Weniger Rechte, mehr Repressionen

Von Susan Bonath.

Ob geflüchtet oder einheimisch: Soziale Verschärfungen für Erwerbslose und -arme kommen.

Kontrollieren, reglementieren, sanktionieren: Während die Bundesregierung an einem strengeren Asylgesetz bastelt und Flüchtlinge in Deutschland das derzeit emotionalste Diskussionsthema sind, bringt sie zugleich neue Hartz-IV-Regularien auf den Weg. Bereits am 3. Februar soll das Kabinett den Gesetzentwurf abnicken. Anschließend muss er noch den Bundesrat und -tag passieren. Der Reformtitel »Rechtsvereinfachungen« trügt: Die Novelle enthält etliche Verschärfungen.

Mit dem Gesetz will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) angeblich den »Andrang von Flüchtlingen«, die »in den Arbeitsmarkt integriert werden« müssten, kompensieren. Allerdings war die Reform schon lange vor der Fluchtwelle geplant, und zwar seit 2012. Eine Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen hatte die Vorschläge dafür erarbeitet. Nahles und die SPD feierten das Vorhaben gemeinsam mit CDU und CSU zu Wochenbeginn in den Medien als »Entbürokratisierung«. Dies jedoch dürfte lediglich auf verlängerte Bewilligungszeiträume von einem halben auf ein Jahr zutreffen, wobei hiervon Aufstocker mit unregelmäßigen Einkünften ausgenommen bleiben. Der Rest der Paragraphen dürfte eher das Chaos mehren und Hartz-IV-Bezieher weiter entrechten.

Kann-Leistungen und Sanktionen bleiben

So sollen »Unfolgsame« weiter sanktioniert werden, wie bisher. Derzeit verhängen Jobcenter jährlich etwa eine Million solcher Strafen. Die SPD-Ministerin hatte schon vor Monaten erklärt, dass sie ihr Vorhaben, die Regeln zu entschärfen, »auf Druck der CSU« aufgegeben habe. Unter 25jährigen droht also weiterhin sofort die komplette Kappung ihrer Regelleistungen für drei Monate, sobald sie ein »Jobangebot« ablehnen oder einen Termin verpassen. Beim zweiten Versäumnis fallen auch Mietzuschüsse und Krankenversicherung weg. Ältere werden hingegen in drei Stufen sanktioniert: Erst 30, dann 60 und schließlich 100 Prozent.

Die von Sozialverbänden, der Linkspartei und Betroffenen kritisierten Ermessensspielräume der Jobcenter – umschrieben mit dem Wörtchen »angemessen«, sollen ebenfalls bleiben. Findet etwa die Behörde die Wohnung eines Antragsstellers »unangemessen« groß oder teuer, übernimmt es die Miete nicht oder nur teilweise. Oder: Wird ein Leistungsbezieher etwa vollsanktioniert, kann der Amtsmitarbeiter weiter entscheiden, ob er ihm »Sachleistungen« in Form von Lebensmittelgutscheinen gewährt. Betroffene können dann nur widersprechen oder klagen. Das kann Jahre dauern und bewirkt keinen Aufschub der Strafe.

Auch Alleinerziehenden – rund 40 Prozent von ihnen sind laut einer Bertelsmann-Studie aus 2015 bundesweit auf Hartz IV angewiesen – drohen Kürzungen. So sollen die Behörden das Kindersozialgeld für die Tage einbehalten, die der Nachwuchs beim anderen Elternteil verbringt. Hinzu kommt: Umzüge in teurere Wohnungen sollen nicht mehr genehmigt werden, auch wenn die Miete laut regionaler Richtlinie »angemessen« wäre. Geplant ist zudem eine strengere Überwachung. Das Gesetz soll Jobcenter ermächtigen, monatlich Daten etwa bei Banken über Klienten abzufragen.

Immer weiter beklagten Sozialrechtler und einige Juristen erhebliche Willkür im Umgang mit Hartz-IV-Beziehern. Per Sanktionsdrohung könnten sie faktisch zu jeder Arbeit – auch unentgeltlich – gezwungen werden. So auch der Gothaer Sozialrichter Jens Petermann: Im Mai 2015 wandte er sich mit einer Beschlussvorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Durch Sanktionen würden Menschen bis in die völlige Mittellosigkeit getrieben, was zu Obdachlosigkeit oder Kriminalität führen könne. Die Karlsruher Richter sollen entscheiden, ob die Praxis gegen Grundrechte wie Menschenwürde, Berufsfreiheit und körperliche Unversehrtheit verstoßen. Wann sie das tun, steht in den Sternen.

Auch Flüchtlinge betroffen

Hartnäckig hält sich das Gerücht, Asylsuchende würden finanziell oder materiell besser bedacht als Einheimische. Das ist eine Mär: Bis 2013 erhielten sie nicht einmal zwei Drittel des Hartz-IV-Satzes, und dies meist in Form von Einkaufsgutscheinen oder Kleiderspenden und Lebensmittelpaketen. Das BVerfG stufte dies vor zweieinhalb Jahren als rechtswidrig ein. Hartz IV sei das Existenzminimum, dies dürfe nicht aufgrund von Ethnie oder Herkunft unterlaufen werden. Zumindest per Gesetz sind sie heute Hartz-IV-Beziehern gleichgestellt.

Allerdings: Kommen die Menschen in Deutschland an, müssen sie sich registrieren lassen und sämtliches mitgeführtes Vermögen – Geld, Wertgegenstände oder Familienschmuck etwa – dem deutschen Staat überlassen. Das Bundesrecht gesteht ihnen pro Familie lediglich einen Selbstbehalt von 200 Euro zu. Zum Vergleich: Hartz-IV-Bezieher wird ein Schonvermögen von 150 Euro pro Lebensjahr gelassen. Thüringen etwa konfisziert alles über 200 Euro, Bayern lässt Betroffenen einen Selbstbehalt von 750 Euro. Ferner sind Flüchtlinge verpflichtet, in ein Erstaufnahmelager zu gehen. Diese sind seit Monaten bundesweit überfüllt. Nach Behördenangaben müssen alleine in Norddeutschland noch immer rund 2.500 der Neuankömmlinge trotz kalter Temperaturen in Zelten leben. Während dieser Zeit erhalten sie Sachleistungen: Ein Bett, Essen, Kleidung, Hygieneartikel. Darüber hinaus wird ihnen ein Taschengeld zwischen 84 (Kinder bis 14 Jahre) und 143 Euro (alleinstehende Erwachsene) monatlich gewährt. Diese Praxis kann auch bis zur Anerkennung oder Abschiebung beibehalten werden. Die Bundesregierung plant weitere Verschärfungen.

Ein Recht auf eine Wohnung haben Flüchtlinge ebenso wenig wie Einheimische. Wie die Berliner Stadtmission gegenüber dem Tagesspiegel Ende Oktober erklärte, wächst die Zahl der Obdachlosen aus den Reihen anerkannter Asylbewerber. Denn: Sobald jene einen positiven Bescheid in der Hand halten, müssen sie raus aus der Massenunterkunft. Wohin, bleibt ihnen überlassen. Bekanntermaßen gibt es nicht genügend Sozialwohnungen. Darüber hinaus können sie, wie jeder andere, Hartz IV beantragen. Jürgen Mark, Leiter der Mission, sprach von einer »wachsenden Konkurrenz zwischen deutschen und ausländischen Obdachlosen«.

Keine Hilfe für Armutsmigranten aus Osteuropa

Viele schimpfen über sogenannte »Wirtschaftsmigranten« aus ost- oder südeuropäischen Nachbarstaaten. Aber: Sozialhilfe erhalten diese erst nach mindestens sechsmonatigem Aufenthalt in Deutschland. Der muss nachgewiesen werden. Richtig ist: In ihren Heimatländern gibt es oft gar keine oder sehr begrenzte Sozialleistungen. Vor allem in Osteuropa sind die Löhne niedrig. Besonders ausgegrenzt, was Arbeit und Lebensbedingungen betrifft, sind nach wie vor Roma.

Sozialetat wird kleiner, Militär kriegt mehr

7,1 Millionen Hartz-IV-Bezieher einschließlich Kindern haben wir seit Jahren. Hinzu kommen rund eine Million Betroffene, die auf ähnliche Leistungen, wie Grundsicherung im Alter, angewiesen sind – Tendenz seit 2005 steigend. Experten gingen zudem in mehreren Untersuchungen davon aus, dass rund fünf Millionen weitere Menschen so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Hartz IV beantragen könnten, dies aber nicht tun. Wie bekannt ist, wurde der Niedriglohnsektor in den vergangenen elf Jahren massiv ausgebaut.

Zudem belegen Bundeshaushaltszahlen: Seit 2005 wurde der Sozialetat zurückgefahren. Die Ausgaben für Hartz IV sanken von rund 37 Milliarden auf 33 Milliarden, wobei auf die tatsächlichen Leistungen 2015 nur gut 25 Milliarden entfielen. Der Rest ging in Maßnahmeträger und anderes. 4 Milliarden flossen in den Behördenapparat. Zum Vergleich: Für »Verteidigung« gab die Bundesregierung 2015 ebenfalls 33 Milliarden Euro aus, in den kommenden Jahren soll der Etat um weitere zwei Milliarden anwachsen.

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