Tagesdosis 9.6.2018 – Die Fünf-Sterne-Bewegung und Italiens neue Regierung (Podcast)

Ein Lehrbeispiel für politischen Betrug.

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Italien hat seit der vergangenen Woche eine neue Regierung. Das Kabinett der Koalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung unter Premierminister Giuseppe Conte wurde am 1. Juni von Staatspräsident Mattarella in Rom vereidigt.

Bei den Wahlen im März hatten die Fünf-Sterne-Bewegung 32,2 % und die Lega 17, 7 % der Stimmen erhalten. Grund für den Erfolg beider Parteien dürfte vor allem ihre harsche Kritik an der in Italien wegen der Sparpolitik der vergangenen Jahre verhassten EU und am Euro gewesen sein.

Im Wahlkampf setzten beide Organisationen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte. Die Lega (in den 90er Jahren aus der Lega Nord entstanden, die für die Loslösung des reicheren Nordens vom armen Süden Italiens warb) nutzte den Flüchtlingsstrom der vergangenen Jahre, um einen Feldzug gegen Migranten und den Islam zu führen und beide für die soziale Misere im Land verantwortlich zu machen. Vor allem bei den unteren Bildungsschichten brachte diese Taktik der Lega viele Stimmen ein.

Die im Zuge der Finanzkrise von 2008 vom Komiker Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung dagegen prangerte im Wahlkampf vor allem die Korruption und die Selbstbedienungsmentalität der regierenden Politiker und der Finanzelite Italiens an und forderte „mehr Transparenz“ und ein „Trockenlegen des politischen Sumpfes“. Neben der Forderung nach sauberem Trinkwasser und besserem Umweltschutz traf vor allem das Versprechen, ein „Grundeinkommen“ einzuführen, bei vielen Wählern – insbesondere den zahllosen jungen Arbeitslosen – auf offene Ohren.

Nach der Wahl jedoch gab es für Grillos Wähler ein böses Erwachen. Um an die Pfründe der Macht zu kommen, verabschiedete sich die Fünf-Sterne-Bewegung sehr schnell von ihren Wahlversprechen, tat sich mit der Lega zusammen und entwarf mit ihr zusammen ein Koalitionspapier, bei dessen Lektüre sich viele Grillo-Anhänger die Augen gerieben haben dürften: Es sah eine zweistufige Steuersenkung auf Unternehmensgewinne vor, wobei die Mindereinnahmen des Staates durch Einsparungen bei der Staatsbürokratie und durch Streichungen von Subventionen für den strukturschwachen Süden Italiens aufgefangen werden sollen – also in beiden Fällen durch Lohnkürzungen, Entlassungen und eine Senkung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung.

Auch das im Wahlkampf angekündigte „Grundeinkommen“ erwies sich als Mogelpackung. Die versprochenen 780 Euro im Monat wurden nämlich an die Bedingung geknüpft, dass die Empfänger jede ihnen angebotene Arbeit annehmen müssen. Der an das deutsche Hartz-IV angelehnte Plan bedeutet also im Grunde nichts anderes als eine gewaltige Ausdehnung des Niedriglohnsektors oder die verdeckte Einführung eines bisher in Italien nicht geltenden Mindestlohnes, der bei etwa 4,45 Euro pro Stunde liegen würde.

Um der EU-feindlichen Stimmung in der italienischen Bevölkerung Rechnung zu tragen, verständigten sich Lega und Fünf-Sterne-Bewegung schließlich auf die Einsetzung eines EU-kritischen Finanz- und Wirtschaftsministers und die gemeinsame Forderung nach einem teilweisen Erlass der italienischen Staatsschulden durch die Europäische Zentralbank (EZB) in Höhe von etwa 250 Mrd. Euro. Kaum wurden diese Pläne jedoch bekannt, da schnellten die Zinsen für italienische Staatsanleihen in die Höhe, was umgehend die Führung von EZB und EU auf den Plan rief.

Beide lehnten jeglichen Schuldenschnitt kategorisch ab und drängten sofort auf Einhaltung des Stabilitätspaktes. Als die Koalitionäre nur zögernd reagierten, erklärte der italienische Staatspräsident Mattarella die Regierungsbildung für gescheitert und kündigte an, einen Veteranen des IWF, der von den USA dominierten größten Finanzorganisation der Welt, mit der Bildung einer Technokraten-Regierung zu beauftragen.

Aus Angst, nun kurz vor dem Ziel zu scheitern und nicht mehr an die Privilegien der Macht zu kommen, reagierten die Bündnispartner sofort. Der designierte Ministerpräsident Conte traf sich mit dem Präsidenten der italienischen Zentralbank und versicherte anschließend öffentlich, nicht nur im Euro zu bleiben, sondern alles für die Stabilität des Landes und seiner Währung tun zu wollen. Der Plan, den in die Schusslinie geratenen Eurokritiker Savona zum Wirtschafts- und Finanzminister zu machen, wurde aufgegeben, und der zuvor geforderte Schuldenschnitt sang- und klanglos unter den Tisch fallen gelassen.

Die bedingungslose Unterwerfung der Koalitionäre unter die Forderungen der Finanzelite blieb nicht ohne Folgen: Noch vor Ende der Woche war die Technokraten-Regierung Geschichte – und die Koalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung im Amt.

Die EU-Außenbeauftragte Mogherini sprach der neuen Regierung umgehend ihr „volles Vertrauen“ aus. Führende EU-Politiker beeilten sich zu gratulieren. Bundeskanzlerin Merkel wünschte eine „glückliche Hand“ und erklärte, sie freue sich darauf, „die enge Partnerschaft fortzuführen und weiter zu vertiefen“.

Ein aufschlussreicheres Lehrstück über die Korruptheit des politischen Systems, unter dem wir derzeit leben, ist schwer vorstellbar: Hier hat eine Partei den Unmut der Bevölkerung über die Senkung ihres Lebensstandards durch die Sparpolitik der vergangenen Jahre auf schamlose Weise ausgenutzt, sich mit falschen Versprechungen auf einer Welle des Protestes an die Macht wählen lassen, um sich dann sofort den wahren Machthabern unserer Zeit, der Finanzelite und ihren Handlungsbeauftragten, zu unterwerfen – mit der Aussicht, dass sich die Verhältnisse in Italien weiter verschlechtern werden, die korrupten Führer der Fünf-Sterne-Bewegung nun aber mit dem Wohlwollen der Finanzelite im Rücken, die Privilegien und Annehmlichkeiten eines Lebens im Parlamentssessel und auf der Regierungsbank genießen dürfen.

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