Tagesdosis 28.9.2019 – Das Klimaschutzprogramm für das Jahr 2030: The Licence to Kill

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Nun sind die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm für das Jahr 2030 schon eine Woche alt. Und immer noch sind die Schlagzeilen voll der Häme und des Spotts über diese neueste Absichtserklärung unserer Bundesregierung. Es ist ja kein Beschluss. Leichtsinnig versprechen die Merkelmänner und –frauen, ihre Eckpunkte noch in diesem Jahr in verbindliche Gesetze zu gießen.

Hat schon mal jemand wirklich in die Eckpunkte hineingeschaut? (1) Man hört eigentlich immer nur, die CO2-Abgabe sei viel zu niedrig, oder aber zu hoch. Die erste Gruppe hat anzumerken, unsere Kinder und Kindeskinder hätten irgendwann keine Luft mehr zum Atmen. Die zweite Gruppe beklagt die Minderung der Profitlust.

Ich habe mal hineingeschaut in die sperrigen 22 Seiten. Das oberste Ziel ist ja die Einhaltung des komplexen 1.5 Grad-Zieles, um den Kipp-Punkt im Klimawandel zu vermeiden. Und da ist in der Tat nach wie vor für die Bundesregierung die „Bepreisung der Schadstoffe“ durch CO2-Zertifikate das entscheidende Instrument. Das heißt: die Umwelt zu verschmutzen soll den Kapitalisten dort treffen, wo es am meisten wehtut: beim Gewinn. Umweltverschmutzung soll sich nicht mehr rentieren. Daneben gibt es eine Reihe von angedachten konkreten Maßnahmen: der emissionsarme Bahnverkehr soll attraktiver werden.

Die Bahn soll in Zukunft nur noch 7 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer an den Staat abführen. Die Einnahmeausfälle für den Fiskus sollen im Gegenzug durch eine neue Luftverkehrsabgabe finanziert werden, und der Bahnkunde soll in Zukunft 10 Prozent weniger für sein Ticket bezahlen. Kann ich prinzipiell nur sagen: Bravo! Allerdings: warum bezahlt die Bahn als nach wie vor staatseigener Betrieb überhaupt noch Steuern, und die Luftfahrt als privater Sektor überhaupt keine Steuern? Also doch nur Augenwischerei. Etwas handfester sind die vom Bund mit der Bahn AG zusammen beabsichtigten Investitionen in den Schienenverkehr in Höhe von 86 Milliarden Euro bis 2030. Zudem könnte ja vielleicht die absehbare Insolvenz der Deutschen Bahn AG mit jener einen Milliarde Euro noch verhindert werden (2), die die Bundesregierung tatsächlich, wie in den Eckpunkten versprochen, in den Kapitalbestand jedes Jahr einzahlen will. Erneuerbare Energien sollen bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent im Energiemix bekommen. Wie das geschafft werden soll, verraten uns die Eckpunkte allerdings nicht. Autos sollen immer häufiger mit Strom fahren, die Zahl der Elektro-Ladesäulen soll zunehmen.

Wirklich? Überlegt Euch das doch noch mal. Denn die Herstellung von Batterien ist extrem umweltschädlich (3).

Energetische Gebäudesanierung klingt ungeheuer positiv. Ein gewisser Anteil der Schadstoffemissionen ist tatsächlich auf die Beheizung von Wohnungen zurückzuführen. Und die Bundesregierung sowie die Kreditanstalt für Wiederaufbau fördern massiv die energetische Gebäudesanierung. Denn sie wollen ja bei den nächsten Weltklimakonferenzen mit Schadstoffreduktionen glänzen. Wer von diesen energetischen Sanierungen als Mieter betroffen ist, kann die allgemeine Euphorie über diesen Coup der Bundesregierung schwerlich nachvollziehen. Da werden ganze Wohnblöcke, in denen Mieter leben, über viele, viele Monate mit Baulärm und Baudreck malträtiert. Um dann nach Abschluss der Sanierung ganz schön ernüchtert zu sein. Denn die lückenlose Isolierung verhindert, dass das Haus atmen kann. Es bildet sich sehr schnell Feuchtigkeit, die zu Schimmel führt. Deswegen werden die sanierten Häuser mit einem extrem stromschluckenden Abluftsystem versehen, um den Feuchtigkeitsstau künstlich ins Freie zu befördern. Die Außenwände werden nur selten mit Steinwolle gedämmt. Meistens kommen Styropor-Platten zum Einsatz. Und woraus sind die Styropor-Platten gefertigt? Richtig. Aus fossilen Stoffen, letzter Hand also aus Öl. Es sind schon ganze Häuserblocks niedergebrannt (4). Obendrein nutzen die Vermieter diese Gelegenheit, um die Miete kräftig anzuheben. Man sieht an diesem Beispiel sehr gut, dass unsere Bundesregierung ganz geschickt die Forderung nach Emissionsvermeidung umsetzt in ein erneutes Riesengeschäft für die ihr sehr verbundene Ölindustrie.

Das sind nur ein paar Fundstücke aus dem aktuellen Eckpunkte-Papier der Bundesregierung. In der Öffentlichkeit wird allerdings nur über die CO2-Abgabe gesprochen. Der Spiegel hat ausgerechnet (5), dass das jetzt geschnürte Klimapaket alles in allem bis 2023 so um die 54 Milliarden Euro kosten wird. Das würde durch die Einnahmen aus der CO2-Abgabe nicht gedeckt. Die Kosten müssten also, so insinuiert der Spiegel, vom Steuerzahler zugeschossen werden. In dasselbe Horn bläst der NABU (6). Greenpeace (#Not my Klimapaket ) ist die CO2-Abgabe einfach viel zu niedrig (7). Ist ja nachvollziehbar, dass die Umwelt-NGOs ihre Kritik auf einen einzigen Punkt reduzieren. Denn sie wollen ja in der Presse wahrgenommen und zitiert werden, um dann vermehrt Spenden einzuwerben.

Diese NGOs vertreten ja das Alternativprogramm zum offiziellen Mainstream-Wahnsinn. Oder? Merkt denn keiner den Fehler? Alle zusammen, ob nun der Hofprophet der dynamischen Unternehmerzunft, Hanns-Werner Sinn, ob der Spiegel oder eben Greenpeace – alle setzen ihre ganze Hoffnung auf das Prinzip der CO2-Zertifikate! Also: wer die Umwelt verschmutzen will, kann das tun. Er muss sich lediglich einen Anteilsschein kaufen, oder er bekommt von der EU oder der Bundesregierung ein gewisses Kontingent von CO2-Verschmutzungslizenzen.

Das ist irgendwann Ende der 1960er Jahren in den Denklabors der Marktradikalen angedacht worden. Die Philosophie, die hinter den Ablassscheinen steckt heißt: der weise Markt regelt einfach alles – man muss ihn nur gewähren lassen und die Investitionslibido auf keinen Fall durch staatliche Regulierungen beeinträchtigen. Wenn man die Umweltverschmutzung teurer macht, dann werden die klugen Unternehmer schon die Technologie von alleine so umstellen, dass sie für Umweltverschmutzung weniger bezahlen müssen. Und damit automatisch die Umweltbelastung reduzieren.

War vielleicht von den Erfindern dieses Ablasshandels lieb gemeint und erscheint innerhalb der marktradikalen Logik her absolut plausibel. Aber der leider inzwischen verstorbene Politikforscher Elmar Altvater hat dieser Logik vehement widersprochen (8); durch den CO2-Ablasshandel entsteht ein Anrecht, die Umwelt zu verschmutzen! Und mit dem Verzicht auf Umweltverschmutzung kann man sogar Geld verdienen. Alles wird zur Ware. Um es einmal ganz krass zu verdeutlichen: wenn ich jemandem in die Fresse haue und dem Jemand einen Schaden zufüge, kann ich mir vorher ein Zertifikat ausstellen lassen, mit dem ich fünf Mitmenschen eins in die Fresse hauen darf. Will ich nur drei Leuten eins in die Fresse hauen, kann ich meine verbleibenden zwei Anrechte auf Kinnhaken jemand anderem verkaufen. Mit meinem Gewaltverzicht kann ich also noch Geld verdienen. Oder ich habe noch mit fünf weiteren Leuten eine Rechnung zu begleichen. Dann kaufe ich mir von friedfertigen Mitbürgern fünf Zertifikate dazu.

Sie sagen, das ist aber jetzt sehr platt, das hätte ich von diesem Ploppa aber nicht gedacht? Überlegen Sie doch mal: was ist denn ein Anteilsrecht auf Zerstörung der Umwelt? Diese Erlaubnis zur Vergiftung der Umwelt ist seit 2005 offizielle Politik der Europäischen Union und wurde bereits 1999 als Umsetzung der Beschlüsse von Kyoto 1997 im Detail ausgearbeitet (9). Angesetzt wurde eine Gesamtsumme der Verschmutzung für Europa. Dann wurde fein säuberlich und sicherlich auch verbunden mit dem festen Wunsch, allen Europäern Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, ein Verteilerschlüssel für die einzelnen EU-Länder erstellt, der sich im Dokument im Annex 1 findet.

Demzufolge sollte Deutschland 21 Prozent weniger Kohlendioxyd und andere Schadstoffe emittieren, und auch die anderen europäischen Spitzenländer wie Frankreich, Großbritannien oder Italien sollten ihre Emissionen senken. Und nun kommt das Absurde: nach diesem Verteilerschlüssel durften die wirtschaftlich schwachen Staaten sogar mehr Dreck in die Luft pusten als zuvor, nämlich Spanien 15 Prozent mehr Dreck, Griechenland plus 25 Prozent und Portugal sogar plus 27 Prozent! Grau ist alle Theorie und grün des Lebens Baum; natürlich hat das gelähmte Griechenland daraufhin nicht 25 Prozent mehr Dreck in die Luft geschleudert als zuvor. Es hat seine Verschmutzungsrechte verkauft. Ist das nicht toll?

Mal im Ernst: solange alle, aber wirklich alle Protagonisten der augenblicklichen Klimadebatte diesem marktradikalen Schwindel aufsitzen, können sich die Konzernlenker mit ihren Zigarren und ihren Zylinderhüten bequem zurücklehnen, ihren Bourbon schlürfen und über das dumme Volk grinsen.

Quellen:

  1. https://www.spiegel.de/media/media-44893.pdf
  2. https://kenfm.de/tagesdosis-14-9-2019-iaa-frankfurt-wer-ist-der-groesste/?fbclid=IwAR19uZK_i1bE31xLFSkQUf3vHhhudyOfDxwGn6VdWYomMqY_9Hl3Dl3BFaw
  3. https://www.deutschlandfunkkultur.de/forscher-ueber-gesamtbilanz-von-fahrzeugen-elektroauto-ist.1008.de.html?dram:article_id=392519
  4. https://www.youtube.com/watch?v=yctmCsOLohA
  5. https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/klimapaket-mehr-wuerfchen-als-wurf-blitzanalyse-a-1287857.html
  6. https://www.nabu.de/news/2019/09/26987.html
  7. https://www.greenpeace.de/themen/klimawandel/klimaschutz/not-my-klimapaket
  8. Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. S. 53/54.
  9. https://ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/ets/docs/com_1999_230_en.pdf

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Matthias Wehner/Shutterstock

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