Ein Kommentar von Ernst Wolff.
Vor wenigen Tagen löste die Meldung, dass Deutschland an den „Hilfszahlungen“ für Griechenland fast drei Mrd. Euro an Zinsen verdient hat, eine Welle der Empörung aus. Deutsche Politiker unterließen es, die Nachricht zu kommentieren – vermutlich, weil ihnen die Argumente fehlen, um ein derartiges Handeln zu rechtfertigen.
Dennoch sollte man die Meldung nicht einfach übergehen. Sie zeigt nämlich am Beispiel eines der wirtschaftlich und finanziell schwächsten Länder der Eurozone, welches Stadium der Fäulnis und des Zerfalls unser gegenwärtiges Finanzsystem inzwischen erreicht hat und welche Rolle die Politik in der Endphase dieses Prozesses spielt.
Bereits der Eintritt Griechenlands in die Eurozone war ein von Finanzindustrie und Politik gemeinschaftlich begangener Betrug an der arbeitenden Bevölkerung: Um aufgenommen zu werden, wurden mit Hilfe der Großbank Goldman Sachs (unter ihrem damaligem Europachef Mario Draghi) nachweislich Bilanzen frisiert und hohe Risiken an den Kapitalmärkten eingegangen. Den Preis für die entstandenen Verluste in Höhe von 5,1 Mrd. Euro trugen nicht etwa die Konzerne und Banken, die anschließend vom Euro profitierten, sondern – die griechischen Steuerzahler.
Als Griechenland 2010 in den Strudel der Eurokrise geriet, wandte sich die Athener Regierung an die EU-Kommission in Brüssel und bat um Unterstützung. Die nicht gewählten Bürokraten der EU taten sich mit den ebenfalls nicht gewählten Vertretern von EZB und IWF zusammen, setzten Griechenlands Souveränität außer Kraft, stellten das Land unter die Zwangsverwaltung der Troika und gewährten ihm erst dann Kredite.
Diese Kredite waren allerdings keineswegs, wie der internationalen Öffentlichkeit gegenüber behauptet, „Hilfszahlungen“, die den Griechen zugute kamen, sondern dienten fast ausschließlich dazu, den Schuldendienst des Landes bei internationalen Banken zu ermöglichen. Den Preis zahlte einmal mehr die arbeitende Bevölkerung, denn die Troika koppelte ihre Zahlungen an extrem harte Austeritätsprogramme, die den Lebensstandard im Land drastisch senkten.
Während sich die Gläubiger im Ausland zufrieden zurücklehnen konnten, erlebte Griechenland in den Folgejahren einen nie gekannten Sozialabbau: Die Renten wurden bis heute um sechzig Prozent gesenkt, der Mindestlohn wurde bis auf 3,39 Euro gedrückt und das Gesundheitswesen weitgehend zerstört. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, erreichte nie gekannte Rekordwerte, Obdachlosigkeit und Drogensucht griffen um sich, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mussten Menschen auf europäischem Boden wieder hungern.
Das aber war nicht alles: 2015 wurde Griechenland Schauplatz des vermutlich größten Polit-Betrugs der vergangenen Jahre. Die im Januar auf der Grundlage ihres Anti-Austeritäts-Programms an die Macht gekommene Syriza-Partei unter Alexis Tsipras ließ die Bevölkerung im Juli 2015 über die von der Troika geforderten Reformen im Land abstimmen. Obwohl mehr als 60 Prozent der Wähler mit „Nein“ stimmten, akzeptierte die Syriza-Führung unmittelbar nach der Wahl sämtliche Forderungen der Troika und setzte entgegen all ihren Ankündigungen das bisher härteste Sparprogramm in ganz Europa durch.
Die Politiker rechtfertigten die Missachtung des Wahlergebnisses damit, dass die Austeritätspolitik zwar hart, aber notwendig sei und das Land schlussendlich aus der Krise führen werde. Auch diese Behauptung ist inzwischen von der Wirklichkeit widerlegt: Obwohl seit 2010 Kredite in der Höhe von über 270 Milliarden Euro nach Griechenland geflossen sind, ist die Verschuldung des Landes auf 325 Mrd. Euro angestiegen und liegt damit heute um zwanzig Prozent höher als 2016.
Doch selbst angesichts dieser verheerenden Entwicklung zeigen die Syriza-Politiker keine Einsicht, sondern steigern sich in immer groteskere Behauptungen. So haben sie vergangene Woche angekündigt, dass das Land in 42 Jahren schuldenfrei sein werde, weil es bis 2060 durchgehend Primärüberschüsse (höhere Staatseinnahmen als Staatsausgaben bei Nichtberücksichtigung der Zinszahlungen) erzielen werde – eine Leistung, die bisher noch kein Staat der Neuzeit erbracht hat.
Übertroffen werden diese an Fieberphantasien erinnernden Aussagen nur noch von denen der EU-Politiker. So erklärte EU-Kommissar Moscovici vor zehn Tagen anlässlich der Einigung über das letzte „Rettungspaket“ allen Ernstes: „Die griechische Krise ist heute Abend vorbei.“ Dass der griechische Finanzminister Tsakalotos ihm zustimmte und ebenfalls vom „Ende der griechischen Krise“ sprach, zeigt, wie weit sich die Politik angesichts der immer bedrohlicheren Entwicklungen an den Finanzmärkten von der Realität entfernt hat.
Nur zur Erinnerung: In Griechenland erhält gegenwärtig jeder dritte Rentner weniger als 500 Euro im Monat, die nächste Rentensenkung steht im Januar 2019 an. Drei Millionen von 10,75 Millionen Griechen können sich keine Krankenversicherung leisten, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 45 Prozent und vierzig Prozent aller Griechen sind derzeit nicht in der Lage, Miete und Rechnungen zu bezahlen.
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