Tagesdosis 5.11.2018 – Ob Merkel, BlackRock oder Goldman Sachs: Ganz egal…(Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Quereinsteiger aus dem hemmungslosesten Sektor der Finanzwelt erobern die Politik. Ernst Wolff brachte dies mit seinem Blick auf die Personalie Friedrich Merz, der zweifellos eine Aura des personifizierten Bösen ausstrahlt, am Samstag gut auf den Punkt. Er hat Recht, dies ist der Trend. Ganz neu ist der aber nicht in der deutschen Politik. Vor allem in der CDU, CSU, FDP und AfD ist das Großbürgertum gut präsentiert. Verbindungen zu einflussreichen Konzernen und Banken sind seit Ewigkeiten bekannt. Ob die globale PR-Firma McKinsey, große Handelsketten, Energie- und Agrarkonzerne oder die Finanzelite von Goldman Sachs und Deutsche Bank – sie alle sind seit langem vertreten. Nur ihr Machtspiel wird offener. Die Crashkurs-Dirigenten legen offensichtlich keinen Wert mehr auf ihr Demokratie-Theater.

Betrachten wir es aus Sicht des Gesamtkapitalisten, also des Staats, mit Blick auf die seit Jahrzehnten, Jahrhunderten zu erwarten gewesene Entwicklung unseres Wirtschaftssystems, verfliegt die Verwunderung im Nu. Kommt BlackRock direkt ans Ruder, spart sich die Politik Wege, Zeit und teure Banketts. Das Großkapital spart ebenfalls, indem es seine Lobbyisten gleich an staatlichen Schaltstellen platziert. Die neuen Politiker, wer immer da kommt, führen nur mit eiserner Hand fort, was ihre Vorgänger begonnen haben.

Stichwort Sozialabbau: Die schrittweise Kürzung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe sowie den Asylbewerberleistungen begann schon unter der Ära Helmut Schmidt. Der „Asylkompromiss“ von 1993 und die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 waren nur die rabiatesten Einschnitte. Das Rentenniveau in der BRD wird häppchenweise bereits seit Mitte der 1980er Jahre gesenkt. Auch hier markiert die Agenda 2010 lediglich einen Höhepunkt. Begleitet wird dies stets mit politischer Feindbildpropaganda über „faule Hartzer“, „schmarotzende Asylbewerber“ und Milchmädchen-Demagogie über leere Sozialkassen.

Die Propaganda- und Exekutivabteilungen rödeln entsprechend: Sei es Gesundheitsminister Jens Spahn, der mit neurotischem Gehabe erst irgendwas verspricht, dann auf enge finanzielle Grenzen pocht und gerne Salven gegen Erwerbslose oder Flüchtlinge nachfeuert. Sei es Ungarns Staatschef Viktor Orban, der Obdachlose direkt von der Straße in Knäste sperren lässt. Seien es die österreichischen Rechtsaußen-Regierungsparteien ÖVP und FPÖ, die jüngst verkündeten, Erwerbslose künftig, wie bereits in Deutschland üblich, gnadenlos zu enteignen. Oder sei es in Frankreich Präsident Emmanuel Macron, der gleiches anstrebt. Sie alle dienen ihren Auftraggebern, dem Großkapital. Egal, ob sie aus dessen Reihen kommen, oder willige Quereinsteiger aus dem Beamtentum der Vitamin-B-Fraktion sind.

In Deutschland könnte man sich vielleicht darüber streiten, welche politischen Propagandisten menschenverachtender sind. Ist es der ehemalige SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering, der meinte, wer nicht arbeitet, solle nicht essen, also verhungern? Ist es vielleicht doch CDU-Merz, der 2008 erklärte, für Hartzer genügten auch 132 Euro pro Monat? Ist es der FDP-Politiker Henner Schmidt, der Hartzer zur Rattenjagd schicken wollte? Oder ist es doch AfD-Funktionär Konrad Adam, der vom Staat einst verlangte, er möge sich von allen „unproduktiven Haushaltstiteln“ – also Sozialleistungen aller Art – komplett befreien?

Nun ja, die deutsche Praxis ist längst menschenverachtend. Hochschwangere und Schwerkranke, die die Polizei zur Abschiebung aus der Klinik holt, Wohnungslose, die Bußgelder zahlen müssen, wenn sie in der Stadt draußen übernachten, 16jährige, die aus Kinderheimen auf die Straße fliegen, wenn sie eine Auflage nicht erfüllt haben, alleinstehende Mütter, die von Jobcentern voll sanktioniert werden, wenn sie nicht parieren, Notschlafstellen, die Wohnungslosen ost- oder südeuropäischen Arbeitsmigranten auch bei Minusgraden den Zutritt verweigern, Flüchtlingsfamilien mit kleinen Kindern, die in Lagern getrennt werden – all das und mehr gehört zum Alltag in Deutschland. Man muss nur die täglichen Schlagzeilen lesen.

Das Perfide: so manch vor Hartz IV zitternder Arbeiter macht mit. Weil er nicht immer stärker ausgeplündert werden will – das Gefühl ist ja durchaus richtig – kommt er zu irrationalen Schlüssen. Er glaubt, es würde ihm helfen, wenn der Staat alle Flüchtlinge rauswirft oder Arbeitslose noch schlechter stellt. Er glaubt, der Staat habe dann mehr Geld, um vielleicht gar den Finanzsektor in die Schranken zu weisen. Doch das ist schlicht nicht wahr. Weder gibt es einen mysteriösen Faulheitsvirus, noch flüchten Menschen, weil sie Bock auf schlechtes Wetter in Deutschland haben. Es liegt nicht an einer älter werdenden Bevölkerung, und auch nicht an einem vermeintlich von der Wirtschaft abgekoppelten Finanzsektor.

Es liegt an der Krise des Spätkapitalismus. Wo immer weniger produktive Lohnarbeit trotz wachsender Produktivität nötig ist, weil Maschinen und Computer übernehmen, muss der Rest der Arbeiter immer rabiater ausgeplündert werden. Trotz aller Jubelschreie der Politik über eine florierende deutsche Wirtschaft: Die globale Profitrate fällt. In diesem Maßstab muss sie betrachtet werden, weil Kapitalismus schon immer global war. Massenproduktion frisst Rohstoffe, die nicht vor der Haustür lagern. Profit entsteht nur dort, wo Neues entsteht. Alle anderen Sektoren, vom Transportgewerbe bis zum Handel, verdienen daran mit.

Das gilt auch für den Finanzsektor. Zunächst: Der Mensch im Kapitalismus lebt von Ware, nicht von Geld. Geld ist Tausch-Äquivalent, wird gelegentlich zur Ware, nur essen kann man es nicht. Steigt die Geldmenge bei gleichbleibender Warenmenge, steigen auch die Preise. Stichwort Inflation.

Spekulationen sind auch nicht neu. Es gab sie schon im 19. Jahrhundert mit den berühmten Wechseln. Man spekulierte damals auf noch nicht durch Arbeit realisierten Profit – und tut es heute ebenso. Je weniger Profit aus der Realwirtschaft kommt, desto mehr wird spekuliert. Dies ist heute gewiss heikler als vor 150 Jahren. Dank des technologischen Fortschritts wird immer mehr anvisierter Profit aus zukünftiger Arbeit niemals realisiert werden. Dann platzen die berühmten Blasen. Die Krise ist da, mit Pleiten, Entlassungen, wachsender Armut, schwindender Kaufkraft, noch mehr Pleiten und einer immer weiter fallenden Profitrate.

Aus diesem Grund rüsten die Imperien auf. Ein Kapital zerstörender Weltkrieg, so die aus der Vergangenheit gelernte Weisheit der Finanzeliten, kurbelt die Profitrate an und macht es möglich, das Monopoly noch einmal in Gang zu setzen – für ein kleines Weilchen. Maximal 70 Jahre dauert ein kapitalistischer Zyklus nach einem solchen Krieg – so eine marxistische Weisheit – dann steuert das System erneut auf eine Megakrise zu. Blicke jeder selbst auf die Realität und rechne nach.

Ein Trugschluss ist es auch, dass ein Staat das sich immer stärker monopolisierende Finanzkapital „in die Schranken weisen“ könne oder wolle. Der Staat hat nur eine Aufgabe: Das Spiel für seine Auftraggeber zu managen. Die plündern Lohnarbeit aus und der Staat plündert mit – über Steuern, Gebühren, Abgaben, Abbau öffentlicher Daseinsvorsorge oder Privatisierung etwa. Er kassiert aus derselben und einzigen Profitquelle: Lohnarbeit. Sinkt die Profitrate, wird er beim Ausbeuten ebenso rabiater, wie das Kapital.

Viele spüren es am eigenen Leib: Wer nichts hat, kommt immer schwerer zu irgendwas. Schafft es jemand doch, sich ein kleines bisschen Hab und Gut anzuhäufen, hält der Staat sofort die Hand auf. Neben allerlei Abgaben fressen Krankheit, Entlassung, Pflege der Eltern, Zahnersatz oder auch schon mal der Tod eines mittellosen Verwandten die Minivermögen von Ottonormalverbrauchern ruckzuck auf. Kleinunternehmer kommen gegen das Großkapital nicht mehr an. Die Massenproduktion füllt sämtliche Marktlücken. Und eins ist sicher: Das wird nicht besser, weder unter Rauten-Merkel noch unter BlackRock-Merz. Auch GoldmanSachs-Weidel und ihre Kumpels haben keinen Plan. Denn all die Probleme liegen nicht an falscher Politik oder einer Personalie. Sie sind schlicht die Folge der ökonomischen Entwicklung.

Nun behaupten viele, die Bonath schwatze immer nur und habe keinen Plan. Doch, hat sie und hat sie auch schon xmal angesprochen. Der ergibt sich aus der Realität. Bonath kann auch nichts dafür, wenn der Plan einigen nicht gefällt, andere vor Panik erstarren oder in argumentfreie Beißreflexe verfallen lässt.

So kann ein System, das ursächlich auf Ausbeutung von Lohnarbeit basiert, dadurch einem endlosen Wachstumszwang unterworfen ist und die Umwelt zerstört, nur gestoppt werden, wenn die lohnarbeitende Mehrheit ihm ihre Arbeitskraft entzieht. Will ich den Kapitalismus loswerden, kooperiere ich weder freiwillig übermäßig mit einem Kapitaleigentümer, noch mit seinem Instrument, dem Staat. Am effektivsten wäre es natürlich, sich national und international zu organisieren, mit dem Kurzziel eines unbefristeten internationalen Generalstreiks. Es hat seinen Grund, warum der im EU-Zentrum Deutschland verboten ist.

Dabei könnte man, ganz objektiv betrachtet, für Wochen auf eine massenhaft vorhandene Überproduktion zurückgreifen und sogar sehr weitreichend die Verteilung in die eigene Hand nehmen. Das Langziel sollte dabei nicht aus den Augen verloren werden: Die heutigen Profiteure enteignen, Verwaltungsstrukturen besetzen und die Produktion von profitgetrieben auf bedarfsgerecht umstellen.

Nach meiner Ansicht ist das die einzig realistische, weil erfolgversprechende Lösung. Andernfalls ist meine Prognose düster: In wenigen Jahrzehnten, vielleicht schon Jahren, werden sich nicht nur die unbewohnbaren Gebiete der Erde und damit die Flüchtlingsströme vervielfacht haben. Es ist wahrscheinlich, dass es – sofern kein Weltkrieg uns ereilt – auch im kalten Deutschland ganz normal wird, jeden Morgen unzählige Leichen erfrorener oder verhungerter Obdachloser aufzusammeln. Während die Reichen in ihren militärisch bewachten Bunkern sitzen. Dahin steuert die gesamte Menschheit, völlig egal, wer den Crashkurs in irgendeinem Land gerade dirigiert. Die Dirigenten sind austauschbar.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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