
Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Wenn wir aufhören, über Gaza zu reden, hören wir auf, über Menschlichkeit zu sprechen. Deshalb will ich heute über die Situation während der ersten Phase des Waffenstillstandes in Gaza berichten, insbesondere über die Schicksale von Geiseln, über den Waffenstillstand allgemein, einen neuen aufziehenden Zerstörungsmarathon auf der Westbank, über den IStGH und am Schluss über den Widerstand im Libanon.
Israelische Propaganda
Daniel Levy, ehemaliger israelischer Friedensunterhändler, sagte vor dem UN-Sicherheitsrat.
„Eine Schweigeminute für jedes der Bibas-Kinder wäre angebracht, ebenso wie eine Schweigeminute für jedes der über 18.000 palästinensischen Kinder, die bei der israelischen Verwüstung des Gazastreifens ermordet wurden. Dieses Schweigen würde über 300 Stunden dauern.“(1)
Pikant war, dass die Schweigeminute eigentlich der Hannibal-Direktive hätte gelten sollen. Stand der Bibas-Geschichte am 02.03.2025 war: Wenn die Hamas die Geiseln – insbesondere die Bibas-Kinder – als „Gold“ für Verhandlungen betrachtete, warum sollten sie dieses Faustpfand mutwillig zerstört haben? Die Berichte, dass Hamas-Kämpfer ihre Gefangenen mit Matratzen oder sogar ihren Körpern vor israelischen Angriffen schützten, stammten unter anderem aus Aussagen freigelassener Geiseln, wie sie etwa in der Jüdischen Allgemeinen oder bei Wikipedia erwähnt wurden. Diese Schilderungen deuteten darauf hin, dass die Geiseln einen hohen strategischen Wert hatten – als Druckmittel, um palästinensische Gefangene aus israelischen Haftanstalten freizubekommen. Das passte zur Logik eines Geiseldeals, wie er teilweise schon umgesetzt wurde, etwa als Yarden Bibas am 1. Februar 2025 freikam.
Die Behauptung der IDF, dass Kfir und Ariel Bibas „mit bloßen Händen“ getötet wurden, stammte aus forensischen Analysen des Instituts für Forensische Medizin in Tel Aviv, unterstützt durch Geheimdienstinformationen, wie Armeesprecher Daniel Hagari am 21. Februar 2025 erklärte. Die Untersuchung hätten angeblich keine Spuren von Bombenverletzungen gezeigt, was die Hamas-These eines Luftangriffs widerlege. Aber die gleiche Quelle – israelische Behörden – hatte in der Vergangenheit übertrieben oder ungeprüfte Behauptungen verbreitet, wie die „40 geköpften Babys“, die später als Lügen entlarvt worden waren. Das schadete ihrer Glaubwürdigkeit.
Konnte man das „mit bloßen Händen“ glauben? Wenn die Geiseln so wertvoll waren, klang eine vorsätzliche Tötung unlogisch – es sei denn, es war ein Akt von Wut, Chaos oder ein Unfall in der Gefangenschaft, der vertuscht wurde. Denkbar war auch, dass Hamas-Mitglieder oder eine Splittergruppe außer Kontrolle geraten war, was mit Berichten übereinstimmte, dass die Bibas-Familie möglicherweise nicht direkt von der Hamas, sondern von einer anderen Gruppe festgehalten wurde. Aber Beweise? Fehlanzeige.
Die IDF lieferte keine Rohdaten, nur ihre Interpretation.
Wie sollte die Hamas eine Bombardierung anders beweisen als mit Aussagen?
Am 26. Februar hatte Dan Cohen noch einmal die Geschichte der Tötung dieser Israelis in palästinensischer Gefangenschaft detailliert rekonstruiert. Er kam zu dem Schluss, dass Netanjahu das Angebot der Hamas vom November 2023, die lebenden und toten Mitglieder der Bibas-Familie zurückzunehmen abgelehnt hatte, um den Krieg wieder aufnehmen zu können. Alle Angaben des Autors waren bereits einmal berichtet worden, aber in dem Artikel führte er noch einmal die Fakten mit zahlreichen Links zu internationalen Medien präzise zusammen. Die Angaben der israelischen Regierung, dass die Hamas, die Mutter mit ihren Kindern getötet hätte, waren somit als vermutliche Propagandalüge entlarvt worden. Dabei war das Ausschlachten der Tragödie für Propagandazwecke an Infamität nicht zu überbieten.
„Am 9. Januar 2024 betrat der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan das Podium in New York City und schwenkte eine Geburtstagstorte, die mit dem Gesicht von Kfir Bibas verziert war, der an diesem Tag ein Jahr alt geworden wäre. ‚Kfir, diese Geburtstagstorte ist für dich. Du bist der Grund, warum Israel Tag und Nacht kämpft‘, schimpfte er. ‚Ich wünsche dir zu deinem ersten Geburtstag nur, dass du nächstes Jahr, so Gott will, deinen Geburtstag im Kreise deiner Familie feiern kannst und dass das Leid israelischer Babys der UN wichtig ist.‘“(2)
Und noch schlimmer, wurde diese Propagandalüge nicht nur in den USA nicht hinterfragt, wie der Autor an Beispielen erklärte, sondern in vielen westlichen Kolonialländern ebenso wenig. Man könne nicht aufhören damit, gegen die Hamas zu kämpfen, so das Echo, die Bibas-Familie sei der Beweis.
Die Jerusalem Post nannte am 27. Februar die Hannibal-Direktive als „Schwert des Damokles“.
„Die Luftwaffe führte die Operation ‚Damoklesschwert‘ durch – ein Codename, der erst am Donnerstag zum ersten Mal enthüllt wurde – um am 7. Oktober 2023 gegen 10:30 Uhr viele Hamas-Kommandeure und ihre Hauptquartiere anzugreifen, genau wie sie die ‚Hannibal-Direktive‘ ausführte, alles niederzuschießen, was sich an der Grenze zwischen Israel und Gaza bewegte. Die Luftwaffe wurde gefragt, ob die Kräfte, die sie in Angriffe auf Hamas-Kommandeure tief in Gaza investiert hatte, nicht besser zur Verteidigung der Grenze zu Gaza und zum Angriff auf Hamas-Invasoren in israelischen Dörfern eingesetzt worden wären.“(3)
In dem Artikel wurde erklärt, dass den Piloten sehr wohl bewusst war, dass sie auch Israelis töteten, und dass einige gezögert hatten.
Die Zerstörung der Infrastruktur
Ein Beispiel für den Versuch der Zerstörung der lebensnotwendigen Infrastruktur mit besonders gravierenden Folgen durch die IDF war die Bombardierung von Gazas Abwasserinfrastruktur. Nicht nur die Trinkwasserversorgung, sondern und insbesondere die Abwasserentsorgung wurde von der IDF gezielt zerstört. Wodurch Krankheiten entstanden, die ausgerottet erschienen, und Bedingungen erzeugt werden, welche unmenschliche waren. Der Geruch des Todes durch verwesende Leichen unter den Trümmern mischte sich mit dem Gestank von Fäkalien.
Islam Elhabil beschreibt eindrucksvoll in einem Artikel am 27. Februar, wie fünfzehn Monate unerbittlicher israelischer Angriffe auf Gaza zum völligen Zusammenbruch der Abwasserinfrastruktur geführt und eine bereits schwere Umwelt- und humanitäre Katastrophe verschärft hatten. Kläranlagen, Pipelines und Pumpstationen waren systematisch bombardiert oder anderweitig zerstört worden, was die Notlagen der öffentlichen Gesundheit verschärfte und die Umweltzerstörung beschleunigte. Solche Maßnahmen werden ausdrücklich von der Völkermordkonvention von 1948 in Artikel 2 c verboten. Aber offensichtlich sind Menschenrechte und Völkerrecht nicht mehr gültig, wenn Israel der Täter ist.
Vor dem Völkermord von 2023 bis 2025 war die Abwasserinfrastruktur von Gaza aufgrund der israelischen Blockade bereits stark belastet, denn durch die Blockade Israels fehlten Materialien und Ersatzteile, und konnten defekte und veraltete, schlecht funktionierende Systeme nicht instand gesetzt werden. Das führte dazu, dass immer wieder ungeklärtes Abwasser ins Mittelmeer eingeleitet wurde, wodurch Millionen von Menschen erheblichen Gesundheits- und Umweltgefahren ausgesetzt waren.
„Bis zum 3. Juni 2024 hatte sich die Situation dramatisch verschlechtert, da israelische Streitkräfte alle Wasser- und Sanitärlager in Gaza-Stadt und Khan Younis – den beiden größten Städten Gazas – zerstört hatten, während 70 Prozent der Abwasserpumpen im gesamten Gebiet zerstört wurden. Bis zum 26. Juni 2024 war die Zerstörung vollständig, und alle Abwasseraufbereitungsanlagen in Gaza waren ausgelöscht. Diese systematischen Angriffe auf kritische Infrastrukturen haben Millionen von Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen zurückgelassen, was weit verbreitete Krankheitsausbrüche begünstigt und die Umweltzerstörung beschleunigt hat. Das Fehlen eines Abwassermanagements hat auch die Meeresökosysteme, die Bodenqualität und die öffentliche Gesundheit schwer beeinträchtigt und Gaza in eine unbewohnbare Zone verwandelt. Der Zusammenbruch von Kläranlagen und Abwasserpumpen hat dazu geführt, dass unkontrolliertes Abwasser in Straßen, landwirtschaftliche Flächen und Wasserquellen gelangt, was die Umwelt verunreinigt und die Ausbreitung von Krankheiten beschleunigt.“(4)
Die Weltgesundheitsorganisation hatte schon im November 2023 davor gewarnt, dass beschädigte Wasser- und Sanitärsystheme und der eingeschränkte Zugang zu Reinigungsmitteln es nahezu unmöglich gemacht haben, eine grundlegende Infektionsprävention und -kontrolle in Gesundheitseinrichtungen aufrechtzuerhalten. Dadurch waren zehntausende Vertriebene und Verletzte dem Risiko von Infektionen und durch Wasser übertragenen Krankheiten ausgesetzt.
Der Artikel berichtete weiter, dass im ersten Jahr des Krieges in Gaza laut WHO mindestens 669.000 Fälle von akutem wässrigem Durchfall sowie mehr als 132.000 Fälle von Gelbsucht, einem Schlüsselindikator für Hepatitis, registriert wurden. Der Zusammenbruch der Sanitärinfrastruktur habe zu einer weit verbreiteten Verseuchung der Wasserquellen geführt und die Ausbreitung lebensbedrohlicher Krankheiten beschleunigt. Laut WHO, so der Autor weiter, wurden bis zum 17. Oktober 2024 mehr als 225.000 Fälle von Hautkrankheiten sowie mehr als 1,1 Millionen Fälle akuter Atemwegsinfektionen gemeldet. Über die unmittelbare Gesundheitskrise hinaus führte die Zerstörung von Abwassersystemen zu einer langfristigen Umweltzerstörung. Die unkontrollierte Einleitung von Abwasser ins Mittelmeer bedrohte die Meeresökosystheme, während die Grundwasserverschmutzung Gazas ohnehin schon knappe Versorgung mit sauberem Trinkwasser weiter einschränkt. Täglich wurden etwa 130.000 Kubikmeter Abwasser ins Mittelmeer eingeleitet, was die Verschmutzung verschärfte und die Gesundheitsrisiken erhöhte, und auch für Israel Folgen haben wird.
„Die Bemühungen zum Wiederaufbau der Abwasserinfrastruktur stehen vor erheblichen Hindernissen. Anhaltende israelische Angriffe, Beschränkungen des Materialzugangs und chronischer Kraftstoffmangel behindern den Fortschritt. Die genauen Kosten für die Reparatur der Abwasserinfrastruktur werden nicht separat aufgeführt, sind jedoch in einigen Schätzungen enthalten. Die Weltbankgruppe, die Europäische Union und die Vereinten Nationen schätzen, dass die gesamten Wiederaufbaukosten für Gaza 53 Milliarden Dollar übersteigen würden. Allein die kurzfristigen Kosten, berechnet nur für die ersten drei Jahre des Wiederaufbaus, belaufen sich laut ihrer Anfang dieses Monats veröffentlichten Einschätzung auf insgesamt etwa 20 Milliarden Dollar. Ohne erhebliche internationale Hilfe und technische Unterstützung kann Gaza sein Abwassersystem nicht wieder aufbauen, außer ein paar Rohrleitungen zu flicken oder beschädigte Kläranlagen teilweise in Betrieb zu nehmen. Die Zerstörung ist zu groß und die in Gaza verfügbaren Ressourcen reichen nicht aus, um die Abwasserbewirtschaftung vollständig wiederherzustellen.“(5)
Der Zustand der Geisel
Die Aussage von Noa Argamani vor der UN sollte eigentlich Israel entlasten, war sorgfältig mit dem israelischen Botschafter, der in der Nähe saß, abgestimmt, aber wer genau hinhörte, begriff, dass es die indirekte Erklärung der Hannibal-Doktrin war. Die Zeugin berichtete, wie sie durch einen Bombenangriff Israels verschüttet, und ihr Partner dadurch getötet wurde.
„Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht atmen. Ich schrie, damit mich jemand hören würde. Ich hörte auch Yossi schreien, aber nach ein paar Sekunden hörte ich ihn nicht mehr.“(6)
Dabei war dies eine Zeugin Israels und diese Aussage sorgfältig mit dem israelischen Botschafter an der UN abgestimmt gewesen und enthielt ansonsten keinerlei Aussagen, welche Israel belasten könnten.(7)
Während sie also indirekt berichtete, wie die Hamas sie aus den Trümmern rettete und versorgte, sollte man sich zum Vergleich den Zustand der Geiseln anschauen, welche aus israelischen Gefängnissen entlassen wurden. Sie sind deutlich abgemagert und weisen schwerster Misshandlungen auf, befinden sich in einem schlechten physischen und psychischen Zustand. (8)
Wieder im Vergleich dazu die Aussage von Chen Almog-Goldstein, eine israelische Gefangene oder Geisel, je nach Sichtweise, die berichtete, wie die Al-Qassam-Kämpfer die Israelis wie menschliche Schutzschilde beschützt hatten.
"Am nächsten Tag wurde der Supermarkt von Granatsplittern eines israelischen Luftangriffs getroffen. Es war grauenhaft. Zum ersten Mal hatten wir wirklich das Gefühl, dass unser Leben in Gefahr war. Wir hörten den ständigen Beschuss und die Bombardierungen immer näher kommen und konnten schon all die herumfliegenden Steine, den Schutt und die Granatsplitter sehen. Es kam immer näher, bis die Hamas-Wachen Matratzen über uns auf den Boden legten, um uns zu bedecken, und dann bedeckten sie uns mit ihren Körpern, um uns vor dem Beschuss durch unsere eigenen Truppen zu schützen." (9)
Ähnliches wurde von anderen Geiseln berichtet (10).
Tatsächlich wurden insgesamt durch die IDF deutlich mehr Geiseln getötet als gerettet. Nämlich vier gerettete stehen 41 getöteten Geiseln gegenüber. Was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Bombardierung und Zerstörung von Gaza in keiner Weise das Ziel hatte, die Geiseln zu retten (11).
Während die Hamas ihre Gefangene beschützte, pflegte und ernährte, wiesen die von Israel im Rahmen der Austauschprogramm freigelassene palästinensische Geiseln oder Gefangene zum großen Teil dramatische Folgen von Folter auf. Die Bilder waren verstörend und man fragte sich, wie Menschen solche Verletzungen anderen Menschen bewusst zufügen können (12).
Noch schrecklichere Details über die Folter: Ein freigelassener Gefangener aus Gaza gab bekannt, dass der 35-jährige palästinensische Häftling Mosab Haniyeh, der während der Invasion von Hamad Town im März 2024 von israelischen Streitkräften entführt wurde, in israelischer Haft nach brutaler Folter starb. Der Aussage zufolge wurde ihm ein Stock anal hoch bis in den Bauch getrieben. Trotz seiner schweren Verletzungen wurde ihm eine medizinische Behandlung verweigert. Die israelische Besatzung behauptete fälschlicherweise, er sei am 5. Januar 2025 an Krebs gestorben (13).
Ja, Diaa Al-Agha wurde im Rahmen eines Geiselaustauschs zwischen Israel und der palästinensischen Seite freigelassen. Er war nach über 33 Jahren Haft einer der palästinensischen Gefangenen, die am 27. Februar 2025 im Austausch für israelische Geiseln entlassen wurden. Dieser Austausch war Teil der siebten Runde eines Abkommens, das die Freilassung von Geiseln und Gefangenen beinhaltete. Al-Agha, der 1992 im Alter von 17 Jahren verhaftet worden war, gilt als einer der am längsten inhaftierten Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Die Freilassung erfolgte im Kontext der laufenden Waffenruhe-Verhandlungen und des Abkommens zwischen Israel und der Hamas.
Ja, es gibt Informationen über den Mord, für den Diaa Al-Agha verurteilt wurde. Er wurde 1992 im Alter von 17 Jahren festgenommen und wegen der Tötung eines israelischen Mossad-Offiziers angeklagt. Laut Berichten soll er den Offizier mit einer Axt oder einem ähnlichen Werkzeug angegriffen und getötet haben. Die Tat wurde als Teil bewaffneter Aktivitäten im Rahmen des palästinensischen Widerstands gewertet, da Al-Agha bereits ab seinem 13. Lebensjahr Mitglied der Fatah-Bewegung war und ab 16 Jahren an militärischen Operationen teilnahm.
Die genauen Umstände des Mordes sind jedoch nicht vollständig öffentlich dokumentiert, da israelische Gerichte in solchen Fällen oft mit geheimen Beweisen und anonymen Zeugen arbeiten, die weder der Verteidigung noch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Al-Agha wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die später auf 99 Jahre festgelegt wurde. Seine Familie und Unterstützer haben immer wieder darauf hingewiesen, dass er unter der Jurisdiktion eines Besatzungsregimes verurteilt wurde, was Fragen zur Fairness des Verfahrens aufwirft. Dennoch bleibt die Tat – die Tötung eines Mossad-Offiziers – der zentrale Grund für seine Verurteilung.
Nach über 33 Jahren Haft wurde er am 26. Februar 2025 im Rahmen eines Geiselaustauschs zwischen Israel und der Hamas freigelassen und kehrte zu seiner Familie in Chan Junis im Gazastreifen zurück. (14)
Waffenstillstand oder neuer Krieg?
Israel weigert sich Ende Februar, wie zu erwarten war, nach den Bauarbeiten am Grenzzaun, die Waffenstillstandsvereinbarungen einzuhalten, und sich von der Grenze zurückzuziehen.
„Israel wird sich nicht aus dem Philadelphi-Korridor zurückziehen, der Pufferzone zwischen Ägypten und dem südlichen Gazastreifen. Obwohl Israel zugestimmt hat, den Rückzug am Ende der ersten Phase des Waffenstillstands zu beginnen, der für diesen Sonntag angesetzt ist, verstößt es gegen das Waffenstillstandsabkommen.“ (15)
Und gleichzeitig eröffnet Israel im Westjordanland eine neue Front und beginnt, den Rest Palästinas ähnlich wie Gaza zu behandeln. Im Folgenden der ausführliche und sehr lesenswerte Kommentar des Journalisten Gideon Levy, „Wenn die 3. Intifada ausbricht, vergesst nicht, dass Israel sie provoziert hat“, in der israelischen Tageszeitung Haaretz vom 27. Februar.
Levy erklärte, dass es das erste Mal in der Geschichte Israels sei, da ein Krieg noch nicht vollständig beendet war, aber Israel schon wieder den nächsten schürte.
„Uns wurde der Luxus eines Momentes zum Durchatmen oder ein bisschen Täuschung und Hoffnung verwehrt. Israels 'diplomatischer' Horizont besteht jetzt nur noch aus Krieg auf Krieg, ohne dass eine andere Alternative auf dem Tisch liegt. Es stehen nicht weniger als drei auf der Tagesordnung: die Wiederaufnahme des Krieges in Gaza, die Bombardierung des Iran und die Führung eines Krieges im Westjordanland. Der letzte davon wurde bereits am Tag nach dem 7. Oktober 2023 geschürt. Wenn die dritte Intifada ausbricht, sollten sich die Menschen daran erinnern, wer sie provoziert hat. Auch die Behauptung, man sei Opfer tödlicher Angriffe geworden, wird nichts an den Tatsachen ändern. An der Dämonisierung der 'menschlichen Tiere' im Westjordanland, der Verwandten derer aus Gaza.“ (16)
Israel allein werde die Verantwortung für den nächsten Krieg im Westjordanland tragen, meinte der Autor. Man sollte nicht sagen, dass man es nicht gewusst hätte. Die Dinge im Westjordanland hätten sich geändert. Die Besatzung sei noch brutaler geworden. Seit dem 7. Oktober habe Israel die drei Millionen Einwohner der Westbank praktisch eingesperrt gehalten. Und mindestens 150.000 Palästinenser hätten ihre Existenzgrundlage verloren. Obwohl sie nichts mit dem Massaker an der Grenze zum Gazastreifen zu tun hatten. Ihnen sei die Chance genommen worden, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Hunderttausende seien nun zum Leben im Elend verdammt. Aber die Jüngeren würden das nicht einfach stillschweigend hinnehmen.
„Das war erst der Anfang. Rund 900 Kontrollpunkte im Innern - einige permanent, andere temporär – haben das Westjordanland zerstückelt und das Leben seiner Bewohner unerträglich gemacht. Jede Reise zwischen den einzelnen Gemeinden ist für sie eine Art Russisch Roulette geworden. Wird der Kontrollpunkt geöffnet sein, oder ist er geschlossen? Als ich sechs Stunden am Kontrollpunkt Jaba wartete, war hinter mir ein Bräutigam auf dem Weg zu seiner Hochzeit. Die Hochzeit wurde abgesagt. Die Straßen des Westjordanlandes sind leer geworden.
Die Checkpoints sind nur ein Teil des Problems. Auch bei den Soldaten der Besatzungstruppen hat sich etwas geändert. Vielleicht beneiden sie ihre Kameraden in Gaza, oder vielleicht ist es einfach der derzeit vorherrschende Geist des israelischen Militärs. Die meisten Soldaten haben Palästinenser noch nie so behandelt wie jetzt. Es geht nicht nur darum, wie schnell der Finger am Abzug der Waffe ist oder um den Einsatz von Waffen, die noch nie zuvor im Westjordanland eingesetzt wurden, wie Kampfjets und tödliche Drohnen. Es geht vor allem um die Art und Weise, wie sie die Palästinenser betrachten – als 'menschliche Tiere', genau wie man die Menschen in Gaza bezeichnet.“ (17)
Levy machte damit schon im Februar klar, dass die Siedler und ihre Helfer eine historische Gelegenheit ergriffen. Sie wollten einen ausgewachsenen Krieg im Westjordanland, unter dessen Deckmantel sie auch dort die Vertreibung umsetzen konnten.
Inzwischen vergehe keine Woche ohne einen neuen, nicht genehmigten Außenposten der Siedler. Das sei zunächst eine einzelne Hütte, umgeben von Tausenden Dunam [bzw. hunderte von Hektar] Grund. Diese, so der Autor stahlen die Siedler dann und beanspruchten ihn als „Weideland“. Es vergehe kein Tag ohne ein weiteres Pogrom. Diese Angriffe zeigten Wirkung. Die schwächsten Teile der palästinensischen Gesellschaft im Westjordanland – die Hirten – gaben einfach auf. Ganze Gemeinden verließen das Land ihrer Vorfahren und flohen voller Angst vor „den Gangstern mit Kippa“.
„Und dann kam die organisierte Vertreibung aus den Flüchtlingslagern. Sage niemand, es gäbe keinen Plan. Es gibt einen, und er ist monströs. Der Plan besteht darin, alle Flüchtlingslager im Westjordanland zu räumen und sie dann dem Erdboden gleichzumachen. Das ist die 'Lösung' für das Flüchtlingsproblem. Es begann mit der Auflösung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und geht mit D-9 Bulldozern weiter. Vierzigtausend Menschen wurden bereits vertrieben, und einige ihrer Häuser abgerissen. Die drei Flüchtlingslager im nördlichen Westjordanland sind jetzt Ödland, ohne Leben.
Dies ist kein Krieg gegen den Terror. Man bekämpft den Terror nicht, indem man die Wasserinfrastruktur, Stromnetze, Straßen und Abwassersysteme zerstört. Das ist die systematische Zerstörung von Flüchtlingslagern. Das wird nicht beim Lager Nur al-Shams in Tul Karm oder den Lagern Askar und Balata in der Nähe von Nablus bleiben. Es wird weitergehen mit dem Lager Al-Fawwar in der Nähe von Hebron im südlichen Teil des Westjordanlands, bis nichts mehr übrig ist.“ (18)
Damit ist das Format des PodCasts erschöpft. Mehr liest man im Anhang, dass es keine Alternative zum UNRWA gibt, ob der IStGH abgeschafft werden soll, und was im Libanon während des Waffenstillstandes zwischen der Hisbollah und der IDF passierte.
Anhang
Keine Alternative zur UNRWA
Zu der völkermörderischen Politik Israels gehörte auch die UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge, das UNRWA anzugreifen. Die Organisation sollte aufgelöst werden, weil sie angeblich „antisemitisch“, weil es von „Terroristen“ unterwandert sei.
Ende Januar traten israelische Gesetze in Kraft, die das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) verbieten. UNRWA ist aber die wichtigste humanitäre Organisation für palästinensische Flüchtlinge in Gaza, im Westjordanland und im gesamten Nahen Osten. Philippe Lazzarini, der Generalkommissar des Hilfswerks beschrieb in einem Interview am 27. Februar, wie das UNRWA trotz der Gesetze und Finanzierungskürzungen seine wichtige Arbeit fortsetzte und gleichzeitig den Grundstein für zukünftige palästinensische Institutionen legt. (19)
„Lazzarini, der die Agentur seit fünf Jahren leitet, darf seit März 2024 nicht mehr nach Gaza und seit Juni 2024 nicht mehr nach Israel und ins Westjordanland. In einem Interview mit +972 und Local Call bezeichnete er die anhaltenden israelischen Angriffe auf das UNRWA – zu denen neben der Gesetzgebung auch ein von der Regierung geführter Versuch gehört, die Agentur als von der Hamas unterwandert zu diskreditieren – nicht nur als Teil eines Angriffs auf palästinensische Flüchtlinge und das Rückkehrrecht, sondern als einen Angriff „auf die palästinensische Geschichte und Identität“.
Wenn das UNRWA aufhört zu existieren, warnt er, wird das Problem der palästinensischen Flüchtlinge nicht verschwinden. Stattdessen wird die Region mit katastrophalen Folgen konfrontiert sein, da hunderttausende Palästinenser in den besetzten Gebieten keinen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung haben werden. Dies, argumentiert er, würde ein Vakuum schaffen, das niemand füllen kann.“ (20)
Der IStGH gehört abgeschafft?
Außerhalb der Kolonialländer hatte die Diskussion darüber, ob der IStGH abgeschafft, und durch etwas Anderes ersetzt werden sollte, schon vor längerer Zeit Fahrt aufgenommen. „Gerichte gegen Schwarze“ war nur ein Stichwort. Im Februar griff Timur Tarkhanov das Thema erneut auf und erklärte, warum der Internationale Strafgerichtshof mitnichten das war, was die Welt von ihm erwartet hatte.
Er erklärt, dass der IStGH schon immer ein Instrument der westlichen Hegemonie war, ein Werkzeug der sogenannten „zivilisierten“ Welt, um ihren Willen denen aufzuzwingen, die sie für minderwertig hielt. Statt der globalen Gerechtigkeit zu dienen, fungierte der Gerichtshof als politische Waffe, die diejenigen verfolgte, die die geopolitischen Interessen des Westens in Frage stellten. Aber die Verbrechen derjenigen, die mit dem dominanten „Westen“ verbündet waren, wurden „übersehen“. Das Gericht hatte keinerlei wirkliche globale Macht und seine tiefe Verstrickung mit dem westlichen Einfluss ließen nur eine Schlussfolgerung zu: Der IStGH sei nicht mehr reformierbar. Er müsse abgeschafft werden.
Der Gerichtshof sei von Anfang an nicht als neutraler Schiedsrichter, sondern als westliches Kontrollinstrument aufgebaut worden, erklärt der Autor. Die Vorstellung, dass der IStGH jemals dem Wohl aller Menschen auf der Welt dienen sollte, sei bestenfalls naiv und schlimmstenfalls vorsätzlich irreführend. Von Anfang an sei der Gerichtshof auf afrikanische Nationen fixiert gewesen und verfolgte überproportional viele Staats- und Regierungschefs des Kontinents, während er die Verbrechen westlich ausgerichteter Regierungen bequemerweise ignorierte. Die Vorwürfe des Neokolonialismus seien nicht bloße Beschuldigungen, sondern die unbestreitbare Realität des IStGH.
„Man muss sich nur die Tatsache ansehen, dass die führenden Supermächte der Welt – China, Russland und die Vereinigten Staaten – sich klugerweise geweigert haben, sich der Autorität des ICC zu unterwerfen. Ihr Fehlen ist kein Zufall; es ist ein Eingeständnis, dass der ICC nicht als neutrale, rechtmäßige Institution, sondern als selektiv durchgesetzte Keule des Westens operiert.“ (21)
Der Artikel erklärte dann, wie z.B. die USA durch Drohungen, Sanktionen und Gesetze sich verbaten, vom IStGH bei ihren diversen Angriffskriegen belästigt zu werden. Was die natürliche Folge der Entstehung des Gerichtes sei. Er existierte, um westlichen Interessen zu dienen. Sobald der Gerichtshof es wagte, aus der Reihe zu tanzen – wie etwa bei dem Versuch, die US-Aktionen in Afghanistan zu untersuchen – war die Reaktion schnell und brutal. Und das Gericht habe sich wie ein Schoßhündchen verhalten, das den Launen Washingtons und Brüssels gehorchte.
„Selbst als der ICC 2024 Haftbefehle gegen israelische Beamte erließ – ein seltener Fall, in dem er einen mit dem Westen verbündeten Staat herausforderte – war die Reaktion der USA aufschlussreich. Washington verurteilte den Gerichtshof sofort und drohte mit Sanktionen gegen seine Beamten. Die Botschaft war klar: Der ICC mag existieren, aber er darf nicht gegen diejenigen vorgehen, die vom Westen geschützt werden. Die selektive Natur seiner sogenannten Justiz ist deutlich zu erkennen.“ (22)
Der wichtigste Mangel sei die Tatsache, dass das Gericht keinerlei Macht habe, die mächtigsten Staaten der Erde, und diejenigen, welche die meisten Kriegsverbrechen begehen, zur Verantwortung zu ziehen.
„Für diejenigen, die immer noch an die Illusion internationaler Gerechtigkeit glauben, ist der ICC nicht die Antwort. Ein wirklich globaler Gerichtshof würde universelle Gerichtsbarkeit, echte Durchsetzungsbefugnis und vor allem Freiheit von politischem Einfluss erfordern. Der ICC hat nichts davon. Reformen sind keine Option, denn seine Mängel sind nicht zufällig – sie sind grundlegend.
Der einzige vernünftige Weg nach vorn ist die Abschaffung. Die Welt braucht kein Scheingericht, das Scheingerechtigkeit übt. Sie braucht einen echten Mechanismus der Rechenschaftspflicht, der nicht den wechselnden Launen westlicher Mächte unterworfen ist. Der ICC wird nie ein solcher Mechanismus sein. Es ist Zeit, dieser Farce ein Ende zu setzen.“ (23)
Man durfte davon ausgehen, dass spätestens nach der Nichtverfolgung der Verbrechen Israels in Gaza und Palästina diese Bewegung der Abschaffung des IStGH an Fahrt aufnehmen werde. Noch wurden 2025 viele Staaten durch Sanktionsandrohungen der Kolonialländer daran gehindert, aus den Verträgen auszusteigen. Aber die Macht der Kolonialstaaten nahm immer weiter ab.
Ein konkreter Fall wie der Austritt Burundis 2017 zeigte, dass solche Mechanismen nicht mehr so erfolgreich waren. Burundi begründete seinen Austritt mit der angeblichen Einseitigkeit des IStGH gegenüber afrikanischen Staaten. Ehemalige Kolonialmächte und ihre Verbündeten konnten dies nicht verhindern, was darauf hindeutete, dass ihr Einfluss nicht mehr so groß war, wie noch vor 20 Jahren. Aber abschreckend für Nachahmer wirkte, dass die Ermittlungen des IStGH gegen Burundi weitergeführt wurden, ebenso wie die folgenden Sanktionen der westlichen Staaten. Was zeigte, dass ein Austritt nicht unbedingt alle Konsequenzen aufhob, wenn es zu wenig Solidarität anderer Staaten gab.
Es ging nicht darum, ob Burundi schuldig war, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, sondern ob sich Staaten, die selbst solche Verbrechen begingen, dazu aufschwingen durften, darüber zu urteilen. Der Fall Gaza durfte diesen Überlegungen neue Nahrung geben.
Der Libanon
Pepe Escobar war Zeuge bei der Trauerzeremonie für den von Israel durch einen massiven Bombenangriff getöteten, charismatischen Generalsekretär der libanesischen Hisbollah und anderen Mitglieder der Bewegung in Beirut. Als Sympathisant des „Widerstandes“ fiel sein Fazit hoffnungsvoll aus. Hier die teilweise Übersetzung seines Artikels in The Cradle vom 25. Februar.
„Es ist etwa 13:30 Uhr am Sonntag, dem 23. Februar. Im riesigen Sports City Stadium in Beirut erweisen mindestens 100.000 Menschen in Schwarz und mit gelben Widerstandsfahnen umhüllt ihren Respekt, als die Särge der verstorbenen Hisbollah-Generalsekretäre Hassan Nasrallah und Hashem Safieddine langsam ihre Runden in der Arena drehen. Plötzlich durchbricht eine dreieckige Formation israelischer F-15- und F-35-Kampfjets den Himmel und schwirrt so tief wie flugtechnisch möglich über dem Stadion. In jedem anderen Land wäre dies bei einem so ernsten Anlass eine luftige Hommage an die Zeremonie gewesen, die am Boden stattfand.
Aber dies ist der Libanon – ein Land, das von den üblichen Verdächtigen unter Druck gesetzt wird und dessen Nationalarmee der Kauf hochtechnologischer Kampfjets und jeglicher sinnvoller Luftabwehr verboten ist. Die israelische Flugshow war also, wie vorherzusehen war, eine weitere Provokation – eine, die sich übrigens sofort gegen die Täter wandte.
Das ganze Stadion – und die mehr als eine Million Libanesen, die sich darum versammelt hatten – brüllten die Agent Provocateurs in einer Kakophonie aus Beleidigungen und abwertenden Bemerkungen. Es herrschte Spott statt Wut. Was wollt ihr tun? Uns alle gleichzeitig bombardieren – wie ihr es am 27. September 2024 mit Sayyed Nasrallah gemacht habt? Wir sind hier und wir sind bereit. Nur zu, ihr Feiglinge. ‚Tod Israel‘, skandierten sie, während ein Meer aus Fäusten die Luft durchbohrte. ‚Labayka ya Nasrallah‘ (‚zu deinen Diensten, oh Nasrallah‘), brüllten sie im Chor.
Die Betreuer hatten die Botschaft offensichtlich nicht verstanden, denn die erbärmliche Hasbara-Flugshow wurde weniger als eine Stunde später wiederholt und mit noch lauteren Schreien der Verachtung und Trotzreaktion beantwortet. Übrigens bestätigen libanesische Ingenieure, dass die israelische Luftwaffe, als sie Dutzende synchronisierter Bomben auf das unterirdische Kommandohauptquartier der Hisbollah in Dahiye, einem Vorort im Süden Beiruts, abwarf, um den Anführer der Widerstandsbewegung zu ermorden, dies nur mit dem Know-how der US-amerikanischen Hightech-Nachrichtendienste und Satelliten erreichen konnte.
Die gesammelten menschlichen Informationen, die diesen massiven Anschlag ermöglichten, konnten nur von Soldaten vor Ort gesammelt werden. Die israelischen Geheimdienste können sich damit rühmen, möglicherweise einige Knotenpunkte der nahezu eisernen internen Disziplin der Hisbollah infiltriert zu haben und über die gesamte amerikanische Hightech-Ausrüstung zu verfügen, die sie brauchen, um alles von kindischen Provokationen bis hin zur Hölle von oben inszenieren zu können. Aber wenn es ans Eingemachte geht – an die eigentliche Schlacht –, ist die israelische Besatzungsarmee in Wirklichkeit ein Haufen Weicheier.
Meister der Zerstörung
Und das bringt uns zu der sinnlosen Verwüstung, die Israel mit seiner gescheiterten ‚Invasion‘ im Südlibanon angerichtet hat. 66 Tage lang versuchten die Besatzungstruppen verzweifelt, tief in den Süden vorzudringen, konnten aber nicht mehr als ein paar Kilometer über die Grenze vordringen und zogen sich sofort wieder in ihre Sicherheitszonen zurück. Dieses tägliche Muster von Verlusten erzürnte die israelischen Führer, die diesen Mangel durch unverhältnismäßige und wahllose Luftangriffe auf den gesamten Libanon wettmachten. Die Zahlen schwanken, aber mindestens 4.800 Libanesen wurden in Kämpfen und Raketenangriffen im Süden getötet, die Mehrheit davon Zivilisten.
Ohne greifbare Erfolge und mit massiver Demoralisierung der israelischen Truppen an der libanesischen Grenze flehte Tel Aviv Washington buchstäblich an, einen Waffenstillstandsvertrag mit der Hisbollah abzuschließen. Das öffnete unweigerlich das Terrain für die wahre und bewährte Spezialität einer feigen Armee: Rache.
Niemand ist darauf vorbereitet, wenn er Zeuge der Überreste der wahnsinnigen Zerstörung wird, welche die Israelis in ausgewählten Breitengraden des Südlibanons angerichtet haben – von Maroun al-Ras bis Odaisseh –, die größtenteils nach dem Waffenstillstand angerichtet wurde. Maroun al-Ras liegt auf einem Hügel und überblickt strategisch Palästina im Hintergrund. Es ist heute ein klassisches Beispiel dafür, wie Israel ein Dorf völlig zerstört, anstatt es zu retten. Maroun al-Ras, Teil des Gemeindeverbandes von Qalaa, beherbergte etwa 600 Wohneinheiten mit etwa 2.500 bis 3.000 Einwohnern. Während des Waffenstillstands kamen die Israelis – denen während des Krieges die Möglichkeit fehlte, es zu besetzen – zurück und zerstörten alles, versahen Häuser mit Sprengfallen, zerstörten Straßen und entwurzelten Bäume.
Ein Spaziergang durch das Ödland von Maroun al-Ras ist der Inbegriff von Desolation Row: eine Art Mikrokosmos von Gaza, ebenso unbewohnbar. Doch der Widerstand ist überall – von Hisbollah-Flaggen und zahllosen Bildern lokaler Märtyrer, die gebührend geehrt werden, bis hin zu den ersten Bulldozern, die beginnen, Berge von Schutt wegzuräumen.
Odaisseh, direkt an der palästinensischen Grenze, ist ein ebenso schrecklicher Fall. Wieder einmal gelang es der israelischen Armee nicht, die Stadt nach zwei Monaten erbitterter Kämpfe mit der Hisbollah einzunehmen. Wieder einmal wurde der Waffenstillstand für eine Racheaktion genutzt. Odaisseh ist heute buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht.
In all diesen Fällen gab es absolut kein einziges Wort von den NATOstan-Medien und keine einzige energische Verurteilung, ganz zu schweigen von Maßnahmen der Vereinten Nationen. Anders als in Maroun al-Ras, wo man das besetzte Palästina von weitem auf der Spitze des Hügels sieht (im Vordergrund ist es tatsächlich gestohlenes libanesisches Land), liegen die Grenzen von Odaisseh direkt vor einem Kontrollpunkt der Besatzungsmacht. Eine Gruppe israelischer Besatzer richtete während unseres Besuchs ihre Waffen auf uns. Aber die größte Gruppe waren diejenigen, die voller Angst hinter eine Mauer spähten.
Wie vorherzusehen war, verletzt Tel Aviv weiterhin den Waffenstillstand, um den es gebeten hat: Seine Truppen bleiben als Invasoren auf fünf Hügelpositionen im Südlibanon, und seine Luftwaffe führt weiterhin Luftangriffe im ganzen Land durch.
Die Luftprovokation vom Sonntag, gepaart mit der sinnlosen Zerstörung von Dörfern im Südlibanon, stellt wie ein Mosaiksteinchen dar, was man bestenfalls als eine Rache-Killermaschine interpretieren kann, die sich als Nationalstaat ausgibt.
Doch der Widerstand, der jetzt durch die Erinnerung und das Beispiel von Sayyed Nasrallah verkörpert wird, lässt sich einfach nicht einschüchtern. Es ist kein Zufall, dass er in der gesamten arabischen Welt, den Ländern des Islam und der globalen Mehrheit verehrt wird und dies auch weiterhin tun wird.
Na und, wenn der Präsident und der Premierminister des Libanon nicht an der Trauerfeier am Sonntag teilnahmen? Sie sind bloße Marionetten. Was zählt, ist, was durch diese außerordentlich bewegende Trauerfeier besiegelt wurde: ‚Wir sind der Bund.‘ Der Schlachtruf des Widerstands wird einfach nicht ausgelöscht werden.
In seiner letzten Rede am 19. September 2024, einen Tag nach dem israelischen Terroranschlag auf die Pager und Walkie-Talkies der Hisbollah und nur acht Tage vor seiner Ermordung durch 85 amerikanische Ein-Tonnen-Bomben, legte Nasrallah die unausweichliche Zukunft praktisch dar:
‚Die Stunde der Abrechnung wird kommen, aber wir allein werden ihre Art, ihr Ausmaß, ihren Ort und ihre Ausführung bestimmen – im engsten möglichen Kreis. Denn wir befinden uns im Herzen des präzisesten, sensibelsten, tiefgreifendsten und entscheidendsten Kampfes.‘“ (24)
Quellen und Anmerkungen
Der Autor twittert zu tagesaktuellen Themen unter https://x.com/jochen_mitschka
[1] https://x.com/SuppressedNws/status/1894471446157799437
[2] https://www.uncaptured.media/p/did-israel-bomb-the-bibas-family
[3] https://www.jpost.com/israel-news/defense-news/article-844008
[4] https://electronicintifada.net/content/gaza-wastewater-crisis-threatens-palestinian-survival/50440
[5] Ebd.
[6] https://x.com/SuppressedNws/status/1894457581440991369
[7] https://x.com/winterviooltje/status/1894478067021529104
[8] https://x.com/brucknerianer/status/1895145785718702174
[9] https://x.com/dancohen3000/status/1894891814793908399
[10] https://www.trtworld.com/middle-east/freed-israeli-hostage-says-hamas-protected-them-during-israels-air-strikes-16374456
[11] https://x.com/pipfix/status/1895093883870290162
[12] https://x.com/SuppressedNws/status/1894842409076363424
[13] https://x.com/translatingpal/status/1895243756741275879
[14] https://x.com/jochen_mitschka/status/1895120222299836471
[15] https://x.com/SuppressedNws/status/1895112491153141907
[16] https://haaretz.com/opinion/2025-02-27/ty-article-opinion/.premium/when-the-third-intifada-breaks-out-dont-forget-that-israel-instigated-it-deliberately/00000195-4324-de32-ad9d-73b71f450000
[17] Ebd.
[18] Ebd.
[19] https://www.972mag.com/unrwa-lazzarini-israeli-ban/
[20] Ebd.
[21] https://www.rt.com/news/613445-icc-must-be-abolished/
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] https://thecradle.co/articles/the-funeral-that-sealed-hezbollahs-unbreakable-covenan
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Anas-Mohammed / shutterstock
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