Tagesdosis 4.11.2017 – Die Russische Revolution 1917 (Podcast)

Wasser predigen, Wein trinken.

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Es gibt wenige historische Ereignisse, die von Anfang an so umstritten waren wie die Russische Revolution, die sich in diesen Tagen zum einhundertsten Mal jährt. Für die einen war sie die Machtübernahme durch politische Terroristen, für die anderen der Aufbruch in eine neue Gesellschaft.

Nach vielen Jahrzehnten der Geheimniskrämerei können wir heute – nach der Öffnung wichtiger Archive – auf zahlreiche belegte Fakten zurückgreifen, die uns zumindest folgende Fragen beantworten: Wie konnte eine so winzige Gruppe von Menschen wie die Bolschewisten in einem solch riesigen Reich die Macht ergreifen? Wieso haben die Revolutionäre nach der Machtübernahme genau die Methoden angewandt, die sie eigentlich bekämpfen wollten? Warum ist die von ihnen gegründete Sowjetunion trotz aller Probleme  innerhalb von drei Jahrzehnten vom Agrarstaat zur industriellen Weltmacht aufgestiegen?

Das Märchen von „Brot und Frieden“

Nach ihrer eigenen Version war die Machtübernahme der Bolschewisten darauf zurückzuführen, dass sie bei den russischen Arbeitern und Bauern im Ersten Weltkrieg mit ihren Parole „Brot und Frieden“ auf offene Ohren stießen.

Der wirkliche Grund sah anders aus: Die im Exil lebende Führung der Bolschewisten pflegte trotz ihrer offiziellen Feindschaft gegenüber dem Deutschen Kaiserreich geheime Beziehungen nach Berlin, ließ sich in einem von Deutschland bereitgestellten Zug auf Schleichwegen in die eigene Heimat bringen und anschließend mit Geldern in Millionenhöhe ausrüsten, um an die Macht zu gelangen.

Ohne diese Hilfe durch den kapitalistischen Erzfeind hätten Lenin und seine Gefolgsleute nicht den Hauch einer Chance gehabt, sich an die Spitze des russischen Riesenreiches zu setzen. (Die Deutschen rechneten natürlich nicht mit einem Sieg der Bolschewisten, sondern hofften lediglich auf die Destabilisierung ihres Kriegsgegners Russland.)

Das Hauptziel nach dem Umsturz: Die Machterhaltung

Nach dem Umsturz nutzten die Bolschewisten ihre Macht nicht etwa, um ihre Ideale zu verwirklichen, sondern taten in vielen Fällen das genaue Gegenteil: Hatten sie vor der Revolution die Parole „Alle Macht den Räten!“ aufgestellt, so sorgten sie nach der Machteroberung für deren Auflösung. Hatten sie vor der Revolution die Abschaffung der Todesstrafe und der Geheimpolizei gefordert, so gründeten sie nach der Revolution eine eigene Geheimpolizei und wandten die Todesstrafe häufiger an als das Zarenregime. War vor der Revolution die Gleichheit aller Bürger als Ziel verkündet worden, wurde danach der luxuriöse Kreml zum Sitz der Regierung gemacht, während die Arbeiter und Soldaten, die den Bolschewisten unter Einsatz ihres Lebens an die Macht geholfen hatten, im Kronstädter Aufstand niedergemetzelt wurden.

Warum? Die Antwort ist erschreckend einfach: Weil für die Bolschewisten nach dem Umsturz nicht mehr die Durchsetzung ihres politischen Programms an erster Stelle stand, sondern die Erhaltung der eigenen Macht und die Sicherung der ihnen dadurch gewährten Privilegien.

Da ihr Anspruch, die „Vorhut der Arbeiterklasse“ zu sein, aus diesem Grunde zunehmend mit der Wirklichkeit kollidierte, griffen sie zu immer schärferen Zwangsmaßnahmen und schufen einen Terrorstaat, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Dass sie dabei wesentlich härter vorgehen konnten als die von ihnen angeprangerten kapitalistischen Regimes, lag daran, dass sie auf Grund der Verstaatlichung aller Schlüsselindustrien und der Errichtung des Außenhandelsmonopols mehr Macht in ihren Händen hielten als es unter marktwirtschaftlichen Bedingungen je möglich gewesen wäre.

Millionen Tote, während einige wenige im Luxus lebten

Diese Machtfülle nutzten die nach der Revolution in „Kommunistische Partei der Sowjetunion“ (KPdSU) umbenannten Bolschewisten zu einer beispiellosen Industrialisierung des Landes auf Kosten der Bevölkerung. Millionen von Menschen  wurden zwangsumgesiedelt oder verloren ihr Leben, damit die Wirtschaftspläne der Führung erfüllt werden konnten. Zugleich führte die machthabende Funktionärskaste ein immer ausschweifenderes Luxusleben, das sich am Ende kaum von dem der russischen Zaren unterschied.

Kassieren

Unter den Bedingungen dieser enormen sozialen Ungleichheit wurden die Bekenntnisse zur klassenlosen Gesellschaft und zum Ziel des Kommunismus, also der allgemeinen Gleichheit, immer unglaubwürdiger. Deshalb musste der staatliche Gewaltapparat kontinuierlich  ausgebaut werden und übertraf am Ende alles, was die Welt bis dahin an Überwachung, Bespitzelung und politischer Unterdrückung gesehen hatte.

Die Lehre, die man heute aus der Russischen Revolution ziehen kann, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Die gewaltsame Machtergreifung einer Minderheit führt – egal, welche Ideale sie vertritt  – in eine historische Sackgasse. Eine wirklich nachhaltige Veränderung der Verhältnisse lässt sich nur dadurch erreichen, dass man die Mehrheit der Menschen mit ausschließlich friedlichen Mitteln von der Richtigkeit der eigenen Ideen überzeugt.

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