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Gates-Stiftung bringt Journalismus auf Linie | Von Norbert Häring

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Wie die Gates-Stiftung mit ihrem Geld den deutschen Journalismus auf Linie bringt

Ein Standpunkt von Norbert Häring.

Es gibt ein maßgeblich von den US-IT- und Finanzkonzernen und deren Stiftungen sowie der EU finanziertes European Journalism Centre, das genehmen Journalismus sponsert. Eines der Programme heißt Solutions Journalism Accelerator und wird von der Bill & Melinda Gates Stiftung bezahlt, die auch in der Anti-Bargeld-Allianz Better Than Cash Alliance eine maßgebliche Rolle spielt. Das Magazin Brand Eins ließ sich ein langes Anti-Bargeld-Stück aus Indien über dieses Programm sponsern.

Zum Jahresauftakt hat das Magazin Brand Eins eine lange Geschichte über Indien veröffentlicht, ein Stück „Solutions Journalism“ (lösungsorientiertem Journalismus). Dafür hat die Redaktion Geld bekommen vom Programm Solutions Journalism Accelerator, einem Journalismus-Förderfonds, der von der Bill & Melinda Gates Foundation des Microsoft-Gründers und seiner geschiedenen Frau gefüllt wird.

Eingebettet ist das Programm in das European Journalism Centre welches ebenfalls von der Gates Stiftung gesponsert wird. Auch die Google News Initiative, das Meta Journalism Project und Youtube, das Project Syndicate und die Open Society Foundations des Finanzoligarchen George Soros, sowie EU-Kommission und niederländische Regierung gehören zu den Geldgebern.

Hier fördern also US-IT-Giganten, US-Finanzbranche, EU und eine Regierung genehmen Journalismus, wobei sie selbst das Wort „genehm“ eher weglassen würden.

Für die Gates-geförderte Reportage zu Indien von Brand Eins trifft es sicherlich zu. Darin wird Fortschritt mit Bargeldbeseitigung, Finanzieller Inklusion und digitaler Identität gleichgesetzt und diese nach Kräften schöngefärbt. Zitat:

„Und was ist mit dem Fortschritt? Wo versteckt der sich am Kohlebügeleisenstand von Motilal Kanojia? Der heute noch so arbeitet wie sein Urgroßvater? Der wenig Hindi und kein Englisch lesen kann und so wenig verdient, dass das Finanzamt ihn in Ruhe lässt? Der Fortschritt steckt in seiner Hosentasche. Wer ihm die sechs Rupien (sieben Cent) fürs Bügeln eines Hemdes zahlt, reicht ihm heute keinen Schein mehr, sondern scannt mit dem Mobiltelefon einen Barcode auf Kanojias Telefon. Ausrangiert ist sein abgegriffenes Notizbuch, in dem er bis vor Kurzem in mühsamer Handschrift die Beträge notierte, die er seinen Kunden schuldete, die mit zu großen Scheinen zu ihm kamen. Jetzt kommt das Geld stets passend in Sekunden bei ihm an. Jeder Teehändler am Bahnhof, jede Zwiebelverkäuferin am Straßenrand rechnet nun so ab. Als hätte ein ganzes Land einfach so den Schalter von analog auf digital umgelegt. Bargeld hat seinen Sinn verloren. Egal wen wir auf unseren Reisen durchs Land treffen, fast alle haben das Portemonnaie durch ihr Mobiltelefon ersetzt. Geldautomaten ziehen keine Menschenmassen, sondern nur noch Staub an. Bares wirkt hier so praktisch wie eine VHS-Kassette mit Festnetzanschluss. Das ist einer der großen Umbrüche, um die es in dieser Serie geht.“

Die Reportage ist aus der Finanz- und Wirtschaftsmetropole Mumbai. Es wird aber so getan, als könne man diese Beobachtungen in Sachen digitaler Zahlungsverkehr auf das ganze Land erstrecken, was grob falsch ist.

Unabhängig davon könnte die zitierte Passage und das meiste des nachfolgenden Textes aus einer Broschüre der Gates-Stiftung stammen. Diese hat nicht nur diesen Artikel finanziert, sondern sie ist auch Gründungsmitglied der Better Than Cash Alliance. Diese Allianz aus (ursprünglich) IT-Branche, Finanzbranche und Regierung der USA hat das Ziel, weltweit das Bargeld durch digitale Finanzdienstleistungen der Konzerne zu verdrängen. Finanzielle Inklusion ist dafür das Codewort.

Auch bei der Schaffung der indischen biometrischen Mega-Datenbank Aadhaar, dem absoluten Horror aller Datenschützer, haben Gates und die anderen Gründungsmitglieder dieser Allianz kräftig mitgemischt. Diese biometrisch-digitale Datenbank aller Inder wird in dem Artikel ausführlich hochgelobt und so getan, als sei es die Grundlage für alles, was in Indien in die richtige Richtung geht.

Der Horror, den es für unzählige Inder bedeutet, wenn ihre Namen oder ihre biometrischen Merkmale nicht erkannt werden, wird in einem lapidaren Satz abgehandelt, ebenso wie die Gefahr, die von diesem Instrument in den Händen einer autokratischen und mindestens in Ansätzen rassistischen Regierung wie der Modi-Regierung ausgeht. Aber welche Bedeutung hat das schon, wenn eine solche Datenbank mit Digitalisierung und Digitalisierung mit Fortschritt gleichgesetzt werden. Wer will schon ganz auf Fortschritt verzichten. Die ständigen Datenlecks, bei denen Abermillionen Datensätze aus der Aadhaar-Datenbank gestohlen und zum Verkauf angeboten werden, was die Betroffenen dem Risiko des Identitätsdiebstahls aussetzt, werden nicht einmal erwähnt.

Fragwürdige Offenlegung

Brand Eins legt ganz unten, hinter einer langen Faktenbox, offen, dass diese Reportage und die Artikelserie, zu der sie gehört, über das European Journalism Centre und den Solutions Journalism Accelerator indirekt von der Bill & Melinda Gates Stiftung bezahlt worden ist. Dann kommt der fragwürdige Satz:

„Keine dieser Organisationen hat Einfluss auf die Inhalte.“

Sowohl das Centre als auch der Accelreator preisen die Hilfen, Ressourcen und Vernetzungen an, die sie geförderten Journalisten zugänglich machen, damit diese gute Artikel schreiben können. Nach allem, was man da liest, und wie ich diese Szene kenne, würde es mich außerordentlich wundern, wenn es bei diesem Anti-Bargeld-Artikel keine Unterstützung gegeben hätte, die einen gewissen Einfluss darauf gehabt hat, dass die Reportage in diese Richtung ging.

Autor verteidigt das Vorgehen

Auf der Plattform Linkedin äußerte Davor Hofbauer Kritik an der Verallgemeinerung von „ein paar Vierteln in Mumbai“ und dem Rest des Landes und den in der Reportage unterbelichteten Gefahren der zwangsweisen Digitalisierung und biometrischen Identifizierung. Autor Holger Fröhlich antwortete, es stünde sowohl im Text, dass die digitale Identität sehr vielen armen Menschen zu mehr Wohlstand verholfen habe, als auch, dass sie in den Händen einer zunehmend repressiven Regierung ein mächtiges Instrument zur Unterdrückung und Ausgrenzung sein könne.

Zur möglichen Beeinflussung durch die Gates Stiftung schrieb er:

„Wenn sie glauben, Herr Gates hätte mich gebeten, die Digitalisierung hochzujubeln, überschätzen Sie seine Zeit und meinen Einfluss. (…) Der Journalismus hat schon immer sein Geld von dritter Stelle bezogen. Klassischerweise von Anzeigenkunden. Die haben auch ihre Interessen. Die Aufgabe des Journalismus ist es, unabhängig von diesen Interessen zu sein. Und zwar durch Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung. Da sich die Presselandschaft verändert hat, die Menschen weniger (bezahlt) lesen und Anzeigenkunden weniger Geld ausgeben, brauchen wir andere Einnahmequellen. Zum Beispiel Förderungen durch Stiftungen. Dort gelten unsere gleichen journalistischen Grundsätze. Hier mit dem Zweifeln zu beginnen, ist eine merkwürdige Entscheidung.“

Ich möchte einwenden: Die Abhängigkeit von Anzeigenkunden ist problematisch, das stimmt. Aber es gibt die von Herrn Fröhlich erwähnte Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung und insbesondere Anzeigenkunden. Wenn ruchbar wird, dass diese Trennung nicht eingehalten wird und Anzeigenkunden Einfluss auf die Berichterstattung nehmen können, dann ist das ein Skandal und sehr schädlich für den Ruf des Mediums.

Bei der Journalismusförderung durch die Gates Stiftung und andere Stiftungen und die EU-Kommission wird diese Trennung von Geldgeber und Redaktion oft nicht einmal angestrebt und behauptet. Man zieht sich auf die sehr schwache Versicherung zurück, man passe schon auf, dass man sich nicht beeinflussen lasse.

Die Regierungen, Stiftungen und Konzerne wissen aber sehr gut, wie man Journalisten, die unter Zeitdruck stehen, mit kochfertigen Zutaten beeinflussen kann. Das praktizieren sie zum Beispiel systematisch mit den Science Media Centers, die sie überall auf der Welt aus dem Boden sprießen lassen, um den Wissenschaftsjournalismus zu politisch brisanten Themen gleichzurichten.

Fazit

Die vielen Programme, mit denen EU-Kommission und Regierungen gemeinsam mit Konzernen oder konzernnahen Stiftungen die Medienberichterstattung zu bestimmten Themen finanzieren oder mit ausgewählten Ressourcen steuern, sind ein sicheres Rezept, um die Glaubwürdigkeit der Medien, der EU und der Regierungen zu ruinieren. Redaktionen sollten sich dreimal überlegen, ob es das wert ist. Es funktioniert eine Weile, aber man kann fast alle Menschen eine Weile und manche Menschen die ganze Zeit hinters Licht führen, aber nicht alle Menschen die ganze Zeit.

Anmerkungen

 

Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 04. Januar 2024 bei norberthaering.de

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Bildquelle: Steve Collender / shutterstock


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