Tagesdosis 3.6.2019 – Österreich im Ibiza-Fieber: Paaasst scho!

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

In Österreich ist ja mächtig was los. Erst diese G‘schichten um das Rad, das der Sänger Andreas Gabalier auf dem Cover seiner CD geschlagen hat, und in dem selbsternannte Experten ein Hakenkreuz halluzinierten. Und jetzt diese G‘schichten um die Koksabenteuer des ehemaligen Vizekanzlers Heinz Christian Strache und seines Zauberlehrlings Johann Gudenus in einer verwanzten Finca in Ibiza. Seit jenem Augenblick schreibt sich Österreichs Bundespräsident van der Bellen die Finger wund mit Entlassungs- und Ernennungsurkunden. Erst mussten sämtliche FPÖ-Minister die Regierung Kurz verlassen. Dann wurde der junge Mozart auf der Klaviatur der Politintrige, Sebastian Kurz, als Kanzler gestürzt. Ein Mann aus der Versicherungsbranche namens Löger folgte ihm nach als Übergangskanzler. Kaum konnte der sich überhaupt auf den Chefsessel setzen, wurde er auch schon wieder unsanft rausgekippt. Jetzt – ich weiß nicht ob das noch aktuell ist, während ich diesen Kommentar schreibe, es geht ja alles so schnell – hat der van der Bellen gerade eine Frau zur Kanzlerin gemacht. Es sieht gerade so aus, als ob hinter den Kulissen jemand immer noch nicht zufrieden ist mit den Veränderungen, und es muss diesem anspruchsvollen Kunden so lange zugearbeitet werden, bis alles passt. „Paaasst!“, sagen die Wiener gerne und reichlich. Passt es jetzt?

Ja, wem passt es denn jetzt? Ich glaube, die neue Richtung passt sehr gut zu den Transatlantikern. Also jenen Leuten, die gerne alle europäischen Staaten unter der Haube der NATO im Gleichschritt gegen das a priori böse Russland marschieren sehen. Da sagt doch hinter vorgehaltener Hand ein amerikanischer General zum Nachrichtenportal BuzzFeed: „Österreich war immer ein Problem für jeden hier … Die jetzige Regierung [also die damalige Regierung  Kurz/Strache] hat enge ideologische und wirtschaftliche Verbindungen zum Putin-Regime und versuchte zwei Dinge miteinander in Einklang zu bringen: nämlich ein seriöses Mitglied der EU zu sein, und gleichzeitig ein enger Freund von Putin. Beides zusammen geht aber nicht nach der Sache mit Skripal.“ Damit übertreibt unser amerikanischer Freund zwar nicht unbeträchtlich was die Wiener Affäre mit Putin angeht. Aber auch im Kalten Krieg und bis vor kurzem betrachtete sich Österreich als neutral gegenüber Militärblöcken. Das ist quasi Teil der österreichischen Verfassung, seitdem 1955 die Besatzungstruppen von dort abzogen, auch die sowjetischen Divisionen. Damit könnte nun Schluss sein.

Denn Österreich einzusacken … tschuldigung, ich meinte natürlich: Österreich feierlich in die westliche Wertegemeinschaft einzubinden, macht geopolitisch großen Sinn. Österreich galt schon immer als Tor zum Balkan. Und die neu eroberten ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten wie Ungarn, Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien, Polen, und die Trümmer der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien leben wirtschaftlich von der Hand in den Mund, und der Westen hilft ihnen auch nicht, um das Mindeste zu sagen. Aber China fragt nicht lange und schüttet aus seinem Füllhorn Geld über diese vernachlässigten Regionen Europas. Und so kam das 16 plus 1-Abkommen zwischen diesen Staaten und China zustande. Da werden neue Pipelines und Eisenbahnlinien, die nicht von den US-Konzernen kontrolliert werden, installiert. Die Chinesen spannen den Amerikanern auf merkantile Weise die Osteuropäer aus. Und Österreich ist bislang im chinesischen Seidenstraßenprojekt eingebunden. Und diese interessanten neuen Zukunftsperspektiven jenseits von Aufrüstung und Krieg hatte die bisherige Außenministerin Karin Kneissl klar erkannt, und auch in einem Buch mit dem provozierenden Titel „Wachablöse: Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung“ erörtert. Für uns Europäer ist eine neue Supermacht sicher nicht anheimelnd, aber mit den Bremer Stadtmusikanten können wir sagen: „Was Besseres als den Tod findste immer!“ Der Tod ist ein Meister aus USA. Die NATO soll im nächsten Jahr in einem gigantischen Manöver den Krieg gegen Russland in einer Generalprobe auf unserem Boden ausarbeiten. Dazu müssen alle Länder auf Linie gebracht werden. Schweden war dereinst auch neutral. Nach dem Mord an Olof Palme ist es jetzt zu einer aggressiven, hochgradig militarisierten Speerspitze gegen Russland geworden.

Nun also Österreich? Die Geschichte mit dem Ibiza-Video kam mir gleich spanisch vor. Als ich im Magazin Rubikon vor wenigen Tagen ausführlich darlegte, dass es sich hier eindeutig um das Werk von Geheimdiensten handelt, hatte das noch den Geruch von Verschwörungstheorie. Jetzt geht es nur noch darum: welcher Geheimdienst war es? Das konservativ-transatlantische Magazin Cicero spekulierte in Richtung Mossad. Der hätte auf den Antisemitismus der FPÖ gezielt. Allerdings neigte der Mossad noch nie zu humanitären Interventionen. Erheblich plausibler ist, dass sich der österreichische Geheimdienst BVT für erlittene Kränkungen an dem FPÖ-Innenminister Herbert Kickl gerächt hat. Doch auch von außen, ganz konkret: aus unserer Bundesrepublik kam massiver Druck, die FPÖ-Minister als im Sinne der NATO unsichere Kantonisten zu feuern. Der wurde sichtbar durch die Veröffentlichung der Strache-Videos durch unsere transatlantischen Presseorgane Spiegel und Süddeutsche Zeitung. Immer wieder schnüffelt unser Geheimdienst BND in Österreich in Regierung und Konzernspitzen herum. Die Zudringlichkeit des BND war so stark, dass im letzten Jahr Präsident und Kanzler der Alpenrepublik vor die Presse traten und sich mit energischen Worten diese Einmischung verbaten. Die Ermittlungen gegen die illegalen Schlapphut-Praktiken bei der Erstellung der Ibiza-Videos sind überhaupt noch nicht aufgenommen worden. Und es besteht ein auffälliges Desinteresse, diesen halbseidenen Sumpf aus Kriminalität, Politik und Geheimdiensten aufzudecken.

Mein Verdacht, dass es letztlich um die Außenpolitik und besonders gegen Außenministerin Karin Kneissl geht, ist jetzt in überraschender Deutlichkeit bestätigt worden. Dass Frau Kneissl ließ die Kriegsstrategen im NATO-Dunstkreis schäumen: Karin Kneissl „erregte die Briten und den ganzen Rest von Europa, als sie inmitten der Aufregung um Skripal den russischen Präsidenten Putin einlud zu ihrer Hochzeit.“, weiß der in BuzzFeed zitierte General zu erzählen. Und unser bekanntes Boulevardblatt mit den vier Buchstaben titelte nach dem Rausschmiss der FPÖ-Minister: „Warum darf Putins Lieblingsministerin bleiben?“ Kneissl ist nämlich nicht FPÖ-Mitglied und war auch in der Übergangsregierung von Kanzler Löger noch mit von der Partie.

Aber ganz ruhig, liebe VolksverBILDer: „paaasst scho!“ Denn van der Bellen hat jetzt die Präsidentin des österreichischen Verfassungsgerichts Brigitte Bierlein zur Kanzlerin gemacht. Und Frau Kneissl ist endlich weg. Der neue Außenminister Alexander Schallenberg ist eine wirklich gute Wahl – im Sinne der westlichen Wertegemeinschaft. Der Karrierediplomat hat seine Ausbildung am Europakolleg in Brügge absolviert. Eine „Kaderschmiede der Europäischen Union“, wie die taz zu formulieren wusste. Eine „Expertenregierung“ ohne demokratische Legitimation regiert nun das Tor zum Balkan bis zur Neuwahl im Herbst. Dann wird Sebastian Kurz einen triumphalen Wahlsieg einfahren und mit den marktradikalen NEOS, der österreichischen Entsprechung zu unserer FDP, endlich so richtig transatlantisch und marktradikal durchgreifen können, wie es ihm jetzt mit der FPÖ nicht möglich war.

Für Europa ein Rückschlag. Denn nun sind wir noch mehr im Würgegriff der NATO. Und das bedeutet: weiter mit der Politik der gewollten Verarmung, der tiefen undemokratischen Staaten mit ihrer stinkenden Melange aus krimineller Subkultur, Geheimdiensten und Militärs. Weiter im Schulterschluss mit den USA gegen die Länder der Dritten Welt in einem Hyper-Kolonialismus.

Paassst uns scho mal gar nit!

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