Tagesdosis 27.8.2018 – Müllberge und Überflüssige (Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Die Grünen suchen »Wege aus dem Müllwahn«. »Wir müssen runter von diesen Verpackungsbergen bei Obst und Gemüse in den Supermärkten«, sagte deren Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter der Funke-Mediengruppe am Sonntag. Dafür müssten die Regierenden Druck auf den Handel ausüben.

Anton Hofreiter reagierte damit auf einen Report der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF). Nach deren Analyse wird es 2050 – also in 32 Jahren – mehr Plastik in den Weltmeeren geben, als Fische und andere Lebewesen.

Mehr als 300 Millionen Tonnen Kunststoff werden pro Jahr hergestellt. Etwa ein Viertel davon entfällt auf Verpackungen. Bis zu zwölf Millionen Tonnen davon landen im Meer, jedes Jahr. Rund 450 Jahre dauert deren Abbau. Sie zersetzen sich zu Mikropartikeln und gelangen über Schalentiere und Fische in die Nahrungskette. Die Umweltkatastrophe apokalyptischen Ausmaßes sorgt nicht nur dafür, dass immer mehr Orte unbewohnbar werden, Millionen Menschen ihre Nahrungsquellen verlieren und fliehen müssen. Sie ist längst vielerorts sichtbar.

Hofreiter meint es gut, und er hat ja recht. Nur endet sein Hilferuf dort, wo er am wenigsten bewirken dürfte: Bei der nationalen Propaganda- und Exekutivabteilung jener Industrie, die Deutschland zum Exportweltmeister macht und zum Dank dafür den ihr immer zu Diensten stehenden Staat füttert. Was Anton Hofreiter mutmaßlich nicht weiß: Noch nie in der Geschichte hat ein Gesamtkapitalist namens Staat dafür gesorgt, das allseits für alternativlos erklärte Wirtschaftswachstum zu bremsen. Es spült schließlich die Profite in die Taschen seiner Auftraggeber und in seine eigenen. Manche nennen es Abzocke.

Es geht um gigantische Überproduktion im spätkapitalistischen Arbeitshaus des 21. Jahrhunderts. Um das Ausmaß zu verdeutlichen: Berichten zufolge landet jeder dritte produzierte Neuwagen auf der Halde, um dort zu verrotten. Erst kürzlich mietete beispielsweise Volkswagen eine Fläche auf der Dauerbaustelle BER an. Statt Flugzeugen für den Luftverkehr stehen dort nun 8.000 Neuwagen. Bis zu 250.000 weitere neu produzierte Fahrzeuge will der Volkswagenkonzern auf Parkplätzen der Messe und des Flughafens Hannover, auf seiner eigenen Teststrecke bei Wolfsburg und weiteren Flächen lagern. Es heißt, sie hielten den neuen Abgastests nicht stand. Tatsächlich braucht sie niemand. Die Städte sind voll von Autos und deren Smok. Und trotzdem zählt in der Wirtschaft nur eins: Mehr produzieren und immer mehr. Damit die Profite trotzdem sprudeln, zahlt der Verbraucher die Überproduktion mit.

Genauso läuft es mit allem. Nehmen wir die Nahrungsmittel. Ein Großteil davon wird in der Peripherie erzeugt – von westlichen Konzernen. Schon direkt vom Acker müssen meist zu elenden Dumpinglöhnen Beschäftigte tonnenweise davon auf den Müll sortieren. Der Rest landet in der Regel auf Frachtschiffen. Die Supermärkte der Industriezentren sollen schließlich bestückt werden. Der westliche Bewohner giert nach Auswahl. Was nicht verkauft wird, landet auf dem Müll. Glaubt man Forschern, sind das bis zu 75 Prozent – noch bevor das Essen überhaupt auf irgendeinem Tisch landen konnte.

Halten wir fest: Unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften in bettelarmen Ländern Menschen für Hungerlöhne, damit die Eigentümer der von ihnen produzierten Waren diese gen Norden verschiffen. Dort landen sie in Massen auf dem Müll, während vor Ort Menschen hungern  und verhungern – und das während auch aus solchen Gründen Fliehende vom Bürgertum des Westens verächtlich als »Wirtschaftsflüchtlinge« betitelt und wie Kriminelle in Lager verfrachtet werden.

Nun ist es Mode, für derlei Verwerfungen individuelle Schuldzuweisungen zu verteilen. Konsumverzicht, lautet die Parole. Doch das ist Augenwischerei. Wachstumszwang und wachsende Überproduktion haben in einer Wirtschaft, in der jegliche Produktion nur zu dem einzigen Zweck erfolgt, Profit zu erzeugen, systemische Ursachen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, entsteht jeglicher Neuprofit allein durch produktive Arbeit. Laut einem Weltbank-Report wurden schon vor gut 20 Jahren 80 Prozent davon in der Peripherie erzeugt. Die wachsenden Dienstleistungssektoren, darunter auch die ausufernde Finanzindustrie, lebt lediglich von einer Mitbeteiligung am Profit Dritter. Spekulanten, Verwalter und Dienstleister aller Art verteilen Profite nur um.

Ein Beispiel ist die Werbeindustrie: Sie produziert nichts Nützliches, hat aber die Aufgabe, durch Propaganda den Profit unter anderem von Industriekonzernen zu erhöhen. Dafür wird sie von diesen am Mehrwert beteiligt, den sie von ihren Arbeitern abschöpfen. Mit dem Staat ist es übrigens nichts anderes: Er stellt den Exekutivapparat, um die wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse trotz aller ausufernden Widersprüche notfalls mit Waffengewalt zu sichern. Jeder Steuereuro, der an ihn fließt, entstammt dem  Mehrwert, der irgendwo von produktiver Arbeit abgeschöpft wurde.

Die Technologie, die eigentlich den Menschen von der Arbeit befreien soll, wird hier zum Motor der ökologischen Apokalypse. Weil immer weniger Arbeiter benötigt werden, von denen Mehrwert abgepresst werden kann, entsteht globalwirtschaftlich betrachtet immer weniger Neuprofit. Dadurch sinkt die Profitrate tendenziell. Um das aufzuhalten, setzen die System-Fetischisten auf endloses Wachstum. Doch kann das Wachstum längst nicht mehr die Profitrate am Fall hindern. Es entsteht immer mehr überflüssiges Kapital, das nicht mehr in der Lage ist, mehr Profite zu erzeugen. Zugleich werden mehr Menschen unbrauchbar für die Produktion – also ebenso überflüssig. Was überflüssig ist, gehört aus Sicht der Kapitalisten entsorgt.

Um diese Entwicklung zu verdeutlichen: Vor einigen Jahren wurde die Zahl derer, die in den Slums von wachsenden Megastädten vornehmlich in der Peripherie dahinvegetieren, bereits auf 1,4 Milliarden Menschen geschätzt. Die Geschichten hinter den Slumbewohnern ähneln sich: In den armen Ländern zieht es fast immer Menschen aus purer Verzweiflung auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten in die Städte, nachdem Umweltkatastrophen, Unwetter oder Landraub ihre Lebensgrundlage zerstört haben. In den Industrienationen ist es die zunehmende Arbeitslosigkeit, die Slums wachsen lässt.

Was würde also geschehen, wenn beispielsweise in Deutschland ein Großteil des Konsums einbrechen würde? Erstens würden die Müllberge noch gigantischer wachsen und die Kosten dafür eingepreist werden. Teurere Preis verringern die Zahl der Konsumenten weiter. Im Zentrum wächst die Zahl der Armen und Mittellosen, in der Peripherie verhungern immer mehr.

Wenn man eins voraussagen kann: Die gigantische Überproduktion inklusive wachsender Müllberge und  Umweltzerstörung auf der einen sowie die Verelendung auf der anderen Seite wird weiter ansteigen, solange die Produktionsmittel und damit alle hergestellten Waren Privatleuten gehören, deren einziges Ziel es im Konkurrenzkampf sein kann, Profit zu erzielen.

Die reichen Staaten werden ganz sicher versuchen, durch grausame Kriege Kapital und Menschen zu vernichten, um die Profitrate noch ein wenig länger am Sprudeln zu halten. Auf ewig gelingen wird ihnen das nicht. Doch ein solcher ökonomischer Zusammenbruch des Kapitalismus wird für die überwiegende Mehrheit der Menschen tödlich enden. Jedenfalls dann,  wenn die mehr werdenden Leidtragenden es nicht schaffen, die Produktion von Profit auf Bedarf umzustellen. Das gelingt aber nur, wenn ihnen die Mittel dafür gehören. Freiwillig wird allerdings kein Besitzender etwas abgeben.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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