Tagesdosis 3.3.2018 – Zentralbank-Politik: Was steckt eigentlich hinter der „Zinsangst“? (Podcast)

Ein Kommentar von Ernst Wolff

Es gab Zeiten, in denen sich so gut wie niemand für die Zentralbanken interessierte. Bis vor zehn Jahren wusste kaum jemand, wer an der Spitze der Zentralbank seines Landes stand und welche Beschlüsse er oder sie fällte.

All das hat sich mit der Krise von 2007/2008 geändert. Mario Draghi ist in Europa ebenso bekannt wie die vor kurzem abgelöste Janet Yellen in den USA. In dieser Woche erhielt auch Yellens Nachfolger Jerome Powell bei seinem ersten großen Auftritt in Washington gewaltige mediale Aufmerksamkeit.

Dabei stand vor allem eine Frage im Mittelpunkt: Wird Powell die Zinsen in den USA erhöhen oder nicht? Börsen-Insidern und Finanzfachleuten zufolge ist die Beantwortung dieser Frage für die Zukunft der Finanzmärkte von entscheidender Bedeutung. Warum?

Die Folgen der Rettung des Finanzsystems

2008 konnte der Zusammenbruch des globalen Finanzsystems nur dadurch verhindert werden, dass mehrere Regierungen den Finanzsektor ihres Landes mit riesigen Summen stützten. Das aber riss gewaltige Löcher in die Staatshaushalte, während die Wirtschaft wegen der Folgen des Crashs nicht wieder in Gang kam. Daraufhin griffen die Zentralbanken mit einer Kombination aus zwei Maßnahmen ein: Sie schufen per Knopfdruck Geld und senkten die Zinsen.

Angeblich diente dieses künstlich erzeugte „billige“ Geld dazu, die Realwirtschaft wieder anzukurbeln. Tatsächlich aber wurden damit (durch den Verkauf von Unternehmens- und Staatsanleihen) einzelne Konzerne und ganze Länder gestützt, die sonst zahlungsunfähig geworden wären.

Außerdem wurde ein großer Teil des Geldes zur Spekulation genutzt und erzeugte riesige Blasen an den Anleihen-, Aktien- und Immobilienmärkten. Das enorm schnelle Wachstum dieser Blasen lockte immer mehr Spekulanten an, von denen viele ihre Einsätze „hebelten“, also mit geliehenem Geld zu zocken begannen, was ihre Gewinne, aber auch die Verschuldung in die Höhe trieb.

Doch nicht nur die Spekulanten nahmen Kredite auf: Da der Lebensstandard großer Teile des Mittelstands und der Arbeiterschaft nach 2008 erheblich sank, waren auch viele arbeitende Menschen gezwungen, sich zu verschulden. Auf diese Weise hat der globale Gesamtschuldenberg (staatlich, gewerblich und privat) größere Ausmaße als je zuvor angenommen.

Erhöht man in dieser Situation die Zinsen, so erschwert man die Bedienung der laufenden Kredite bringt sowohl die Staaten, als auch die verschuldeten Spekulanten in immer größere Bedrängnis. Bei den Privathaushalten würde man die Kaufkraft weiter herabsetzen und so zu wachsendem sozialem und politischem Widerstand beitragen. Aus diesen Gründen haben sich die Zentralbanken, allen voran die US-Zentralbank Federal Reserve, bisher mit Zinserhöhungen zurückgehalten.

Die Zentralbanken befinden sich in einer ausweglosen Lage 

Warum aber setzen sie diese Politik nicht einfach fort? Warum verzichten sie nicht auf weitere Zinserhöhungen und schaffen per Knopfdruck noch mehr Geld?

Zu diesem Mittel würde vor allem die Federal Reserve gern greifen – wenn da nicht ein verheerender Nebeneffekt wäre: Das viele billige Geld hat nämlich bereits zu einem fortschreitenden Wertverlust des US-Dollars geführt. Dieser wiederum hat bewirkt, dass US-Staatsanleihen ebenfalls an Wert verloren haben und – ohne Zinserhöhung – weiter an Wert verlieren werden.

Die US-Staatsanleihen aber sind sozusagen das Blut, das durch den Organismus der USA fließt. Mit Hilfe dieser Staatsanleihen finanziert das Land sich selbst und vor allem auch seine Kriege. Wenn sie an Wert verlieren, drohen eine nachlassende Nachfrage oder ein massenhafter Verkauf durch die Halter der bisher ausgegebenen Staatsanleihen. Beides hätte für die finanzielle Situation der USA verheerende Folgen. Um diesen zu entgehen, gäbe es für die Federal Reserve nur ein Mittel – sie müsste die Zinsen für US-Staatsanleihen wieder erhöhen.

Die USA und ihre Zentralbank Federal Reserve befinden sich also in einer ausweglosen Lage: Eine Zinserhöhung zieht Riesenprobleme nach sich, ein Verzicht darauf schafft Bedingungen, unter denen eine Zinserhöhung unvermeidlich wird.

Egal, was die Federal Reserve und die US-Regierung in nächster Zeit tun – es sind, bildlich gesprochen,  reine Verzweiflungsreaktionen eines Ertrinkenden, für den es keine Rettung mehr gibt.

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