Ghostbuster nicht erschüttern. Für Klingbeil ist die Einstufung durch Haldenwangs Schlapphüte über jeden Zweifel erhaben: „Wenn der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft, darf es kein Taktieren mehr geben."
Nun hat die AfD gegen diese Einstufung geklagt. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass das Verwaltungsgericht ihr Recht gibt. Auch nicht jeder Sozialdemokrat scheint ein so felsenfestes Vertrauen in das Schlapphut -Gutachten zu besitzen wie Klingbeil. Mehr noch: Man weiß nicht einmal, warum so viele Bürger zur AfD überlaufen. Um also eine zweite Blamage zu vermeiden, erhält der Parteivorstand laut Antrag die ehrenvolle Order „in unserer Partei eine dauerhafte Struktur zu schaffen, die die Ursachen des AfD-Zuspruchs sowie deren politische Methoden systematisch analysiert.“
Und wie sieht solch eine dauerhafte Struktur aus? Die Antwort findet sich ebenfalls im Antrag des Vorstands: Es „soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, die zentrale Motive, Milieus und Narrative untersucht – und auf dieser Grundlage ein Konzept entwickelt, wie wir Menschen mit unserer Politik wieder besser erreichen.“ Übersetzung: Wir haben nichts im Angebot, aber wollen für die Wähler wieder sexy werden. Deshalb analysieren wir, womit die AfD ihr Klientel ködert – und anschließend verbieten wir sie.
Man muss schon über geballten Realitätsverlust verfügen, wenn man im Zeitalter der Inflation, des Miethorrors und der Kriegsgefahr erst eine „Arbeitsgruppe“ errichten muss, um Wünsche und Willen der Wähler zu begreifen!
Eine gewisse Ahnung von diesen Problemen ließ Bärbel Bas durchschimmern. Die Arbeitsministerin, neben Klingbeil an die Parteispitze gewählt, setzte auf Wiedergewinnung von Vertrauen: „Das sind noch viele Wunden, die müssen wir aufarbeiten." In ihrer Bewerbungsrede verkaufte Bas sich als Wagenknecht-Double, erklärte die SPD zum Garanten des Sozialstaats. Auf einmal. Wo die Sozialdemokraten ihn schon zwei Mal demoliert haben… Nebenbei: Es fällt auf, dass die Sozialdemokraten die AfD zwar verbieten wollen, aber nicht deren neoliberale Ausrichtung kritisieren. Schließlich ist das Programm der Alternativen ebenso unterschichtsfeindlich wie Blackrocker Friedrich Merz. Aber das Gros der SPD scheint in beiden Fällen kein Problem zu haben...
Bleibt noch die Friedensfrage. Die Anti-Russlandpolitik des Mainstreams ist ein weiterer Punkt, der Wähler zur AfD oder zum BSW treibt. Vielleicht auch deswegen hatten zwei SPD-Veteranen, Ralph Stegner und Rolf Mützenich, ein Manifest veröffentlicht, das diplomatischen Umgang mit Russland vorschlug. Natürlich wurde dieser Vorstoß auf dem Parteitag liquidiert. Vor allem Verteidigungsminister Boris Pistorius schoss gegen das Manifest: Seine Autoren seien Realitätsverweigerer, würden den Wunsch der Menschen nach Frieden missbrauchen. O-Ton: „Wenn Sie in ihrem Manifest schreiben, es hätten sich Kräfte in Westeuropa und Deutschland durchgesetzt, die die Zukunft in einer Konfrontationsstrategie sehen, dann ist das schlicht eine Verdrehung von Ursache und Wirkung."
Was auffällt: Bei aller Selbstanalyse über Abstieg und Wählerflucht fehlte gänzlich die Erwähnung der Lockdown-Politik. Das Manipulieren von RKI-Forschern. Das Einkassieren von Bürgerrechten. All das hat zahlreiche Wähler in die Arme der AfD getrieben. Aber auf dem SPD-Parteitag? Da wurde Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach sogar frenetisch gefeiert.
Kommen wir zum Fazit: Was bedeutet dieser Parteitag für das künftige Image der SPD? Man könnte es so formulieren: Wer ein Verbot der AfD wünscht, wer eine abenteuerliche Konfrontation mit Russland herbeisehnt, einer Parteivorsitzenden ihr plötzlich neuerwachtes Interesse am Sozialstaat abnimmt und eine Aufarbeitung der Lockdown-Jahre verhindern will – der sollte unbedingt SPD wählen. - Ob das für die fünf Prozent-Hürde reicht?
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: EUS-Nachrichten / shutterstock
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