Tagesdosis 7.11.2017 – Die Drei-Grad-Welt: Von Propheten, Professoren und Profiteuren

Ein Kommentar von Mathias Bröckers.

Neue Werkzeuge gebären neue Weltbilder. Wobei sich die Geburt oft lange hinzieht. Als der Tuchhändler Antoni van Leeuwenhoek das erste Mikroskop gebaut und festgestellt, dass in menschlicher Spucke “kleine Tierchen” lebten, erklärte man ihn erst Mal für verrückt. Den Ingenieur Galilei aus Padua, der sich ein Fernrohr gebaut hatte und damit beweisen konnte, dass sich die Erde um die Sonne dreht, verurteilte man zu Hausarrest. Ähnlich wie diesen Entdeckern ging es vielen Pionieren, die mit neuen Werkzeugen oder Ideen in unbekannte Bereiche  vorgestossen waren und Erkenntnisse mitbrachten, die dem allgemeinen Stand des Wissens und der herrschenden Meinung zuwider liefen.  Auch wenn es nicht wie bei Galilei immer über 350 Jahre dauert, bis sie offiziell rehabiliert und Konsquenzen aus ihren Entdeckungen gezogen werden, zögern allgemeine Trägheit und institutionelles Beharrungsvermögen Innvovationen oft unmäßig hinaus.

Grafik: Guardian

Ein Blick auf die obenstehende Grafik, die jetzt im  “Guardian” erschien, zeigt wieviel Zeit noch bleibt, um auf die Erkenntnisse zu reagieren, die neue Werkzeuge der Beobachtung des Klimas und der Atmosphäre mit sich gebracht haben. Wenn die Erderhitzung und damit der Meeresspiegel weiter so ansteigt wie von den Forschern vorhergesagt, wird  sich die Weltkarte gegen Ende des nächsten Jahrhunderts dramatisch geändert haben. Städte wie Shanghai, Osaka, Rio de Janeiro, Miami, Alexandria sowie Den Haag und fast ganz Holland werden dann geflutet sein und 275 Millionen Menschen auf der Suche nach einer neuen Bleibe.

Ähnlich wie der Papst im 17. Jahrhundert den Blick durch das Fernrohr zu verweigerte, um die dank neuer Werkzeuge gewonnenen Erkenntnisse unter den Tisch zu kehren,  scheint angesichts der Lage keine Lösung. Und doch mutet die Sekte der “Klimaskeptiker” ganz so wie jene Kirchenvertreter an, die die Entdeckung des Kopernikus oder die experimentelle Bestätigung Galileis für eine ketzerische, teuflische Verschwörung hielten. Und ähnlich wie diese Kämpfer gegen den Heliozentrismus vom Vatikan einst mit Mitteln ausgetattet wurden, werden die Kämpfer gegen die “Klimalüge” heute von großen Konzernen finanziert. Sie haben “wissenschaftlich” nachgewiesen, dass es einen globalen Temperaturanstieg einfach nicht gibt – und falls doch, dass er keinesfalls mit dem Verballern fossiler Rohstoffe durch Menschen zu tun hat. Und sie bedienen sich dabei  denselben Methoden der wissenschaftlichen Verwirrung mit der die Tabakindustrie Konsequenzen aus den Erkenntnissen über die Krebsgefahren durch Rauchen verhindern wollte.

“Und sie bewegt sich doch” soll Galilei gemurmelt haben, als ihm die Heilige Inquisition jegliche Äußerungen über die Erdumdrehung verbot – und er sollte recht behalten, als Prophet ( von lat. profiteri: gestehen, bekennen) gegen die Profiteure und Professoren (von proficere: nützen). Seine neuen Werkzeuge hatten den Blick nach außen gelenkt und die Autoritäten mit der Nachricht geschockt, dass der vermeintliche Mittelpunkt der Welt, die Erde,  nicht mehr ist als eine Billiardkugel im leeren Raum.

Die neuen Messgeräte und Computer, die seit einigen Jahrzehnten neue Erkentnisse über die Atmosphäre und Biosphäre ermöglichten, lenken den Blick jetzt wieder zurück, auf den Planeten Erde und die dünne, zerbrechliche Hülle in der Leben möglich ist. Und der Schock, in welche Kloake wir sie mit der brutalen Zerstörungskraft unserer Wirtschaftsweise verwandelt haben, ist für die heutigen Autoritäten – die kapitalistischen Konzerne – mindestens so groß wie damals Galileis Entdeckung für den Papst. Insofern wundert es nicht, wenn Profiteure und Professoren die Prophezeiungen der Klimaforscher ins Lächerliche ziehen. Nie freilich lagen die Argumente für ein unbeirrbares “Weiter so” derart nah an der zynischsten aller Parolen: “Nach mir die Sintflut!”.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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