Wer sind die Guten? Wer die Bösen?

Von Alf Ator.

Wenn du ein guter Mensch sein willst, musst du gut zu den Menschen sein. Ganz einfach. Und wer schlecht zu anderen ist, ist ein schlechter Mensch. Das klingt logisch. Aber stimmt das auch immer? Das ist die große Frage. Zu schlechten Menschen darfst du nämlich nicht gut sein. Wer das tut, unterstützt damit ihre schlechten Taten, wird sozusagen zum Mittäter und ist folglich auch ein schlechter Mensch. Also: Nur wer zu guten Menschen gut und zu schlechten Menschen schlecht ist, darf sich tatsächlich gut nennen. Das ist genauso wie in der Mathematik. Plus mal Plus ist Plus, Minus mal Minus ist auch Plus. Plus mal Minus dagegen ist Minus, genau wie Minus mal Plus.

Und wenn einer zu beiden Menschensorten gut ist? Oder zu beiden schlecht? Ist er dann quasi neutral? Hier wird es kniffelig. Traditionell wiegt das Verhalten guten Menschen gegenüber mehr als die Art, wie du schlechten Menschen gegenübertrittst. Siehe Jesus. Aber in der Praxis kann es leicht passieren, dass du – egal wie gut du dich sonst verhältst – sobald du schlechten Menschen gegenüber zu nachsichtig bist, schnell mal deinen Status als guter Mensch verlieren kannst. Das wird vor allem dann nachvollziehbar, wenn es sich um ganz besonders schlechte Menschen handelt. Wenn du beispielsweise einem Massenmörder zur Flucht verhilfst, oder einem Tyrannen und Kriegsverbrecher eine großzügige Spende zukommen lässt, kannst du noch so vielen lieben Omas über die Straße helfen – du bist ein schlechter Mensch.

Doch das eigentliche Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass man einfach nicht jeden Menschen kennt, folglich auch nicht immer wissen kann, ob derjenige nun tatsächlich gut oder schlecht ist. Hier die Unschuldsvermutung anzuwenden und solange zu jemandem gut zu sein, bis seine Schlechtheit bewiesen ist, wäre naheliegend, kann aber auch in die Hose gehen. Denn jemand, der bereits um die moralischen Mängel der betreffenden Person weiß, nicht aber, dass du es noch nicht weißt, wird dich eventuell ebenfalls für schlecht halten, wenn er sieht, wie gut du zu ihm bist. Und wenn du nicht die Gelegenheit bekommst, die Sache richtig zu stellen, bist du – schwuppdiwupp! – in den Augen vieler Anderer ein schlechter Mensch und sie werden dich alle schlecht behandeln, weil sie gute Menschen sein wollen.

Führen wir uns einmal Folgendes vor Augen: Jeder von uns ist nur mit ein paar dutzend Menschen persönlich bekannt. Alle anderen existieren in unserem Bewusstsein lediglich als Projektionen dessen, was wir über sie gehört oder gelesen haben. Ich zum Beispiel kenne keinen Mörder persönlich. Ich kenne auch niemanden, der einen Mörder bei seinen Taten wissentlich unterstützt hat, oder der die Ermordung unschuldiger Menschen gar toll fände. Aber ich kenne ganz viele Leute, die eine tiefe Verachtung gegenüber ganzen Menschengruppen hegen, von denen sie hörten, dass sie schlecht wären, bzw. dass sie gut zu schlechten Menschen wären.

Was ist, wenn auch jene Leute nur deswegen schlecht zu anderen sind, weil sie gehört haben, dass sie schlecht seien?

Man kann diesen Gedanken noch lange weiterspinnen und wird unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass wahrscheinlich über 90% aller Menschen Eines gemeinsam haben: Sie teilen die Auffassung, dass man ein guter Mensch ist, wenn man gut zu Menschen ist. Das ist wichtig: Allein diese Überzeugung macht uns erstmal im Kern zu guten Menschen. Nur wer es wirklich richtig findet, schlecht zu anderen zu sein- und zwar grundsätzlich und nicht aus Gründen vermeintlicher Gerechtigkeit- der ist wirklich ein schlechter Mensch. Und das sind die Allerwenigsten. Die Restlichen sind nicht automatisch Engel. Wenn es hart auf hart kommt, kehrt so mancher den Egoisten raus und ist gar nicht mehr großzügig. Viele tragen auch latente Aggressionen in sich und übernehmen gern mal unkritisch ein Vorurteil, damit der Druck sich irgendwo entladen kann. Die einen halten bereitwillig jeden Muslim für einen Terroristen, die anderen jeden besorgten Bürger für einen Nazi. Und so wird munter drauflosgeschimpft und gern mal unterhalb der Gürtellinie argumentiert, denn bei schlechten Menschen ist das ja erlaubt. Und wenn man so schlecht behandelt wird, fühlt man sich in der Annahme bestärkt, es mit schlechten Menschen zu tun zu haben. Doch das täuscht. Wir sind zwar oberflächlich, leichtgläubig, misstrauisch, oft auch dumm und gleichzeitig arrogant. Aber im Herzen wollen wir doch alle mit unserer Umwelt in Symbiose leben, weil es einfach schöner ist, wenn sich alle benehmen und sich gegenseitig helfen, als wenn man ständig aufpassen muss, nicht von hinten eins über die Rübe zu kriegen.

Wichtig: Es gibt natürlich diese wirklich schlechten Menschen, die für einen kleinen persönlichen Vorteil das Leid anderer billigend in Kauf nehmen. So jemanden erkennt man aber, wenn man mit ihm persönlich zu tun hat. Ein ruhiges Gespräch führt oft schnell zutage, wie jemand wirklich tickt. Dann kann man sich guten Gewissens distanzieren, und sollte man richtig liegen, werden das auch andere merken, und der schlechte Mensch muss sich entscheiden, entweder an sich zu arbeiten, oder eben weniger Freunde zu haben. Viele landen früher oder später im Knast. Eine funktionierende Gesellschaft hat gute Mittel mit schlechten Menschen umzugehen.

Jedoch: Einige dieser Individuen sind clever genug, um sich zu tarnen. Sie treten als großzügige Wichtigtuer auf, nutzen unsere Leichtgläubigkeit und unsere versteckten Aggressionen, machen uns zu kritiklosen Mittätern, um zu Macht und Reichtum zu gelangen. Und es nützt ihnen natürlich, wenn wir alle damit beschäftigt sind uns gegenseitig zu verdächtigen, schlecht zu sein. In dem Chaos fällt ein wirklich schlechter Mensch weniger auf. Selbst wenn er in hoher Position ganz öffentlich Böses tut. Solange er darauf vertrauen kann, dass mindestens die Hälfte von uns die Menschen, denen er das antut, für böse halten. Und nein, ich werde jetzt nicht dazu aufrufen, die reichsten und mächtigsten Menschen der Welt zu ermorden, weil sie höchstwahrscheinlich genau dieses eine Prozent darstellen, das wirklich aus tiefstem Herzen schlecht ist. Denn auch das, was ich über sie zu wissen glaube, ist nur ein Konstrukt aus Gehörtem und Gelesenem.

Vielmehr möchte ich euch anflehen, euch ständig vor Augen zu halten, dass fast alle von uns die oben genannten Werte von Gut und Schlecht teilen und somit grundsätzlich zu den Guten zählen. Wir unterscheiden uns in Wahrheit nur in der Richtung, aus der wir das Böse vermuten. Und deshalb ist es eben richtig, vorsichtshalber zu allen gut zu sein. Und vor allem zu den vielen, die wir gar nicht persönlich kennen. Wir müssen beginnen, nach dem zu suchen, was uns verbindet, und nicht danach, was uns trennt. Wir müssen lernen, dem Anderen die Hand zu reichen, auch wenn dieser es nicht tut. Wir müssen lernen, nachsichtig zu sein, wenn Andere auf der Suche nach der Wahrheit den falschen Signalen gefolgt sind. Wir müssen sie in die Arme schließen und dafür lieben, dass sie überhaupt gesucht haben. Andernfalls treiben wir sie direkt in die Fänge der wirklich bösen Menschen und stärken deren Macht über uns. Wollen wir das?

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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