Washingtons bester Mann im Auswärtigen Amt | Von Norbert Häring (Podcast)

Zwei Jahre balancierte Partnerschaft

Ein Standpunkt von Norbert Häring.

In wenigen Tagen, am 22. August jährt sich zum zweiten Mal die erste Ausrufung einer deutschen Strategie zum Umgang mit den USA durch Heiko Maas, genannt balancierte Partnerschaft. Von roten Linien war darin die Rede. Die bis heute andauernden Drohungen und Sanktionen der USA gegen deutsche Personen und Unternehmen laden zu der Frage ein: Wie hat der SPD-Politiker und Außenminister diese Strategie mit Leben gefüllt?

Auf Basis meines Artikels aus dem August 2018: Die transatlantischen Blendgranaten des Heiko Maas und den Erfahrungen der ersten sechs Monate hatte ich MaasStrategie der balancierten Partnerschaft” eine Unterwerfungserklärung genannt, die durch nicht ernst gemeintes Gerede von roten Linien geschickt getarnt wurde. Zwei Jahre später möchte ich dieses strenge Urteil im Lichte der seitherigen Entwicklungen überprüfen.

Mit harten Bandagen gegen Nordstream 2

Schauen wir auf die aktuelle Lage. Momentan sorgt die Drohung von drei US-Senatoren, die Ostsee-Hafenstadt Sassnitz “finanziell zu zerstören”, für Aufruhr. Zuvor waren schon der Bürgermeister und andere Verantwortliche mit völkerrechtswidrigen US-Strafmaßnahmen bedroht worden. Sie sollen genötigt werden, das russische Pipeline-Verlegeschiff an der Fertigstellung der Pipeline Nordstream 2 zu hindern. Das Schiff war dorthin gebracht worden, weil die internationalen Spezialunternehmen, die bis dahin daran arbeiteten, ihre Arbeiten aufgrund der völkerrechtswidrigen US-Sanktionen einstellten. Vertreter deutscher Unternehmen und von Unternehmensverbänden sowie der Politik forderten fast unisono, sich diesem Übergriff der USA entschieden entgegenzustellen.

Das nötigte sogar Außenminister Heiko Maas, auf Besuch in Moskau, sich kritisch zu äußern. Gegenüber der Presse sagte er: “Kein Staat hat das Recht, der EU ihre Energiepolitik zu diktieren. Und das wird auch nicht gelingen.“ Er sagte “EU”, nicht “Deutschland”. Dazu passend erklärte er, die Bundesregierung werde ihre Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres nutzen, um das Thema europäischer Souveränität zu forcieren. Er sagte wieder “europäischer”, nicht “deutscher”. Ob er die deutsche Souveränität als hoffnungslosen Fall betrachtet? Selber traut man sich nicht, sich zu wehren, will das aber, weil es so peinlich ist, der Öffentlichkeit verbergen. Und so hebt man das Thema einfach auf die europäische Ebene, wissend, dass dort erst recht nichts passieren wird.

Eine Sprecherin der EU-Energiekommissarin sagte dem Handelsblatt: “Die extraterritoriale Anwendung von Sanktionen verstößt gegen das Völkerrecht“ und löste damit sicherlich Heulen und Zähneklappern in Washington aus. „Dies ist Teil eines breiteren, besorgniserregenden Trends – auch in den Fällen Iran, Kuba, Internationaler Strafgerichtshof und Turkstream-Projekt, in denen die USA Sanktionen gegen europäische Unternehmen anwenden oder drohen“, sagte eine Kommissionssprecherin außerdem.

Die Gegenmaßnahmen der EU-Kommission erschöpfen sich darin, dass man  die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dabei unterstützen wolle, die EU-Maßnahmen gegen die exterritorialen US-Sanktionen weiterzuentwickeln.

Protest nur für die Galerie

Maas sagte auch, er habe seinem US-Amtskollegen Pompeo erklärt, dass es so nicht ginge. Nachprüfbar ist es nicht, ob und wie er ihm das gesagt hat. In der diplomatischen Praxis gibt es ein Prozedere dafür, sich unmissverständlich bei der Regierung eines anderen Landes über dessen als feindselig oder schädigend empfundenes Verhalten zu beschweren: man bestellt öffentlich den Botschafter zum Gespräch.

Das hat Maas meines Wissen kein einziges Mal getan, seit er vor zwei Jahren bei der Vorstellung seiner Amerika-Strategie von „roten Linien“ schrieb, bei deren Überschreiten durch die Trump-Regierung Europa aktiv werden müsse. Dabei hatte ihm vor allem der fast ausschließlich im ruppigen Befehlston eines Vizekönigs kommunizierende ehemalige US-Botschafter Grenell jede Menge Gelegenheiten geboten.

Explizit nannte Maas bei Vorstellung seiner US-Strategie die Aufkündigung des Iran-Abkommens durch die USA und die Wiederverhängung von einseitigen Sanktionen. Darauf habe Europa richtigerweise reagiert, indem es die eigenen Unternehmen rechtlich vor US-Sanktionen geschützt habe. Er ergänzte: “Deshalb ist es unverzichtbar, dass wir die europäische Autonomie stärken, indem wir von den USA unabhängige Zahlungskanäle einrichten, einen Europäischen Währungsfonds schaffen und ein von den USA unabhängiges Swift-System aufbauen.“ Auch über eine Digitalsteuer für die amerikanischen Internetgiganten müsse man reden.

Das alles erweckte den Eindruck, dass es bei der balancierten Partnerschaft um mehr Autonomie und mehr Selbstbewusstsein gegenüber den USA geht. Aber immer nur auf Europa bezogen. Vom deutschen Außenminister würde man eigentlich eine deutsche Strategie erwarten, und eine europäische von der EU-Kommission. Schließlich ist die Bundesregierung für die Wahrung der deutschen Souveränität zuständig, nicht Brüssel.

Ein gegen den Anspruch Washingtons auf bedingungslose Gefolgschaft aufbegehrender Außenminister Heiko Maas wäre recht überraschend gekommen, hatte doch der Atlantic Council, eine Vorfeldorganisation der Nato in Washington, mehrfach deutlich erkennen lassen, wie sehr man dort diesen Politiker schätzte.

Dazu verweise ich auf den im Schriftartikel verlinkten Beitrag: Eine Ergänzung zu Außenminister Heiko Maas und dem Atlantic Council

Auf dem – bildlich gesprochen – zweiten Blatt  der balancierten Partnerschaft, dem mutmaßlich wichtigeren, stand das Bekenntnis zur Übernahme von mehr militärischer Verantwortung in fester transatlantischer Bindung, also unter Oberhoheit der USA. Um Weltpolizeiaufgaben übernehmen zu können, aus denen sich die USA zurückzögen, wolle man die deutsch-französische Militärachse und die EU-Militärpolitik stärken, „als Bestandteil der transatlantischen Sicherheitsordnung“. Das darf man lesen als ‘unter amerikanischem Oberbefehl’.

Was wurde aus den Souveränitäts-Maßnahmen?

Die Maßnahmen gegen die US-Sanktionspolitik, die Maas und die EU nun “weiterentwickeln” wollen, sind ausnahmslos schon lange mangels ernsthaften Bemühens im Sande verlaufen. Zum Schutz für europäische Unternehmen vor Sanktionen titelte das Handelsblatt schon im Januar 2019: „EU-Hilfe für Iran gescheitert“, und weiter:

Die Bundesregierung räumt ein, dass der von den EU-Staaten beschlossene Mechanismus zum Schutz europäischer Firmen, die im Iran Geschäfte machen, weitgehend wirkungslos ist.

Nicht, dass das nicht absehbar gewesen wäre. Das wurde schon bei Ankündigung weithin so erwartet und kommentiert. Es wird auch Heiko Maas klar gewesen sein.

Als die USA im Januar 2019 per gänzlich undiplomatischem Brief ihres Botschafters, den an der Gasleitung Nordstream 2 beteiligten Unternehmen Sanktionen androhten, weigerte sich die Bundesregierung auf Nachfragen von Journalisten sogar ausdrücklich, sich hinter die bedrohten Unternehmen zu stellen.

Das von den USA unabhängige Swift-System hat sich auch schnell als Sprechblase herausgestellt. Über dieses von Banken genossenschaftlich betriebene System werden internationale Zahlungen abgewickelt. Rein rechtlich ist die belgische Genossenschaft Swift von den USA unabhängig und europäischem Recht unterworfen. Dass man US-Behörden „freiwillig“ die Swift-Daten live zur Verfügung stellt, beruht auf einer Unterwerfung der EU unter den amerikanischen Finanzmachtanspruch, der sich vor allem aus der Kontrolle über das internationale Zahlungsmittel Dollar speist. Wenn Europa die Traute und die Macht hätte, ein von den USA unabhängiges Swift System einzurichten, bräuchte sie kein neues Swift.

Dasselbe gilt für von den USA unabhängige Zahlungskanäle. Die Bundesregierung demonstrierte schon kurz vor Maas’ neuer Strategie sehr eindrucksvoll, dass sie diese Traute und Macht nicht hat. Als eine iranische Staatsbank in Hamburg einen Teil ihres Guthabens bei der Bundesbank in bar abheben wollte, verweigerte die Bundesbank das unter dem Vorwand einer Geldwäsche-Dauerprüfung durch die Bundesbehörde Bafin. Die Bundesbank änderte daraufhin sogar ihre Geschäftsbedingungen und begründete das bemerkenswert offen mit der Furcht, selbst zum Ziel von US-Sanktionen zu werden und von diesen vom internationalen Geschäft abgekoppelt zu werden. Eine Bundesregierung, die sich amerikanischem Druck beugte, das von den USA unabhängige Zahlungsverkehrssystem Euro-Bargeld nicht für Iran-Geschäfte zu nutzen, verkündete also ein von den USA unabhängiges Zahlungsverkehrssystem aufbauen zu wollen.

Zur deutsch-französisch-britischen Zweckgesellschaft Instex (Instrument zur Unterstützung von Handelsaktivitäten), die Ende Januar 2019 gegründet wurde, um durch gegenseitige Verrechnung von Forderungen aus dem Iran dafür zu sorgen, dass man weitgehend ohne die sanktionsanfälligen Banken auskommt, haben sich laut einem Bericht des Tagesspiegel von Februar die von Anfang an geäußerten Zweifel der Experten voll bestätigt:

Die USA drohten den Europäern öffentlich und hinter den Kulissen mehrfach, Instex und seine Mitarbeiter mit Sanktionen zu belegen, sollte der Mechanismus dazu genutzt werden, US-Sanktionen zu umgehen. Die Personalsuche war daher langwierig. Dass der Druck aus den USA wirkt, lässt sich auch am ersten Geschäft ablesen, das in diesen Tagen abgewickelt werden soll. Von Maas’ großer Geste ist wenig übrig. Bearbeitet wird die Medikamentenlieferung einer deutschen Firma in den Iran. Die Rede ist von einem „Test“. Der Wert liege „unter einer Million Euro“. Importiert wird im Gegenzug zunächst nichts. Europäische Politiker betonen, das Ganze sei absolut legal.

Nach über einem Jahr das erste (geplante) Test-Geschäft im Volumen von unter einer Million. Da kann man noch lange “weiterentwickeln”, bis dieses Instrument etwas bringt.

In Sachen der damals von Maas ins Gespräch gebrachten Digitalsteuer ist Frankreich gegen den hinhaltenden Widerstand aus Deutschland vorgeprescht und dann von EU und Deutschland im Regen stehengelassen worden, als Washington mit harten Handelssanktionen gegen Frankreich reagierte. Auch von einem Europäischen Währungsfonds war nach Maas’ vollmundiger Ankündigung nichts mehr zu hören, auch und gerade von ihm nicht.

Was geschah in Sachen Militär und “Sicherheit”?

Ganz anders als bei den wohlklingenden aber substanzlosen Ankündigungen in Sachen Sicherung der europäischen (nicht der deutschen) Souveränität, geschah bei den zurückhaltend formulierten Ankündigungen in Sachen militärische Zusammenarbeit sehr schnell sehr viel.

Als die US-Regierung den für die europäische Sicherheit wichtigen INF-Vertrag zum Verbot von landgestützten Mittelstreckenraketen aufkündigte, stellte sich die Bundesregierung umgehend hinter Trump. Auch beim Putschversuch in Venezuela stellte sich Maas bedingungslos hinter die USA und den von ihnen unterstützen, selbsternannten Regierungschef Guaidó. Auch sonst konnte sich die US-Regierung nicht über mangelnde Rückendeckung aus Deutschland für ihre geopolitischen Aktivitäten beklagen, vielleicht mit der Ausnahme Huawei, wo die Abhängigkeit von dem chinesischen Anbieter zu groß war, um dem Wunsch der Amerikaner nach dessen Verbannung aus dem deutschen 5G-Netz zu folgen.

In Sachen der lautstark von der Trump-Regierung geforderten höheren deutschen Militärausgaben war bereits am 5. Februar 2019 auf Spiegel Online zu lesen: Nach Trump-Kritik Deutschland verspricht Nato höhere Rüstungsausgaben. Der deutsche Wehretat soll bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Das hat die deutsche Regierung nach SPIEGEL-Informationen der Nato zugesagt.“ Demnach übergab der deutsche Botschafter dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Dokument namens „Strategic Level Report“, in dem sich die deutsche Regierung verbindlich dazu bekennt, die Wehrausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und diesen Anstieg nach 2024 fortzusetzen. Nach einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft von Mai dürften die deutschen Militärausgaben 2020 auf 1,58 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen.

In rekordverdächtiger Zeit von sechs Monaten wurde ein EU-Verteidigungsfonds konzipiert. Er soll zunächst mit 13 Mrd. Euro ausgestattet und ab 2021 einsatzfähig sein.

Die von Maas versprochene Stärkung der deutsch-französischen Militärachse wurde mit dem Aachener Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich von Januar 2019 vorangetrieben. Darin versprechen Deutschland und Frankreich der Nato unter anderem, ihre militärpolitischen Ziele und Strategien einander anzugleichen, mit dem Ziel der Stärkung der Nato. Es wurden mehr gemeinsame Militäraktionen und eine stärkere Zusammenarbeit der Waffenindustrien der beiden Länder vereinbart. In einer geheimen Zusatzvereinbarung wurden Presseberichten zufolge gemeinsame, lockerere Standards für Rüstungsexporte vereinbart. Wenige Monate später wurde beschlossen, bei deutsch-französischen Rüstungsprojekten die oft strengeren deutschen Exportregeln nicht mehr anzuwenden.

Fazit

Mein Fazit, das ich nach der ersten Überprüfung der “balancierten Partnerschaft” nach einem halben Jahr gezogen hatte, kann unverändert stehen bleiben: Die Amerika-Strategie, die Heiko Maas unter dem Stichwort “balancierte Partnerschaft” verkündet hat, ist am besten als Versuch zu verstehen, eine immer rabiater auftretende US-Regierung durch Versprechen und Zugeständnisse in Sachen Militarisierung Deutschlands und Europas zu befrieden und zu einem zurückhaltenderen (für die Bundesregierung weniger entwürdigenden) öffentlichen Auftreten zu bewegen. Vermutlich weil dieser Versuch ziemlich grandios gescheitert ist, hat man schon lange nichts mehr von dieser Strategie und der balancierten Partnerschaft gehört. Es wäre aufschlussreich, wenn Heiko Maas im Parlament oder das Auswärtige Amt in der Bundespressekonferenz dazu befragt würde, wie sich die Amerika-Strategie der balancierten Partnerschaft bewährt hat.

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Danke an den  Autor  für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 13.08.2020 bei norberthaering.de

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Bildquelle: Alexandros Michailidis / shutterstock

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