Lyrische Beobachtungsstelle

Femen - Ein Rückblick in die Vorkriegszeit | Von Paul Clemente

audio-thumbnail
LBS 20250803 apolut
0:00
/605.328

Die Lyrische Beobachtungsstelle von Paul Clemente.

Jede Zeit kreiert eigene Formen des Widerstands. Der klassische Aufstand, die Stürmung des Palastes, die Entmachtung des Staatsoberhauptes - all das hat Wirkung, solange politische Entscheidungen auf nationaler Ebene fallen. Für den globalen Widerstand ist gewaltsamer Umsturz keine Option: Niemand würde das EU-Parlament in Brüssel oder das World Economy Forum in Davos stürmen, um dort eine Revolutions-Regierung einzusetzen.

Nein, wer im Medienzeitalter Aufsehen erregen möchte, bedient sich im Fundus der Performance-Kunst. Berühmtes Beispiel: Jake Angeli. Der QAnon-Aktivist stürmte 2021 im Bison-Pelz das Washingtoner Kapitol. Sofort avancierte er zur Ikone. Oder Greta Thunberg: Eine Minderjährige mit psychischem Handycap, tuckerte im klimaneutralen Boot nach Amerika. Beides Schwachsinn, aber wirkungsvoller Schwachsinn. Und symbolträchtig dazu.

Im Osteuropa der 2010er betraten feministische Performerinnen die mediale Arena. Die verwendeten ihre Körper als Leinwand, als Träger von Botschaften. Aktivistinnen von „Pussy Riot“ oder „Femen“ kompromitierten Machthaber in der Öffentlichkeit, warfen ihnen frauenfeindliche Politik oder gleich Diktatur vor. Der mediale Hype war ihnen sicher. Und zwar weltweit.

Die ukrainische Variante, „Femen“, wurde sogar nach Frankreich exportiert. Auf dem Pariser Place de la Concorde kam es im Mai 2020 zur Großveranstaltung. Natürlich war der Ort nicht zufällig gewählt. Ragt in seiner Mitte doch ein Obelisk: Ein Phallusssymbol, ein Zeichen patriarchaler Herrschaft. Was sonst?

Dann wurde es still um diese Bewegung. Erst kam der Lockdown, dann startete der Russland-Ukraine-Krieg. Nach temporärer Liquidierung fundamentaler Freiheitsrechte, im Hagel von Kugel und Bomben schienen Performances mit nackten Oberkörpern völlig aus der Zeit gefallen. Zwar wird auch dieser Krieg irgendwann sein Ende finden, aber: Die rauchenden Trümmer, die Schutt- und Aschenberge dürften kaum als Bühne für Femen- oder Pussy Riot-Gigs taugen. Es war eine Vorkriegsform des Protests, tief versunken im Brunnen der Vergangenheit. So tief, dass derzeit ein verklärendes Bio-Pic über Femengründerin Oksana Schatschko im Kino läuft. Titel: „Oxana– Mein Leben für Freiheit“. Ein Film nicht nur für Femen-Fans, sondern auch Nachzeichnung eines Lebens, bei dem politischer Protest im Zentrum stand.

Der Film beginnt mit Oxanas Kindheit, beim Kupala-Fest in der Ukraine. Die Zehnjährige trägt einen Kranz im Haar. Der wird später als Markenzeichen der Femen etabliert. Oxanas Wunsch: Sie will Gott heiraten. Darunter macht sie es nicht. Aber der Eintritt ins Kloster wird ihr verwehrt. Stattdessen avanciert sie als Zwölfjährige zur gefragten Ikonen-Malerin. Ihre Familie kann das Geld gut gebrauchen, denn der Vater ist seit der Wende arbeitslos und dem Alkohol verfallen,

Oxana liest Schriften der sozialistischen Frauenrechtlerin Clara Zetkin, einer Weggefährtin Rosa Luxemburgs. Gleichzeitig hört sie von Zwangsprostitution in ihrem Heimatland. Die Ukraine als El Dorado der Sextouristik. Bald entwickelt Oxana mit Gleichgesinnten eine Protestform: Auf dem nackten Oberkörper, dem Objekt männlicher Begierde, sprühen sie ihre Parolen. Sie kompromittieren Politiker in der Öffentlichkeit, fordern die Abschaffung von Sextourismus und Zwangsprostitution. Sie spielen mit Beschämung, Peinlichkeit, führen die Macht-Bonzen vor.

Oder: Der Pfusch eines ukrainischen Arztes kostet mehreren Patientinnen das Leben. Niemand zieht ihn zur Rechenschaft. Daraufhin besetzen Femen-Aktivistinnen die Klinik. Ihre Oberkörper: Blutrot bemalt. Sie protestieren. So lange, bis der Arzt verhaftet wird.

Das BioPic „Oxana“ ist eine Helden-Biographie: Ein paar junge Frauen wirbeln eine Gesellschaft auf, die vom Feminismus weitreichend unbeleckt ist. Das Problem ist nur: So lief die Geschichte nicht. Bereits vor zwölf Jahren, also 2013 enttarnte der Dokumentarfilm „Die Ukraine ist kein Bordell“ diesen Mythos. Der zeigte, dass ein Ex-Marxist, Wiktor Swjazkj, als Ideologe und Strippenzieher der Femenbewegung fungierte. Swjazkj konzipierte die Performances und scheuchte die halbnackten Aktivistinnen auf die Straße. Die „Oxana“ hingegen präsentiert die Gruppierung als männerfrei und basisdemokratisch... Okay, Biopics sind nicht zur 100prozentigen Wahrheit verpflichtet. Sie sind Mixturen aus Fakten und Fiktion. Dennoch wird hier ein falscher Eindruck über die Bewegung vermittelt.

Zudem hinterfragt „Oxana“ weder die Mittel noch die Zielsetzung der Femen. Mochte öffentliche Beschämung zur Bekämpfung von Zwangsprostitution einleuchten - die „Gastauftritte“ in Russland oder Belarus missglückten hingegen vollständig: Dass Oxana mit nacktem Oberkörper und „Fuck Putin“-Aufschrift ein russisches Wahllokal stürmt, und Putin einen Diktator nennt, wirkt eher peinlich als subversiv. Zumal sie damit Russlands außenpolitische Gegner unterstützte.

Wegen der Aktion im Wahllokal landet Oxana in Einzelhaft. In der Zelle schreit sie weiter „Fuck Putin“. Non-stop. Bis zur völligen Erschöpfung. Auch das wirkt eher autodestruktiv als revolutionär. In Weißrussland werden drei Aktivistinnen in den Wald entführt, mit Benzin übergossen und mit Verbrennung bedroht, ehe man sie in der Kälte aussetzt. Bei all dem fällt auf: Regisseurin Charlène Favier zeigt die russischen und weißrussischen Beamten als extrem brutal, nicht aber die Polizei der Ukraine. Dabei hatte die historische Oksana im Interview geklagt, dass die Gewaltanwendung in ihrem Heimatland durch keine Hemmung mehr gebremst würde.

Oxana flieht. Zieht nach Frankreich, dem Heimatland neuzeitlicher Revolutionen. Vor allem gefällt ihr die „Marianne“, Symbolbild der französischen Freiheitskämpfe. Die ist ebenfalls barbusig und für Oxana eine Femen-Vorläuferin. Ihre Lektüre: „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Nietzsche. Auch dies kein Wunder. Spricht Nietzsche doch dem Staat jede Legitimation ab. In  berühmten Sätzen wie:

Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: ,Ich, der Staat, bin das Volk.‘“

In Frankreich spaltet sich die Femen-Bewegung. Die Exil-Ukrainerinnen lösten sich von Oxana. Ohnehin erregen entblößte Oberkörper und blasphemische Ikonen dort kaum Ärgernis. Solche Aktionen hatten Dadaismus und Surrealismus bereits vor hundert Jahren durchgespielt.

Am Schluss versucht Oxana die Betäubung im Erotischen. Stürzt sich in Affären. Um zu vergessen. Es gelingt nicht. Am Ende begeht sie Suizid. Das war im Jahr 2018. Den globalen Lockdown-Terror und den Russland-Ukraine-Krieg hat sie nicht mehr erlebt. 

 +++

Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++

Bild: Santiago city centre streets during the women's day demonstration. Nude women at the march carrying her kid on hands

Bildquelle: abriendomundo / shutterstock 


+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit der:

Spenden-Kryptowährung „Nackte Mark“: https://apolut.net/unterstuetzen/#nacktemark

oder mit

Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoin

Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/

+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.

+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/

+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut

Paul Clemente Jake Angeli Greta Thunberg Pussy Riot Charlène Favier Femen Friedrich Nietzsche Oksana Schatschko Oxana