
Europas Irrwege in die Wirtschaftsmisere und strategische Irrelevanz
Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Die chinesische Tageszeitung Global Times hatte am 28. August 2025, am Vorabend der Konferenz der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO)“ in der chinesischen Stadt Tianjin, die Ursachen der zunehmenden Wirtschaftsmisere in Europa kurz und bündig auf den Punkt gebracht. Davon kann sich der geneigte Leser in meiner folgenden Zusammenfassung des Artikels entweder selbst überzeugen, oder den Originaltext mit dem Titel: „The strategic missteps behind economic woes in major European economies“ hier lesen (1).
Beginn der Zusammenfassung
„Europas Wirtschaft gerät zunehmend in Schieflage, gefangen zwischen den Konflikten in der Ukraine und Gaza sowie einem Handelskrieg mit den USA. Große Volkswirtschaften wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland stehen vor massiven fiskalischen Herausforderungen. Frankreichs Premierminister François Bayrou warnte vor der „unmittelbaren Gefahr“ einer Überschuldung, während britische Ökonomen eine Schuldenkrise wie in den 1970er Jahren prophezeien. Bundeskanzler Friedrich - Danke Israel für die Drecksarbeit - Merz gab zu, dass der Wohlfahrtsstaat nicht mehr finanzierbar sei – all das sind die Symptome tieferliegender geopolitischer Fehltritte.
Der Ukraine-Konflikt, angeheizt durch die von den USA geführte Strategie der NATO-Erweiterung, verschärft die Krise. Statt zu deeskalieren, folgte Europa Washingtons Strategie, Russland zu schwächen, und verlor Zugang zu russischen Märkten und Energie. Dies führte zu Deindustrialisierung und Kapitalflucht, die viele Volkswirtschaften in die Rezession trieb. Verstärkt wurde diese Entwicklung von der Flüchtling- bzw. Migrantenkrise. Zugleich rechtfertigen Europäische Regierungschefs einschneidende Sozialkürzungen mit erhöhten Rüstung- und Verteidigungsbudgets und behaupten, Aufrüstung sei notwendig, um Russland abzuschrecken und den wirtschaftlichen Wohlstand im eigenen Land zu sichern. Doch die Kosten diese Politik sind offensichtlich: gesellschaftliche Spaltungen und wirtschaftlicher Niedergang.
Der Handelskrieg mit den USA verschlimmert die Lage. Die „America First“-Politik behandelt Europa nicht als Partner, sondern als Ziel für Ausbeutung. Jüngste Verhandlungen zwangen die EU, 15 % Zölle auf ihre Exporte in die USA zu akzeptieren, während sie Nullzölle auf bestimmte US-Importe und Investitionen von 600 Milliarden Dollar in US-Militärausrüstung sowie 750 Milliarden in Energie Käufe in den USA zusagte. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „Handelsungleichgewicht“, doch Kritiker warnen vor Europas „Jahrhundert der Demütigung“. Die USA geben kaum nach und nutzen Europas Unterwürfigkeit aus.
Europas strategische Fehltritte wurzeln in seiner Ausrichtung auf die Interessen des US-Deep State, ohne Konsens in Schlüsselfragen wie dem Umgang mit Russland. Trotz Rufen nach „strategischer Autonomie“ bleibt Europa von den USA abhängig und erhöht seine Militärausgaben auf US-Anweisung. Wissenschaftler betonen, dass Europa kein globaler Pol mehr ist, sein Niedergang durch oberflächlichen Fortschritt kaschiert. Die Unfähigkeit, den Kurs zu ändern – weg von veralteten Abhängigkeiten hin zu neuer wirtschaftlicher Kooperation – lässt Zweifel an der Zukunft aufkommen."
Ende der Zusammenfassung
Zunächst einige erklärende Worte zur Global Times: Im Jahr 2009 erschien sie zum ersten Mal in englischer Sprache. Organisatorisch gehört sie zum Medien-Komplex People’s Daily Press, übersetzt Volkstagespresse, der wiederum der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gehört. Aufgabe der englischen Ausgabe ist es, eine chinesische Perspektive auf internationale Themen und somit eine Alternative zur immer noch dominierenden westlichen Medien-Präsenz zu bieten. Obwohl die Global Times unter der redaktionellen Aufsicht der KPCh steht, geht sie nicht selten über die eher zurückhaltenden offiziellen Positionen der Regierung in Peking hinaus, was die Lektüre besonders interessant macht.
Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass der oben zusammengefasste Leitartikel zum wirtschaftlichen und strategischen Niedergang Europas für die bevorstehende SCO-Konferenz vorab die chinesische Einschätzung der verschwundenen Bedeutung Europas signalisieren sollte.
Bei der SCO-Konferenz vom 31. August bis 1. September in Tianjin hatten sich die Staatschefs von drei der vier Weltmächte vereint: China, Indien und Russland, zusammen mit fast zwei Duzend weiteren hauptsächlich asiatischen Staaten, darunter die Regionalmächte Iran und Vietnam. Der Focus der Konferenz lag auf der im Entstehen begriffenen multipolaren Weltordnung. Europa, die EU, oder die einstigen Kolonial—und Großmächte wie Frankreich und Großbritannien, oder die ebenfalls abstürzende, einstige Wirtschaftsgroßmacht Deutschland waren dem Vernehmen nach in den offiziellen Diskussionen während des Gipfels kein Thema.
Wenn europäische „Führer“ oder ihre „EU-Führerin“ in bekannter, maßloser Selbstüberschätzung erwartet hatten, dass europäische Belange bei den SCO-Gipfelgeprächen irgendeine Rolle spielen würden, wurden sie bitter enttäuscht und auf den Boden der Realität zurückgeholt, nämlich ihrer globalen Irrelevanz. Denn die EU-Länder werden längst nicht mehr als eigenständige Akteure auf der Weltbühne wahrgenommen.
Europas interne Spaltungen, seine strategischen Fehltritte, die erstaunliche Unterwürfigkeit der europäischen Eliten unter die Interessen des US-Deep State und die gescheiterten Strategien – insbesondere im Ukraine-Konflikt, fanden allerdings ihren mannigfaltigen Niederschlag in den Pressekonferenzen, Medienberichten und Artikeln zum SCO-Gipfel. Dabei wurde vor allem der Niedergang des westlichen Raubrittertums und der neoliberalen Unordnung dem Aufstieg der solidarischen, multipolaren Ordnung des Globalen Südens gegenübergestellt.
In den vielen internationalen Berichten zum SCO-Gipfel wird der beschämende und selbstverschuldete Absturz Europas analysiert und es wird ein von inneren Spaltungen zerrissener Kontinent präsentiert, der wirtschaftlich schwer angeschlagen sich sklavisch den Launen des US-amerikanischen Deep State unterworfen hat.
Vor diesem Hintergrund haben Gipfel-Gastgeber Xi Jinping, zusammen mit Wladimir Putin und Narendra Modi den Gipfel als Bühne benutzt, um die Einheit der SCO mit dem Chaos im Westen, insbesondere in Europa, zu kontrastieren. Manche Medienberichte sparten nicht mit Hohn über die Misere der EU, die als verblassende Macht dargestellt wurde, gefangen im Schatten Washingtons.
Der wichtigste Höhepunkt des diesjährigen SCO-Gipfels war zweifellos der ostentative Freundschaftstanz des „chinesischen Drachens mit dem indischen Elefanten“, wie es der chinesische Präsident Xi ausgedrückt hat, was aber in den USA und im Rest des Kollektiven Westens die Haare zu Berge stehen ließ. Denn die neue Eintracht zwischen Xi und dem indischen Ministerpräsidenten Modi macht den hegemonialen US-Plänen - nämlich Indien gegen China auszuspielen - demonstrativ einen dicken Strich durch die Rechnung.
Unbehagen in den westlichen Regierungsetagen dürfte auch das intime, einstündige Treffen von Indiens Premierminister Modi mit seinem Freund Putin im Fond der Limousine des russischen Präsidenten ausgelöst haben. Denn auch die dilettantischen europäischen Führungseliten hatten sich Hoffnungen gemacht, Indien wegen der Ukraine gegen Russland in Stellung bringen zu können. Tatsächlich aber hatte Modi in Tianjin Putin öffentlich als seinen „Freund“ bezeichnet. Und Putin und Xi unterstrichen bei Pressekonferenzen, dass die wirtschaftlichen, politischen, militärischen, kulturellen und diplomatischen Beziehungen von Jahr zu Jahr stärker und tiefer verwurzelt sind.
Im Unterschied zu NATO-Treffen wurden beim SCO-Gipfel keine militärischen Pläne gegen andere Länder geschmiedet, oder wirtschaftliche Sanktionspakete gegen Staaten ausgeheckt, die sich dem Diktat der US-geführten, regelbasierten Unordnung nicht unterwerfen wollen. Stattdessen fokussierten sich die Verhandlungen darauf, wie sich existierende Probleme mit politischer Kooperation, mit Verhandlungen zur Erreichung von Win-Win Kompromissen friedlich lösen lassen.
Der Globale Süden mit seinen 7 Milliarden Menschen hat sich von dem korrupten westlichen Entwicklungsmodell abgewandt, das auf finanzieller und militärischer Erpressung aufgebaut ist. Es ist diese Null-Summen-Mentalität - dass der Schaden des anderen ein Gewinn für mich ist - die den Kalten Krieg überlebt hat und in NATO/EU weiterhin die Leitlinie ist.
Dagegen hat in Tianjin der SCO-Gipfel eine unwahrscheinliche Versöhnung zwischen Peking und Neu-Delhi besiegelt und Moskau widerstandsfähiger denn je zuvor gemacht. Dieses Dreieck stellt eine planetare Neuordnung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gewichte dar. Zugleich wird dadurch das Scheitern des Westens mit seinen Sanktionen und Bemühungen, Russland zu isolieren, unbestreitbar.
Wenn wir in Europa, vor allem in Deutschland nicht am Rande dieser Entwicklung zurückgelassen werden wollen, dann muss unsere politische Führung aus ihrem Wolkenkuckucksheim auf den Boden der Realität zurückkommen und sich ernsthaft umstellen, statt auf Null-Summen-Konfrontationskurs mit der neu entstehenden Welt zu gehen, Zusammenarbeit mit den aufsteigenden Ländern in Wirtschaft, Forschung und Warenaustausch zeigen zum gegenseitigen Vorteil für den Weg in die Zukunft.
Hier kommt die im Global Times Artikel enthaltene, implizite Frage ins Spiel, ob Europa aufwachen wird, solange noch Zeit zur Korrektur und Umkehr ist. Dem steht die bittere Wahrheit entgegen, dass ohne Regimewechsel in den führenden Ländern der EU die Fortsetzung von Europas Niedergang unvermeidlich ist, denn die europäischen Eliten nehmen auf die eigene Bevölkerung keine Rücksicht, weil sie zu ihrem eigenen Profit und für ihre Karriere zu sehr in die vom US-Tiefen Staat gesteuerten Politiken verstrickt sind.
Quellen und Anmerkungen
(1) https://www.globaltimes.cn/page/202508/1341965.shtml
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Shutterstock / shutterstock
Bild: Aquarell-Kunstbild von verängstigten Macron, von der Leyen und Starmer, die hinter einem Baum hervorschauen
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