Standpunkte

Frieden verboten | Von Sabiene Jahn

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Die Ukraine wird gesichert, um Europa zu verlieren

Ein Standpunkt von Sabiene Jahn.

Ein Gespräch wie ein Seismograf. Im Jahr 2023, als Europa noch glaubte, Russland „ruinieren“ zu können, und die Ukraine offiziell als Bollwerk westlicher Werte gefeiert wurde, trafen sich zwei Männer zum Gespräch: Dmitrij Wasilez, ukrainischer Journalist im Exil, und Patrik Baab, deutscher Kriegsreporter unter Verdacht. Sie sprachen über den Maidan, über Oligarchen, NGOs, Geheimdienste, Schuldensysteme und darüber, wie aus einem Land ein Koloniallabor gemacht wird. Wasilez nannte Namen, und gemeinsam zeichneten sie ein Bild, das der Öffentlichkeit kaum je gezeigt wurde. Heute, zwei Jahre später, ist dieses Gespräch prophetischer denn je: Viele Aussagen haben sich bestätigt, und es dient als Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart, der zeigt, warum Russland nicht der Aggressor, sondern der Gegenakteur in einem strategischen Langkrieg ist, wie tief die Ukraine bereits vor 2022 unter westlicher Kontrolle stand und warum Deutschland in diesem Krieg eine wirtschaftlich suizidale Rolle spielt – Antworten, die heute dringlicher sind denn je.

„In aktueller Zeit die Wahrheit zu sagen gilt als Extremismus.“

Mit diesem Satz beginnt Dmitrij Wasilez, ukrainischer Journalist im Exil und bekennender Sozialist, der verhaftet und verbannt wurde, weil er Fragen stellte. Wasilez erzählte, nicht in einer Talkshow oder einem Zeitungsinterview, sondern im Gespräch mit dem deutschen Journalisten Patrik Baab. Ein Gespräch, das zum Zeitdokument wurde, weil es eine Erzählung öffnet, die im westlichen Diskurs so gut wie ausgelöscht wurde: die Geschichte einer unterdrückten Opposition, einer besetzten Republik und eines ausgeweideten Staates. Wasilez sprach als Ukrainer – aber seine Analyse zielte über sein Land hinaus. Es ging um die Methode, mit der Staaten entmündigt werden. Um die Logik von Schulden, Kontrolle, Terror und scheinbarer Freiheit.

„Ich hatte Glück, dass ich vor dem 24. Februar die Ukraine schon verlassen hatte“, sagt Wasilez. „Wenn die Lage sich für mich dramatisch entwickelt hätte, dann wäre es so, dass wir nicht miteinander reden könnten. Denn gegen meine Person wurden mehrere Strafverfahren eröffnet.“ Gemeint ist der Beginn der Kampfhandlungen im Februar 2022  – jener Eskalationspunkt, ab dem viele westliche Politiker die Geschichte erst beginnen lassen. Doch Wasilez erzählt von einem Prozess, der lange vorher begann. Mit Parteiverboten, Hausdurchsuchungen und Einschüchterung. Ihre führenden Partei-Leute wurden sofort als Feinde von Selenskyj bezeichnet, sagt er.

„Im Prinzip wurden alle sozialistischen Parteien in den letzten Monaten in der Ukraine verboten. Auch unsere, die sozialistische Partei Dirjava. Aber trotzdem hörten wir nicht auf. Wir liessen uns nicht abschrecken. Wir machten weiter. Leider mussten wir unsere Form ändern – das Wichtigste ist die Sicherheit der Mitglieder und Wähler.“

Zum Zeitpunkt des Interviews arbeitet die Partei im Untergrund. Wasilez spricht von „halbgeheimen“ Treffen, von einem „Zustand im Keller“, von Aktivisten, die verschwinden oder fliehen müssen. Von einer Gesellschaft, in der man sich nicht einmal in der Küche zu sagen traut, was man denkt. Er nennt das einen „Schockzustand“. Und beschreibt ihn präzise als politischen Mechanismus:

„Dieser Schockzustand wird dafür benutzt, möglichst viele Menschen zu mobilisieren und in die Schützengräben zu treiben.“

Es wird deutlich, dass Selenskyj auf dem Territorium, das sich unter NATO-Kontrolle befindet, einen großen Terror organisiert hat. Diese Kontrolle erfolgt nicht mehr durch sichtbare Gewalt, sondern durch technologische Mechanismen der Selbstzensur. Die Einführung von Chatbots zur Denunziation – automatisiert, niedrigschwellig, jederzeit verfügbar – ist Ausdruck einer digitalen Disziplinierung, wie sie aus autoritären Systemen bekannt ist. Die Leute haben Angst, sogar in der Küche, ihren Freunden zu sagen, was sie denken – Telefone werden abgehört, und Chatbots ermöglichen systemische Denunziation, sodass nicht einmal Schweigen sicher ist.

„Ich war jeden Tag auf dem Maidan“, erzählt Wasilez. „Ich wollte herausfinden, was dort passiert.“ Er spricht nicht als ideologischer Gegner, sondern als Beobachter. Und als Journalist. Was er sah, war keine spontane Erhebung. Sondern eine gut inszenierte Operation. „Ich habe dort sehr viele Medienvertreter gesehen. Wenn sie einen Kommentar von mir wollten und ich habe nicht das Gewünschte gesagt, also pro Protest – dann haben sie die Kameras abgeschaltet und gesagt: Das passt uns nicht. Verschwinde, Junge. Geh weg. Wir haben andere Ziele.“ Die Bühne auf dem Maidan, so Wasilez, war nicht offen für alle. Sie war abgesichert, kontrolliert und bezahlt. Wer dort sprechen wollte, musste durch zwei bis drei Sicherheitsringe – organisiert und finanziert von Oligarchen. „Die waren besser ausgerüstet als die Polizei. Und bewaffnet.“ Er beschreibt die Organisation der Proteste nicht als chaotisch, sondern als hochprofessionell. NGOs, viele davon aus dem Ausland finanziert, hätten in einem System militärischer Rotation gearbeitet: „Sie haben zwei Wochen auf dem Maidan gelebt, wurden dann ausgetauscht – und kamen wieder. Ihre Hauptaufgabe war: da sein, filmen, berichten. In den sozialen Medien den Eindruck erzeugen, dass das ganze Volk hinter den Protesten steht.“ Wasilez:

„Ich habe Leute interviewt, die sagten: ‚Ja, wir bekommen Geld. Wir sind von einer NGO, wir sind hierher gekommen. Wir bleiben zwei Wochen, dann gehen wir wieder.‘“

Der Maidan sei also keine Volksbewegung gewesen, sondern eine gelenkte Mobilisierung. Mit klaren Zielen – Machtübernahme. Regierungssturz. Geopolitische Neuverortung. „Jeder Oligarch, der teilgenommen hat, hatte eine Quote – für Reden, für Leute im Parlament, für Ministerposten.“ Das Ergebnis beschreibt Wasilez mit einfachen Worten:

„Es war ein klassischer Staatsstreich. Eine Gruppe von Oligarchen – unterstützt von westlichen Finanzstrukturen – hat eine andere Gruppe von Oligarchen gestürzt.“

Und er geht weiter:

„Ich kann bestätigen, dass die Hauptmasse des Geldes in bar von Diplomaten ausgeteilt wurde. Das waren polnische und baltische Diplomaten. Wir haben sie mehrmals bei der Übergabe von Dollarbeträgen erwischt.“

Diese Aussagen wären schwer zu glauben, kämen sie aus zweiter Hand. Doch Wasilez betont: „Ich war da. Ich habe es selbst gesehen. Viele meiner Parteigenossen waren dabei.“ Er beschreibt die Strukturen, die damals die Bühne kontrollierten, als Teil eines „internationalen Oligarchiats“. Die amerikanische Botschaft sei der operative Knotenpunkt gewesen. Und:

„Ein großer Teil des Geldes ging an Medien, an NGOs, an paramilitärische Gruppen, die sich mit der Polizei prügelten – und an die Infrastruktur. Tischtennisplatten, Verpflegung, Heizgeräte. Alles war organisiert.“

Im Ergebnis, so Wasilez, habe die Bühne nicht der Ukraine gehört – sondern dem Westen. Der Putsch habe das Land aus dem Gleichgewicht geworfen und die Entscheidungsmacht verlagert.

„Von da an wurde keine einzige wichtige Entscheidung mehr in Kiew getroffen.“

Was Dmitrij Wasilez beschreibt, geht weit über politische Repression hinaus. Es ist die systematische Umgestaltung eines Staates – unter dem Vorwand von Reformen, begleitet von der Sprache westlicher Modernisierung. Doch das Ergebnis ist, was er „ökonomischen Genozid“ nennt.

„In der Realität“, so Wasilez, „egal welchen Sektor der Wirtschaft man nimmt – das Land ist abhängig. Es sieht formal unabhängig aus, aber die Entscheidungen werden nicht mehr im Land getroffen.“

Das beginnt mit scheinbar harmlosen Gesetzesänderungen, endet aber in einer tiefen Enteignung der Bevölkerung.

Er führt aus: „Durch die westlichen Reformen hat sich die Bevölkerung jedes Jahr um 700.000 bis eine Million Menschen reduziert. Das sind offene Zahlen, die man überprüfen kann.“ Wasilez meint das nicht metaphorisch. Er meint die Migration, die Abwanderung, das demografische Ausbluten ganzer Regionen – verursacht durch das, was internationale Kreditgeber als „notwendige Marktanpassung“ deklarieren. „Die Gaspreise wurden verdoppelt. Mehr als 200 Krankenhäuser wurden geschlossen. Die Gesundheitsministerin war eine US-Staatsbürgerin. Alle wichtigen Reformen – Justiz, Agrar, Gesundheit – wurden in der US-Botschaft beschlossen.“ Und er fügt hinzu, ruhig und fast resigniert: „Die Menschen in der Ukraine sind in eine Kreditfalle geraten. Diese ganzen sogenannten Hilfen – das ist alles kreditfinanziert. Kredite, die als Last vom ukrainischen Volk zu tragen sind.“ Eine echte Kontrolle über die Verschuldung gibt es nicht mehr:

„Die aktuelle Kreditlast des ukrainischen Volkes steht unter Geheimhaltung. Man kann nicht errechnen, wie hoch die Staatsschulden sind. Das ukrainische Volk kann physisch so eine Menge an Geld nicht zurückzahlen.“

Wasilez betont mit Nachdruck, dass die Schuldenlast der Ukraine nicht an Personen gebunden ist.

„Wenn man Selenskyj stürzen und durch eine andere Figur ersetzen würde – die Schulden verschwinden nicht. Mit diesen Schulden muss sich dann die nächste Führung befassen.“

Diese Aussage ist zentral. Sie unterstreicht ein strukturelles Problem: Die Verpfändung des Landes an ein internationales Finanzsystem bleibt unabhängig von der Führung bestehen. „Wenn man weiterschaut“, so Wasilez, „da das Land dies nicht zurückzahlen kann, muss das dann in der Überschreibung von Volkseigentum geschehen: ukrainisches Land, ukrainische Bodenschätze, ukrainische Souveränität.“ Die Schulden sind für ihn also nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ein existenzielles Problem. Sie sind das Instrument, mit dem das Land dauerhaft kontrolliert und gelenkt wird – weit über die politische Amtszeit einzelner Präsidenten hinaus.

Diese Struktur wirkt unabhängig von den Gesichtern an der Spitze – doch genau hier setzt der Westen nun an. Ein Wechsel an der Staatsspitze der Ukraine – etwa durch die Einsetzung des ehemaligen Oberkommandierenden Walerij Saluschnij – ist mehr als ein personeller Austausch und Ausdruck einer westlich gesteuerten Strategieanpassung. Auch wenn sein Name im Interview nicht fällt, steht er sinnbildlich für eine Strategie, die nicht auf Wandel, sondern auf Kontinuität zielt: die Kontinuität der militärischen Bindung an die NATO, der strukturellen Abhängigkeit vom Westen – und das ökonomische Verhökern des Landes. Saluschnij ist nicht der Bruch, sondern die Fortschreibung. Für den Westen eröffnet sich mit ihm die Möglichkeit, die beschädigte Figur Selenskyjs abzuräumen, ohne das System dahinter in Frage zu stellen. Für die Ukraine dagegen droht ein endgültiger Verlust des zivilen Handlungsspielraums. Für Russland schließlich wäre seine Einsetzung ein Signal: dass keine Entspannung gewollt ist, sondern eine kontrollierte Fortsetzung des Konflikts – mit modernisierten Mitteln.

Die neuesten Nachrichten bekräftigen dies: Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Ukraine-Hilfsprogramms der Bundeswehr, fordert Präventivschläge gegen russische Flugzeuge, Flugplätze und Rüstungsunternehmen, um die russischen Streitkräfte zu schwächen und Kiew die Initiative zurückzugeben. Präsident Selenskyj bezeichnete die ukrainische Armee als „Waffe zur Verteidigung Europas“ und forderte von der EU finanzielle Mittel für Gehälter und Ausrüstung, so vermeldete die Nachrichtenagentur Bloomberg. Gleichzeitig kündigte er einen Drohnen-Deal mit den USA im Wert von 10–30 Milliarden Dollar an. In Kiew wachsen Proteste, begleitet von NABU-Aktivitäten, die Selenskyjs Regierung untergraben. US-Analyst Gilbert Doctorow bemerkt in seinem Newsletter vom vergangenen Freitag,

„Ich bestehe darauf, dass die Entwicklungen dieser Woche“, er meint damit die Proteste in Kiew, „der Vorbote eines Regimewechsels sind“ … „Diese Art von Verrat trägt die Fingerabdrücke des MI6 in sich.“

Und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betonte, dass ein Gipfeltreffen in Istanbul nur Ergebnisse auf Expertenebene festhalten könne, da die Positionen Moskaus und Kiews „diametral entgegengesetzt“ seien.

Ein Thema, das im Westen beinahe tabuisiert wurde, spricht Dmitrij Wasilez offen an: die strukturelle Transformation der Ukraine in einen außenpolitischen Vorposten westlicher Militärstrategien – inklusive Geheimdiensten, Waffensteuerung und Biowaffenforschung. „In den letzten acht Jahren sind mehr als 20.000 ukrainische Militärs – zumeist höhere Offiziere – in NATO-Ländern ausgebildet worden“, sagt Wasilez. „Wer keinen Eid auf die NATO-Strukturen ablegte, verlor seine Karriere.“ Er beschreibt eine stille, aber tiefgreifende Ersetzung der militärischen Befehlskette: „Die Zielkoordinaten kommen von westlichen Geheimdiensten. Die Satellitenaufklärung ist westlich. Die Waffen – US-amerikanisch, französisch. Die ukrainischen Soldaten transportieren die Systeme zum Einsatzort und drücken den Knopf.“ Wasilez spricht nicht über Vermutungen. Er berichtet über persönliche Kontakte zu Militärs, zu Freunden im Sicherheitsapparat, zu Beamten. Die Ukraine sei zur Plattform geworden und nicht für ihr eigenes Überleben, sondern für die globale Strategie anderer.

Dabei wird ein zweiter Aspekt brisant: die Rolle der US-finanzierten Biolabore. „Eines der Labore stand 50 Meter von meiner Wohnung entfernt – in Kiew. Neben einer Schule und einem Stadion.“ Wasilez und seine Partei organisierten Proteste. Vergeblich.

„Die Labore forschten an der Übertragung gefährlicher Erreger. Wenn ein Virus als biologische Waffe eingesetzt wird, sollten sie herausfinden, wie er sich bestmöglich verbreitet.“

Er betont, dass es sich nicht um Gerüchte handele – sondern um bestätigte Aussagen von zuständigen Beamten, die für das Gebäude verantwortlich waren. „Ich habe selbst Videos veröffentlicht, Interviews geführt, versucht, das zu dokumentieren.“ Doch mit dem Beginn der Kampfhandlungen änderte sich alles. Informationen verschwanden aus offiziellen US-Datenbanken. Webseiten wurden gelöscht. Öffentliche Recherche wurde kriminalisiert. Wasilez nennt das einen „hybriden Prozess der Kolonisierung“ – bei dem nur Hymne und Flagge bleiben, aber der Staat selbst von außen verwaltet wird. Zur CIA sagt er:

„Ich kann nicht beweisen, wo sich Gefängnisse befinden. Aber ich weiß: Der ukrainische Sicherheitsapparat ist faktisch eine CIA-nahe Struktur. Die entscheidenden Funktionen werden dort gesteuert.“

Er verweist auf das bekannte Muster: „Wenn es in EU-Staaten CIA-Foltergefängnisse geben kann – warum sollten sie in der Ukraine aufhören?“

Wenn Dmitrij Wasilez über Volksentscheide spricht, dann tut er das nicht im juristischen Vakuum. Er tut es mit dem Blick eines Menschen, der den historischen Referenzrahmen kennt und ihn ernst nimmt. Für ihn ist das Recht zur Selbstbestimmung nicht nur ein juristisches Konstrukt, sondern ein existenzielles Ausdrucksmittel eines Volkes. Und ein Ausdruck politischer Aufrichtigkeit. „Man kann sehr viel spekulieren, was ein Volksentscheid ist, ob das rechtens ist oder nicht“, sagt er. „Trotzdem haben wir gesehen, es wurde ein Referendum abgehalten – mit der Einladung von vielen internationalen Pressevertretern und Beobachtern.“ Gemeint ist das Krim-Referendum von 2014 – und später die Abstimmungen in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Wasilez betont, dass auf der Krim „kein einziger Schuss gefallen ist“. Für ihn ist das ein Indikator dafür, dass der Wille der Bevölkerung tatsächlich vorhanden war. Er kennt die Region gut. „Ich bin zu 99 Prozent sicher, dass das Referendum genau mit diesen Zahlen endete. Die Stimmung war eindeutig. Die Menschen wollten nichts mehr mit dem Putsch-Regime in Kiew zu tun haben.“ Er verweist auf den historischen Ausgangspunkt des ukrainischen Staates:

„Die Ukraine ist selbst durch ein Referendum entstanden. 1991 – beim Unabhängigkeitsreferendum am 1. Dezember – haben die Menschen dafür gewählt, sich von der Sowjetunion zu trennen. Doch wenige Monate zuvor, im März, hatten dieselben Menschen noch mit großer Mehrheit für deren Erhalt mit autonomen Republiken gestimmt.“

Die Logik ist für Wasilez eindeutig: Wenn sich ein Staat auf den Volkswillen beruft, kann er dieses Recht nicht selektiv gewähren oder entziehen. Ein Referendum auf der Krim oder im Donbass ist in seinen Augen weder völkerrechtswidrig noch illegitim – sondern eine Fortsetzung jenes Prinzips, auf dem die Ukraine selbst gegründet wurde. „Wenn das erste Referendum als bindend galt – warum nicht auch das zweite?“ Er erkennt an, dass das ukrainische Grundgesetz keine Sezession vorsieht. Doch für ihn steht über der Verfassung das natürliche Recht der Menschen, sich einer Regierung zu entziehen, die sie nicht gewählt haben und die sie unterdrückt. „Was zählt – ist nicht der juristische Rahmen allein, sondern ob ein Volk sich gehört fühlt. Die Bevölkerung wollte keinen NATO-Kurs, keine Oligarchenregierung, keine Entmündigung durch fremde Botschaften.“ Wasilez geht weiter. Er erinnert daran, dass Selenskyj in seiner eigenen Wahlkampagne versprochen hatte, Volksentscheide zu ermöglichen. „Jetzt sehen wir, dass er gegen jede Form von Referendum auftritt, gegen den Volkswillen, und mit militärischen Mitteln und mit Unterstützung des Westens alle Bemühungen in diese Richtung unterdrückt.“ Der Satz, den Wasilez dabei ausspricht, hat Gewicht:

„Das Wahlprogramm von Selenskyj wird heute von Putin realisiert.“

Es ist keine Provokation, sondern eine nüchterne Beobachtung: Während Kiew jede Form direkter Demokratie mit Terror beantwortet, ermöglicht die russische Föderation – unter internationalem Protest – Abstimmungen in den ehemals ukrainischen Gebieten. Wasilez verteidigt das nicht pauschal, aber er stellt eine wesentliche Frage: Warum darf ein Staat, der sich als demokratisch versteht, nicht akzeptieren, dass ein Teil seiner Bevölkerung sich abwenden will – wenn er selbst auf eben diesem Recht gegründet wurde? Die Antwort liegt für ihn in der Angst vor Legitimität.

„Wenn das ukrainische Volk heute selbst entscheiden dürfte, wie es leben will – dann würden viele sagen: Nicht so. Nicht mehr so. Nicht in diesem Krieg, nicht unter dieser Regierung.“

Für Wasilez ist der Ukrainekrieg keine lokale Auseinandersetzung. Er ist Ausdruck eines tiefen globalen Konflikts: der zwischen einer alten Weltordnung – dominiert vom Westen – und einer neuen, multipolaren Welt, die versucht, sich gegen dieses Machtgefüge aufzulehnen. „Wenn man den offiziellen Politikern aus England und den USA zuhört“, sagt er, „dann sagen sie ganz offen, dass der Krieg in der Ukraine der Kampf für den Erhalt der internationalen Herrschaft der USA ist.“ Er verweist auf Äußerungen von Liz Truss, von US-Regierungsvertretern und von Ökonomen.

Auch Putin, sagt Wasilez, habe die wahren Gründe des Krieges benannt: das Dollar-Kreditsystem, das andere Länder in Schuldknechtschaft zwingt.

„Die westlichen Länder sind zu Parasiten geworden. Sie leben vom Zugriff auf Ressourcen, Märkte, Menschen.“

Und:

„Russland kämpft um seine Souveränität. Es geht nicht nur um Grenzen. Es geht um den Versuch, sich von einem System der kolonialen Ausbeutung zu befreien.“

Diese Sichtweise mag im Westen als russische Propaganda gelten. Doch Wasilez spricht sie aus – nicht als Funktionär, sondern als Ukrainer, der acht Jahre lang beobachtet hat, wie sein eigenes Land als Bühne westlicher Interessen zugerichtet wurde. „Die Ukraine wird benutzt. Als Opfer, als Waffe, als Trümmerfeld.“ Und dabei sterben nicht nur Soldaten. Es stirbt, was ein Staat sein sollte: eine Form kollektiven Schutzes.

„Jeder klar denkende Bürger wird alles tun, damit diese Okkupanten aus unserem Land verschwinden. Es geht nicht darum, wer besser schießt – sondern wer überhaupt noch etwas zu sagen hat.“

Wasilez ist kein Diplomat. Er ist auch kein pazifistischer Mahner. Er ist ein Mann, der vieles verloren hat – und dennoch spricht. Nicht, weil er sich der Hoffnung hingibt, sondern weil er den Zustand der Welt benennt, wie er ihn sieht. Seine Sprache ist klar, direkt, moralisch verankert – und für westliche Ohren ungewohnt kompromisslos.

„Wenn wir nicht zu einer multipolaren Welt übergehen“, sagt er, „dann erwartet die Menschheit in naher Zukunft die Vernichtung.“

Wasilez spricht nicht von einer ideologischen Dystopie, sondern von konkreten Entwicklungen: der ökonomischen Ausbeutung ganzer Kontinente, der militärischen Destabilisierung durch NATO-Strukturen, der instrumentellen Zerstörung von Staaten wie Libyen, Irak, Syrien – und nun der Ukraine. Er analysiert die Dynamik einer Weltordnung, die sich selbst als liberal und demokratisch beschreibt, aber in der Praxis immer wieder autoritäre Regime stützt, wenn sie den eigenen Interessen dienen.

„Man darf nicht gut leben, wenn andere hinterm Zaun hungern. Und wenn diese Ordnung sich nur durch Kontrolle und Gewalt aufrechterhalten lässt – dann ist es keine Ordnung, sondern ein System der Erpressung.“

Das Imperium, gegen das Wasilez anredet, hat keine Hauptstadt, sondern Kreditgeber. Es hat keine Armee im klassischen Sinn, es hat Strukturen, Verträge, Geheimdienste und Medienmacht. Und es hat eine enorme Fähigkeit, Dissidenz unsichtbar zu machen. Doch: „Wenn nicht immer mehr Länder sich dem Kampf gegen dieses System anschließen, wenn wir weiter glauben, dass man mit Kompromissen gegen Unterdrückung gewinnen kann – dann wird der Westen seine Kontrolle ausweiten. Und es wird keine Weltmacht mehr geben, die ihm etwas entgegensetzt.“ Wasilez spricht über Lateinamerika, über Afrika, über China und Indien – über jene Teile der Welt, die nicht länger bereit sind, sich in die ökonomischen Muster westlicher Vorherrschaft fügen zu lassen. Er spricht über die Entstehung einer „Front der Gerechtigkeit“ – nicht im Sinn eines ideologischen Blocks, sondern im Sinn eines zivilisatorischen Korrektivs. Er sagt:

„Wenn Russland fällt – fällt der Rest. Dann werden Lateinamerika und Afrika auf Jahrzehnte zurückgeworfen. Dann wird niemand mehr existieren, der dem Imperium des Kapitals widersteht.“

Es ist ein Gedanke, den man teilen oder ablehnen kann. Aber es ist ein Gedanke, der Konsequenz verlangt. Denn er führt zu einer zentralen Frage: Was ist unsere Aufgabe?

Dmitrij Wasilez wurde in der Ukraine verurteilt, weil er berichtete. Zwei Jahre und drei Monate Haft. Ohne Anklage. Er wurde als „Informationsterrorist“ eingestuft. Eine Wortwahl, die alles sagt. Wer heute berichtet, was nicht berichtet werden darf, wird nicht als Journalist wahrgenommen, sondern als Gefahr - als Störung oder Feind.„Ich war kein Kämpfer. Ich war Journalist. Ich habe nur gesagt, was ich gesehen habe. Und das reichte aus, um mich zu inhaftieren.“ Diese Aussage ist für europäische Medienmenschen kaum fassbar und doch ist sie das stillschweigende Echo unserer Zeit. Nicht nur in Kiew, sondern auch in Brüssel, Berlin, Paris. Wo immer die Wahrheit die Macht berührt, wird sie unter Verdacht gestellt. Wasilez hat überlebt.

Es wäre zu einfach, Dmitrij Wasilez als „Stimme aus dem Exil“ zu zitieren, und dann zum Alltag zurückzukehren. Zu einfach, seine Aussagen mit geopolitischen Floskeln abzuwägen. Wasilez verlangt kein Urteil, er verlangt schlicht Erinnerung. Er erinnert uns daran, dass ein Staat ohne Souveränität nur Kulisse ist. Dass eine Demokratie ohne Opposition keine Demokratie ist. Und dass ein Krieg, der im Namen von Freiheit geführt wird, aber jede abweichende Stimme zum Verstummen bringt, kein Befreiungskrieg ist – sondern eine Verlängerung der Gewalt. Vielleicht ist das die eigentliche Zumutung dieses Berichts: dass wir uns entscheiden müssen. Nicht zwischen Russland und der Ukraine. Sondern zwischen Wahrheit und Verdrängung. Oder, wie Wasilez es selbst sagt:

„Wir leben in einer historischen Zeit. In dieser Zeit muss jeder entscheiden, auf welcher Seite er steht – auf der Seite der Gerechtigkeit. Oder auf der Seite der Lüge.“

Das Interview zwischen Dmitrij Wasilez und Patrik Baab ist kein isoliertes Zeitdokument. Es ist ein geopolitischer Röntgenblick – in eine Ukraine, die bereits 2023 nicht mehr souverän war, sondern ein Experimentallabor westlicher Kontrolle. Zwei Jahre später ist aus dieser Kontrolle ein unumkehrbarer Zustand geworden. Die Ukraine ist faktisch zahlungsunfähig, ihr Land, ihre Infrastruktur, ihre Arbeitskraft vertraglich verpfändet. Europa hat keine Strategie entwickelt, sondern sich untergeordnet. Deutschland hat seine industrielle Grundlage verloren, nicht durch Krieg, sondern durch politische Entscheidungen im Windschatten einer imperialen Allianz. Doch der entscheidende Irrtum liegt tiefer: Die Vorstellung, dass Russland der Aggressor sei, der diese Ordnung zerstört. Tatsächlich ist Russland der einzige verbliebene Akteur, der dem westlichen Kontrollsystem noch widerspricht – mit ökonomischer, diplomatischer und militärischer Kraft. Nicht weil es moralisch überlegen wäre, sondern weil es ein anderes Modell verteidigt: eines, in dem staatliche Souveränität, wirtschaftliche Selbstständigkeit und Vertragstreue noch gelten sollen. Der Westen führt keinen Krieg gegen Russland, weil es gefährlich wäre. Er führt ihn, weil Russland nicht gehorcht. Weil Russland nicht liberalisiert, nicht kolonisiert, nicht „transformiert“ werden will. Russland akzeptiert keine offenen Gesellschaften, in denen Konzerne regieren, Gerichte nach außen verhandelt werden und Kriege mit Narrativen statt mit Verträgen geführt werden. In dieser Ablehnung liegt keine Rückständigkeit, sondern vielleicht die letzte Erinnerung an eine Welt, in der Macht noch an Verantwortung gebunden war.

Russland steht auch nicht für Krieg, sondern für die letzte Möglichkeit einer multipolaren Welt nach dem Krieg – einer Welt, in der Europa nicht Transitkorridor für Waffen, Schulden und Ideologie ist, sondern souveräner Akteur und Friedensstifter. Um zu verhindern, dass dieser Konflikt Deutschland vollständig verzehrt, braucht es mehr als Appelle: Strukturen auf lokaler, föderaler, wirtschaftlicher und juristischer Ebene. Landesregierungen sollten Völkerrecht geltend machen anstatt NATO-Recht, Kommunen sich gegen kriegsvorbereitende Infrastruktur verweigern, die Industrie Alternativen schaffen wie regionale Netze und selbstbestimmte Handelsachsen, Journalisten müssen endlich aufhören zu schweigen – Russland zu verstehen ist keine Verräterei, sondern Voraussetzung für Klarsicht.

Wer Russland dämonisiert, verteidigt nicht Europa, sondern ein System, das es für Profite, Abhängigkeit und Hegemonie opfert. Wer es strategisch begreift, erkennt: Russland kämpft um das Überleben Europas. Wer diese Sicht verweigert, verliert nicht nur den Krieg, sondern die Fähigkeit, Frieden zu denken.

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Erstveröffentlichung am 28.7.2025 Globalbrigde: https://globalbridge.ch/frieden-verboten

Quellen und Anmerkungen:

https://youtu.be/dEdoJDwrnQ0?si=uf0hoQaEpgUHxRe2

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Dank an den Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: imanuel Aji / shutterstock


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