Tagesdosis 9.11.2018 – Tiefe Einblicke. Schreiben einer in Syrien lebenden US-Ärztin

Ein Kommentar von Rainer Rupp.

„Das Abschlachten meiner Freunde und Nachbarn war kein syrisches Projekt. Die Pläne dazu wurden in Europa entwickelt.“

Diese Zeile ist einem Brief einer amerikanischen Ärztin, die in der syrischen Hafenstadt Latakia lebt, entnommen. Der Brief ist an Bernd Duschner von der Hilfsorganisation „Freundschaft-mit-Valjevo“ gerichtet. Obwohl dieses Schreiben bereits auf den „Nachdenkseiten“ veröffentlicht wurde, hat Bernd Duschner dem Autor dieser Zeilen freundlicher Weise die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung in der Tagesdosis erteilt. Zunächst aber ein paar Worte über Bernd Duschner und was der Verein „Freundschaft mit Valjavo“ mit Syrien zu tun hat.

Bernd Duschner, – so hieß es in einem Artikel des Online-Magazins Rubikon (1) sei „der lebende Gegenbeweis zur Behauptung, dass der Einzelne ja sowieso nichts bewirken kann; dass uns bei aller Empörung ja doch nur der Rückzug ins Private bleibt, in die Resignation angesichts der Kriegsmaschinerie, die in immer neuen Ecken der Welt angeworfen wird, um ganze Völker zu zermalmen.“

Andere fühlen sich bei Bernd Duschner an das Motto von Gandhi erinnert, das hieß: „Sei selber der Wandel, den du sehen willst!“

Bernd Duschner lebt in Pfaffenhofen. Zur Veränderung seines Lebens wurde der Versicherungsfachmann durch die schrecklichen Bilder des völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien motiviert. Dieser erste Krieg in Europa seit 1945 hat uns wieder die ganze Wucht der Zerstörungen, des Todes und des Elend der betroffenen Menschen vor Augen geführt. Duschner, kein Freund großen Reden, machte sich sofort daran, konkrete Hilfe zu leisten, im Rahmen seiner Möglichkeiten; und die sollten sich schnell vervielfältigen.

Mit einem rasch gegründeten Verein „Freundschaft mit Valjevo“  (benannt nach dem von NATO-Bombern mehrmals angegriffenen Ort Valjevo im damaligen jugoslawischen Bundesstaat Serbien) organisierte er Lastwagen, die er gemeinsam mit Vereinsmitgliedern vollgepackt mit gesammelten Medikamenten, Babynahrung und Kleidung für die zivilen Opfer der NATO-Aggression nach Valjevo brachte.

Auch in den nachfolgenden westlichen Angriffskriegen von Afghanistan über Irak bis zuletzt in Syrien hat sich Duschner und der Pfaffenhofener Verein, der immer noch „Valjevo“ im Namen trägt, über alle „Bedenken“ scheinheiliger Politiker und Sanktionsbefürworter hinweg gesetzt und innerhalb der begrenzten aber wirksamen eigenen Möglichkeiten praktische Hilfe geleistet. Dazu gehört u.a. auch, dass verletzte oder kranke Kinder für lebensrettende Operationen nach Deutschland geholt wurden, um anschließend wieder in ihre Heimat zurückzukehren.

Bernd Duschner ist regelmäßigen KenFM Lesern und Hörern kein Unbekannter, wie einige ausgesuchte Links zeigen (z.B. hier (2) und hier (3) und hier (4)).

Für Duschner ist ein Embargo „eine der brutalsten Formen des Krieges“. Das gilt besonders für die gegen Syrien bestehenden Wirtschaftssanktionen, die sich vor allem gegen die Teile der Bevölkerung richten, welche die verdeckten, militärischen Interventionen des Westens im Land ablehnen. Deshalb macht Duschner und der Verein „Freundschaft für Valjevo“ weiter mit der Unterstützung des Krankenhauses in Damaskus mit überlebensnotwendigen Medikamenten, medizinischen Geräten und anderen Hilfsmitteln. In diesem Zusammenhang hat auch die in der syrischen Küstenstadt Latakia wohnende, amerikanische Ärztin Lilly Martin jetzt den bereits erwähnten, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten Brief an Duschner geschrieben.

Zuvor noch ein Hinweis: Wer bei der humanitären Hilfe für das Krankenhaus in Damaskus mitwirken möchte, der möge eine Spende überweisen auf das Konto des Vereins „Freundschaft für Valjevo:

  • Sparkasse Pfaffenhofen:
  • IBAN: DE06 7215 1650 0008 0119 91
  • Stichwort: Krankenhaus Damaskus.

Brief der amerikanischen Ärztin, die in der syrischen Küstenstadt Latakia lebt:

Lieber Herr Duschner,
ich möchte Ihnen zu Syrien schreiben, und Sie können den Text veröffentlichen.

Ich heiße Lilly Martin, bin eine amerikanische Bürgerin und lebe seit über 25 Jahren in Latakia in Syrien. Seit 40 Jahren bin ich mit einem Syrer verheiratet. Bevor ich nach Syrien auswanderte, arbeitete ich als Ärztin in Kalifornien.

Latakia liegt an der Küste und ist eine Hafenstadt. Aber der Tourismus bildet die wichtigste Einkommensquelle, da es ein Badeort ist. Neben den Stränden gibt es noch zwei bekannte Luftkurorte, die nur eine Stunde Fahrtzeit entfernt sind und wegen ihrer kühlen Bergluft im Sommer wichtige Ziele für Touristen darstellen.

Ich hatte in Syrien niemals religiöse Konflikte erlebt. Dank des säkularen Charakters der syrischen Regierung hatte jedermann vor dem Gesetz die gleichen Rechte, und untereinander verhielten sich die Syrer aller Glaubensrichtungen freundlich, ja herzlich. Ich kann mich an die Angriffe von USA und Nato gegen Jugoslawien erinnern, und ich stellte mir damals die Frage, ob etwas Ähnliches hier passieren könnte.

Dann kam der Angriff der USA auf den Irak. Syrien war davon nicht betroffen, abgesehen davon, dass es 2 Millionen Flüchtlinge aufnahm. 2010 reisten Angelina Jolie und Brad Pitt nach Syrien, um irakische Flüchtlinge in Damaskus zu besuchen. Sie trafen sich mit dem syrischen Präsidenten Assad und seiner Frau, um ihnen für ihre Hilfe für die Flüchtlinge zu danken.

Nicht lange, nachdem ein riesiges Gasfeld vor der Küste Syriens entdeckt wurde, begann der Angriff von USA und Nato in Syrien. Ich dachte, die Krise würde nur kurz andauern, weil ich wußte, dass die Mehrheit der syrischen Bürger die Ideologie eines radikalen Islam nicht unterstützte. Es gab eine kleine Minderheit, die der Ideologie der Muslim-Brüder folgte, aber eine kleine Minderheit kann keine Revolution machen. Diese Leute bauten jedoch nicht auf die Unterstützung der syrischen Bevölkerung, sie hatten die gesamte westliche Welt hinter sich, die USA, Großbritannien, Deutschland, die EU, Frankreich, Kanada und Australien. Als sie Fußtruppen brauchten, riefen sie Al Qaeda aus Europa, Afrika und Asien ins Land. Bald hatte die US-Nato-Kriegsmaschine alle benötigten Truppen und Waffen beisammen.

Zwischenzeitlich wurden meine Nachbarn getötet. Das kleine christliche Dorf Kessab nahe Latakia wurde von türkischem Militär angegriffen, das mit den US-Nato-Terroristen zusammenarbeitete. Mein eigenes Haus dort wurde zerstört, meine Nachbarn enthauptet. Das war 2014, und wir können immer noch nichts in Kessab instand setzen, da die Terroristen in Idlib so nah sind und noch immer, wie gerade vor zwei Wochen, Raketen auf Kessab abfeuern.

Die Krankenhäuser sind geöffnet, und es gibt Ärzte. Wegen der Sanktionen der USA und der EU werden Medikamente für die Chemotherapie allerdings nicht mehr kostenlos ausgegeben. Sie dürfen nicht importiert werden. Syrien hatte für alle Bürger eine kostenlose medizinische Versorgung. Die westlichen Pharmafirmen verkaufen nichts direkt nach Syrien, weil sie wegen der Sanktionen Angst haben, strafrechtlich belangt zu werden. Ich habe Firmen beschworen, Medikamente zu schicken. Sie haben aber panische Angst, wegen eines Verstoßes gegen die Sanktionen strafrechtlich verfolgt zu werden und Bußgelder zahlen zu müssen. Ich habe viele Firmen angeschrieben, ohne jeden Erfolg. Ich habe den US- Kongreß diesbezüglich angeschrieben, ohne je eine Antwort zu bekommen. Im Westen hergestellte Medikamente müssen deshalb zu überhöhten Preisen im Libanon gekauft werden.

Vor kurzen fuhr ich nach Damaskus. Ich war glücklich, die Stadt in strahlender Schönheit und voll von Millionen Bürgern zu sehen, die arbeiten und studieren. Ich sprach mit Freunden in Aleppo, die zurückgekehrt sind und ihr Leben wieder aufgebaut haben. Sie sagen, die Stadt arbeite mit ganzer Kraft am Wiederaufbau. Tatsächlich gab es kürzlich in Aleppo einen viel beachteten Marathonlauf und mehrere Konzerte.

Tatsache ist: Damaskus, Aleppo, Homs und Latakia sind sichere, funktionierende Orte, die heute wie ganz normale Städte aussehen. Warum also kommen wir wirtschaftlich nicht voran? Weil die Wirtschaftssanktionen der USA und der EU verhindern, dass die Syrer arbeiten, importieren, exportieren und ein normales Leben führen können. Die syrische Bevölkerung wird kollektiv von den westlichen Nationen bestraft, weil wir schuldig sind, den Krieg der US-Nato-Kriegsmaschine gegen uns überlebt zu haben.

Händler, die Maschinen aus dem Ausland importieren möchten, um Syrien wieder aufzubauen und zu sanieren, werden daran gehindert, weil es für jede Bank auf der Welt ein Verstoß gegen Gesetze ist, Geld von einem Händler in Syrien zur Bezahlung zu akzeptieren. Aufgrund der Sanktionen von USA und EU ist es jedermann verboten, Bestellungen aus Syrien anzunehmen oder irgendetwas  dorthin zu exportieren – d. h. null Chance für Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung!

Letztendlich müssen die westlichen Bürger der USA, Nato und EU ihre Mitschuld an der Zerstörung Syriens einräumen. Sie sind keineswegs unschuldig. Sie sind Wähler und leben unter demokratisch gewählten Führungen. Wenn ihnen die Außenpolitik gegenüber Syrien gleichgültig ist und sie zu beschäftigt sind, um Bedenken hinsichtlich der Verwendung ihrer Steuern zu äußern – in diesem Fall zur Finanzierung von Terrorismus – dann müssen sie auch ihre Mitschuld akzeptieren. Das Abschlachten meiner Freunde und Nachbarn war kein syrisches Projekt. Die Pläne dazu wurden in Europa entwickelt, und die Treffen der „Freunde Syriens“ fanden dort statt.

Alle Europäer müssen sich entscheiden, ob sie Teil der Lösung oder Teil des Problems sein möchten.

Ende des Briefes.

Zum Abschluss noch einige ergänzende Worte zu dem Verein „Freundschaft mit Valjevo“:

Der immer noch nach „Valjevo“ benannte Verein hat eine beispielhafte Wirkung, denn er wird von einem breiten Spektrum der Pfaffenhofener Bewohner und auch vielen Leuten aus der Umgebung unterstützt und zwar unabhängig von deren Konfession, politischer Orientierung oder dem sozialem Stand.

Das Nürnberger Tribunal hat den Angriffskrieg als das „größte aller Verbrechen“ definiert. Und wenn es darum geht, den Opfern dieses Verbrechens zu helfen, dann ist es Bernd Duschner stets gelungen, ein realisierbares, konkretes Hilfsprojekt zu finden, mit dem sich die ganze Gemeinde von Pfaffenhofen und viele andere Menschen identifizieren können.

So sammelte Bernd Duschner vor zwei Jahren, in 2016, erfolgreich für eine Wasseraufbereitungsanlage, die im Italienischen Krankenhaus in Damaskus ersetzt werden musste. Ohne sie wären die Nieren Dialysepatienten vor Ort zum Tode verurteilt gewesen. Da das auch von Deutschland unterstützte Embargo gegen Syrien es damals wie heute nicht zulässt, medizinisches Gerät nach Syrien zu exportieren – während auch deutsche Waffen ganz offiziell auch von der Merkel-Regierung an die so genannte „Opposition“ der Kopfabschneider geliefert werden – blieb nichts anderes übrig, als das Gerät über den Libanon nach Jordanien einzuführen.

Mein Aufruf an die KenFM-Community lautet daher: Helft Bernd Duschner und „Freundschaft-mit-Valjevo“ e.V. die gute Arbeit fortzusetzen!

  • Bernd Duschner – Freundschaft mit Valjevo
  • IBAN: DE06 7215 1650 0008 0119 91
  • BIC: BYLADEM1PAF
  • Sparkasse Pfaffenhofen
  • Stichwort „Krankenhaus Damaskus“

Hier der Link zur Homepage von Freundschaft mit Valjevo

Quellen:

  1. https://www.rubikon.news/artikel/unser-krieg-gegen-syrien
  2. https://kenfm.de/bernd-duschner-freundschaft-mit-valjevo/
  3. https://kenfm.de/spotlight-duschner-embargo/
  4. https://kenfm.de/bernd-duschner-fehler-der-friedensbewegung-europa-mass-aller-dinge/

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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