Tagesdosis

Drecksarbeit für uns alle? | Von Sabiene Jahn

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Tagesdosis 20250619 apolut
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Nahost-Experte Lüders übt scharfe Kritik an Kanzler Merz

Nahost-Experte Michael Lüders analysiert in einem Vortrag den Israel-Iran-Konflikt mit einer Schärfe, die westliche Narrative und politische Doppelmoral schonungslos entlarvt. Seine Thesen fordern eine dringende Debatte über Völkerrecht, geopolitische Verantwortung und die Rolle Deutschlands in einer sich zuspitzenden globalen Krise. Lüders kritisiert die Äußerungen des Bundeskanzlers Friedrich Merz und hinterfragt die Staatsräson sowie die Risiken einer Eskalation, die bis hin zu einem "Dritten Weltkrieg“ reichen könnten. Und er entlarvt, der „War of Choice“ wurde seit Jahren vorbereitet und es sei Heuchelei, dass „nicht existente Atombomben in den Händen fanatischer Mullahs“ als gefährlicher gelten als „real existierende Atombomben in den Händen fanatischer Groß-Israel-Ideologen“.

Ein Kommentar von Sabiene Jahn.

Lüders beginnt mit einer klaren Einordnung:

„Israel führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran.“

Er widerlegt die offizielle israelische Begründung, es handle sich um einen Präventivschlag, um eine drohende iranische Atombombe zu verhindern. Diese Darstellung sei „eine reine Propagandalüge“, die mit der Realität „nichts aber auch nichts zu tun“ habe. Lüders stützt sich auf den Annual Threat Assessment vom 18. März 2025, in dem 18 US-Geheimdienste festhalten:

We continue to assess Iran is not building a nuclear weapon.“

Selbst bei einem hypothetischen Entschluss, eine Atombombe zu bauen, wäre der Iran laut US-Quellen mindestens drei Jahre von deren Fertigstellung entfernt. Lüders verweist zudem auf die Geschichte des iranischen Atomprogramms: Nach Bestrebungen in den 1990er Jahren wurde es 2003 eingestellt, was die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zwischen 2015 und 2018 durch Inspektionen bestätigte. Die einseitige Aufkündigung des Atomabkommens (JCPOA) durch die USA unter Donald Trump 2018 führte dazu, dass der Iran seine Urananreicherung erhöhte – nicht mit dem Ziel, eine Bombe zu bauen, sondern als Druckmittel für neue Verhandlungen. „Die Iraner haben sich nie verweigert einer Verhandlungslösung“, betont Lüders, und unterstreicht, dass die iranische Strategie auf diplomatischen Druck, nicht auf militärische Eskalation abzielt.

Die schärfste Kritik richtet Lüders an die deutsche Politik, insbesondere an Bundeskanzler Friedrich Merz, dessen Äußerungen am Rande des G7-Gipfels in Kanada er als „ungeheuerlich“ bezeichnet. Merz nannte den israelischen Angriff „die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“ und lobte die „israelische Staatsführung“ für ihren „Mut“. Für Lüders ist dies eine „geistig-moralische Bankrotterklärung“, die das Völkerrecht „in die Tonne tritt“. Er argumentiert, dass Merz’ Aussage das Recht des Stärkeren legitimiere und eine gefährliche Doppelmoral offenbare:

„Mit dieser Aussage hat Russland alles Recht der Welt, völkerrechtswidrig die Ukraine anzugreifen.“

Während Deutschland Russlands Krieg in der Ukraine als völkerrechtswidrig verurteilt, wird Israels Angriff auf den Iran toleriert oder gar unterstützt. Lüders sieht darin eine Verabschiedung von internationalen Rechtsnormen, die Deutschland zur Zielscheibe möglicher Gegenangriffe machen könnte, falls der Konflikt eskaliert. Besonders alarmierend findet er die Implikation, dass Merz’ Worte auf eine mögliche weitere Beteiligung der USA an diesem Krieg hindeuten könnten, was die Situation „brandgefährlich“ mache.

Die mediale Berichterstattung und politischen Narrative im Westen unterzieht Lüders einer kritischen Analyse. Er kritisiert, dass der Iran als „fanatisches Mullah-Regime“ dargestellt wird, das nach der Atombombe strebe, während Israel als Land im „permanenten Überlebenskampf“ glorifiziert wird.

„Diese Behauptung ist rein propagandistisch“,

sagt er und verweist auf die Zusammenarbeit von Medien mit sogenannten Experten, die diese Narrative verstärken. Die Realität werde verzerrt, um die Solidarität mit Israel aufrechtzuerhalten, was er als Teil der deutschen Staatsräson betrachtet. Lüders zitiert den britisch-israelischen Historiker Avi Shlaim, der betont, dass der Iran keine existentielle, sondern eine strategische Bedrohung für Israel darstelle. Während Israel über etwa 90 Atombomben verfüge und internationale Kontrollen ablehne, sei der Iran dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten. Lüders betont die Heuchelei, dass

„nicht existente Atombomben in den Händen fanatischer Mullahs“ als gefährlicher gelten als „real existierende Atombomben in den Händen fanatischer Groß-Israel-Ideologen“.

Geopolitisch betrachtet Lüders den Iran als Akteur, der einer eigenen Logik folgt, geprägt durch historische Traumata wie den CIA/MI6-Putsch gegen Ministerpräsident Mossadegh 1953 oder den Iran-Irak-Krieg (1980–1988), der über eine Million Opfer forderte. Die Unterstützung von Milizen wie der Hisbollah oder der Hamas sei eine Reaktion auf diese Erfahrungen und diene der Schaffung eines „Sicherheitsgürtels“. Entgegen westlicher Narrative seien diese Gruppen nicht bloße Marionetten Teherans, sondern entstanden als Widerstand gegen israelische Besatzung.

„Hamas und Hisbollah sind beide entstanden als Reaktion auf israelische Besatzung“,

erklärt Lüders. Er kritisiert, dass der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 im Westen als iranisch gesteuert dargestellt wird, obwohl er „aus der palästinensischen Gesellschaft heraus“ erfolgte. Diese Geschichtsklitterung, wie Lüders Merz’ Behauptung nennt, der Iran sei für den Angriff verantwortlich, vereinfache komplexe Zusammenhänge und ignoriere die Realität israelischer Politik in den besetzten Gebieten. Die Risiken einer Eskalation schildert Lüders in drastischen Worten:

„Dieser unprovozierte Angriffskrieg Israels auf den Iran hat im Worst Case Potenzial, einen Dritten Weltkrieg zu entfachen.“

Der Iran ist ein wichtiger Partner Russlands und Chinas, insbesondere für Energie- und Handelsrouten. Eine Schließung der Straße von Hormus, durch die 20 % der globalen Energielieferungen fließen, würde die Weltwirtschaft massiv destabilisieren. „Die Androhung würde ausreichen, dass Versicherungsgesellschaften keine Schiffe mehr versichern“, warnt Lüders. Die bereits gestiegenen Ölpreise – aktuell bei 73 bis 75 Dollar pro Barrel – könnten sich verdoppeln, was Länder wie Deutschland hart treffen würde, da sie von Energieimporten abhängig sind. Lüders kritisiert die deutsche Politik, die durch Sanktionen gegen Russland und die Ablehnung direkter Energieimporte aus moralischen Gründen die eigene Handlungsfähigkeit einschränkt. „Die Energiepreise in Deutschland sind jetzt schon die höchsten in Europa“, betont er und verweist auf Norwegen, wo sie nur ein Zehntel betragen. Eine Eskalation im Nahen Osten würde Deutschland zwingen, zu horrenden Kosten Energie aus den USA oder Norwegen zu beziehen, während Trump kein Interesse an steigenden Benzinpreisen in den USA habe.

Die israelische Strategie analysiert Lüders als langfristig geplant. Der Angriff auf den Iran sei kein Präventivkrieg, sondern ein „War of Choice“, der seit Jahren vorbereitet wurde. Er verweist auf die Studie A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm von 1996, die Regimewechsel in Ländern wie Syrien, Irak und Iran fordert, um israelische Interessen zu sichern.

„Die Israelis wollen die strategische Oberhoheit in der Region“,

sagt Lüders und kritisiert die Bombardierung ziviler Ziele im Iran, wie etwa das Gebäude des iranischen Rundfunks. Solche Angriffe, wie die Aufforderung an 300.000 bis 400.000 Iraner, ihre Häuser innerhalb von zwei Stunden zu verlassen, stärken die Solidarität der Bevölkerung mit ihrem Regime. „Iraner sind glühende Patrioten“, erklärt Lüders, und verweist auf die Resilienz des Landes, das acht Jahre Krieg gegen den Irak überstanden habe. Israel hingegen werde „never ever“ einen vergleichbaren Raketenbeschuss aushalten.

Die westliche Doppelmoral wird von Lüders exemplarisch an einer Stellungnahme der G7-Staaten und der Bundesregierung kritisiert. Während Russlands Krieg in der Ukraine als völkerrechtswidrig verurteilt wird, wird Israels Angriff als Selbstverteidigung akzeptiert. Lüders zitiert Mohammed ElBaradei, der auf X schrieb, dass Angriffe auf Atomanlagen gegen die Genfer Konventionen und die UN-Charta verstoßen. „Das ist eine schallende Ohrfeige“, kommentiert Lüders, und betont, dass diese Heuchelei Deutschlands und der EU Ansehen im globalen Süden schadet.

„Außerhalb der Blasen in Berlin und Brüssel werden wir kaum noch ernst genommen“, warnt er.

Lüders’ dringende Mahnung ist, der Krieg kann nur durch Druck der USA auf Israel beendet werden, etwa durch die Einstellung von Waffenlieferungen. Ohne dies drohe eine Katastrophe mit globalen Folgen. „Mir wird Angst und Bange“, sagt Lüders, und appelliert an die Vernunft in der deutschen Politik, eine differenziertere Haltung einzunehmen. Die Staatsräson, die eine bedingungslose Unterstützung Israels fordert, müsse hinterfragt werden. Deutschlands Politik ist verantwortungslos, insbesondere für Deutschland. Lüders drängt auf eine sachliche Debatte über Völkerrecht, Moral und geopolitische Realitäten.

Quellen und Anmerkungen

 

1.) www.youtube.com/watch?v=svBQ8F01W4c


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Dank an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Ryan Nash Photography / shutterstock


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