Tagesdosis 28.10.2017 – EU und EZB geben grünes Licht für Spekulanten

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Am Donnerstag dieser Woche verkündete EZB-Chef Mario Draghi, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank von Januar 2018 an halbiert, dafür aber weit über das Jahresende hinaus verlängert werden sollen. Die EZB wird also zusätzlich zu den bis zum Jahreswechsel ausgegebenen 2,4 Billionen Euro allein im kommenden Jahr weitere 270 Milliarden Euro ins Finanzsystem pumpen.

Gleichzeitig gab Draghi bekannt, dass die Zinsen in der Eurozone auf ihrem aktuellen Niveau verbleiben. Das heißt: Der Hauptleitzins bleibt bei 0,0 Prozent, der Zinssatz, zu dem Banken für ihre Einlagen bei der EZB zahlen müssen, bleibt bei minus 0,4 Prozent.

Was bedeuten diese Maßnahmen? Der Reihe nach: Die Anleihen, um die es geht, sind zinstragende Wertpapiere, die entweder von Staaten oder Unternehmen herausgegeben werden. Die Käufe von Staatsanleihen dienen dazu, taumelnde Staaten, insbesondere in Südeuropa, am Leben zu erhalten. Nicht etwa, um deren notleidender Bevölkerung zu helfen, sondern, um die Staaten in die Lage zu versetzen, Zinszahlungen auf ihre riesigen Schuldenberge zu leisten – mit dem Ziel, internationalen Großbanken Zahlungsausfälle zu ersparen. Die Käufe von Unternehmensanleihen dienen dazu, große Konzerne im Falle unternehmerischer Fehlentscheidungen zu stabilisieren, um Unruhe und mögliche Kettenreaktionen auf den Märkten zu verhindern. In ihrer Gesamtheit zielen die Maßnahmen ganz einfach darauf ab, das globale Finanzsystem in seiner bestehenden Form aufrecht zu erhalten.

Die Geldvergabe zum Nullzins dient dazu, Großanleger mit „billigem“ Geld zu versorgen, damit sie auch weiterhin an den Finanzmärkten spekulieren können. Die Negativzinsen, die von den Banken verlangt werden, wenn sie ihr Geld bei der EZB „parken“, sollen diese Banken dazu veranlassen, ihr Geld möglichst schnell wieder in das Finanzcasino einzuspeisen und es nicht „ruhen“ zu lassen.

Damit soll vor allem verhindert werden, dass es zu einer Deflation, also zu sinkenden Preisen, kommt. Eine solche Entwicklung würde es Kreditnehmern erschweren, ihre Kredite zurückzuzahlen, da deren Preis ja unverändert bliebe, im Verhältnis zum Einkommen also zunähme. Ziel ist es, die Inflation anzuheizen, um großen Schuldnern die Rückzahlung ihrer im Verhältnis zum Einkommen abnehmenden Schulden zu erleichtern.

Für die arbeitende Bevölkerung bedeuten die Maßnahmen, dass ihre Interessen auch in Zukunft denen von Großinvestoren und Spekulanten untergeordnet werden. Die Inflation trifft wegen des Kaufkraftverlustes vor allem die unteren Einkommensschichten, während die ausufernde Spekulation einen Crash, gefolgt von Massenentlassungen und schweren sozialen Verwerfungen, immer wahrscheinlicher macht.

Die Finanzmärkte bedankten sich umgehend bei Mario Draghi, indem sie die Kurse auf neue Rekordstände schickten. Gleichzeitig bedankten sie sich aber auch bei der EU-Kommission, die am Dienstag – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – beschlossen hat, auf eine überaus wichtige, vor drei Jahren ins Auge gefasste Maßnahme zur Zügelung der Finanzindustrie zu verzichten.

In einem Verordnungsentwurf der EU-Kommission (des höchsten Exekutiv-Gremiums der Europäischen Union) hatte es 2014 geheißen, man wolle das spekulative Investmentbanking organisatorisch vom klassischen Bankgeschäft (der Kreditvergabe zum Zweck der Erzielung von Zinsgewinnen) trennen – eine Maßnahme, die den Großbanken überhaupt nicht gefallen, die Risiken im internationalen Bankgeschäft aber erheblich verringert hätte.

Obwohl im Europaparlament heftig über diesen Entwurf eines Trennbankensystems gestritten worden war und die europäischen Sozialdemokraten sogar eine Verschärfung der Bestimmungen gefordert hatten, wurde der Vorschlag am vergangenen Dienstag klammheimlich zurückgezogen und war den Verantwortlichen nicht mehr als einen kurzen Abschieds-Vermerk im neuen Arbeitsprogramm der EU-Kommission wert.

Der Vorgang verdeutlicht nicht nur die Rolle, die die EU-Kommission in Bezug auf die Finanzmärkte spielt, sondern zeigt auch einmal mehr den wahren Charakter des Straßburger EU-Parlaments: Dessen Abgeordnete führen Scheindebatten und gaukeln den Bürgern Europas vor, sie würden sich um ihr Wohl sorgen und für eine Eindämmung der Finanzspekulation kämpfen. Wenn es um Entscheidungen geht, stehlen sie sich aus der Verantwortung und erweisen sich als das, was sie in Wirklichkeit sind: scheinheilige und willfährige politische Handlanger der Finanzelite.

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