Tagesdosis 4.5.2019 – Klassengesellschaft ins Visier nehmen

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Wie riesige Kraken grasen Monopolkonzerne den Planeten Erde ab. Sie zerstören ihn nachhaltig und vertreiben Millionen. Die digitale Revolution setzt dennoch nicht nur Massen von Lohnabhängigen frei und lässt sie verarmen. Sie ermöglicht immer umfassendere und wirksamere PR- und Überwachungsstrategien, um die Bevölkerungen ideologisch zu manipulieren, zu kontrollieren, zu spalten, gegeneinander zu hetzen und ihre Ängste gezielt zu kanalisieren. Das neoliberale Management des Spätkapitalismus im 21. Jahrhundert stellt die arbeitende Klasse vor gewaltige Herausforderungen.

Hoppla, Klassengesellschaft ist ja ein „böses Wort“. Das darf man nicht mal denken, das tun nur „ewig Gestrige“. Vermutlich wollen die auch Gulags bauen. Wissen wir doch aus dem Fernsehen. CDU und CSU, FDP und AfD, die „Bild“ und so manches „alternative“ Medium“ predigen das auch. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern und die Grünen reden auch lieber von Milieus. In der Linkspartei ist man sich nicht sicher, ob die Arbeiterklasse überhaupt noch existiert. Und die SPD baut auf „Sozialpartnerschaft“.

Nun ja, niemand fühlt sich gern als schnödes Humankapital, stets abrufbar, betriebsbereit und austauschbar, vom Jobcenter in den Niedriglohnsektor gezwungen, von Entlassungswellen in Angst versetzt und falls die Bandscheibe nicht mehr mitspielt, zum unnützen Esser deklassiert. Da redet der Untertan sich lieber das spätkapitalistische Arbeitslager schön, zieht dankbar, zum Mob formiert, gegen ihm vorgesetzte alternative Feindbilder zu Felde und kriecht besonders unterwürfig für kleinste Privilegien vor seinem Chef.

Dabei lassen die gegenwärtigen Erscheinungen keine Zweifel: Die Klassengesellschaft existiert, der Klassenkampf von oben tobt. Einer Minderheit gehört die Wirtschaft. Die befiehlt dem Staat, schreibt die Gesetze und lebt von der Arbeit der Mehrheit. Blöderweise senken Maschinen, Roboter und Computer den Bedarf an Arbeit drastisch. Humankapital wird nutzlos für´s Kapital. Die Ghettos wachsen, und Millionen ziehen auf der Suche nach Jobs und Perspektiven durch die Lande.

Was soll´s, der Kapitalismus ist alternativlos. Das bläuen uns Frau Merkel, Herr Lindner, Frau Nahles und Herr Gauland unisono ein. Dieser Kapitalismus mit seiner gigantischen Profitmaschine, die alles nach oben spült. Und die ein gewisser Karl Marx schon vor 150 Jahren ein „automatisches Subjekt“ nannte: abstrakt und entpersonalisiert, endlos Rohstoffe und Arbeit fressend, sich in wenigen Händen konzentrierend, Monopole und Imperien bildend. Adé, Planet. Für den Profit der Wenigen müssen wir dich leider aufgeben.Alexander

Das Kapital hat viele Gesichter. Zeigte es sich gestern in Gestalt von Vorstandschef x, kommt es heute als Minister y und morgen als Pressesprecher der Deutschen Bank daher. Mal präsentiert es sich als bewaffnete Prügelpolizei, ein andermal als Foltergefängnis. Dann wieder erscheint es als anonyme Schlepperbande, als mordender Islamischer Staat, als Wasserräuber Nestlé, als gen Osten vorrückende NATO-Truppen, als faschistische Bodentruppen oder als Abschottungs-Gendarmerie der Europäischen Union namens Frontex. Ziemlich verwirrend.

Das ist nur einer der Gründe, warum die Propaganda so tief in die Köpfe dringen konnte und die Sklaven ihre Ketten ins Unterbewusstsein verdrängt haben. Die Zeit, als ein Fabrikbesitzer eindeutig als Ausbeuter zu identifizieren war, ist vorbei. Es ist nicht mehr wie damals, als die australischen Bauarbeiter am 1. Mai 1856 mit Massenstreiks erstmals den Achtstundentag erkämpften. Und als 30 Jahre später amerikanische Arbeiter nachzogen und schließlich den Tag zum Internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung machten.

Die Arbeiter stehen heute nicht mehr Seit an Seit an der Werkbank. Wo früher Hunderte schufteten, drücken  zwei, drei Leute ein paar Knöpfe. Sie müssen sich nicht einmal kennen. Die Produktionsketten sind globaler, die Abläufe differenzierter. Stammbelegschaften konkurrieren gegen Leiharbeiter, Projekt-Jobber gegen Scheinselbständige, Roboter gegen Produktionshelfer, Computer gegen Büroangestellte.

Es ist der herrschenden Klasse und ihren staatlichen Protagonisten trefflich gelungen, sich jedweden Widerstand nachhaltig einzuverleiben. Das fing schon an, als die deutschen Faschisten den 1. Mai vereinnahmten. Die sich demagogisch als „Arbeiterpartei“ vermarktende NSDAP verwandelte ihn kurz nach ihrer Machtübernahme in einen „Feiertag der nationalen Arbeit“. Am 2. Mai 1933 stürmte und besetzte die SS alle Gewerkschaftshäuser, verhaftete und ermordete Kommunisten und Sozialdemokraten.

Nach dem Krieg gelang die Einfriedung ohne brachiale Gewalt. Die Herrschenden kauften einfach die SPD-Kader und Gewerkschaftsführer ein. Die schwenkten um auf „Sozialpartnerschaft“. Staat und Kapital machten es ihnen dabei leicht. Nach dem Krieg galt es aufzubauen. Es mangelte an Arbeitern, und dann war da noch das konkurrierende System im Osten. Man musste Zugeständnisse machen.

Dennoch ist der deutsche Sozialstaat auch ein Resultat von Klassenkämpfen. Ohne befürchteten Aufstand hätte es ihn nie in dieser Form gegeben. Doch seit Mitte der 1970er Jahren baut man diesen wieder ab, schön schleichend, wie die Sache mit dem Frosch im langsam erhitzten Wasser.

Damals war der Binnenmarkt gesättigt, die Infrastruktur aufgebaut, und eine Wirtschaftskrise zog übers Land. Die offizielle Zahl der Erwerbslosen in der BRD überstieg die Eine-Million-Marke. Zehn Jahre später, Mitte der 80er, waren es schon zwei Millionen. Die Politik reagierte mit Märchenpropaganda über Faulpelze – wir kennen das von Hartz IV. Sie kürzte die Sozialhilfe, verschärfte das Asylrecht, stoppte das Gastarbeiterabkommen und bremste die Arbeitsmigration drastisch. Nur noch ganz besonders Produktive sollten reinkommen. Eine übliche Verfahrensweise mit Humankapital im Kapitalismus. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Profit geht vor Leben. Man kann es live erleben.

Die Krise in den 70ern machte vor dem Rest der Welt nicht halt. In Großbritannien stampfte die Eiserne Lady den Sozialstaat ein. Woanders geschah es ähnlich. Die Ghettos und Zeltstädte wuchsen dies- und jenseits des Atlantiks. Das tun sie bis heute. Die schöne bunte Warenwelt hat eben ihre Schattenseiten. Es gilt der Sieg im Wettbewerb um Märkte und Ressourcen. Das vereinte Deutschland wollte ihn besonders aggressiv gewinnen. Seither füttert es den Niedriglohnsektor mittels Hartz-IV-Regime inklusive Hungerstrafen-Katalog. Die Imperien rüsten wieder auf, befeuern Kriege, unendliches Leid und Flüchtlingsströme.

Es ist erkennbar: Die Krise spitzt sich zu, und die Mehrheit guckt dumm aus der Wäsche. Dabei hatte das der alte Marx genauso prophezeit. Dazu brauchte er keine Glaskugel, sondern nur Wissen über den Kapitalismus. Aber das ist ja böse, das darf man nicht sagen, sorry, hatte ich vergessen. Trotzdem ist die Krise sichtbar. Die SPD-nahen, im DGB organisierten Gewerkschaften tun trotzdem so, als sei das alles mittels Sozialpartnerschaft zwischen Sklaven und Herren zu beheben. Ironischer Weise „argumentieren“ viele Rechtspopulisten ähnlich: Sie suggerieren, man könne einfach zurück in die 1960er. Grenzen dicht und schon werde alles schön. Allein ein Blick auf die Produktivkräfte entlarvt das als ökonomischen Quatsch.

Man könnte auf die Idee kommen, die profitabsaugenden Konzerne zu vergesellschaften, damit das alles wieder bezahlbar wird. Nicht nur Berliner Mieterbündnisse, sogar der SPD-Jungstar Kevin Kühnert kam jetzt auf die Idee. Und schon schreien wieder CDU, CSU, FDP, AfD und Teile von Kühnerts eigener Partei im Chor: Hilfe, die Gulagbauer und Zahnbürsten-Diebe kommen! Sagt ja auch die Bild. Dann muss es stimmen. Ehrlich? Wer so denkt, kommt übers Betteln um 50 Cent mehr Lohn niemals hinaus.

Und dann sind da noch die autoritären Scheinlösungen, die besonders dressierte Untertanen vom Tablett der AfD und ihren Kumpels saugen. Das deutsche Volk müsse zusammenhalten und sich gegen Ausländer wehren, brüllen sie. Ganz so, als hätte Leiharbeiter Müller dieselben Interessen, Probleme und kulturellen Vorlieben wie die Milliardärsfamilie Quandt. Und als wäre ein Staat, der, einem Hochsicherheitstrakt gleich, aggressiv die Interessen des deutschen Kapitals durchsetzt, irgendwie gut für die in ihm lebenden Sklaven.

Nun hat die Rechte auch erneut versucht, den 1. Mai zu vereinnahmen. Ja, die AfD gebärdet sich sehr erfolgreich als „Partei des kleinen Mannes“. Dass sie das nicht ist, zeigen nicht nur ihre krasser als bei der FDP formulierte programmatische Verteufelung aller Reichensteuern, sowie ihre Huldigungen an das Hartz-IV-Regime und die imperiale NATO-Politik.

Immerhin kroch die Partei aus dem Milieu diverser Unternehmerlobby-Verbände und deren Thinktanks hervor, die ihre Interessen von Merkels Führungsriege nicht genug gewürdigt sahen. Auf sie kann die AfD bis heute finanziell bauen, auch schon mal unter der Hand. Genannt seien hier zum Beispiel die Mont Pélerin Society, die Hayek-Gesellschaft und Hayek-Stiftung, diverse Wirtschaftsverbände, Vereine und Unternehmer. Nicht zuletzt zeigt ihre effektiv und ganz im Sinne des Kapitals betriebene ethnische und soziale Spaltung der Arbeiterklasse, wem sie wirklich dient.

So strampelt das Heer der noch nützlichen Profit-Erzeuger unaufhaltsam im Dienst der vielgesichtigen und doch anonymen, zum Fetisch erkorenen und als Markt geheiligten Profitmaschine. Bloß keine Enteignungen, bloß keine zugunsten aller geplante Wirtschaft, scheiß auf die Natur, nach mir die Sintflut. Bis dahin beißt man systemkonform jeden vermeintlichen Job- und Futterkonkurrenten weg und zwingt seinen Kindern das gleiche Joch des entfremdeten Untertanen-Daseins auf. Eine Mischung aus Stockholm-Syndrom und Aggressionsabfuhr gegen ausgewählte Hassobjekte beruhigt ganz prima die täglich getriggerte Psyche. Zur Not säuft und kifft man sich die Realität eben schön.

Eine Zukunftsoption ist das nicht. Die Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse, die Klassengesellschaft und die zerstörerische Kraft der Kapitalmaschine gehören ins Blickfeld. Kapitalismus ist scheiße für die Mehrheit. Das sind die Lohnabhängigen. Nur sie können das zerstörerische System stoppen, und zwar gemeinsam und international. Sonst wird es, gemäß seiner Natur, alles Lebendige verschlingen.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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