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Der nackte Finanzminister von Nepal | Von Hermann Ploppa

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Standpunkte 20250913 apolut
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Berechtigte Soziale Proteste im Himalayastaat mutierten zu einer Orgie sinnloser Zerstörung. Ist das politische Vakuum der ideale Nährboden für einen Regime Change?

Ein Standpunkt von Hermann Ploppa.

Da spielten sich abstoßende Szenen ab. Ein sadistischer Mob trieb einen Mann mit Steinwürfen und Lattenschlägen durch die Straßen der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Die Hetzjagd kam an einer Mauer zum Stehen, unter der etwa acht Meter tiefer das Flussufer liegt. Mittlerweile hat der Pöbel dem armen Mann alle Kleider vom Leib gerissen. Der nackte Mann springt die Mauer herunter und versucht, durch den Fluss zu entkommen. Ihm folgt ein Lümmel, der ihn unablässig mit Schlägen traktiert <1>.

So endet vermutlich die Karriere des nepalesischen Finanzministers Bishnu Paudel. Seine Nacktheit ist sozusagen Sinnbild für das Vakuum, in das die politische Klasse Nepals fällt. Vielmehr: die politische Klasse Nepals ist das Vakuum, in das das bedauernswerte Land gerät. So wie das unbedarfte Kind in Hans Christian Andersens Märchen mit der lapidaren Feststellung, der Kaiser sei ja nackt, die Macht und Aura eben dieses Monarchen zum Platzen brachte, so lässt die entfesselte Jugend Nepals ihre politische Klasse in Heißluft verdampfen und nackt baden gehen. Der Mob stürmte zudem die Häuser der Politiker, brannte alles nieder was zu greifen war, und brachte sogar die Frau eines ehemaligen Regierungschefs mal eben so um ihr luxuriöses Leben. Öffentliche Regierungsgebäude gingen in Flammen auf. Als der Mob sich auch noch an dem heiligen Tempel von Pashupatinath vergehen will, wo die Hindus ihre Toten rituell verbrennen und die Asche dem Fluss überantworten, da greift endlich das Militär ein. Das Militär ist in dieser Situation die einzige Institution, die den Zusammenbruch Nepals noch aufhalten kann.

Und die Militärführer agieren mit Fingerspitzengefühl. Sie richten nicht ihrerseits ein Blutbad an. Sondern sie bitten Sprecher der Protestbewegung zum Gespräch, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Die Sprecher der Bewegung der Generation Z, so nennen sie sich, distanzieren sich energisch von den blutrünstigen Randalierern. Die Bewegung sei von „Opportunisten“ gekapert worden. Das Militär verhängt sehr milde Ausgangssperren und beschränkt sich darauf, besonders empfindliche Stellen zu kontrollieren. Die jungen Protestierer holen Besen und Schaufeln herbei und räumen den Schutt weg, den die Provokateure hinterlassen haben <2>.

Wie kam es zu den Protesten der „Generation Z“?

Der Name „Generation Z“ ist gewiss nicht aus dem Schnee des Himalaya geschmolzen. Ich hatte vor kurzem erst über diese „Betrogene Generation“ geschrieben <3>. Es geht um die Generation der heute Fünfzehn- bis Dreißigjährigen. Eine Generation, die schlechte Karten hat. Aber in einem armen Land wie Nepal heißt das im Klartext: Arbeitslosigkeit und Auswanderung. Es gibt in dem kleinen Land, das ungefähr vierzig Prozent des Territoriums Deutschlands ausmacht, keine nennenswerte Industrie und außer im Tourismus kaum Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich. Man schlägt sich mehr schlecht als recht durch als Straßenhändler.

So kommt es schon seit Jahren immer wieder zum Schlagabtausch zwischen Horden von jungen Leuten und der Polizei. Im letzten Jahr wäre das Fass beinahe schon einmal übergelaufen.

Der Tropfen, der das Fass nun endgültig zum Überlaufen brachte, war eher banal. Die nepalesische Regierung hatte von sogenannten Sozialen Netzwerken verlangt, dass sie bis zum 3. September mit ihrer Unterschrift Bedingungen für den weiteren Betrieb zustimmt. Facebook und Co sollten einen lokalen Ansprechpartner benennen und eine nationale Beschwerdemöglichkeit eröffnen. Das war nicht einmal auf dem Mist der Regierung gewachsen, sondern war Beschluss des Obersten Gerichtshofs von Nepal aus dem Jahre 2023. Während TikTok und einige andere Unternehmen unterschrieben, ließen die Großen der Branche wie Facebook den Termin ohne Unterschrift verstreichen. Woraufhin diese Netzwerke sofort geschlossen wurden.

Aus unserer Sicht erscheint es ein wenig albern, deswegen einen Aufstand zu beginnen. Wir vergessen dabei aber, dass hunderttausende Nepalesen als Arbeitsmigranten jahrelang im Ausland leben, und die billigen Netzwerke von Facebook und Co die einzige Verbindung zur Familie und zu Freunden in der Heimat darstellen. Das hatte wohl auch die Regierung nicht so richtig auf dem Schirm. Als die Revolte aufflammte, knickte die Regierung erschrocken ein und hob den Bann gegen die Netzwerke wieder auf. Nun war aber der Geist nicht mehr in die Flasche zurückzupressen.

Denn jetzt tat sich noch eine weitere Wunde in der Seele der jungen Leute auf. Denn sie sahen auf Facebook, wie die Söhne der Politiker und Obersten Richter in Saus und Braus leben – und damit auch noch auf Facebook angeben. Die armen Nepalesen in Flip-Flops statt Schuhen und abgerissenen Jeans mussten hier mit ansehen, wie sich die verwöhnten Schnösel in teuren Hotels und Luxusressorts herumflegeln. Wie sie aus teuren Mercedes und BMWs grinsen. Schnell war ein Name für diese parasitären Lümmel gefunden: „Nepo-Kids“. Kinder des Nepotismus, also der ungenierten Vetternwirtschaft. Es ist zu vermuten, dass die Politiker und Obersten Richter es nicht gerne sahen, dass ihre feisten Söhne und Töchter zur Zielscheibe des Volkszorns wurden. Von daher kann man dann doch ganz gut verstehen, dass genau diese albernen asozialen Netzwerke zum nationalen Zankapfel werden konnten.

Idealer Nährboden für den globalistischen Regime-Change-Wanderzirkus

Wenn man sich jetzt die Videos von den Ausschreitungen in Kathmandu genauer anschaut, dann ist gut zu sehen, dass hier Kräfte am Werk sind, die nicht unbedingt etwas zu suchen haben in dieser Protestbewegung. Man sieht weiße Männer und Frauen mitten im Getümmel, mit Handys. Leute, die erkennbar keine abenteuerlustigen Traveller aus USA, Europa oder Australien sind <4>. Aber auch Leute mit nepalesischem Aussehen. Sie fallen auf durch die Entschlossenheit, mit der sie Zäune zu Regierungsvierteln einreißen. Wie sie die Masse anheizen und als Straßenhelden auf Trümmern posieren <5>. Die erstaunlich schnell Brandsätze zur Hand haben.

Für manche Beobachter von außen ist an dieser Stelle eigentlich schon alles klar: „Das war wieder dieser George Soros!“ Ja, richtig. Die Open Society Foundation ist auch mit etwa zweieinhalb Millionen Dollar in Nepal engagiert <6>. Und natürlich hinterlässt auch das National Endowment for Democracy seinen Fußabruck. Carnegie und alle üblichen Verdächtigen mischen auf die eine oder andere Weise mit.

Die Frage ist aber doch: warum gelingt der Durchmarsch dieses globalistischen Regime-Change-Wanderzirkus überall auch nach Jahrzehnten immer noch so reibungslos? Schauen wir uns als Beispiel mal Nepal an. Länder wie Nepal sind den transatlantischen Netzwerkern nämlich in keiner Weise gewachsen. Es gibt sozusagen kein Serum gegen die US-kapitalistische Infektion. Nepal ist nämlich kein gewachsener Nationalstaat. Nepal ist ein Gefäß für etwa einhundert verschiedene Ethnien und Sprachen. Um das noch weiter zu verkomplizieren, kommt noch das aus Indien wohl bekannte Kastenwesen hinzu. Ob man privilegierter Brahmane ist oder unberührbarer Dalit: das ist im Vorhinein durch Dein Karma bestimmt. Daran ist in diesem Leben nichts zu deuteln. Jeder hat seinen Platz. Aber es gibt eben keinen Zusammenhalt für das Große Ganze. Nepal wurde lange Zeit nur durch die Monarchie zusammengehalten. Als der letzte angesehene König Birendra Anfang der 1980er Jahre von seinem Bruder umgebracht wurde, verlor auch diese Instanz ihre Legitimität. Nach einem aufreibenden Bürgerkrieg einigte man sich im Jahre 2008 endlich auf eine republikanische Verfassung. Die im Bürgerkrieg erstarkten Maoisten waren jetzt lange Zeit mächtigste Kraft im parlamentarischen System.

Ich war selber im November 2013 in Nepal. Gerade zu der Zeit wurde eine Verfassunggebende Versammlung gewählt. Zur Auswahl standen die Maoisten, deren Glanz zu der Zeit schon deutlich am Verblassen war. Zudem eine kommunistische Partei. Sowie eine der indischen Bruderpartei nachgebildete Kongresspartei, vom Zuschnitt eher konservativ-liberal. Es war weder mir noch sonst irgend jemandem ersichtlich, was hier an den nepalesischen Maoisten eigentlich an Mao erinnerte, oder was hier irgendwie kommunistisch sein sollte. Die Parteien leierten ihre Kampagnen als Spektakel ohne Inhalte herunter. Junge Spargels rasten mit Parteifahnen auf ihren Mopeds durch Kathmandu. Einheimische sagten mir, dass das gar nichts zu bedeuten hat. Die Jungs kriegen von einer Partei eine Tankfüllung geschenkt und knattern als Gegenleistung einmal durch die engen Gassen.

Auch auf dem Weg durch die nepalesische Provinz war nicht erkennbar, was die politische Elite in Kathmandu eigentlich für ihre Bevölkerung geleistet hat. Sicher, die Kinder gehen zur Schule, und werden auch mit Bussen dorthin gefahren. Eine medizinische Grundversorgung gibt es auch. Was es nicht gab und gibt, ist eine vorausschauende Infrastrukturplanung. Viel Geld versickert irgendwo. Und landet niemals dort, wo es hin gehört. Wir trafen deutsche Unternehmer aus dem Mittelstand, die auf eigene Initiative Schulen mit Unterrichtsmaterialien versorgen und das nicht irgendwelchen NGOs überlassen, die ihrerseits einen erklecklichen Teil der Spendengelder für sich abzweigen. Solche privaten Initiativen fungieren überall als Lückenbüßer für versickerte öffentliche Gelder. Wir trafen einen nepalesischen Hotelier aus der Kaste der Unberührbaren, der zum Ärger der Brahmanen jetzt reicher ist als sie. Und der sich an der Finanzierung eines Cafés beteiligt, in dem ausschließlich Taubstumme arbeiten. Es gibt ansonsten wenig Schutz und Betätigung für sozial Schwache in Nepal. Schutz und soziale Absicherung muss die Familie leisten. Es ist geradezu lebensgefährlich, keine Familie zu haben.

Und jetzt haben wir also die Situation, dass jeden Tag zweitausend junge Menschen Nepal verlassen, um entweder in den arabischen Scheichtümern zu arbeiten oder in Malaysia. Gerade in den Scheichtümern knechten die Nepalesen zu Hungerlöhnen, kaserniert und rechtlos <7>. Junge Frauen werden vielleicht mit Arbeit angelockt, um dann im Sexgewerbe zu landen. Die nepalesische Gesellschaft hängt am Tropf dieser Arbeitsmigranten. Die Migranten überweisen pro Jahr zwanzig Milliarden Dollar an ihre Lieben zu Hause – das ist sage und schreibe ein Drittel des nepalesischen Bruttosozialprodukts. Und die jetzt entkleidete Politikerkaste hat die ganze Zeit nicht einmal ernsthaft versucht, das Los ihrer Wähler zu bessern.

Zum Schluss noch ein bisschen Geopolitik

Kommen wir also noch mal zu der Frage: Welche ausländische Macht könnte ein Interesse an einem Regime Change in Nepal haben?

Da schauen wir natürlich alle geradezu instinktiv nach Washington. Ja, richtig ist: wir sehen bei den aktuellen Demonstrationen immer wieder Symbole und Rituale, die zeitgleich auch gerade in Indonesien zu sehen sind. Es tauchen professionell gefertigte, sauber laminierte Plakate auf mit Codes, die man auf sein Handy laden kann. Keine Frage: es gibt gute Gründe für die geopolitischen Strategen der USA, gerade jetzt in Nepal zuzuschlagen. Da hat US-Präsident Donald Trump neulich Indien mit seinen utopischen Zollforderungen so massiv vor den Kopf gestoßen, dass Indiens Präsident Modi gleich nach Peking aufgebrochen ist, um sich mit der Volksrepublik zu verbünden. Und sofort haben Indien und China verabredet, die Handelskorridore in beide Richtungen weit zu öffnen. Unter anderem auch den Lipulekh Pass im Dreiländer-Eck mit Indien, China und Nepal. Und da kam der damalige nepalesische Regierungschef Khadga Prasad Sharma Oli auf die bekloppte Idee zu behaupten, der Pass gehöre nicht Indien, sondern Nepal. Von daher ist Indien jetzt alles andere als unglücklich, dass Nepals Premier Oli wegen der Proteste zurücktreten musste <8>. Indien könnte jetzt eventuell aus dem politischen Vakuum Nutzen ziehen. Denn Oli war schon in Beijing, aber noch nicht in Indien. Oli und Xi Jinping hatten dagegen bereits über einen Tunnel durch den Himalaya gesprochen, der Nepal mit China verbinden soll.

Damit wäre Nepal auch an die Neuen Seidenstraße angebunden. Das gefällt natürlich den Amerikanern wieder nicht. Deswegen haben sie vor einem Jahr der nepalesischen Regierung 500 Millionen US-Dollar spendiert für Infrastruktur <9>. Wäre also keine schlechte Investition in Regime Change, um diese Gelder jetzt wirkungsvoll einzusetzen. China wiederum hält sich vornehm diplomatisch zurück und fordert alle Kontrahenten in Nepal auf, sich wieder zu vertragen. Hinter den Kulissen werden die Chinesen wohl nicht begeistert sein über den Sturz ihres Gewährsmannes Oli.

Also können wir abschließend feststellen: es ist noch nicht klar, welche ausländische Macht von den Ereignissen in Nepal profitieren wird. Es bleibt zu hoffen, dass das Militär seinen maßvollen Kurs beibehält und die Kontrolle des Landes möglichst bald an zivile Kräfte zurückgibt.

Dann muss aber unbedingt eine langfristige Planung her, wie man die Millionen von Arbeitsmigranten sinnvoll wieder ins Land zurückholt. Und die arme Bevölkerung muss endlich an diesen Planungen beteiligt werden. Die Betrogene Generation muss das Ruder in die Hand nehmen. Vielleicht kann jetzt die Bevölkerung von Nepal endlich zu einer echten Nation zusammenwachsen.

Quellen und Anmerkungen

<1> https://www.youtube.com/watch?v=sRCtKgs1Gc8

<2> https://www.youtube.com/watch?v=_b1t5qXTZk4

<3> https://apolut.net/die-betrogene-generation-von-hermann-ploppa/

<4> https://www.youtube.com/watch?v=RghEkP4hy7s

<5> https://www.youtube.com/watch?v=IyxSqeFrlp0

<6> https://www.opensocietyfoundations.org/newsroom/open-society-foundations-nepal

<7> https://www.deutschlandfunk.de/arbeitsmigranten-aus-nepal-schulden-machen-um-zu-ueberleben-100.html

<8> https://timesofindia.indiatimes.com/india/pm-modi-appeals-for-peace-as-india-treads-cautiously-on-nepal-crisis/articleshow/123791987.cms

<9> https://www.onvista.de/news/chinas-aussenminister-in-nepal-neue-seidenstrasse-kommt-kaum-voran-529805537

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Proteste in Kathmandu (Nepal) von Anfang September 2025
Bildquelle: AP Tolang / shutterstock


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