Von Bernhard Trautvetter.
So richtig der Satz des französischen Sozialisten Jean Jaures ist, der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen, so sehr ist es wichtig, den antikapitalistischen Blick auf das System als Ursache des Übels mit der konkreten Analyse der jeweils gegenwärtigen Lage quasi diagnostisch konkret zu verbinden. Wolfgang Bittners Buch über die US-Machtpolitik am Beispiel der Ukraine leistet hier Wichtiges.
Es reicht allerdings nicht, sich gegen strategische Machtpolitik des Imperialismus zu wenden. Was der Soziologe Max Horkheimer einst zum Faschismus sagte, gilt auch für den Krieg: “Wer …vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.” Doch: In der Tat reicht es nicht, sich alleine dafür einzusetzen, dass der Kapitalismus als Grundübel von der Weltbühne der Geschichte verschwindet, sonst existiert die Kriegsgefahr fort. So richtig das ist, befähigt die rein antikapitalistische Position alleine noch nicht dazu, in einer gegebenen konkreten Situation der internationalen Beziehungen zu analysieren, was geschieht und welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben.
Ich beziehe mich hier grundlegend auf Brzezińskis “Amerikas Strategie der Vorherrschaft” (Untertitel) Im Buch >>Die einzige Weltmacht<<.
Er schreibt: “Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein europäisches Reich mehr. … Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutsamen Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatische die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa und würde Polen zu einem geopolitischen Angelpunkt an der Ostgrenze eines vereinigten Europas werden lassen.” (S. 74f.)
Diese Schachbrett-Sicht findet ihren Ausgangspunkt in Brzezińskis Einleitung, die er ‘Supermachtpolitik’ nennt: “Mit dem Scheitern und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg ein Land der westlichen Hemisphäre, nämlich die Vereinigten Staaten, zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht auf. …Amerikas Politik sollte letzten Endes von der Vision einer besseren Welt getragen sein: der Vision, im Einklang mit langfristigen Trends sowie den fundamentalen Interessen der Menschheit eine auf wirksame Zusammenarbeit beruhende Weltgemeinschaft zu gestalten. Aber bis es soweit ist, lautet das Gebot, keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und damit auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte.” (S. 15f.) Das kulminiert im Kapitel ‘Schlussfolgerungen’: “Kurz, die Politik der USA muss unverdrossen und ohne Wenn und Aber ein doppeltes Ziel verfolgen: die beherrschende Stellung Amerikas für noch mindestens eine Generation und vorzugsweise länger zu bewahren…” (S. 306) Schlusssatz des Buches: Ein geostrategischer Erfolg dieser Zielsetzung wäre dann die durchaus angemessene Erbschaft, die Amerika als erste, einzige und letzte echte Supermacht der Nachwelt hinterlassen würde.” (S.307)
Diesen strategischen Ansatz muss die Friedensbewegung kennen und als Bezugsrahmen US-Amerikanischer Macht-, Militär- und Geopolitik ernst nehmen. Sonst wird sie anfällig für eine transatlantische Blauäugigkeit, wie wir sie in Spektren beklagen müssen, die in den 80er Jahren noch teilweise unseren Protest gegen die Kriegstreiber mitgetragen haben.
Um jetzt nicht in einen vereinfachenden Antiamerikanismus zu verfallen, wie wir das auch bei Nazis erleben, die Deutschland über alles heben, ergänzt sich diese Analyse notwendig mit der Kritik am deutschen Militarismus, der im 20. Jahrhundert die größten Menschheitstragödien ausgelöst hat, die beiden Weltkriege inklusive des industrielle organisierten und durchgeführten Massenmordes an circa sechs Millionen Juden und mit einer Gesamtopferzahl von knapp 80 Millionen Toten und ungezählten weiteren körperlichen und seelischen Opfern. Was die seelischen Opfer betrifft, können wir uns selbst mit hinzuzählen. Denn die militärischen Zukunftsgefährdungen und die Wunden der Geschichte lasten zumindest unmerklich auf unserer Seele.
Brzeziński schrieb dazu: “Bemerkenswert ist, dass es bei internationalen Konflikten und Akten von Terrorismus bisher nicht zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen gekommen ist. Wie lange diese Selbstbeschränkung noch anhält, lässt sich natürlich nicht vorhersagen, aber da Kriegsgerät mit enormer Zerstörungskraft – etwa Atom- oder bakteriologische Waffen – … zugänglich ist, nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen eingesetzt werden, unweigerlich zu.” (S. 303)
Hier steht also das Überleben der Menschheit auf dem Spiel. Der nukleare Winter, der alles menschliche Leben beendet, setzt ein, wenn ein Bruchteil (1.000) der vorhanden nuklearen Sprengköpfe zur Explosion gekommen ist. 2.000 Sprengköpfe befinden sich laufend in ‘hoher Alarmbereitschaft’ (ntv.de, 07. Juni 2011). 5.000 werden als ‘jederzeit einsatzbereit’ benannt. (ebd.)
Statt dass das zur Konsequenz einer unbedingten Friedenspolitik mit Kriegsprävention durch Interessensausgleich und internationale Kooperation führt, erlebt der deutsche Militarismus, wohl im Windschatten des militärstrategischen Denkens in der US-Elite weitere Blüten bis ins Bundespräsidialamt: Beim Antrittsbesuch bei der Bundeswehr verlautbarte Joachim Gauck: “Gewalt, auch militärische Gewalt, wird ja immer ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – eben nicht in einer geheilten, sondern in einer tief gespaltenen Welt, sie kann in einer solchen Welt notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden. Deshalb: „Ohne uns“ als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte ernst nehmen. Darum ist ja auch die Bezeichnung „Staatsbürger in Uniform“ so gut, wir wollen sie bewahren: Sie sind eben nicht nur Bürger, sondern auch Staatsbürger, diesem Land verpflichtet.
Ihr Werbespruch „Wir. Dienen. Deutschland.“ trifft es auf den Punkt – das heißt, mit gleich drei Punkten nach meinem Geschmack fast zu viel, aber Sie haben ja etwas beabsichtigt mit dieser Punktierung. Er trifft, nicht allein, was das „dienen“ betrifft. Er lässt eben auch einen Patriotismus aufscheinen, der sich – frei nach Johannes Rau – darin zeigt, dass man sein Heimatland liebt, die Heimatländer der anderen darum aber nicht verachten muss.” (http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/06/120612-Bundeswehr.html)
Man verachtet nicht nur die Heimatländer der anderen nicht, sondern man hat auch höchste Wertschätzung für deren Rohstoffe: Die Bundeswehr, eine Einrichtung mit dem ursprünglich deklarierten Auftrag reiner Landesverteidigung gegen einen Angriff, gibt sich unter dem offiziellen Begriff ‘Neuausrichtung’ immer offener als Interventionsarmee, auch um >>unsere<< Handelswege zu verteidigen, zu erkennen: “Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung.” (Broschüre der Bundeswehr: “Die Neuausrichtung – der Bundeswehr Nationale Interessen wahren”)
Hier wird wie im allgemeinen NATO-Sprech statt von “Friedenspolitik” von “Außen- und Sicherheitspolitik” gesprochen, Das ist strategische Kommunikation, um zu verbergen, was man tut, und um für die Militarisierung des Denkens und Handelns die Unterstützung derer zu gewinnen, die sich mit Begriffen leicht erreichen lassen und dadurch das Nachdenken ersetzen.
Fassen wir zusammen:
Die Kräfte des Friedens geben sich erst beruhigt, wenn die systemische Ursache für Krieg im System, das die Konkurrenz im Markt mitunter selbst “Wirtschaftskrieg” nennt, Geschichte ist. Das wird nicht so einfach, muss aber sein.
Auf dem Weg sind konkrete Zwischenschritte wie bei einer Bergbesteigung angesagt:
Die Achillesfersen der Militaristen in der Öffentlichkeit für eine Verbreiterung des Friedensengagements nutzen, die Völkerrechtsbrüche, die Dohnen-gestützten außergerichtlichen Tötungen, die atomare Aufrüstung, Angriffskriege, Propagandalügen der Herrschenden zur Verschleierung ihrer Absichten (siehe Ukraine), Ressourcenverschwendung, … all das ist zu geißeln und konkret vor Ort, in Ramstein, Kalkar, Büchel… zu skandalisieren.
Und die Friedensbewegung umfasst ein breites Spektrum, das auch Konservative, also AnhängerInnen des Systems mit dem Wirtschaftskrieg in die Aktion und in den Meinungsaustausch einlädt und einbezieht. Wir haben viel vor uns, an Diskussion, Aufklärung und gemeinsamer Tat… gegen die NATO-Osterweiterung, die aktuell auch ein neues Kapitel in Ex-Jugoslawien schreibt, die atomare Bedrohung, Kriege, … denn unser “Nein” zum Krieg ist ein “Ja” zum Leben.
Jetzt erst einmal Ramstein, dann Hiroshima-/Nagasaki-Mahngedenken Anfang August, dann Antikriegstag 76 Jahre nach dem Beginn des 2. Weltkrieges durch die Nazis mit der Lüge „…seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen”, dann am 3.10. Kalkar/Essen und die Woche darauf in der Bundeshauptstadt… usw.
Und immer zuhause, da, wo wir den Frieden – auch – leben, denn es gibt keinen Weg dorthin.
Foto: Brzeziński, Kleinschmidt MSC 2014 (CC BY 3.0 DE)
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Textes.
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