Zum Unterschied zwischen Revolution und Rebellion

Zur “Not-Wendigkeit” der demokratischen Revolution

von Bernhard Trautvetter.

In “nachdenKEN über: Statement zu Hamburg” distanziert sich Ken Jebsen von Rebellion und Revolution. Das haben auch einmal die Beatles gemacht. John Lennon hat beim Präsentieren des Songs ‚Revolution‘ an die Distanzierung „you can call me out“ allerdings das Wort „in“ angehängt.

Die Frage der Revolution geht über Gewaltexzesse wo auch immer weit hinaus. Sie hat auch nichts mit Links-sein zu tun. Straftaten, wie sehr sie auch als Reaktionen auf Staatsgewalt daherkommen, sind Straftaten.

Gewalt gegen Sachen ist auch dann als Gewalt abzulehnen, wenn sie gegen Maschinen der Umweltzerstörung wie Autos gerichtet ist. Der CO2-Ausstoß des verbrennenden Objekts sowie der darauf folgende Neukauf eines Autos belastet die Klimabilanz des Gesetzesverstoßes.

In den 70er Jahren warben sogenannte Spontis in der Studentenbewegung für ‚Solidarität mit den Genossen in Stammheim‘, und sie zielten damit auf Unterstützung für die so genannte Rote Armee Fraktion. Damals trat ein Redner des Marxistischen Studentenbundes Spartakus auf der Uni-Vollversammlung ans Mikro vor ca. 2000 Studenten an der Ruhr-Universität Bochum mit diesen Ausführungen: “Die Nazis der NSdAP mussten den Reichstag noch selbst anzünden, um dieses Verbrechen dafür zu missbrauchen, sich eine Legitimation für ihren Kampf gegen die demokratische Bewegung von den Sozialisten und Kommunisten über die Sozialdemokraten bis zu anderen Spektren der Arbeiterbewegung zu verschaffen. Dieses Handwerk nehmen die Terroristen der Roten Armee Fraktion der heutigen Reaktion ab, um im Staat der Berufsverbote gegen Kommunisten, linke Sozialdemokraten und andere Demokraten eine Legitimation dafür zu haben, den Law and Order-Staat immer repressiver gegen die demokratischen Bewegungen unserer Zeit aufzurüsten.”

Ähnliche Situationen sind aus dem indischen Befreiungskampf bekannt: Briten vollzogen gewaltsame Übergriffe gegen die von Gandhi angeführte Bewegung in der Hoffnung, dass diese Bewegung mit einer Gewalt zurückschlägt, die sich dann als Legitimationsgrundlage für eine immer massivere Repression der anschwellenden Unabhängigkeitsbewegung zu verschaffen. Gandhis Strategie der Nicht-Kooperation und der propagandistischen Nadelstiche gegen das Textil- und Salz-Produktions-Verbot der britischen Kolonialmacht wurde durch die Gewaltfreiheit so erfolgreich, dass sie das Ziel der Unabhängigkeit schließlich erreichten.

Diese Erfolge passen zu den Ergebnissen einer Studie, die Maria Stephan über die relativ größere Erfolgsaussicht gewaltloser Bewegungen so zusammenfasst: „Eine in jüngster Zeit oft zitierte Studie von Erica Chenoweth und Maria Stephan hat in einem historischen Vergleich von 216 bewaffneten und 107 unbewaffneten Aufständen zwischen 1900 und 2006 herausgefunden, dass gewaltfreie Aufstände zweimal so häufig erfolgreich waren als ihre bewaffneten Counterparts; nur eine von vier endete in einer totalen Niederlage.“ Soviel zur Frage der Gewalt selbst.

Nun zum Revolutionsbegriff:

Ken Jebsen benutzt den Begriff in einem Atemzug mit Rebellion. Rebellion übersetzt der Duden mit „Auflehnung, Aufruhr, Empörung, Erhebung, Krawall, Meuterei, Revolte, Revolution, Unruhen, Volksaufstand, Volkserhebung“. Hier ist die Rolle der Gewalt immanent.

Nicht so bei der Revolution, denn: Eine Revolution bringt zwar eine Eigendynamik mit der Gefahr von Gewalt mit sich, aber Gewalt ist der Revolution mitnichten immanent – außer einem Satz zur Gewalt als Bestandteil einer Revolution bringt der Duden diese Formulierung als 2. Satz: „umwälzende, bisher Gültiges, Bestehendes o. Ä. verdrängende, grundlegende Neuerung, tief greifende Wandlung“.

Tiefgreifende Wandlungen erfuhr die Menschheit in der Geschichte mehrfach ohne Volksaufstände und entsprechende Gewalt, so etwa durch Kipp-Punkte der Technik-/Werkzeug-Entwicklung: Der Pflug z.B. brachte der Menschheit das Ende ihres Nomadendaseins durch die nun notwendig gewordene Sesshaftwerdung, da die Menschen mit dem Beginn der Landwirtschaft an den Feldern bleiben mussten, die nun zu bewirtschaften waren. Und gerade heute sind wir Zeugen und Mitgestalter einer Umwälzung der Lebensumstände, die die Digitalisierung in der Arbeitswelt, im Bereich des Freizeitverhaltens und in vielen weiteren Umständen des gesamten gesellschaftlichen Lebens mit sich bringt: Alleine die Entkoppelung von menschlicher Arbeitskraft einerseits und Wertschöpfung in der Ökonomie andererseits wälzt die Gesellschaft stärker um, als dies viele Revolutionen in der Geschichte getan haben. Die ökologischen Zukunftgefährdungen bergen ein ähnlich umwälzendes Potential in sich, nicht nur durch die Verschiebung von Klimazonen, durch die teils bedrohlich krasse Zunahme ungewöhnlicher Wetterereignisse wie Monster-Hurrikane, das El Nino-Phänomen, die Übermüllung der Weltmeere, der Verlust unüberschaubar riesiger Permafrostgebiete ect.

Angesichts dieser extremen, teils epochalen Wirkungen auf das gesellschaftliche (Zusammen-) Leben ist es bedeutsam, dass die Menschheit in möglichst vielen einflussreichen Gebieten die Gestaltung der Umwälzungen bewusst in die Kontrolle zu nehmen versucht.

Das vermeintlich freie Spiel und die Demokratie in der Zeit der Zukunftsgefährdungen

Das System der kapitalistischen Konkurrenz-Ökonomie mit dem neoliberal verstärkten vermeintlich freien Spiel der Kräfte auf einem nur so genannten Markt der Weltkonzerne ist dazu unfähig, da es auf das Prinzip der Rendite privater Kapitale ausgerichtet ist und nicht auf das Überleben der Gattung Mensch. Dazu bedarf es einer Renaissance der sozialistischen Gesellschaftsgestaltung, in der die Freiheit des Einzelnen Bedingung der Freiheit aller ist. Karl Marx führte zum technischen Fortschritt unserer Zeit vor über 150 Jahren aus: “In unsern Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, daß die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung auszehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen seltsamen Zauberbann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft scheinen erkauft durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint der Mensch durch andre Menschen oder durch seine eigene Niedertracht unterjocht zu werden. Selbst das reine Licht der Wissenschaft scheint nur auf dem dunklen Hintergrund der Unwissenheit leuchten zu können.

All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, daß sie materielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen Kraft verdummen. Dieser Antagonismus zwischen moderner Industrie und Wissenschaft auf der einen Seite und modernem Elend und Verfall auf der andern Seite, dieser Antagonismus zwischen den Produktivkräften und den gesellschaftlichen Beziehungen unserer Epoche ist eine handgreifliche, überwältigende und unbestreitbare Tatsache. Einige Parteien mögen darüber wehklagen; andere mögen wünschen, die modernen technischen Errungenschaften loszuwerden, um die modernen Konflikte loszuwerden. Oder sie mögen sich einbilden, daß ein so bemerkenswerter Fortschritt in der Industrie eines ebenso bemerkenswerten Rückschritts in der Politik zu seiner Vervollständigung bedarf.

Wir für unsern Teil verkennen nicht die Gestalt des arglistigen Geistes, der sich fortwährend in all diesen Widersprüchen offenbart. Wir wissen, daß die neuen Kräfte der Gesellschaft, um richtig zur Wirkung zu kommen, nur neuer Menschen bedürfen, die ihrer Meister werden – und das sind die Arbeiter.”

Das mit den Arbeitern ist der Entstehungszeit des Textes -April 1856- geschuldet; heute geht es darum, eine demokratische Gestaltung aller Lebensbereiche schrittweise zu etablieren, wenn die Menschheit erwachsen werden und überleben will.

Die Alternative zu dieser Not-Wendigkeit ist die immer weiter anwachsende Gefahr des Abtretens der Menschheit vom Planeten Erde in einer aus den Fugen geratenden Gesellschaft des Zerfalls.

Es kann sein, dass etwas Neues einst diese Gefahr abwendet. Darauf dürfen wir aber nicht untätig  hoffen.

G20 ist kein demokratisches Instrument der Weltpolitik, das wäre eher eine demokratisierete UNO. Paris ist als Instrument der Überwindung der Klimakatastrophe ein zahnloser Tiger. Rüstung und Krieg sind ein sich beschleunigender schleichender (Selbst-)Mord an der Menschheit. Die Ohnmacht der Verzweiflung und die kalte imperiale Macht der Stärkeren ist eine sich gegenseitig verstärkende Spirale auf dem Weg in den Abgrund.

Das Zusammenspiel der Friedens-, Umwelt-, Gewerkschafts-, Menschenrechts-Bewegungen ist die große Aufgabe, die in der Verantwortung der Gegenkräfte liegt.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Textes.

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