Tagesdosis 3.2.2018 – Marx, Goethe und das globale Finanzsystem

Ein Kommentar von Ernst Wolff .

Karl Marx, der im Mai vor 200 Jahren geboren wurde, hat einmal gesagt: „Die herrschenden Gedanken einer jeden Epoche sind die Gedanken der herrschenden Klasse“. Wie sehr seine Beobachtung zutrifft, lässt sich in unserer Zeit besonders klar erkennen.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist überzeugt, in einer Demokratie zu leben. In ihren Augen dienen die Wahlen dazu, alle vier Jahre „Volksvertreter“ zu bestimmen, die anschließend im Auftrag des Volkes regieren. Die Mehrheit ist auch der Meinung, dass wir Pressefreiheit genießen und vor dem Gesetz alle gleich sind.

Was das Finanzsystem angeht, so nehmen die meisten Menschen an, es brauche sie nicht zu interessieren, da es ihr Leben nicht direkt berühre. Fragt man nach der Rolle, die die Zentralbanken in unserer Gesellschaft spielen, so glauben fast alle Befragten, es handle sich um staatliche Einrichtungen, die neben der Geldschöpfung die Aufgabe haben, die Banken zu beaufsichtigen und zu kontrollieren.

Keine einzige dieser Ansichten entspricht der Wahrheit. Würden wir tatsächlich in einer Demokratie leben, so müssten die Entscheidungen der Regierenden den Willen der Bevölkerung widerspiegeln. Deren überwiegende Mehrheit ist aber ganz und gar nicht dafür, dass Waffen exportiert, Kriege geführt, die Umwelt zerstört und zukünftige Generationen mit Schulden belastet werden, die sie nicht zu verantworten haben. Sie will auch nicht, dass eine winzige Minderheit sich hemmungslos bereichert, während der Anteil derer, die immer härter ums Überleben kämpfen müssen, beständig zunimmt.

Die Wahlen, die alle vier Jahre abgehalten werden, sind auch keineswegs ein Beweis für Demokratie. Zum einen kosten Wahlkämpfe enorm viel Geld, zum anderen werden sie ganz erheblich durch die Medien manipuliert, die sich im Besitz der winzigen Minderheit von Ultrareichen befinden und in erster Linie nicht der Information, sondern der Erwirtschaftung von Gewinnen dienen.

Außerdem werden die wirklich wichtigen Entscheidungen nach den Wahlen in der Regel hinter verschlossenen Türen getroffen und spiegeln oft das Gegenteil dessen wider, was die Mehrheit der Bevölkerung möchte. Schlussendlich werden Parlamente dann, wenn die Herrschaft der Finanzelite in Gefahr gerät, ganz einfach kaltgestellt, wie zum Beispiel im Fall der Zwangsverwaltung ganzer südeuropäischer Staaten durch die Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission.

Was die Zentralbanken angeht, so könnten die Gedanken der Allgemeinheit auch kaum falscher sein: Sie sind geschichtlich mit der Einführung nationaler Währungen entstanden und dienen nicht etwa der Kontrolle, sondern der Interessenswahrnehmung der Geschäftsbanken, die wiederum jahrhundertelang allein für die Geldschöpfung zuständig waren.

Erst in der jüngeren Vergangenheit, insbesondere seit der Krise von 2007/ 2008, sind die Zentralbanken dazu übergegangen, vermehrt aktiv in den Geldschöpfungsprozess einzugreifen. Damit aber haben sie keinesfalls eine Kontrollfunktion übernommen, sondern genau das Gegenteil getan: Sie haben den größten Geschäftsbanken mit „billigem“ Geld in Billionenhöhe unter die Arme gegriffen und deren Überleben gesichert, während sie kleinen Banken, Sparern und auf Altersvorsorge bedachten Senioren durch immer stärkere Zinssenkungen extrem geschadet haben.

Die in weiten Teilen der Bevölkerung verankerten Vorstellungen von unserer parlamentarischen Ordnung und unserem Finanzsystem sind also falsch und irreführend. Trotzdem werden sie tagtäglich in Schulen und an Universitäten gelehrt, in den Medien verbreitet und von Politikern nachgebetet.

Das hat seinen Grund: Die gängigen Vorstellungen täuschen die Menschen über die bestehenden Machtverhältnisse hinweg und stellen sie daher nicht in Frage. Sie erfüllen damit einen Zweck, der für die Herrschenden von enormer Bedeutung ist: Sie stabilisieren ein zutiefst ungerechtes und unsoziales System, in dem eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit profitiert.

Mit Hilfe von Schulen, Medien und Politik ist es der Finanzelite so gelungen, einen Zustand herbeizuführen, den Johann Wolfgang von Goethe einmal folgendermaßen charakterisiert hat: „Niemand ist hoffnungsloser versklavt als derjenige, der fälschlicherweise glaubt, frei zu sein.“

Doch auch diese zunächst entmutigende Erkenntnis sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in einer Zeit leben, in der man Hoffnung schöpfen kann. Das System hat nämlich nicht nur die höchste soziale Ungleichheit aller Zeiten erzeugt, sondern durch jahrelange Manipulation mittels Gelddrucken und Zinssenkungen und die Erklärung der Großbanken für „too big to fail“ ein Stadium der Fäulnis erreicht, das es von innen her zersetzt und zerstört, anders ausgedrückt: Es ist in seine Endphase eingetreten.

Vor uns liegt nicht nur eine historische Periode des Zerfalls und des Aufbrechens alter Strukturen, sondern vor allem eine Periode heftiger sozialer Auseinandersetzungen, in der immer mehr Menschen mit dem System in Konflikt geraten und so auf Grund eigener Erfahrungen die Chance haben werden, seinen wahren Charakter zu erkennen.

Genau deshalb ist es so wichtig, aus Karl Marx’ Erkenntnis die richtige Schlussfolgerung zu ziehen und den herrschenden Gedanken das einzige Mittel entgegenzusetzen, was ihnen ihre Grundlage entziehen und sie historisch überwinden kann: Die Wahrheit über das bestehende System.

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