Warum Amnesty International Julian Assange nicht helfen wird

von Hermann Ploppa.

Ohnmächtige Wut und Entsetzen war die Reaktion vieler Menschen angesichts der brutalen, würdelosen Verhaftung von Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London durch britische Sicherheitskräfte. Und immer wieder wurde die Frage gestellt: was tun Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und Human Rights Watch?

Wir wissen nichts über den Verbleib von Julian Assange, abgesehen von der Adresse des Hochsicherheitsgefängnisses, in dem der Aktivist interniert ist. Sie lautet:

Mr. Julian Assange
DOB: 3/07/1971 HMP
Belmarsh Western Way
London SE28 0EB
UNITED KINGDOM

An diese Adresse können wir Briefe und Postkarten an Julian Assange schicken und zudem an die Gefängnisleitung Briefe mit Fragen nach dem Befinden und der Art der Unterbringung von Mister Assange senden.

Dass wir nicht mehr über ihn wissen, ist hochgradig beunruhigend und spricht auch nicht für eine rechtsstaatliche Behandlung von Assange. In dieser Atmosphäre ist es wenig anheimelnd, wenn ein Artikel von Global Research berichtet, dass Assange in der Isolationshaft psychotropen Drogen ausgesetzt wird. Was ist dran an dieser Geschichte? Vom Selbstverständnis her wäre Amnesty International natürlich die erste Instanz, die diesen Berichten auf den Grund gehen müsste. Sabiene Jahn hat sich deswegen als interessierte Bürgerin brieflich an Amnesty International gewandt. Ihr wurde tatsächlich geantwortet, wie diese Korrespondenz zeigt:

„Liebe Frau Jahn

Danke für Ihre Mitteilung!

Amnesty liegen m.W. keine glaubhaften Hinweise darauf vor, dass J.A. gefoltert wird – die Berichte von Global Research müssen jedenfalls mit Vorsicht genossen werden, ist die Webseite bzw. deren Gründer bekannt für die Anfälligkeit auf Verschwörungstheorien.

Amnesty hat sich mehrfach und klar gegen eine Auslieferung nach den USA ausgesprochen (nicht aber nach Schweden, wo das Verfahren wegen Vergewaltigungsvorwürfen offenbar wieder aufgenommen wird) – der Ball ist nun bei der britischen Justiz, die das US-Auslieferungsgesuch beurteilen muss.

Beste Grüsse

Reto Rufer
Campaigner Afrika, MENA, Asien und Individuals at risk

Amnesty International“

Sehr nett, diese Antwort. Hier wird auch Antwort gegeben auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden. Zunächst einmal: man braucht also den Behauptungen, Assange würde mit psychotropen Drogen quasi gefoltert, nicht nachgehen, denn die Behauptungen stammen ja aus einer Quelle, die bekannt ist für ihre „Anfälligkeit für Verschwörungstheorien“. Der Betreiber der Webseite Global Research heißt Michel Chossudovsky und der ist Professor in Kanada und hat den Bestseller „Global Brutal“ geschrieben, und Herr Campaigner Reto Rufer von Amnesty International Suisse möge uns doch bitte mal darlegen, was an diesem faktenbasierten Buch „Verschwörungstheorie“ sein soll. Chossudovskys Internetportal Global Research bietet unterschiedlichsten Autoren eine weltumspannende Plattform. Hier veröffentlichen Autoren, die in den mittlerweile auf Einseitigkeit gebügelten Mainstream-Medien keinen Platz mehr finden. Naturgemäß ist die Qualität dieser Beiträge recht unterschiedlich. Sie sind aber alle mindestens so evidenzbasiert wie es die Mainstream-Medien eigentlich sein sollten.

Zum anderen hat der Amnesty-Mann keine Bedenken, dass Mister Assange wegen recht wackliger Anklagepunkte (zerrissenes Kondom bei einem im beiderseitigen Einverständnis vollzogenen Geschlechtsakt) in verschärfter Isolationshaft gehalten wird. Auch die Auslieferung nach Schweden wäre für Reto Rufer in Ordnung. Lassen wir uns noch einmal den geradezu bedrohlichen Schlusssatz in seinem Brief auf der Zunge zergehen: „Der Ball ist nun bei der britischen Justiz, die das US-Auslieferungsgesuch beurteilen muss.“

Wir müssen nachbohren, es hilft alles nichts, und Amnesty folgende Fragen stellen:

Hat AI denn überhaupt mal von sich aus recherchiert zu Assanges Haftbedingungen in Großbritannien? Welche Erkenntnisse liegen Amnesty International vor über die Haftbedingungen von Julian Assange in Großbritannien? Ist Assange für Amnesty International überhaupt ein politischer Gefangener? Assange ist in Großbritannien in Haft, weil er zu einem richterlichen Anhörungstermin wegen des schwedischen Auslieferungsbegehrens nicht erschienen ist. Würde man irgendeinen anderen Bürger deswegen in einen Hochsicherheitstrakt bringen? Wenn dem nicht so ist, dann ist davon auszugehen, dass Assange widerrechtlich aus politischen Motiven diese Sonderbehandlung erfährt. Also wäre Assange genauso schutzwürdig im Sinne von Amnesty International zu betrachten wie politische Gefangene, in – sagen wir mal als Beispiel – Russland.

All diese Erwägungen setzen natürlich eine Naivität voraus, die wir schon lange abgelegt haben. Denn Amnesty International ist ein integraler Bestandteil der US-amerikanischen Soft Power. Ein Teil einer propagandistischen Legitimierung der Politik der USA. Amnesty stellt beispielhaft bestimmte Einzelpersonen vor, die aus politischen Gründen in Haft geraten sind, um dann deren Freilassung durch Kampagnen zu erwirken. Vom Ansatz her überaus löblich. Gelegentlich werden auch mal in die Mühlen der amerikanischen Justiz geratene US-Bürger präsentiert. Wesentlich öfter jedoch nimmt sich Amnesty politischer Gefangener aus Staaten an, die im Fadenkreuz der aggressiven Außenpolitik der USA befindlich sind. Ist Amnesty International ein Instrument der USA-Propaganda? Der Eindruck ergibt sich, wenn Amnesty sich allzu weit aus dem Fenster herauslehnt und zu Dingen vehement Stellung bezieht, die absolut nicht zu den Kernkompetenzen (politische Gefangene) dieser Gruppe gehören.

Der australische Soziolgieprofessor Tim Anderson hat einige Beispiele dafür in seinem Buch „Der schmutzige Krieg gegen Syrien“ (1) aufgeführt, denen von Seiten Amnestys bis heute nicht widersprochen wurde:

  1. Die Präsidentin von AI in Frankreich, Geneviéve Garrigos, verbreitete die Lüge, Gaddafi würde in Libyen „schwarze Söldner“ (angebliche Gaddafi-Söldner aus dem Tschad) gegen die eigene Bevölkerung einsetzen. Auf Nachfrage musste sie zugeben, für diese steile und gleichzeitig latent rassistische Behauptung keinerlei Beweise vorlegen zu können. Aber der völkerrechtswidrige Überfall auf Libyen bekam Glaubwürdigkeit durch die Amnesty-Behauptungen.
  2. AI verbreitete ungeprüft Behauptungen über angebliche Fassbombenattacken des syrischen Präsidenten Assad auf die eigene Bevölkerung.
  3. AI war wesentlich verantwortlich für die Kriegsgrundlüge in Golfkrieg I (1990-1991), dass irakische Soldaten Babys aus Brutkästen gerissen und auf diese Weise sadistisch getötet hätten.
  4. AI veranlasste eine Plakataktion mit der Schlagzeile: „NATO, hilf‘ dem Fortschritt voran!“ im Jahre 2012, weil nach ihrer Ansicht die NATO dazu beitrüge, die Lage der Frauen in Afghanistan zu verbessern. Diese Aktion ging zurück auf die Initiative von Suzanne Nossel, damals geschäftsführende Direktorin von AI in den USA. Frau Nossel arbeitete zuvor im US-Außenministerium und war zuständig für die psychologische Kriegsführung gegen Russland, Iran, Libyen und Syrien.

Amnesty International Deutschland wurde übrigens von der Journalistin Carola Stern und dem beliebten Fernsehkorrespondenten Gerd Ruge gegründet. Carola Stern hat sich in ihren Erinnerungen als CIA-Agentin geoutet (2). Gerd Ruge war Mitglied in der noblen Atlantikbrücke.

Es gibt also triftige Gründe, warum Amnesty International Julian Assange nicht in die Liste der schutzwürdigen politischen Gefangenen aufnehmen wird. Es bleibt uns selber überlassen, angemessen für Julian Assange einzutreten.

Postscriptum: Herr Rufer hat auf weitere Nachfragen nach Fertigstellung dieses Artikels noch einmal von sich hören (respektive lesen) lassen; mit einem zweiten Antwortbrief an Frau Jahn:

„Ich gehe davon aus, dass die für Assange zuständigen Researcher unseres int. Sekretariats in London von den Foltervorwürfen ebenfalls Kenntnis haben – und diese auf ihre Stichhaltigkeit prüfen (…) Ich habe noch nie verstanden, warum Menschen, die sich in einem bestimmten Gebiet (Polanski als grossartiger Regisseur, Assange als Informant…) unstreitbar Verdienste erworben haben, dann a priori auch in jeglicher anderer Hinsicht leuchtend weisse <sic!> Vertreter der Spezies Homo sapiens sein sollen/müssen und deshalb allfällige Straftaten von vornherein ausser Betracht fallen – vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, hervorragende Regisseure und innovative Journalisten ebenso!“

Herr Rufer hat unstreitig eine sehr eigene Art von Humor, indeed …

Anmerkungen

(1) Tim Anderson: Der schmutzige Krieg gegen Syrien – Washington, Regime Change, Widerstand. Marburg 2016

(2) Carola Stern: Doppelleben: Eine Autobiographie. Köln 2001

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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