Thesen zur „deutschen Schuld“

Auszug aus dem Buch „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise

von Wolfgang Bittner.

Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg wurden durch den Eintritt der USA auf Seiten Englands, Frankreichs und Russlands entschieden, und nach verbreiteter Meinung traf die Schuld an diesen Menschheitskatastrophen Deutschland. Zwar wird Geschichte von den Siegern geschrieben, aber zahlreiche Dokumente und Äußerungen damaliger Politiker belegen, dass diese festgeschriebene Schuld Deutschlands einer genaueren Betrachtung bedarf.(1)

Von der englischen und US-amerikanischen Geschichtsschreibung wurde der Historiker und Bestsellerautor Fritz Fischer, der von der Hauptschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg ausging, als der bedeutendste Historiker des 20. Jahrhunderts gepriesen. In seinem 1961 erschienenen Werk „Griff nach der Weltmacht“ suchte er akribisch eine Kontinuität aggressiven deutschen Weltmachtstrebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also vom Kaiserreich bis zur NS-Diktatur, nachzuweisen. Über die von ihm konstatierten imperialistischen Machbestrebungen des Deutschen Reiches, die nach seiner Meinung den Ersten Weltkrieg ausgelöst haben, schrieb er: „Bei der angespannten Weltlage des Jahres 1914, nicht zuletzt als Folge der deutschen Weltpolitik, mußte jeder begrenzte (lokale) Krieg in Europa, an dem eine Großmacht beteiligt war, die Gefahr eines allgemeinen Krieges unvermeidbar nahe heranrücken. Da Deutschland den österreichisch-serbischen Krieg gewollt, gewünscht und gedeckt hat, und, im Vertrauen auf die deutsche militärische Überlegenheit, es im Jahre 1914 bewußt auf einen Konflikt mit Rußland und Frankreich ankommen ließ, trägt die deutsche Reichsführung einen erheblichen Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch des allgemeinen Krieges.“(2)

Hinsichtlich der Seriosität der Einsichten dieses Historikers ist zu berücksichtigen, dass er als Exponent des Hitlerfaschismus galt und als solcher nach Kriegsende in den „Automatischen Arrest“ kam. 1933 in die SA und 1937 in die NSDAP eingetreten, wurde er 1939 Stipendiat am Institut des NS-Historikers Walter Frank. Er bot Vorträge zum Einfluss des Judentums auf Staat und Gesellschaft an, zum Beispiel: „Das Eindringen jüdischen Blutes in Kultur und Politik Deutschlands in den letzten 200 Jahren“ oder „Die Rolle des Judentums in Wirtschaft und Staat der USA“. 1942 wurde er auf Empfehlung des nationalsozialistischen Hochschulpolitikers Adolf Rein zum außerordentlichen Professor an der Hamburger Universität ernannt.(3) Seltsamerweise wurde Fischer entlastet und erhielt schon 1948 wieder eine Professur in Hamburg. Er widmete sich als „kompromissloser Aufklärer“ der Geschichte des Ersten Weltkriegs und bildete eine Anzahl seinen Thesen zugewandter (eher linksorientierter) Schüler aus. Seine Nazivergangenheit verleugnete er und betonte stattdessen, kein Anhänger des Nationalsozialismus gewesen zu sein.(4)

Wie immer man zu Fischers Vergangenheit und seinem Werk, das den Alliierten sehr gelegen kam und von ihrem Weltmachtstreben absah, stehen mag: Ein Mangel ist vor allem, dass ihm (wie auch Karl Kautsky, Hermann Katorowicz, Imanuel Geiss und anderen, die dazu publizierten) nicht die Dokumente aus den Archiven der Alliierten zur Verfügung standen, die bis dato gesperrt sind.

Eine andere, eher vermittelnde Meinung vertrat der in Cambridge lehrende australische Historiker Christopher Clark in seinem 2013 in deutscher Sprache erschienenen Werk „Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“. Er umgeht die Frage nach der Kriegsschuld, indem er schreibt: „In dieser Geschichte gibt es keine Tatwaffe als unwiderlegbaren Beweis, oder genauer: Es gibt sie in der Hand jedes einzelnen wichtigen Akteurs. So gesehen war der Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen.“(5)

Die Veröffentlichungen Fischers und Clarks führten zu einer bis heute andauernden Kontroverse in der deutschen und ausländischen Geschichtswissenschaft. Clark wurde vorgeworfen, er wolle die Deutschen durch „Verkürzungen“, „Verdrehungen“ und „Verfälschungen“ weißwaschen.(6) Aber auch die Thesen Fischers blieben nicht unwidersprochen. Als namhafte Kritiker Fischers sind die Historiker Wolfgang J. Mommsen, Paul Sethe und Thomas Nipperdey zu nennen, die eine alleinige Schuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg infrage stellten.(7)

Mehr zu diesem Thema: Wolfgang Bittner, Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise, S. 113.-139, in den Kapiteln über die britisch-amerikanische Imperialpolitik, den Ersten Weltkrieg, Versailler Vertrag, Hitler und den Zweiten Weltkrieg.

Quellen:

(1) Vgl. hierzu Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure, Höhr-Grenzhausen 2014, S. 117 ff.
(2) Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/1918, Düsseldorf 1961, S. 97.
(3) Dazu: Hamburger Abendblatt, 11.8.2016, www.abendblatt.de/hamburg/article208041841/Historiker-Fritz-Fischer-schummelte-bei-seiner-Biografie.html
(4) Vgl. Effenberger/Wimmer, S. 442 ff.
(5) Christopher Clark: Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013, S. 716
(6) Vgl. Neues Deutschland, 25.8.2017, www.neues-deutschland.de/artikel/1061632.vorreiter-der-revisionisten.html
(7) Vgl. Effenberger/Wimmer, S. 445.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2017 erschien von ihm „Die Eroberung Europas durch die USA – Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“, und im März 2019 der Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

Verlag zeitgeist, Klappenbroschur, 320 S., 20 Abb., 19,90 €, Höhr-Grenzhausen 2019.

Klappentext: Bereits 1961 warnte der US-Präsident und ehemalige Generalstabschef Eisenhower vor den verhängnisvollen Verflechtungen des „militärisch-industriellen Komplexes“ mit der Politik der USA. „Wir dürfen“, so Eisenhower, „es nie zulassen, dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet.“

Wenn wir uns die gegenwärtige politische Weltlage ansehen, wird deutlich, was Eisenhower meinte. Doch Wolfgang Bittner beschränkt sich nicht auf die jüngere Zeit, vielmehr geht er zurück auf eine mehr als ein Jahrhundert währende britisch-amerikanische und französische Imperialpolitik, der das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn zum Opfer gefallen sind, und die nach wie vor – ausgehend von Interessengruppen in den USA – Deutschland im Fadenkreuz hat. Sein Buch bietet eine Gesamtschau der globalen politischen Entwicklung im 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart, von Europa über Nord- und Südamerika bis nach Asien. Bittner deckt die Hintergründe der Aggressions- und Interventionspolitik einer gewissenlosen Allianz unter Führung der USA mit der von ihr dominierten NATO auf. Der Autor stellt damit auch eine faktenreiche Argumentationshilfe in der längst fälligen Auseinandersetzung mit der akut drohenden Kriegsgefahr zur Verfügung.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildhinweis: Alex SG / shutterstock

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