Tagesdosis 9.7.2019 – Rezo rockt die AfD

Rezo, Naomi und ich.

Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.

Das Video „Die Zerstörung der CDU“ des YouTubers Rezo, veröffentlicht eine Woche vor der Europawahl,  hat Mediengeschichte gemacht. 15 Millionen Aufrufe für die Veröffentlichung einer politisch völlig unbekannten Person, das hatte es noch nie gegeben. Es ist erst möglich, seit es das Internet gibt. Die Ergebnisse der Europawahl waren genauso spektakulär, sie kamen einem Erdbeben gleich. Nach der Wahl standen diverse Parteien vor der Frage, was zum Teufel da so schiefgelaufen war. Außer den Grünen, die sich über eine perfekte Welle freuen konnten, ohne dass sie dafür groß etwas geleistet hätten.

Bei der Suche nach der Ursache war bald ein Sündenbock mit blauen Haaren gefunden. Offenbar, so die Analysen, war es Rezo gelungen, aus dem luftleeren Raum die Wahl zu bestimmen, über alle kleinteilig durchgeplante Wahlpropaganda der Parteien hinweg. Da war es naheliegend, erst mal darüber nachzudenken, ob man so was in Zukunft verbieten könnte. Die Frage „Darf der das einfach so?“ ließ sich allerdings schnell beantworten, auch in Parteien gibt es Juristen mit Kenntnissen des Verfassungsrechts. Die Antwort lautet: Ja, der darf das. Auch wenn es den Parteien, die nach dem Grundgesetz ja nur an der Willensbildung des Volkes „mitwirken“, partout nicht in den Kram passte und passt.

Wozu hatte man sich schließlich in Jahrzehnten harter Arbeit ein öffentlich-rechtliches Mediensystem aufgebaut und stromlinienförmig sandgestrahlt, in dem so etwas unmöglich ist? Auch für die Printmedien, sonst nur selten einer Parteinahme abhold, war Rezos Video außerhalb der Vorstellungswelt. Man hatte sich doch so schön miteinander arrangiert! Die Sender berichten zärtlich über die Parteien, dafür gibt es für die Journalisten gute Posten und ein sicheres Reihenhaus. 

Ich hatte gemeinsam mit den Kollegen Robert Fleischer und Mathias Bröckers in unserer YouTube Sendung „Das 3. Jahrtausend“ mehr als klammheimliche Freude über das Video geäußert, wir waren uns unausgesprochen und intuitiv sicher, dass die meisten Zuschauer das ähnlich sehen würden. Ein junger Mann, der blauäugig- und haarig die Republik aufrollt, damals waren es etwa 3 Millionen Zuschauer, Tendenz rapide steigend, wir fanden das super. Rezo war aus meiner Sicht Sauerstoff-Belüftung im umkippenden Politbiotop. Ein Außenseiter, ein Quereinsteiger, ein junger Mann, der es geschafft hatte, den Nerv zu treffen, nach dem Kohorten von Journalisten jeden Tag stochern. Chapeau!

Ich war sehr erstaunt, dass es anders kam. Sehr viele Menschen suchten, genau wie die Parteien, nach dem finsteren Geheimnis von Rezo. Sie interessierten sich nicht dafür, was sein Video so wirkungsvoll machte, warum er so erfolgreich war, sondern WER es so schlagkräftig werden ließ. Also: wer steckt hinter Rezo? Irgendjemand muss doch dahinterstecken, wenn etwas so erfolgreich ist. Die Recherche verlief im bekannten Muster: Ah, da steht im Impressum TubeOne. Gehört zu Ströer Media. Gibt es da irgendwelchen Verbindungen? Machen die Wahlwerbung für die Grünen? Nein, die sind eine große Firma, mit Hauptinteresse Geld und noch mehr Geld. So weit, so gut oder schlecht. Ich hielt es ausserderdem noch für sinnvoll, mich damit zu beschäftigen, was Rezo sonst so macht, und sortierte das nach ein paar Videos unter „Streichelzoo“ ein, fluffige Gute-Laune-Videos für Teenies mit Werbeunterstützung von Großkonzernen. Wir kochen uns selber Cola in der Küche, aber die echte ist doch besser, so etwa. Registrierkassengeräusch aus der Cola-Ecke. Und ich wollte wissen, wie wichtig diese Influencer sind, kommerziell. Ergebnis: Influencer sind einer der interessantesten Werbemärkte, die es derzeit gibt, fast 1 Milliarde Euro schwer, nur junge Leute als Zielpublikum, alle, wirklich alle Agenturen und fast alle Medien springen deshalb auf diesen Zug auf und wollen mitverdienen.

Es gab keine Fakten zu Rezo, die ein politisches Komplott bewiesen oder auch nur nahelegten. Ich telefonierte herum und bekam einige interessante Informationen, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Was da in den alternativen Medien und bei den Parteien abgehe (was für eine interessante Gruppe Gleichgesinnter sich da gebildet hatte!), sei der helle Wahnsinn. Weil man mit wahrheitsgemäßen Antworten auf heftige Unterstellungen nichts erreicht habe, jede Erklärung habe die wilden Thesen nur weiter angefacht, werde man es einfach bleiben lassen, etwas zu sagen. Es gab aber ein glasklares Dementi der Grünen, dass sie keine, keinerlei, niente Verbindung zu Rezo oder dem Video hätten. Und Leute, die den Blauhaarigen kannten, sagten, gegen die Zusicherung des Quellenschutzes, Rezo habe einen Uni-Abschluss als Informatiker und sei sehr wohl in der Lage eigenständig zu denken, zu recherchieren und Videos zu drehen. Ob ich meine Videos und Filme nur mit betreutem Recherchieren und mit visueller Unterstützung durch den Arbeitersamariterbund hinbekäme?

Na gut, dachte ich, aber wenn man jetzt eine Verbindung zu den Grünen nachweisen könnte, würde es schon interessant werden. Also, mal gucken, ob man doch was findet. Aber natürlich ohne öffentlich etwas zu behaupten, so lange man nichts belastbares hat, man ist schließlich Jagdhund, kein Zombie, der wild um sich beißt.

Andere waren nicht so zurückhaltend. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich kurz darauf, als Rezo-Sympathisant der Bildung einer meinungsterroristischen Organisation angeklagt und wahrheitsfrei als Teil eines angeblichen Netzwerkes von „Staatsjournalisten“ enttarnt würde, das ich also irgendwie, man weiß es nicht genau, aber irgendwie schon unter einer Decke mit Rezo stecke, aber auch mit Steffen Seibert und Tilo Jung und wem nicht alles. Dass ich ein geheimes Mitglied der Öffentlich-Rechtlichen sei, und quasi unter falscher Flagge sende. Willkommen in Absurdistan. Der Hausmeister dort heißt Oliver Janich.

Ich war sehr überrascht, verhörte mich selbst unter Androhung geradezu US-amerikanischer Befragungsmethoden, und versicherte mir umgehend, dass diese gequirlte Kaninchenkacke nur Teil eines Alptraumes sein könne. Vielleicht würde es helfen, aufzuwachen?

Nein, das half nicht, denn im Diesseits hat Oliver Janich eine erstaunlich große Anhängerschaft. Und er hat Telegramgruppen. Eine heißt Konterrevolution. Mit ihr dirigiert er seine Fan-Group in die Kommentarspalten der sozialen Medien.

Jetzt werde ich dutzendfach gefragt, wieso ich Anhänger der heiligen Greta und der Klimakirche sei, ich sei doch sonst nicht als außergewöhnlich bescheuert aufgefallen, ob ich nur ahnungslos sei, geistig verwirrt, oder ob ich doch bösartig manipulieren wolle? Ob ich nicht wisse, dass Umweltschutz und Klimaerwärmung strikt zu trennen sei, es eine Warmphase zur Römerzeit und im Mittelalter gab, dass Grönland Grünland bedeute, dass CO2 kein Gift sei, dass es immer schon Wandel im Klima gegeben habe und vieles mehr. Ob ich die genialen EIKE Videos nicht kenne?

Nun, ich gestehe: mein Verstand nötigt mich anzuerkennen, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, dass CO2 damit sehr viel zu tun hat und wir die Sache entweder in den Griff bekommen oder es übel enden wird. Zum Beispiel durch Kriege um Wasser und Nahrungsmittel, über die das US Militär bereits nachdenkt, denn die glauben an den menschengemachten Klimawandel. Apropos Klimaerwärmung. Ich spreche nicht von Computermodellen, sondern Messungen. Ich sehe dass leider auch noch der Methan Anteil exorbitant steigt, dass die Arktis in so rasantem Tempo schmilzt, dass sie in einem Maße schiffbar ist, den es noch nie gegeben hat, dass sie ab 2038 eisfrei sein könnte, und dass die 8 der 10 weltweit wärmsten Jahre nach 2000 liegen und die anderen zwei 1998 und 1999 waren. Ein besonders widerliches Detail ist, dass Wissenschaftler von Exxon bereits in den 80er Jahren akkurat vorhergesagt haben, welchen CO2 Gehalt und Temperatur wir 2019 erreicht haben würden. Und als Konsequenz daraus hatte die Firma beschlossen, in die Klimaleugner-Desinformation zu investieren, um noch ein paar Jahrzehnte Geschäfte auf Kosten der nachfolgenden Generationen machen zu können.

Ich kann auch sagen, dass es mir lieber ist, dass es eine anthropogene Klimaerwärmung gibt, als eine natürliche durch Sonnenaktivität oder Zyklen ganz ohne CO2 und Methan-Wirksamkeit. Denn so haben wir noch eine Chance, einer Zukunft mit Todeszonen zu entkommen, in denen keine Säugetiere mehr existieren können. Ich finde die Informationslage dazu nicht ausreichend, sondern überwältigend.

Nein, ich bin kein Anhänger der EIKE-Klimaschwandel-Kirche, ich glaube nicht an die alleinseligmachende Weisheit der AfD Klimapolitik, oder der realexistierenden Bolsonaro-Version, ich vertraue nicht auf die unfehlbare Wahrheit des Compact-Magazins und seiner Klima-Sonderausgaben. Wo ist jetzt der Scheiterhaufen, den ich besteigen soll?

Vorher würde ich noch gerne darauf verweisen, dass die AfD den Rezo Erfolg nachzuahmen versucht. Sie bauen gerade eine Anti-Greta in YouTube auf. Womit klar ist, dass sie nichts gegen die Methode „PR-Star für die junge Generation“ haben, sondern nur auf Gretas Erfolg neidisch sind. Die Anti-Greta heißt Naomi Seibt, ihre Mutter ist AfD Aktivistin, was man von ihrer Tochter auch behaupten kann, ohne zu lügen. Die AfD in Gestalt der Bundestagsabgeorneten Nicole Höchst hat Naomi Seibt einen Preis für ein Mut-Gedicht verliehen, das bemüht klingt, um es höflich auszudrücken, sprachlich begrenzte Eleganz abstrahlt und rhythmisch stark holpert. EIKE ist sich aber sicher, dass die Abiturientin eine großartige akademische Karriere vor sich hat. Na dann. Naomi Seibt wiederum macht, wie ihre Mutter, Werbung für den Mut zur Wahrheit – und – genau- wie könnte es anders sein – Werbung für Oliver Janich. Da wächst zusammen, was zusammengehört und feiert sich gegenseitig. Vielleicht hat jemand Interesse mal nachzuforschen, ob es das unterstellte Netzwerk der Grünen mit Rezo vielleicht in Wirklichkeit als PR-Netzwerk Janich-AfD-Seibt-EIKE gibt? Weil, in den sozialen Medien wird dieses Netzwerk  ja bereits eifrig organisiert. Welche Unterstützung gibt es da? Ich frage ja nur. Es ähnelt so sehr dem, was man bei Rezo unbedingt entdecken wollte. In der Psychologie nennt man das „Projektion“.

Ich glaube auch nicht, dass Rezo und seine virtuellen teuflischen Hintermänner der Grund für den Wahlerfolg der Grünen sind. Es ist vielmehr aus Umfragen klar, dass Themen wie die Flüchtlingskrise vom Thema Klima überholt worden sind, in der Gesamtbevölkerung, vor allem aber bei jungen Menschen. Die AfD erzielte mit dem Thema Flüchtlingskrise bis vor kurzem steigende Wählerzahlen, jetzt ging es leicht abwärts. Es ist eindeutig, dass im Gegensatz dazu die Prozentzahlen der Grünen nach dem Sommer 2018 in die Höhe gingen, um etwa 10%. Ganz ohne Rezo. Der Sommer 2018, 5 Monate ohne Regen, monatelange Hitze, vertrocknende Äcker und Wälder, war ein Menetekel. Das da etwas nicht mehr stimmt, haben sehr viele gespürt, den Deutschen wurde mulmig. Die passende Protestwahl dazu hieß: Grüne. Ob die Grünen die Richtigen sind, um das Problem wirksam anzugehen, ist aus meiner Sicht fraglich, aber sie sind wenigstens nicht die größte Fehlbesetzung in Sachen Klima. Ihnen zu unterstellen, dass sie eine Kulturrevolution mit Millionen Toten wollen, was leider in einigen Alternativmedien publiziert wurde, ist grotesk und infam. Es erinnert an Kriegspropaganda, an die umgestürzten Brutkästen in Kuwait.

Die Menschheit, hier stimmt das große Wort, steht am Scheideweg. Wir  müssen es schaffen, als Spezies einen „Overwiew“ Effekt in uns allen zu erzeugen. So nennt man das Ergebnis, wenn Astronauten/Kosmonauten die Erde aus dem All sehen. Sie verstehen dann, mit der Intensität eines Nahtoderlebnisses, dass wir nur diese eine Erde haben, dass es nur eine Menschheit gibt, wie verletzlich diese dünne Atmosphäre ist, dass wir diesen Planeten in Ehrfurcht bewahren müssen, in seiner ganzen lebendigen Vielfalt. Wir müssen mit dem Verhältnis von Ureinwohnern zur Mutter Natur und dem Wissen von Nobelpreisträgern in Sachen Technik an diese Aufgabe herangehen.

Und dafür braucht es mehr als Wahlergebnisse. Die Gesellschaftssysteme haben fast ausnahmslos versagt, sie haben auf eine riesige Aufgabe mit kleinteiligen Maßnahmen reagiert. Die Größe der Probleme, sei es beim Klima oder bei der Gefahr eines Nuklearkrieges finden keine Entsprechung in den Problemlösungen. 

Wir brachen einen Systemwandel, um dem Klimawandel begegnen zu können. Wir brauchen „Neues Denken“ wie Michail Gorbatschow das genannt hat.

Wir hatten die Chance, 1989, einen Systemwandel einzuleiten um eine Gesellschaft ohne Grausamkeit gegen Menschen und die Natur zu erschaffen. Diese Chance haben Machteliten des Westens verspielt, ihre Ideologie, ihr altes Denken  hat uns in den neuen Kalten Krieg geführt. Die Denkweise, die diese historische Gelegenheit vertan hat, und uns in die jetzigen Probleme hineingeführt hat, die Ideologie des Imperialismus, des Unilateralismus, des New American Century of Eternal War wird uns nicht aus den Problemen herausführen.

Aber guter Wille wird helfen, Kooperation, die Interessen der Menschheitsfamilie im Blick zu halten, die Interessen der Natur und der Kinder geradezu schamanistisch wertzuschätzen, Verhandlungslösungen, die Ächtung von Krieg, ein planetarisches, multilaterales Bewusstsein. All das ist Voraussetzung dafür, dass es eine Zukunft geben kann, die diesen Namen verdient, die mehr ist, als Kampf ums Überleben und Krieg Jeder gegen Jeden.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: jax10289/ Shutterstock

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