Rechtliche Grundlagen, Einschränkungen und Auswirkungen auf den Alltag
Ein Kommentar von Janine Beicht.
Während Teil 1 gezeigt hat, welche juristischen Schalthebel im Verteidigungsfall umgelegt werden, richtet sich nun der Blick auf das, was dieser Ausnahmezustand im Innersten der Gesellschaft auslöst. Denn der Verteidigungsfall ist kein abstraktes Paragraphenspiel, sondern ein radikaler Eingriff in das soziale, wirtschaftliche und alltägliche Gefüge. Dort, wo heute Sozialstaat, Versorgungssicherheit, digitale Freiheit und öffentliches Leben selbstverständlich wirken, zieht der Notstand die Leitungen ab und ersetzt Normalität durch staatliche Steuerung.
Was im Frieden als fein austariertes soziales Netz erscheint, wird im Ernstfall zum Stresstest für die Schwächsten. Versorgung verwandelt sich in Rationierung, digitale Infrastruktur in ein priorisiertes Kommandoinstrument, Behörden in exekutive Machtzentren, während Soldaten im Innern operieren und Sicherheitspolitik jeden zivilen Standard sprengt. Die Lücken des Systems treten schonungslos zutage: Gesetzliche Grauzonen, organisatorische Überforderung und ein staatlicher Zugriff, der weit über das hinausgeht, was das Grundgesetz im Alltag erkennen lässt.
Teil 2 zeigt, wie der Verteidigungsfall nicht nur Strukturen verschiebt, sondern ganze Lebensbereiche kippt. Es ist der Blick auf ein Deutschland, das nicht zusammenbricht, sondern umschaltet.
Sozialsystem (Rente, Bürgergeld, Behinderte, Krankenversicherung)
Das Sozialnetz, das im Frieden schützt, könnte im Verteidigungsfall unter Druck geraten, doch Zahlungen stoppen nicht einfach automatisch.
Rechtliche Regelungen
Es gibt in den Notstandsartikeln keine explizite Regelung, die vorsieht, dass Rentenzahlungen, Bürgergeld oder Krankenversicherungsleistungen automatisch eingestellt werden, nur weil der Verteidigungsfall ausgerufen ist. Aber praktisch können andere Notstandsmaßnahmen (z. B. Einschränkungen bei Arbeitsverhältnissen) das Sozialsystem stark negativ beeinflussen: Wenn viele Menschen im Zwangsdienst arbeiten oder nicht mehr regulär arbeiten können, könnte es fiskalisch oder organisatorisch große Belastungen geben. Die öffentlichen Sozialleistungen sind so weit wie möglich auch im äußeren Notstand weiter zu gewähren. Ob spezielle Schutzmechanismen (z. B. bevorzugte Weiterzahlung von Sozialleistungen) bestehen, ist nicht eindeutig gesetzlich festgelegt im Rahmen der Notstandsartikel. Solche Fragen könnten politisch, administrativ oder per Sondergesetz geregelt werden, aber das Grundgesetz definiert nicht jeden einzelnen Aspekt.
Aber: Gesunde Bezieher von Hilfsgeldern (wie Bürgergeld) können im Verteidigungsfall oder in einer Spannungsphase zur Arbeit verpflichtet werden, wenn freiwillige Maßnahmen nicht ausreichen, um Personalengpässe in der Verteidigung oder Wirtschaft zu decken.
„Zur Deckung des angemeldeten Bedarfs sind zunächst alle Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung und des freien Arbeitsmarktes zu nutzen. Kann der Arbeitskräftebedarf dadurch nicht oder nicht rechtzeitig gedeckt werden, sind nach Anwendbarkeit des Arbeitssicherstellungsgesetzes staatliche Lenkungsmaßnahmen zulässig.“ Gesamtverteidigungsrichtlinien (RRGV) 32.1.4 | BMI Bund (1)
Dies priorisiert Unbeschäftigte, basierend auf dem Arbeitssicherstellungsgesetz.
Schutz vulnerabler Gruppen
Von besonderer Bedeutung ist dennoch die Existenzsicherung für bestimmte Fälle (z. B. Krankheit, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit, Sicherstellung von Wohnraum) sowie die Kriegsopferversorgung. Ob spezielle Schutzmechanismen (z. B. bevorzugte Weiterzahlung von Sozialleistungen) bestehen, ist nicht eindeutig gesetzlich festgelegt im Rahmen der Notstandsartikel. Solche Fragen könnten politisch, administrativ oder per Sondergesetz geregelt werden, aber das Grundgesetz definiert nicht jeden einzelnen Aspekt.
Behinderte oder kranke Personen sind in der Regel von Arbeitsverpflichtungen ausgenommen.
Praktische Auswirkungen
Für Vulnerable wie Menschen mit Behinderung könnte das bedeuten, dass Hilfen priorisiert werden, doch in der Praxis hängt es von finanziellen Ressourcen ab. Nach Vorliegen der hierzu zu erlassenden Rechtsvorschriften sind entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Realistisch ist, dass eine derartige Krisensituation zu Lücken führen wird, insbesondere wenn gesunde Bezieher von Sozialleistungen (z. B. Bürgergeld) zur Arbeit herangezogen werden, um den Personalbedarf zu decken. Dies erfolgt schrittweise und nur bei Notwendigkeit.
Sicherheit, Infrastruktur & Bunker
Sicherheit wird zur obersten Priorität, mit der Bundeswehr im Inland aktiv, um das Land zu schützen. Ein Szenario, das den Alltag militarisiert.
Rechtliche Kompetenzen
Im Verteidigungsfall hat der Staat erweiterte Kompetenz, zivile Objekte zu schützen (z. B. kritische Infrastruktur) durch die Bundeswehr. Gemäß Art. 87a GG: Im Notstand dürfen Streitkräfte auch im Inland eingesetzt werden, um zivile Objekte zu schützen. Landesregierungen oder bestimmte Behörden dürfen laut Art. 115i GG regional handeln, wenn Bundesorgane nicht schnell genug reagieren können. Bunkeranlagen / Zivilschutz: Es gibt keine detaillierte Regelung im Grundgesetz, die vorschreibt, wie viele Bunker die Bevölkerung nutzt oder wie die Bevorratung konkret aussieht, das ist eher Sache der Zivilschutzplanung, nicht direkt im Notstands-Teil des GG vollständig festgelegt.
Der Operationsplan Deutschland zur Sicherheit im Detail
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) bündelt die Landes- und Bündnisverteidigung mit zivilen Unterstützungsleistungen und soll die gesamtstaatliche Handlungsfähigkeit in Frieden, Krise und Krieg sicherstellen. Im Verteidigungsfall kann die Bundeswehr auch im Inland eingesetzt werden, um kritische Infrastruktur zu schützen. Zentrale Aufgabe ist die enge Abstimmung zwischen militärischen Kräften, zivilen Behörden und zivil-gewerblichen Partnern, um Truppenbewegungen, Versorgung und Schutzmaßnahmen effizient umzusetzen.
„Der OPLAN DEU soll sicherstellen, dass Deutschland im Krisen- oder Verteidigungsfall rasch und rechtssicher agieren kann. Zu den zentralen Zielen gehören laut OPLAN DEU:
- Sicherstellung der Einsatzbereitschaft und Verlegung deutscher Streitkräfte im Inland
- Koordination des Aufmarschs alliierter Truppen zur NATO-Ostflanke
- Reibungslose Einbindung ziviler Akteure und kritischer Infrastrukturen
- Steuerungsfähigkeit im föderalen System durch definierte Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten
- Verankerung militärischer Planung im gesamtstaatlichen Kontext
- Die Steuerbarkeit staatlichen Handelns im Ernstfall
- Den Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastrukturen
- Die Vorbereitung auf künftige sicherheitspolitische Lagen
Er ist die Grundlage für ein „funktionierendes Deutschland“ unter Extrembedingungen – und stellt sicher, dass militärische, staatliche und gesellschaftliche Kräfte gemeinsam handeln können.“ OPLAN DEU (2)
Deutschland fungiert als Drehscheibe für NATO-Truppen (3), die im Ernstfall rasch verlegt und logistisch versorgt werden müssen. Bevorratung und Bunkerschutz der Bevölkerung sind Aufgabe der Zivilschutzplanung nach dem Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) (4), während die Bundeswehr auf die Sicherung strategischer Infrastruktur fokussiert ist. Ziel des Plans ist eine schnelle, koordinierte Verteidigungsbereitschaft, die Bevölkerungsschutz, Abschreckung und Bündnisverpflichtungen gleichzeitig gewährleistet.
Praktische Auswirkungen
Praktisch wird dieser Fall zu Soldaten auf Straßen führen, die eher Kraftwerke oder wehrrelevante Anlagen schützen, während intakte Bunker knapp werden und die Bevölkerung auf Selbstschutz angewiesen ist.
Versorgung (Lebensmittel, Kleidung, Treibstoff)
Versorgung wird rationiert, um das Überleben zu sichern, was den bisherigen Luxus des Alltags in Notwendigkeiten umwandelt.
Rechtliche Grundlagen
Das Grundgesetz / die Notstandsartikel selbst regeln nicht im Detail, wie Lebensmittel, Kleidung oder Treibstoff verteilt werden, wenn der Verteidigungsfall eintritt. Aber: In einem realen Verteidigungsfall sind solche Versorgungsfragen extrem wichtig. Der Staat könnte über andere gesetzliche Maßnahmen (z. B. Rationieren, Produktion sicherstellen, Zwangsbeschlagnahmen) eingreifen, besonders wenn das Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen (5) in Kombination mit anderen Notgesetzen angewendet wird.
Spezifische Gesetze für Versorgung
Regelungen für einzelne Wirtschaftsbereiche. Neben den genannten Gesetzen gibt es noch weitere Regelungen für bestimmte Wirtschaftsbereiche. So greift bei akuter Störung oder Gefährdung der Energieversorgung das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) und zwar unabhängig vom Verteidigungsfall. Es erlaubt umfassende Eingriffe in Produktion, Verteilung, Lagerung und Preisbildung sämtlicher Energieträger. (6)
Für Betreiber kritischer Infrastrukturen nach BSI-KritisV (7) – etwa aus Energieversorgung, Finanz- und Versicherungswesen oder dem Gesundheitssektor, können weitergehende Eingriffe wie eine Treuhandverwaltung angeordnet werden. Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz (WiSiG) (8) erlaubt im Spannungs- oder Verteidigungsfall planwirtschaftliche Maßnahmen durch Verordnungen der Bundesregierung, etwa zur Produktionslenkung, Rohstoffverteilung oder Vorratshaltung.
Das Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz (ESVG) ermächtigt die Bundesregierung zur Feststellung einer Versorgungskrise. In der Folge können Maßnahmen zur Steuerung der Lebensmittelproduktion und -verteilung, einschließlich Zuteilungen („Lebensmittelmarken“), angeordnet werden. Das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen informiert darüber wie folgt
„Die staatlichen Vorsorgemaßnahmen umfassen […] staatliche Lebensmittelreserven für den Notfall. […] Die BLE lagert […] in der zivilen Notfallreserve Reis, Hülsenfrüchte und Kondensmilch sowie in der ‚Bundesreserve Getreide, Weizen, Roggen und Hafer. Bei Feststellung einer Versorgungskrise […] erlaubt das ESVG Maßnahmen zur Sicherstellung der Grundversorgung, darunter Anordnungen zum Bezug, zur Erfassung und zum Verteilen von Lebensmitteln sowie die Bevorratung durch Ernährungsunternehmen. Das wirksamste Mittel […] ist die dezentrale Vorratshaltung der Privathaushalte. Das BMEL empfiehlt […] einen Nahrungsvorrat für 10 bis 14 Tage […] aus Frischprodukten, Trockenvorräten, Konserven, Fertiggerichten, Tiefkühlware und Getränken.“ Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW (9)
Die Wasserversorgung muss im Fall einer Krise aufrechterhalten bleiben. Maßnahmen, die für die Sicherstellung von der Wasserversorgung- und -entsorgung erlassen werden können, regelt das Wassersicherstellungsgesetz (WasSiG) (10). So erlaubt es beispielsweise, Unternehmen zum Bau von Eigenbrunnen zu verpflichten. Die Vielzahl an Sicherstellungs- und Vorsorgegesetzen zeigt, wie breit und tiefgreifend der Staat im Krisen- oder Verteidigungsfall, aber auch bereits im Vorfeld, auf privatwirtschaftliche Ressourcen zugreifen kann.
Für Unternehmen bedeutet das, dass Vorsorge keine freiwillige Option ist, sondern vielmehr ein strategischer Bestandteil betrieblicher Anpassungsfähigkeit.
Unternehmen sollten deshalb klären, welche Gesetze im Krisenfall greifen würden. Auch die Vertragsgestaltung muss auf ihre Krisenfestigkeit überprüft werden, beispielsweise welche Konsequenzen die staatliche Inanspruchnahme auf die Lieferverpflichtungen hätte. Sinnvoll ist auch eine Dokumentation aller betrieblichen Ressourcen, die eventuell in einer Krisenlage eingefordert werden könnten. Im Ernstfall können Informationsabfragen zu Verfügbarkeiten und Kapazitäten recht kurzfristig eintreffen.
Praktische Auswirkungen
In der Praxis bedeutet das: Lebensmittelkarten, Kontingente für Kleidung und endlose Schlangen an Tankstellen. Der Alltag schrumpft auf das absolut Notwendige zusammen. Versorgung wird nicht mehr gekauft, sondern zugeteilt, und jede Fahrt, jede Mahlzeit, jeder Liter Treibstoff wird zum staatlich geregelten Gut.
Internet & Telekommunikation
Im Verteidigungsfall könnte die Nutzung von Internet- und Telekommunikationsdiensten reguliert oder priorisiert werden.
Rechtliche Grundlagen
Das Telekommunikationsgesetz (TKG § 184) (11) sieht vor, dass die Mindestversorgung mit Telekommunikationsdiensten auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall sichergestellt werden muss. Dabei können bestimmte Dienste und Nutzer, insbesondere kritische Infrastrukturen wie Behörden, Gesundheitswesen oder die Bundeswehr, bevorzugt versorgt werden, um die Funktionsfähigkeit wichtiger Kommunikationswege aufrechtzuerhalten.
"Die Vorschriften dieses Abschnitts sind anzuwenden zur Sicherung einer Mindestversorgung mit Telekommunikationsdiensten
1. bei unmittelbar bevorstehenden oder eingetretenen Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung,
2. bei unmittelbar bevorstehenden oder eingetretenen Beeinträchtigungen der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern oder Leistungen,
3. bei unmittelbar bevorstehenden oder eingetretenen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen,
4. im Spannungs- oder Verteidigungsfall." Bundesamt für Justiz (11)
Eine explizite Definition, was genau im Verteidigungsfall passiert (z. B. Drosselung, Sperrung einzelner Nutzer), liefert das TKG jedoch nicht.
Praktische Auswirkungen
Priorisierung bestimmter Kommunikationsdienste könnte dazu führen, dass private Internetverbindungen gedrosselt, gestört oder zeitweise eingeschränkt werden. Behörden, Militär und kritische Infrastrukturen würden bevorzugt versorgt. Private Nutzer könnten Einschränkungen der Datenverfügbarkeit, Netzüberlastungen oder gar temporäre Sperrungen erfahren. Damit verbunden wären auch mögliche Eingriffe in Kommunikationsfreiheit und digitale Privatsphäre.
Öffentliches Leben & Behörden
Das öffentliche Leben kommt nahezu zum Erliegen, während Behörden als zentrale Machtinstanz fungieren.
Erweiterte Befugnisse
Die Bundesregierung erhält im Verteidigungsfall deutlich erweiterte Kompetenzen: Gesetzgebungsverfahren können beschleunigt werden, Zuständigkeiten werden zentralisiert, und Notfallregelungen erlauben ein schnelles Handeln. Behörden können ihre Befugnisse ausweiten, etwa durch den Einsatz der Bundespolizei oder anderer Sicherheitskräfte zum Schutz kritischer Infrastrukturen und zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung (Art. 115f GG) (12).
Die Bundesregierung kann im Verteidigungsfalle, soweit es die Verhältnisse erfordern, den Bundesgrenzschutz im gesamten Bundesgebiete einsetzen; außer der Bundesverwaltung auch den Landesregierungen und, wenn sie es für dringlich erachtet, den Landesbehörden Weisungen erteilen und diese Befugnis auf von ihr zu bestimmende Mitglieder der Landesregierungen übertragen. Bundesministerium der Justiz (12)
Der Gemeinsame Ausschuss von Bundestag und Bundesrat kann notfalls als „Notparlament“ einspringen, wenn das reguläre Parlament handlungsunfähig ist, ein Mechanismus, der dem Staat erheblich erweiterte Machtbefugnisse verschafft. Durch die Möglichkeit, konkurrierende Gesetzgebung auch in vormals Ländersachen zu übernehmen (Art. 115c GG) (13), verschiebt sich die Machtbalance deutlich zugunsten der Exekutive. Gleichzeitig erlaubt dies vorübergehende Einschränkungen fundamentaler Grundrechte, wodurch die Regierung in Krisenzeiten nicht nur effizient, sondern faktisch autoritär agieren kann. Das Instrumentarium stärkt somit die zentrale Staatsautorität auf Kosten demokratischer Kontrolle und individueller Freiheit, eine geballte Konzentration von Macht unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung.
Praktische Auswirkungen
Für die Bevölkerung bedeutet dies geschlossene Schulen, eingeschränkte Mobilität und beschleunigte Verwaltungsabläufe. Beamte und Sicherheitskräfte agieren im Krisenmodus, während das gesellschaftliche Leben stark reglementiert wird. Kommunikation, öffentliche Dienstleistungen und alltägliche Freiheiten sind erheblich eingeschränkt, eine Gesellschaft im Ausnahmezustand, in der die staatliche Kontrolle und Ordnung Vorrang haben.
Kriminalitätsbekämpfung
Kriminalität könnte im Verteidigungsfall zunehmen, während der Staat versucht, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Sicherheitskräfte werden jedoch aufgerüstet, um Chaos, Plünderungen und gezielte Störungen der Versorgungsketten zu verhindern.
Rechtliche Grundlagen
Das Grundgesetz liefert keine detaillierten Regeln für die Verhinderung von Plünderungen oder Eigentumsdelikten in derartigen Ausnahmefällen. Die erweiterten Kompetenzen der Bundesregierung und der Sicherheitsbehörden, wie Polizei, Bundespolizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr, ermöglichen jedoch einen verstärkten und koordinierten Einsatz der Kräfte im Notstand. Die Bundeswehr kann im Rahmen solcher Szenarien unterstützend im Inneren eingesetzt werden, insbesondere zum Schutz kritischer Infrastruktur oder bei der Sicherung strategischer Punkte. (14)
„Damit der Staat auch im Verteidigungsfall funktionsfähig bleibt, werden Kompetenzen, Kontrollbefugnisse und Verfahren im Gewaltenteilungssystem verschoben. Die Exekutive wird insgesamt gestärkt.“ Deutscher Bundestag (15)
Selbst im Verteidigungs- oder Spannungsfall gelten verfassungsrechtliche Schranken. In der Praxis kann der Staat diese Schranken jedoch in akuten Krisensituationen faktisch erweitern oder zeitweise einschränken: Grundrechte können massiv beschränkt, temporäre Freiheitsentzüge, Kontrollen, Checkpoints und andere Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden. Selbst Rechte, die formal als „absolut“ gelten, wie die Menschenwürde, können in extremen Notständen in der praktischen Umsetzung beeinträchtigt sein. Gerichtliche Überprüfungen oder Sanktionen gegen Straftaten bestehen formal zwar, greifen in akuten Situationen jedoch häufig nur eingeschränkt.
Praktische Auswirkungen
Im Alltag würde dies zu verstärkter Polizeipräsenz, systematischen Kontrollen und der Absicherung kritischer Infrastruktur führen. Militärische Unterstützung durch die Bundeswehr könnte an strategischen Orten oder bei der Absicherung von Versorgungszentren sichtbar werden. Auch andere Behörden, wie der Katastrophenschutz oder kommunale Ordnungsämter, würden in die Sicherheitskoordination einbezogen.
Für die Bevölkerung bedeutet dies eine spürbare Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen. Auch an dieser Stelle: Eingeschränkte Bewegungsfreiheit in definierten Sperrzonen, verstärkte Kontrolle öffentlicher Räume, mögliche Ausgangsbeschränkungen und ein deutliches Gefühl des Ausnahmezustands. Gleichzeitig sollen diese Maßnahmen jedoch verhindern, dass Kriminalität und Chaos die staatliche Ordnung destabilisieren.
Gesundheitswesen & medizinische Versorgung
Das Gesundheitswesen wird im Verteidigungsfall zu einem strategischen Faktor: Medizinische Einrichtungen, Personal und Versorgungsgüter geraten unter enormen Druck, gleichzeitig steigen die Anforderungen dramatisch.
Rechtliche Grundlagen
Das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) (16) gibt den rechtlichen Rahmen vor, um im Verteidigungsfall gesundheitspolitische Notmaßnahmen durchzusetzen: Es soll die medizinische Versorgung sicherstellen, die Einsatzbereitschaft erhöhen, Sanitätsmaterial bevorraten und Erste-Hilfe-Ausbildung inklusive Pflegehilfskräfte fördern. Doch im aktuellen Zustand des deutschen Gesundheitssystems bleiben diese Versprechen oft leere Worthülsen.
Das Deutsche Ärzteblatt bestätigt diese Befürchtung: Eine aktuelle Studie des Institute for Health Care Business und des Deutschen Krankenhausinstituts im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt ernüchternde Ergebnisse.
„So geht die Bundeswehr dem Gutachten zufolge bei einem solchen Szenario von bis zu 1.000 Verwundeten pro Tag aus. Davon würden etwa knapp ein Viertel schwer-chirurgische Fälle sein (22 Prozent), die eine komplexe und längere Intensivbehandlung benötigen. Im Krisen- oder Kriegsfall wären die deutschen Krankenhäuser nur eingeschränkt krisen- und verteidigungsfähig.“ Deutsches Ärtzeblatt (17)
Vor diesem Hintergrund ist es mehr als wahrscheinlich, dass im Ernstfall auch das Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG) (18) zum Zug kommt. Es erlaubt, Arbeitsleistungen für die Verteidigung – etwa in der medizinischen Versorgung, auch zwangsweise sicherzustellen. Sowohl medizinisch ausgebildetes Personal als auch Zivilisten könnten dann verpflichtet werden, Dienste zu leisten, wenn freiwillige Helfer nicht ausreichen.
Praktische Auswirkungen
In der Praxis bedeutet dies für die Bevölkerung, dass eine Priorisierung lebenswichtiger medizinischer Leistungen, wie Intensivbetten, Beatmungsgeräte und essenzielle Medikamente, vorrangig für Kriegsopfer oder Verletzte eingesetzt werden, während planbare Operationen oder Routineuntersuchungen verschoben werden oder gänzlich ausfallen. Gleichzeitig könnten Lieferengpässe bei Medikamenten auftreten, insbesondere für chronisch Kranke, und das medizinische Personal stünde unter erheblicher Belastung durch lange Einsätze, psychosoziale Beanspruchung und Personalmangel.
Information & Medien
Formell besteht im Verteidigungsfall die Verpflichtung, die Bevölkerung informiert zu halten und grundlegende Informationsquellen aufrechtzuerhalten.
Rechtliche Grundlagen
Im Verteidigungsfall kann die Information der Bevölkerung und die Rolle der Medien zu einem zentralen Gegenstand staatlicher Steuerung werden. Medien können sowohl zur Koordination und Einheit der Bevölkerung als auch zur Kontrolle eingesetzt werden. Während das Grundgesetz und spezielle Gesetze wie das Artikel‑10‑Gesetz (G 10) (19) formale Schranken setzen, eröffnen die erweiterten exekutiven Befugnisse im Notstand der Staatsführung erhebliche Handlungsspielräume. Einschränkungen des Fernmeldegeheimnisses sind nur „auf Grund eines Gesetzes“ zulässig. Das G 10 stellt die gesetzliche Grundlage, während Kontrolle und Überwachung durch die G 10-Kommission (20) und das Parlamentarische Kontrollgremium erfolgen.
Medieninhalte könnten vorab geprüft oder gefiltert werden, insbesondere wenn es um militärische Informationen, Truppenbewegungen oder sicherheitsrelevante Themen geht. Regierungs- und Militärinformationen könnten stärker in den Vordergrund rücken, um ein einheitliches Lagebewusstsein zu erzeugen. Gleichzeitig erlaubt die gesetzliche Grundlage, Telekommunikation zu überwachen, um Sicherheitsrisiken frühzeitig zu erkennen. Bürger könnten dadurch erleben, dass ihre private Kommunikation stärker kontrolliert wird, was die Meinungsfreiheit und das Vertrauen in unabhängige Medien weiter belastet.
„Die G 10-Kommission entscheidet von Amts wegen als unabhängiges und an keine Weisungen gebundenes Organ über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes (Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst) durchgeführten Beschränkungsmaßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses.“ Bundestag (21)
Die Risiken sind dabei nicht zu unterschätzen. Die Macht zur Steuerung von Medieninhalten kann missbraucht werden, um oppositionelle Stimmen zu unterdrücken oder politisch unliebsame Informationen auszublenden.
Praktische Auswirkungen
Für die Bevölkerung könnte das bedeuten, dass unabhängige Medieninhalte eingeschränkt oder durch staatlich gelenkte Informationen ersetzt werden, um ein einheitliches Lagebewusstsein zu erzeugen. In der Praxis hängt viel von den vorhandenen Ressourcen und der Geschwindigkeit der Informationssteuerung ab. Realistisch ist, dass in einer Krisensituation die Wahrheit oft als Erstes auf der Strecke bleibt, während Propaganda, gezielte Desinformation und Intransparenz zunehmen. Kritische Berichte könnten verzögert, gefiltert oder ganz blockiert werden. Der Zugang zu verlässlichen Informationen wird damit ungleich und unsicher.
Schwachstellen & offene Fragen
Der Verteidigungsfall in Deutschland offenbart: Die Regelungen zum Staatsnotstand in Deutschland wirkten auf den ersten Blick wie ein Sicherheitsnetz, sie entpuppen sich bei genauerer Betrachtung aber als Flickenteppich aus Lücken, vagen Formulierungen und politischen Interpretationsspielräumen. Die Gesetze definieren, wann die Exekutive die Zügel in die Hand nehmen darf, geben aber kaum Hinweise darauf, wie der Alltag tatsächlich organisiert werden soll. Fragen wie „Wie viele Lebensmittelmarken pro Kopf?“ oder „Wie viele Menschen kommen in welchen Bunkern unter?“ bleiben offen. Auch die medizinische Grundversorgung ist im Detail nicht gesetzlich geregelt. Die Verantwortung wird damit de facto auf politische Entscheidungsträger verlagert, deren Entscheidungen oft ad hoc, uneinheitlich und politisch motiviert getroffen werden.
„Besonders der Bundeskanzler bekommt mehr Macht, indem die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte mit Verkündung des Verteidigungsfalls automatisch auf ihn übergeht (Art. 115b) (16). Außerdem gestattet es die Notstandsverfassung, Aufgaben des Gesetzgebers und der Verwaltung beim Bund zu konzentrieren (Art. 115c) (17)“ Deutscher Bundestag (15)
Besonders kritisch ist die Machtkonzentration auf die Exekutive: Mit Verkündung des Verteidigungsfalls gehen Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte automatisch auf den Bundeskanzler über (Art. 115b GG) (22). Außerdem erlaubt das Notstandsrecht, Aufgaben von Gesetzgeber und Verwaltung beim Bund zu bündeln (Art. 115c GG) (23). Historisch zeigt sich, dass Machtzentren in Krisen ihre Spielräume maximal ausschöpfen, oft auf Kosten der Schwächsten.
Die Detailarmut der Regelungen ist frappierend: Versorgung, Logistik, soziale Absicherung, alles hängt von zusätzlichen Notgesetzen, politischen Beschlüssen oder dem Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) (24) ab, dessen Inhalte größtenteils geheim sind. Diese Geheimhaltung verhindert nicht nur Transparenz, sondern schafft auch Abhängigkeiten: Wer außerhalb der Regierung sitzt, kann kaum prüfen, ob Maßnahmen angemessen oder überzogen sind.
Praktische Auswirkungen
Im Verteidigungsfall sind besonders Alte, Kranke, Behinderte und Sozialabhängige gefährdet, da Schutzmaßnahmen lückenhaft und abhängig von Behördeneffizienz sind. Alltag, Versorgung und Infrastruktur werden staatlich gesteuert, Lebensmittel, Treibstoff und medizinische Güter rationiert, Bunkerpläne bleiben unzureichend. Kommunikation kann überwacht oder gedrosselt werden, während Grundrechte eingeschränkt und Kompetenzen zentralisiert werden. Der Staat dominiert das gesellschaftliche Leben.
Politische Macht ohne Grenzen
Ein ausgerufener Verteidigungsfall ist keine abstrakte Bürokratie, sondern ein Machtinstrument mit Sprengkraft. Hinter dem Rechtsschutz lauert autoritäre Kontrolle. Vage Regeln und Geheimhaltungspraktiken wie im OPLAN DEU erlauben es, Bedrohungen zu inszenieren und Macht dauerhaft zu zentralisieren. Demokratie und Grundrechte stehen auf dem Spiel. Temporäre Maßnahmen von Rationierungen bis Zwangsdiensten werden zur Normalität, verschärfen soziale Spaltung und nutzen die Not der Menschen skrupellos aus, ohne echte Resilienz zu schaffen. Alles, was in Krisen wie Corona passierte, wirkt daneben harmlos. Ein echter Verteidigungsfall würde die Gesellschaft radikal umformen und die letzten Freiheiten für immer zerstören.
Hier der Link zum ersten Teil des Artikels: https://apolut.net/der-verteidigungsfall-in-deutschland-teil-1-von-janine-beicht/
Quellen und Anmerkungen
(2) https://oplan.de/coming-soon/was-ist-der-oplan-deu/
(4) https://www.gesetze-im-internet.de/zsg/__1.html
(5) https://www.gesetze-im-internet.de/asg/BJNR007870968.html
(7) https://www.gesetze-im-internet.de/bsi-kritisv/
(8) https://www.gesetze-im-internet.de/wisig_1965/BJNR009200965.html
(10) https://www.gesetze-im-internet.de/wassig/BJNR012250965.html
(11) https://www.gesetze-im-internet.de/tkg_2021/__184.html
(12) https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115f.html
(13) https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz#10a
(16) https://www.buzer.de/gesetz/2349/b6583.htm
(18) https://www.gesetze-im-internet.de/asg/BJNR007870968.html
(19) https://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/G_10-Gesetz_7._Dez_2011.pdf?utm_source=chatgpt.com
(20) https://www.gesetze-im-internet.de/g10_2001/__15.html
(21) https://www.bundestag.de/ausschuesse/weitere_gremien/g10-kommission
(22) https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115b.html
(23) https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115c.html
(24) https://oplan.de/
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Dank an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Militärische Person in Kommandozentrale
Bildquelle: KinoMasterskaya / shutterstock
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