Ein Kommentar von Paul Schreyer.
Beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Nobelort Davos feierten sich vergangene Woche erneut die internationalen Geldeliten. Diesmal ging es dort auch um Fake News – auf dem Podium stritten Vertreter von New York Times, BBC und RT miteinander.
War es eine Panne oder hatte jemand sabotiert? Als Klaus Schwab, Gründer und Organisator des Weltwirtschaftsforums bei seiner Begrüßungsrede für den Gast Donald Trump davon sprach, dass man einen „Raum für globale Zusammenarbeit“ schaffen wolle („global cooperation“) wurde das im offiziellen Video der Veranstaltung mit „global corporation“ untertitelt – also „Konzern“ statt „Zusammenarbeit“. Der Fehler könnte nicht passender sein. Schwab beeilte sich denn auch, dem grimmig dreinblickenden US-Präsidenten die besondere Wertschätzung der „corporations“ zu versichern:
„Im Namen der Wirtschaftsführer hier im Raum lassen Sie mich Ihnen gratulieren zu der im letzten Monat beschlossenen historischen Steuerreform, welche die Steuerlast der US-Unternehmen stark reduziert (…) und die globale Wirtschaft enorm befeuert.“
Trump erhob sich daraufhin und trug stolz vor, dass seine Regierung die Unternehmenssteuern soeben von 35 auf 21 Prozent abgesenkt hätte. Offenen Beifall bekam er dafür von den anwesenden Konzernführern dennoch nicht. Eher vermittelte man ihm unausgesprochen die Botschaft, dass eine solche Steuersenkung für einen bei den Eliten derart unbeliebten Politiker ja wohl das Mindeste gewesen sei.
Mary Callahan Erdoes, die Chefin der Vermögensverwaltung der Großbank J.P. Morgan, sprach in Davos mit Blick auf die gigantischen Steuersenkungen Trumps abschätzig von einer „Normalisierung“ der Verhältnisse. Befragt, ob sie sich Sorgen mache angesichts verdächtig einhelliger positiver Einschätzungen zur Wirtschaft und stetig steigender Aktienkurse, meinte sie im Brustton der Überzeugung: „Es ist in Ordnung, sich keine Sorgen zu machen, es ist in Ordnung zu feiern, wo wir heute stehen.“ Als sie diese Anmerkungen dann noch mit einem Loblied auf den Kapitalismus schloss, blickten einige Teilnehmer peinlich berührt zur Seite. Doch es widersprach niemand. Zweifel sind, so scheint es, an der Spitze weiterhin nicht in Mode.
Dies zeigte sich auch bei einer hochkarätig besetzten Gesprächsrunde zum Thema Fake News im Rahmen des Davos-Treffens. Anwesend waren dort neben einer BBC-Moderatorin der Chefredakteur der New York Times, die Vizechefin von RT, ein pakistanischer Spitzenpolitiker sowie der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. Die beiden Amerikaner und die BBC-Frau argumentierten selbstgewiss, der Pakistani und die Russin wirkten eher nachdenklich.
Schon bei der Begrüßung der Gäste durch die BBC-Journalistin wurde der Rahmen von gut und böse deutlich abgesteckt. Die New York Times, so die Moderatorin, habe in ihrer Geschichte mehr als 120 Pulitzerpreise bekommen. Zu RT fiel ihr bloß ein, dass der Sender vom Kreml unterstützt werde. Der bekannte Vorwurf, RT verbreitete Propaganda, kam schon nach wenigen Minuten. Als Beweis dafür wurde betont, dass „so viele Parteien“ diese Anschuldigung vorbringen würden, da müsse schon etwas dran sein. Auch Wikipedia-Gründer Jimmy Wales stimmte in diesen Chor ein: „Die Beweise kommen von so vielen Orten“, es sei einfach „überwältigend“, offene Fragen sehe er nicht mehr.
Der Pakistani warf einen differenzierteren Blick in die jüngere Geschichte und erinnerte an die amerikanischen Fake News von den Massenvernichtungswaffen im Irak – was man aber nicht gelten ließ. Das eine wäre mit dem anderen nicht zu vergleichen. Hervorgehoben wurde von der BBC-Journalistin: „Wenn wir einen Fehler machen, dann räumen wir es ein“. Die BBC habe „unabhängige Prüfer“. Woraufhin die Russin selbstbewusst entgegnete: „RT auch“ und ergänzte, dass viele Mediennutzer im Westen seit langem nicht mehr den Eindruck hätten, vom Mainstream tatsächlich die Realität gezeigt zu bekommen.
Die Moderatorin griff dieses Argument auf, formulierte es aber um: Der Mainstream habe den Lesern offenbar „nicht das gegeben, was sie wollten“. Das klang so, als sei die Abbildung der Realität ein spezieller, außergewöhnlicher Wunsch. Dankbar stieg der Chef der New York Times auf diese Wortakrobatik der BBC-Frau ein: Ja, dem sei so, ein großer Teil des Publikums wolle bloß das hören, was die eigenen Vorurteile bestätige. Genau dies würden New York Times und BBC aber eben nicht tun, da es kein Journalismus sei. Die von Lesern beklagte Einseitigkeit und Loslösung von der Realität erhob der US-Journalist so auf elegante Weise zum besonderen Qualitätsmerkmal. Die vermisste andere Hälfte der Wirklichkeit sei bloß eine Ansammlung von Vorurteilen, denen man sich mutig entgegenstemme.
Deutlich wird dabei eine fortschreitende Isolation. Davos als Spitzentreffen der Eliten hebt mehr und mehr ab, wird zum Raumschiff im Tiefschnee. Andersdenkende lädt man zwar ein, nimmt sie aber nicht ernst. Statt Einsicht und Reflexion regiert ein stoisches „weiter so“. Die herrschende Lehre ist eine herrschende Leere – ohne Antworten, ohne Fähigkeit zur Weiterentwicklung.
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