Ein Standpunkt von Patrick Münch.
Auf parlamentarischem Weg trachtet die Klasse der Besitzenden danach, jedes Streben nach Überwindung des Eigentumsungleichgewichts im Keim zu ersticken.
„Das BfV hat daher den Phänomenbereich ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘ eingerichtet. Die diesem Phänomenbereich zugeordneten Akteure zielen darauf ab, das Vertrauen in das staatliche System zu erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen.“ So steht es zu lesen auf der Seite des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Der Leser ist verblüfft. Es entsteht der Eindruck, dass die bestehenden Verhältnisse vor progressiven Handlungsalternativen geschützt werden sollen. Das Ziel einer progressiven Politik kann aber nur sein, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Dazu ist es notwendig, diese Verhältnisse zu erkennen, so wie sie wirklich sind. Dafür brauchen wir die ständige theoretische Analyse. Aus der theoretischen Erkenntnis leiten wir dann die Praxis ab. Um in diesem Sinne handlungsfähig zu werden, benötigen wir eine klare Strategie und auf dem Wege jeweils die richtige Taktik.
Klassengesellschaft
Die Analyse ergibt, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, und des Weiteren, dass vonseiten der Eigentümer der großen Vermögen ein brutaler Klassenkampf geführt wird gegen alle diejenigen, die in der Weltgesellschaft über keine Privilegien verfügen, also die Mehrheit aller Menschen.
Die Mittel der Herrschaft sind im globalen Norden der bürgerlich verfasste Nationalstaat und seine Regierungsform des Parlamentarismus, welche zum Zweck hat, die Interessen der besitzenden Minderheit gegen die legitimen Ansprüche der Mehrheit zu verteidigen, und in anderen Teilen der Welt die nackte Gewalt.
Das doktrinäre System im Parlamentarismus
Wir wurden im doktrinären System dazu erzogen, in unserem Denken immer sorgsam abzuwägen. Schließlich, so brachte man uns bei, gibt es ja zu jeder Meinung eine Gegenmeinung. Nach einer vernünftigen Diskussion findet man dann einen Kompromiss. In einem solchen Denkmuster kann es keine Ausbeutung geben, sondern vielmehr eine Sozialpartnerschaft.
Auch kann man nicht sagen, dass mächtige Staaten andere überfallen und unterdrücken, das heißt humanitäre Intervention. Genauso wenig kann man deutlich machen, dass die Folgen unseres Wirtschaftens die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstören.
Eine solche Aussage zu treffen heißt, den doktrinären Rahmen zu sprengen, und darauf steht die Strafe des Ausschlusses aus dem Kreis der Vernünftigen, die immer zu einem ausgewogenen Urteil finden.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist verknüpft mit einem Regierungssystem, das auf parlamentarischer Basis die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit absichert.
Durch ein ausgeklügeltes System der Gewaltenteilung ist es den Herrschenden in einer Demokratie ohne Anwendung von Gewalt möglich, die Mehrheit der Bevölkerung zu kontrollieren und sicherzustellen, dass wichtige Institutionen immer mit dem eigenen Dienstpersonal besetzt werden. Damit ist der Parlamentarismus strukturell antidemokratisch <1>. Um die Illusion einer gerechten Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, ist allerdings ein ausgefeiltes Indoktrinationssystem nötig.
Bevölkerungskontrolle
Die Kontrolle der Bevölkerung erfolgt in unserer westlichen Gesellschaft durch die Manipulation des Denkens. Über die Kanäle der Massenmedien werden Meinungen erzeugt, um politische Entscheidungen zustimmungsfähig zu machen. Das Bildungssystem hat die Aufgabe, den Lernenden zu vermitteln, dass die bestehenden Verhältnisse vernünftig und richtig sind und dass es falsch ist, sie verändern zu wollen.
Diese Art zu denken ist tief eingeschrieben in die geistige Kultur unserer Gesellschaft und dient dem Zweck, das bestehende Gesellschaftsmodell zu rechtfertigen. Eine Änderung der Verhältnisse beginnt also mit einer Änderung des Denkens: Kritisches Denken und die Reflexion der Verhältnisse sind notwendig zur geistigen Selbstermächtigung.
Institutionen der Macht
Die Institutionen der Macht sind in ihrem Wesen so strukturiert, dass die Mehrheit von allen wesentlichen Entscheidungen ausgeschlossen ist. Nur eine kleine Gruppe, die über Wissen und Informationen verfügt, trifft Entscheidungen. Vorrangig müssen dabei die Interessen der Machteliten, der Eigentümer der großen Vermögen, gewahrt werden.
Alle Politik hat in diesem Sinne das Ziel, die Interessen dieser Geldmacht <2> gegen die Ansprüche der Mehrheit durchzusetzen. Das wichtigste Mittel dazu ist der Ausschluss dieser Mehrheit von allen wesentlichen Entscheidungen. Massenmedien und Parlamentarismus haben in diesem Zusammenhang die Aufgabe, den Menschen vorzutäuschen, dass die politischen Akteure in ihrem Handeln das Wohl der Allgemeinheit anstreben.
Die Parteien und die darin agierenden Berufspolitiker erfüllen in diesem System die wichtige Funktion, die Illusion einer Beteiligung der Mehrheit an Entscheidungen zu erschaffen und aufrechtzuerhalten. In Wahrheit ist das System aber darauf ausgerichtet, dass die Mehrheit von allen Entscheidungen ausgeschlossen ist.
Damit dies nicht auffällt, vollführt die Politikerkaste täglich eine Art Theaterstück, in welchem eine Scheinwirklichkeit immer wieder von Neuem geschaffen und gefestigt wird. Die Menschen bekommen so den Eindruck, dass Politiker tatsächlich zum Wohle der Gesellschaft aktiv seien.
Alternativen
Es gilt deshalb, jede Legitimität anzuzweifeln und sie, wenn sie in Wahrheit Herrschaft ist, zu de-legitimieren. Denn die Ordnung beruht eben darauf, dass der Rahmen des Handelns — und des Denkens — nicht verlassen wird. Alles soll akzeptiert werden. Es kommt also darauf an, die Fähigkeit zu entwickeln und auszuprägen, hierarchische Verhältnisse zwischen Menschen, also alle Macht- und Herrschaftsverhältnisse, grundsätzlich infrage zu stellen.
Die Änderung der Eigentumsverhältnisse muss das zentrale politische Fernziel sein. Um dieses zu erreichen, brauchen wir revolutionäre Realpolitik. Das heißt, im taktischen Nahziel ist immer auch schon das strategische Fernziel enthalten.
Diese politische Richtung kann man im besten Sinne als radikal links bezeichnen, denn sie geht die Dinge von der Wurzel her an.
Um es mit Frigga Haug zu sagen: „Gerechtigkeit ist eines, wonach uns verlangt, dafür braucht es Solidarität, und das Höchste ist Glück, dafür brauchen wir Liebe.“
Liebe zum Menschen, zum Leben, zum Lebendigen ist die höchste Priorität. Alles Handeln und im Voraus alles Denken muss also dahin gerichtet sein, wie das Wachstum und die Entwicklung des Lebens, des Menschen, des Lebendigen an sich gefördert werden kann. Anders formuliert: Es gilt, alle Hindernisse, alle Barrieren zu beseitigen, die der vollen Entfaltungsmöglichkeit des Lebendigen, der Vielfalt, der Liebesfähigkeit, den Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen, der noch unfertig ist, im Wege stehen.
Leben ist zu verstehen als organischer Prozess, als Entwicklung, in welcher das Individuum sowohl aktiv handelt, also die Entwicklung beeinflusst, als auch durch diese Entwicklung beeinflusst und geformt wird. Das Individuum befindet sich also im Wechselverhältnis von aktivem Gestalten seiner Umwelt und passivem Gestaltetwerden durch diese Umwelt. Alles Leben ist ein nie unterbrochener, immer fließender dialektischer Prozess, in welchem Werden und Vergehen ineinander verschmelzen.
Konsequenzen
In der Friedensbewegung muss verstanden werden, dass ein friedliches Miteinander aller Menschen nicht vereinbar ist mit einem Wirtschaftssystem, welches grundlegend auf Ausbeutung, Gewalt, Dominanz und Herrschaft beruht. Eine friedliche Welt ist im Kapitalismus logisch nicht möglich; sie setzt vielmehr eine Überwindung des Kapitalismus voraus. Dasselbe gilt für die Umweltbewegung. Eine Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist im kapitalistischen System nicht erreichbar, denn sie widerspricht der Logik des Systems. Eine ökologische Katastrophe ist nur dann noch zu verhindern, wenn jetzt und heute anders produziert wird.
Die beiden größten Herausforderungen, eigentlich Bedrohungen <3>, für die Menschheit sind die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und die drohende Vernichtung durch einen Atomkrieg. Beide Bedrohungen hängen zusammen mit den wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnissen, also der modernen Form des Monopolkapitalismus in einem Weltsystem der Nationalstaaten.
Ein solidarisches Zusammenleben der Menschen im Einklang mit der Natur ist in unserer Welt dann möglich, wenn wir die Begrenzungen des Nationalstaates in einer besseren, freiheitlichen Form des Zusammenlebens überwinden und eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform errichten, in der das hergestellt wird, was wir zu einem guten Leben brauchen.
Quellen
<1> https://www.manova.news/artikel/strukturelle-antidemokratie <2> https://qpress.de/wp-content/uploads/2011/05/Krysmanski-Herrschaftsstrukturforschung.pdf <3>https://www.manova.news/artikel/zeit-der-katastrophen
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 19. Juli 2023 bei manova.news
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Bildquelle: ra2 studio / shutterstock
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