Ein Kommentar von Klaus Hartmann.
Mit dem Abklingen des Virus namens „SARS-CoV-2“ und den Lockerungsübungen des „Corona-Kabaretts“ geht auch die Zeit der Proteste zu Ende, die sich gegen das „Corona-Regime“ gerichtet haben. Unabhängig von der Einschätzung, wie real oder übertrieben die Gefahr durch das Virus war, ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass unter der Flagge des „Gesundheitsschutzes“ Grund- und Menschenrechte einschließlich sozialer Rechte dauerhaft außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden können. Es wäre naiv anzunehmen, dass die Herrschenden in ihren „Maßnahmen“ nicht auch den Aspekt des „Gehorsams-Experiment“ mitgedacht hätten, woraus der „Kollateralnutzen“ in Richtung eines reaktionären Staatsumbaus zu ziehen wäre.
Ein starkes Indiz dafür ist das gesellschaftliche Klima, in der die Diskussion zu allen Seiten der Thematik geführt wurde, oder eben nicht geführt werden durfte. Dieses Klima war geprägt durch Unduldsamkeit, die Verengung des „erlaubten“ Meinungskorridors und Ausgrenzung aller Stimmen, die nicht dem „offiziellen Narrativ“ huldigten. Das ist umso bemerkenswerter, als die medizinische fachwissenschaftliche Diskussion naturgemäß keinesfalls abgeschlossen sein kann und fortlaufend neue Erkenntnisse hinzukommen. Verdächtigungs-„Kultur“ und Gleichschaltung sind auch in der Virus-Debatte Feinde eines freien, wissenschaftsbasierten Denkens.
Ein Schlüsselwort, an dem die Gleichschaltungsbestrebungen abzulesen sind, ist das Schimpfwort vom „Verschwörungstheoretiker“, und das scheint überhaupt eine ziemlich gravierende Neben- und Folgewirkung der Pandemie zu sein. So häufig wie selten zuvor geisterte es durch Presse, Funk und Fernsehen, an manchen Tagen wurde es uns stündlich in den Nachrichten aufgedrängt.
„Im Schlepptau des Corona-Virus haben Verschwörungstheorien gerade Hochkonjunktur“, so der „Fokus“ am 26.04.2020, der „Spiegel“ warnt am 10.05.2020 vor einer „Allianz des Schwachsinns“ und in der „taz“ spricht Berlins Innensenator Geisel (SPD) von „Systemverächtern“. Das Immunsystem gegen „Schwachsinn“ scheint geschwächt: 20 Prozent der Wahlberechtigten meinen, dass „Politik und Medien die Gefährlichkeit des Corona-Virus ganz bewusst übertreiben, um die Öffentlichkeit zu täuschen“, fand infratest dimap im Auftrag des NDR Medienmagazin ZAPP heraus. Vom selben Institut hat das ARD-Magazin Kontraste herausfinden lassen, dass 38 Prozent der Befragten unter ihren Verwandten, Freunden und Bekannten mindestens einige kennen, die glauben, dass die Politik das Coronavirus als Vorwand nutzt, um Freiheitsrechte einzuschränken. Silvio Duwe vom rbb schlussfolgert, die „Hygienedemos“ seien „mit Verschwörungsmythen angeheizt“.
Ein weiteres Beispiel von vielen: „Im Strudel der Verschwörungstheorien: Seit der Corona-Krise werden zahlreiche Verschwörungstheorien verbreitet“, berichtet der ARD-„report Mainz“ am 27.05 2020. Die Anmoderation von Fritz Frey: „Mit der Corona-Krise kommt ein bekanntes Phänomen zurück – Verschwörungstheorien. In vielen dieser Welterklärungserzählungen geht es um dunkle Mächte, Mächte, die uns – marionettengleich – ins Verhängnis führen wollen. Mal gehört die dunkle Hand Angela Merkel, mal einem jüdischen Pharmakonzern oder einfach nur Bill Gates.“
Wer „Verschwörungstheoretiker“ sagt, muss auch „Antisemit“ sagen
Die Mainzer Reporter haben (nach eigenem Bekunden) „zwei Männer getroffen, die den Ausstieg geschafft haben.“ Rainer Rupp fasst zusammen: „Jetzt ist Verschwörungstheorie bereits ansteckend und brandgefährlich für den braven deutschen Michel. Es ist eine Sekte, oder Sucht, aus der man nur mit Hilfe von politisch korrektem, betreutem Denken austeigen kann.“
Wahrscheinlich führt es zu nichts, dem Geheimnis von „Merkels dunkler Hand“ nachzuspüren, weil die von den närrischen Mainzern wohl eigens zu ihrem Report erschaffen wurde. Aber was wissen wir über die Religionszugehörigkeit von Pharmakonzernen? Die ist üblicherweise weder bekannt noch von Interesse. Die globalen Branchengrößten heißen Roche, Novartis, Astrazeneca, GlaxoSmithKline, Eli Lilly, Johnson & Johnson, Pfizer, Bayer, Merck, Sanofi und Hoffmann-La Roche. Na, klingelt da was? Doch eher nicht.
Macht aber nichts, professionelle Antisemitismusbeauftragte kommen auch ganz ohne Juden aus. Wie das geht, verrät eine „sozialistische Zeitung“ namens „Neues Deutschland“ (ganz ernsthaft): „In diesem Licht schwingt in der Corona-Verschwörungstheorie, auch wenn Juden namentlich nicht genannt werden, ein antisemitisches Stereotyp mit – von Judenhassern dankbar aufgenommen.“ Alles klar: Wer am amtlichen Corona-Kurs zweifelt, der ist Antisemit.
Der Diffamierungseffekt dieses Totschlagarguments steht außer Frage, doch was könnte noch hinter der Mainzer Büttenrede vom „jüdischen Pharmakonzern“ stecken? Aktuell stehen die Machenschaften von „Big Pharma“ im Fokus der Kritik. Denkt man sich in Mainz (und andernorts), dagegen schützt am Effektivsten, wenn man die Kritisierten als jüdisch deklariert? Und wäre das nicht auch ein Erfolgsrezept für Gangster aller Art? Einfach einen (echten oder getürkten) Juden an die Spitze einer kriminellen Organisation stellen, schon hat man weder Anklage noch Verurteilung zu fürchten, und ist gegen jede Kritik immun? So geht „Antisemitismus heute“, in besten Händen bei den professionellen „Antisemitismus-Jägern“. Dass der dringend notwendige Kampf gegen den real existierenden Judenhass dabei unterminiert, ja sabotiert wird, kümmert die Herrschaft eher nicht.
Da muss der Staatsschutz her
„Die zahlreichen Demos gegen die Corona-Beschränkungen sorgen für Kritik fast aller politischen Akteure“, so die ARD, und warnte „vor Radikalisierung, demokratiefeindlichen Tendenzen und Verschwörungstheorien“. Angesichts der Gefahr dieser neuen Kriminalität wird der Präsident des Bundeskriminalamtes aufgefahren: Der sieht, wie von ihm erwartet, auch ein „bedrohliches Potenzial“, besonders in Erwartung „der Gefahr wirtschaftlicher Probleme für viele Bundesbürger“!
Folgerichtig hatte die 212. Sitzung der Innenministerkonferenz v. 17. bis 19.06.2020 in Erfurt den Tagesordnungspunkt 3: „Gezielte Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen“. „Man beobachte ‚aufmerksam, dass die derzeitige Corona-Pandemie von Extremisten, Verschwörungstheoretikern sowie nachrichtendienstlicher Akteuren fremder Staaten ausgenutzt wird‘, Extremisten würden die Corona-Krise für „‘ihre verfassungsfeindlichen Zwecke‘ missbrauchen, und es werde versucht, ‚Ängste und Unruhe in der Bevölkerung zu schüren‘.“ Der Bericht in der ARD erschien unter dem Titel „Ein Fall für den Verfassungsschutz?“, denn der Inlandsgeheimdienst „will dazu bald ein Sonderlagebild vorlegen“.
Es sind gerade die „Verschwörungstheoretiker“ bekämpfen wollenden „Faktenchecker“, die nicht mit „Fake News“ geizen: „Ken Jebsen ist ein ehemaliger Moderator, der vor fast zehn Jahren seinen Job beim rbb nach antisemitischen Äußerungen verlor“, weiß der „Faktencheck von Jonas-Mueller-Töwe“ auf t- online. Auf diesen seinerzeit vom Publizisten Henryk M. Broder („Die Welt“, davor „St. Pauli-Magazin“) in seinem Blog „Die Achse des Guten“ verbreiteten Vorwurf konnte man schon am 09.11.2011 lesen: „KenFM: RBB nennt Antisemitismusvorwürfe gegen Jebsen ‚haltlos‘“.
Daraus könnte man folgern: „Alles wird binär in gut und böse, schwarz oder weiß beziehungsweise rot oder blau aufgeteilt. Symbole werden herausgelöst, fehl- und uminterpretiert, wie es gerade passt.“ Der das formuliert, kritisiert damit nicht etwa die Arbeitsweise der „Faktenchecker“, sondern ist selber einer: Wulf Rohwedder, und er warnt folglich auf der „tagesschau“-Seite „ganz differenziert“ vor „Pillen, Masken und Illuminaten“.
Das übereinstimmende Merkmal von „Verschwörungstheorien“ sei das „klare Feindbild“, heißt es Land auf, Land ab, und wie zum Beweis lesen wir: „Gerade Krisenzeiten werden von Extremisten und fremden Nachrichtendiensten für ihre Bestrebungen genutzt, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben“. Dieser „Verschwörungstheoretiker“ mit dem klaren Feindbild heißt allerdings Roger Lewentz (SPD), seines Zeichens rheinland-pfälzischer Innenminister.
Berechtigte Vorwürfe oder Totschlagargumente?
Wie die Stimmungsmache der Leitmedien funktioniert, brachte die Kabarettistin Lisa Fitz in der „SWR Spätschicht“ am 17.06.2020 auf den Punkt:
„Ich glaube ja, Corona ist ein Intelligenztest. Was zurzeit herrscht, ist ja vollkommen aus dem Ruder gelaufenes Halbwissen, also die Leute sagen ja ihre Meinung, bevor sie sich die überhaupt gebildet haben. Und von Medien und Staat wird ja panisch diskriminiert, um den Deckel auf dem Dampftopf zu halten, damit der Pöbel keine Macht bekommt. Weil, – Ruhe! Nein, Ruhe ist nicht des Bürgers erste Pflicht, sondern der Bürger hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Aber irgendwie, ach, ich weiß nicht, Kinder, die Nummer mit den Verschwörungstheoretikern ist doch jetzt irgendwie auch durch, oder? Ich weiß nicht, ja, immer heißt es rechtsradikale verschwörungstheoretische Hetzer und Aluhut tragende Impfgegner und – alle in einen Topf nei [hinein], verstehn Sie, es wird gar nichts mehr differenziert, oder: esopopulistische antisemitische Wirrköpfe mit Verschwörungs – kruden! Kruden müssen‘s immer sagen, kruden – ganz wichtig! – kruuhuhuden Verschwörungstheorien.“
Zum Zweck befand der Freidenkerverband schon 2009: „Wer die von den Leitmedien dekretierten Deutungen der Wirklichkeit anzweifelt, wird als ‚Verschwörungstheoretiker‘ aus der ‚erlaubten‘ Meinungsbildung ausgeschlossen.“ Und etwas später: „Es wächst die Zahl der Initiativen und Seiten, die sich kritisch mit der gebotenen Information und ihrer Deutung auseinandersetzen, die sich um alternative Informationen bemühen. Dieses Phänomen ist auch seitens der Meinungsmonopolisten nicht unbemerkt geblieben, die ihm natürlich nicht tatenlos zusehen. Sie versuchen, mit Desinformation auch in diesem Bereich mitzumischen, insbesondere durch das Unterschieben von esoterischen und obskuren Themen oder faschistoiden Inhalten wollen sie das Ringen um wahrhaftige Information kompromittieren, aus dem seriösen Diskurs ausgrenzen und ausschalten.“
Betrachtet man das Phänomen ohne hetzerische und indoktrinierende Absicht, stellt man fest: Kein Krimi kommt ohne „Verschwörungstheorie“ aus. Nur heißt das dort „Ermittlungsansatz“ oder „Arbeitshypothese“. Einige Angegriffene erwidern: „Gefährlicher als die Theoretiker sind die Verschwörungspraktiker“, und Dr. Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Linken, meint: „Wenn es Verschwörungen gibt, braucht man immer eine gute Theorie, um ihnen auf die Spur zu kommen“.
Verschwörungen – ganz real
Die Geschichte ist nämlich voller Verschwörungen: geheime Absprachen zu verbrecherischen (politischen) Zwecken, also reale Verschwörungen. Die älteste bekannte heißt sogar so – Catalinarische Verschwörung, in Rom im Jahr 64 v.u.Z., als Senator Catalina einen erfolglosen Aufstand gegen Cicero wagte. Und war, wenn man der biblischen Erzählung glaubt, der Verrat Jesu‘ an die Römer durch den sprichwörtlichen „Judaskuss“ keine Verschwörung?
Das Zauberwort „Verschwörungstheorie“ in der medialen Öffentlichkeit verdanken wir dem US-Geheimdienst CIA, der damit alle Kritiker der offiziellen Version der Kennedy-Ermordung 1963 mundtot machen wollte – so nachzulesen im CIA-Dokument #1035-960 mit dem Betreff „Kritik am Warren Report“: „Dieser Meinungstrend liegt nicht im Anliegen der US-Regierung, einschließlich unserer Organisation“, dann gab man Tipps zum Umgang mit „unangenehmen Kritikern” und wie man diesen begegnen kann. Denn: „Verschwörungstheorien haben immer wieder unsere Organisation [CIA] unter Verdacht (…) Das Ziel (…) ist es, (…) die Behauptungen der Verschwörungstheoretiker zu diskreditieren, wie auch die Verbreitung solcher Behauptungen in anderen Ländern zu verhindern. (…) Nutzen Sie Propagandatechniken, (…) Weisen Sie darauf hin, dass Teile der Verschwörungsgespräche scheinbar absichtlich von kommunistischen Propagandisten erzeugt werden.“
Die deutschen Faschisten brauchten 1933 den brennenden Reichstag, um ihren Terror gegen alle Linken zu eskalieren, sie erfanden 1939 den „Überfall auf den Sender Gleiwitz“ als Vorwand für den Angriff auf Polen, die USA haben 1964 mit dem erlogenen „Tonkin-Zwischenfall“ ihren Vietnamkrieg gestartet, die NATO fakte im Januar 1999 ein „Massaker von Račak“, um einen Vorwand für ihre Aggression gegen Jugoslawien zu schaffen. Die wenigen Beispiele zeigen, wie unverzichtbar Zweifel und unabhängige Untersuchungen sind, um den realen Verschwörungen der Herrschenden auf die Schliche zu kommen.
So resümiert die Medienwissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Schiffer: „Bei ‚9-11‘ wurde der Begriff vor allem zur Abwehr von Kritik oder Zweifeln an der offiziellen Verschwörungstheorie benutzt. Es war also ein denunziatorischer Begriff, der tatsächlich nichts mehr mit einer möglicherweise zugrunde liegenden und noch nicht bewiesenen Verschwörung zu tun hatte, sondern schlicht die Bedeutung der Ablehnung von Nachfragen annahm. Also genau das, was jeglichen Journalismus ausmacht bzw. ausmachen sollte, sowie jegliche unabhängige Wissenschaft.“
Der linke Sozialdemokrat Hermann Scheer, MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstandes, verstorben am 14. Oktober 2010, im Interview: „Es gibt natürlich einen Totschlagsbegriff ‚Verschwörungstheorie‘, und der alles abtun soll, was in dem Zusammenhang an Vermutungen, konkreten Verdachtsmomenten usw. da ist, und womit ja unterstellt wird — indirekt mit diesem Totschlagsbegriff — es gäbe keine Verschwörungen. Aber natürlich gibt es Verschwörungen — selbstverständlich! Und die beste Möglichkeit von Verschwörung abzulenken, ist ein „Ach Verschwörungstheorie“ — aus der Luft gegriffen, irgendwie herbei phantasiert oder sonst irgendwas. Aber — die Vorgänge, die nun wirklich einigermaßen dokumentiert sind, sind alles andere als Verschwörungstheorien, es waren Verschwörungen! Die Aufgabe bleibt, dass institutionelle Vorkehrungen getroffen werden müssen, die allesamt mit Transparenz zusammenhängen, damit sich eine Demokratie vor ihren Unterminierern schützen kann. Der Feind sitzt innen — heute mehr denn je. Und nicht mehr außen. Er sitzt mehr denn je innen.“
Wie steht es aber mit den „coronabedingten“, aktuellen „Verschwörungstheorien“? Das wäre ein Thema für eine Extradosis.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildquelle: Shutterstock / Sumandaq
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