Zwischen marktradikal und nationalkonservativ

Von Brigitta Schmidt.

»Leitkultur« mit Deutschtümelei und Millionärs-Sponsoring: Mit ihrem am Wochenende verabschiedeten Grundsatzprogramm betreibt die AfD vor allem Politik für Reiche.

Teile der deutschen politischen Klasse haben offensichtlich großes Interesse am Pushen der AfD. Das zeigte unter anderem die ganztägige Liveberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Senders »phoenix« vom Parteitag, auf dem die AfD am Wochenende in Stuttgart ihr Grundsatzprogramm verabschiedete. Heraus kam dabei eine schizophrene Mischung: Neben neoliberalen Forderungen, etwa nach Steuersenkungen, wodurch die Reichen weiter gemästet würden, und striktem Abbau diverser Umweltstandards, prangen nun sogar »sozialdemokratische« Anliegen im brandneuen Programm. Christlich-fundamentalistisch wird die Partei beim Beschränkungswillen anderer Glaubensrichtungen, vor allem des Islam, und Gebärwünschen an die deutsche Frau.

Flügelkämpfe: Ausgewählte Migranten als Billigarbeiter?

Deutlich zeigte der Parteitag die Widersprüche und das ideologische Gerangel zwischen drei Flügeln: Den Marktradikalen, den Nationalkonservativen und der rechtsaußen angesiedelten »Patriotischen Plattform«. Knapp 52 Prozent der rund 2.000 Teilnehmer stimmten für die Auflösung des saarländischen AfD-Verbandes, 42 Prozent waren dagegen, der Rest enthielt sich. Der Bundesverband hatte Landesfunktionären aus dem Saarland Kontakte ins und Mitmischen im rechtsextremen Milieu vorgeworfen. Das Bundesschiedsgericht der Partei will die Auflösung dennoch »aufschieben«, wie AfD-Vorstandsmitglied Dirk Driesang erklärte.

Auch bei der Einwanderung waren die Fronten erkennbar: Nachdem der Parteitag am Samstag zunächst festgehalten hatte, »Zuwanderung aus fremden Kulturbereichen« sei »grundsätzlich problematisch« und somit »weitgehend abzulehnen«, wurden am zweiten Tag Stimmen aus dem Wirtschaftsflügel laut, die für das »kanadische Einwanderungsmodell« plädierten. Heißt: Ausgebildete Fachkräfte dürften bleiben, der Rest wird ausgewiesen. Oder kürzer: Leistungsfähige Flüchtlinge sind zum Ausbeuten gut, andere nichts wert. Letztlich kam die zweite Variante mit 59 Prozent Zustimmung durch. Für das faktische »Ausländer raus« stimmten 40 Prozent.

Turbulent ging es bei der Islamdebatte zu: Die Mehrheit votierte dafür, dass diese Religion in keiner Form zu Deutschland gehöre. Gemäßigtere Teilnehmer, die für mehr Dialog mit muslimischen Verbänden plädiert und mindestens den Zusatz »politischer« Islam verlangt hatten, wurden mit Schmährufen und Pfiffen bedacht.

Ein Hauch »Sozialdemokratie« für die Unterschicht

Unerwarteter Weise hatte die AfD bei den Landtagswahlen im März besonders viele Stimmen bei den Ärmeren, vor allem Männern, abgegriffen [1]. Laut Umfrage der Meinungsforscher des Instituts »infratest dimap« wählten zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, wo die Partei mit gut 24 Prozent der Stimmen 25 Mandate einheimste, 37 Prozent der Arbeiter und 38 Prozent der Erwerbslosen die AfD. Folgerichtig schwenkte der Brandenburgische AfD-Chef Alexander Gauland (ehemals CDU) um: Man müsse den »Menschen am unteren Ende der sozialen Skala« das Gefühl geben, einen »fairen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand« zu haben [2]. So strich die Partei flugs Forderungen etwa nach einer Privatisierung der Arbeitslosen- und Unfallversicherung aus ihrem Programmentwurf. »Ein Arbeitsgesetz« und Mindestlohn fanden hingegen Einzug ins Programm. Wie hoch der Mindestlohn sein soll – er könnte auch drei Euro pro Stunde betragen – wird ebenso wenig ausgeführt, wie konkrete Punkte im AfD-»Arbeitsgesetz«.

Dass die AfD Hartz IV abschaffen wolle, wie aus dem Hause Springer am Wochenende kundgetan wurde [3], kann man getrost unter Grimms Märchensammlung verbuchen. Sie will diese Leistung laut beschlossenem Programm lediglich umtaufen in »aktivierende Grundsicherung«, bei welcher »der staatliche Unterstützungsbetrag mit wachsendem Einkommen immer weiter abschmilzt, bis ab einem bestimmten Einkommen Einkommensteuer zu entrichten ist«. Die Grundsicherung nach AfD-Willen solle nicht ganz auf den Verdienst angerechnet werden. Durch den verbleibenden Mehrbetrag entstehe »Arbeitsanreiz«, heißt es im bekannten CDU/CSU/SPD-Jargon. Einen anrechnungsfreien Freibetrag von 100 Euro und 20 Prozent von darüber hinausgehenden Einkünften gibt es bereits jetzt. Als »Aktivierungsinstrument« dient zudem die Hartz-IV-Sanktionspraxis. Hierzu heißt es schlicht: »Wer arbeitet, wird auf jeden Fall mehr zur Verfügung haben, als derjenige, der nicht arbeitet.« Und: Missbrauchsmöglichkeiten seien auszuschließen.

Volksentscheide und weniger Umverteilung

Am meisten spielt der AfD der fehlende demokratische Charakter unseres kapitalistischen Systems – die Reichen bestimmen, wo es langgeht – in die Hände. So bedient die Partei den Daueraufreger GEZ-Gebühr. Fast alle dürften, wie es die AfD propagiert, für deren Abschaffung sein. Gleichsam will sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk privatisieren. Ob dies das »Gelbe vom Ei« wäre, ist allerdings fraglich. Schon heute bestimmen steinreiche, von Profitinteressen geleitete Verlagshäuser – als Beispiele seien hier nur Springer und Bauer genannt – die Linie der Berichterstattung.

Gerade diesen Konzernherren verspricht die AfD hübsche Geschenke. So will sie die Erbschaftssteuer – man bedenke, dass Milliardenvermögen heute in der Regel ererbt und nicht erwirtschaftet werden – abschaffen. Von Vermögens- und Gewerbesteuer hält sie auch nichts. Das damit gesungene Hohelied auf die Konzentration des Kapitals in wenigen Händen steht im krassen Widerspruch zu weiteren, schön klingenden Forderungen, etwa nach Eindämmung des politischen Lobbyismus oder nach Volksentscheiden. Dass Arme auch zum AfD-Volk gehören sollen, darf demnach bezweifelt werden. Immerhin hatten Vordenker der Partei vor Jahren sogar verlangt, das Wahlrecht für Arbeitslose abzuschaffen.

Aufrüsten für deutschen Imperialismus

Vom Schlachtruf der Friedensbewegung »Deutschland raus aus der NATO, NATO raus aus Deutschland« ist die AfD indes so weit entfernt, wie die NPD von »Refugees welcome«. So wurde man sich beim Parteitag einig: Als westliches »Verteidigungsbündnis« sei die NATO nicht zu kritisieren. Allerdings: Die Rollen Deutschlands und Europas müssten stärker werden. Übersetzt heißt das: Mehr Macht für den hiesigen Imperialismus. Dafür will die AfD auch Polizei und Bundeswehr »stärken«, heißt: Aufrüsten und mit mehr Befugnissen ausstatten. Hier sei die Frage erlaubt: Was will die Partei nun eigentlich genau: Mehr »Marktfreiheit« oder mehr Staat? Allerdings steht beides einander auch nicht im Weg, schließlich setzen die bewaffneten Organe letztendlich die Interessen der Konzerne und Finanzmonopole durch.

Dass die AfD den Profiteuren Gutes tun will, zeigt auch ihre Haltung zum Naturschutz. Hart erkämpfte Minimalstandards, die schon heute lächerlich angesichts der globalen, katastrophalen Umweltverschmutzung erscheinen, sind ihr ein Dorn im Auge. Unter anderem ihr Ja zur Atomkraft und ihr Nein zu Windenergie und Co. öffnen Tür und Tor für weitere Ressourcenplünderung.

Wirtschaftslobby finanzierte AfD-Wahlkampf

Kein Wunder: Wie unter anderem der SWR berichtete, spendeten zwölf Millionäre eine mindestens sechsstellige Summe für den Wahlkampf der sich selbst als »Alternative« verkaufenden Partei [4]. Demnach finanzierten die Gutsituierten der AfD Hunderte großflächige Werbeplakate im Wert zu je etwa 1.200 Euro sowie ein Sonderwahlwerbeheftchen in einer Zwei-Millionen-Auflage. Vertreter anderer Parteien warfen der AfD vor, auf diese Weise illegal Spenden angenommen und nicht abgerechnet zu haben.

Der baden-württembergische AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen will von den Finanzspritzen nichts gewusst haben. Der verantwortliche Blattredakteur, das AfD-Mitglied Josef Konrad aus Oberfranken, erklärte dem Spiegel, die zwölfköpfige Lobbyistentruppe stamme aus der »Vereinigung zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten«.

Behinderte müssen draußen bleiben

Nach neoliberalem Credo stehen bei der AfD also Konkurrenz und Leistung hoch im Kurs. Inklusive Bildung passt da nicht ins Bild. Wie Union und FDP seit Jahren, plädiert sie für das dreigliedrige Schulsystem. Behinderte Kinder sollen in ihren Förder- und Sonderschulen bleiben. Laut AfD »verursacht eine ideologisch motivierte Inklusion »um jeden Preis« erhebliche Kosten und behindert andere Schüler in ihrem Lernerfolg«.

Von der Bundesregierung unterscheidet sich die AfD in ihrer Auffassung diesbezüglich wenig. Zwar gab die Große Koalition erst kürzlich einen Gesetzentwurf heraus, den sie als herausragende Verbesserung lobte. Behinderte, die besondere Betreuung benötigen, um ihren Alltag zu bewältigen, sollen danach künftig bis zu 50.000 Euro ansparen dürfen. Wovon, bleibt allerdings ein Rätsel. Denn selbst, wenn dieser so 2017 in Kraft treten sollte, müssten Behinderte die teuren aber nötigen »Leistungen zur Teilhabe« bis zur Sozialhilfegrenze aus eigener Tasche finanzieren. Den meisten bleibt darüber hinaus nichts übrig [5].

»Klassische Geschlechterrollen« als »Leitkultur«

In den Augen der AfD verstößt alles Mögliche gegen die sogenannte »freiheitlich-demokratische Grundordnung« sowie die »deutsche Leitkultur«. Was genau damit gemeint ist, wissen wohl nicht mal die einstigen Namensgeber aus den »etablierten« Parteien. Vor allem der Islam kollidiere mit dieser Leitkultur, aber auch die »Frühsexualisierung« in Schulen. Dem zum Widerspruch will die Partei indes bereits 12jährige Schulkinder für strafmündig, also knasttauglich, erklären. Zur »Leitkultur« gehöre jedenfalls »das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau«, dem laut AfD-Befürchtung derzeit ein »staatliches Umerziehungsprogramm«, mit »Gender Mainstreaming« und »grenzenloser Einwanderung« entgegenwirke. »Frauenquoten« lehnt sie als »leistungsfeindlich« ab. Deutsche Frauen sollten besser viele Kinder kriegen.

Hauptsache, Stimmvieh an die Urne bringen

Doch möglicherweise steht der neoliberale Flügel schon mit einem Bein auf der Abschreibeliste, wie die Kräfteverhältnisse (siehe oben) auf dem Parteitag zeigten. Auch der nationalkonservative Part unter Frauke Petry scheint schlechte Karten zu haben. Der nationalistische Flügel indes könnte Aufwind gewinnen. Dafür posaunt zumindest das interne Propagandaorgan der AfD namens Compact. Dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer, der vor den Landtagswahlen Petry noch als »neue Kanzlerin« hypte, bescheinigte derselben auf seinem Blog vor dem Parteitag »unbedachte Äußerungen«. Zugleich krönte er Thüringens AfD-Chef Björn Höcke (afrikanischer Ausbreitungstyp vernichte Lebensraum der Deutschen) zum »Steiger«.

Dass sich die – laut Elsässer – »konservativ-liberale« Petry nicht mit dem »nationalkonservativ-sozialen« Höcke einige, so wie es »Schwaben-Chef« Meuthen und »Preußen-Chef« Gauland täten, kritisierte er mit vielen Ausrufezeichen. Denn eine Partei müsse sich, so Elsässer, »möglichst breit aufstellen – wie früher die CDU« und brauche »mindestens zwei attraktive Flügel«, um »neue Wählerschichten« zu erschließen. Dieser Satz liest sich wie: Egal wie, es muss Stimmvieh ran. Eines birgt er jedenfalls, ebenso wie Gaulands »Partei der kleinen Leute«-Floskeln, mitnichten: Persönliches Interesse an den Kreuzchenmachern.

Quellenhinweise:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahl-in-sachsen-anhalt-2016-wie-die-afd-punktete-a-1081497.html

[2] http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Populismus-ist-nicht-verwerflich;art673,1985841

[3] http://www.bz-berlin.de/deutschland/chaos-auf-afd-parteitag-frauke-petry-stolpert-aufs-podium

[4] http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/gratisblatt-und-grossplakate-afd-wahlwerbung-als-illegale-spende/-/id=1622/did=17065620/nid=1622/1j3olcu/

[5] http://www.jungewelt.de/2016/04-30/021.php

 

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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