Tagesdosis 27.1.2018 – Globales Finanzsystem: Kann die Manipulation unbegrenzt weitergehen?

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Fast zehn Jahre sind seit dem Beinahe-Crash des globalen Finanzsystems im Gefolge der US-Subprime-Hypothekenkrise vergangen. Fast genauso lang ist die Welt mit ständigen Ankündigungen eines unmittelbar bevorstehenden „finalen“ Zusammenbruchs konfrontiert worden, verbreitet durch eine blühende Industrie von Crash-Propheten.

In den vergangenen beiden Jahren ist es um diese Industrie allerdings stiller geworden, seit einigen Monaten ist sie fast ganz verstummt. Der Grund: Nachdem die Aktienmärkte seit 2009 nur eine Richtung, nämlich nach oben, kannten, sind sie im zurückliegenden Jahr förmlich explodiert und eilen zurzeit von Rekord zu Rekord. Hinzu kommt, dass wir seit dem letzten Sommer ständig mit Erfolgsmeldungen von wirtschaftlicher Erholung, weltweitem Wachstum und der zunehmenden Normalisierung der Finanzmärkte überhäuft werden.

Es scheint fast, als werde es keinen Crash mehr geben. Mehr noch: Man bekommt den Eindruck, die Welt habe einen Zustand erreicht, in dem sie keine Wirtschafts- oder Finanzkrisen mehr befürchten muss. Wie aber lässt sich eine solche Einschätzung damit vereinbaren, dass es überall auf der Welt Brandherde gibt, die außer Kontrolle zu geraten drohen, dass die soziale Ungleichheit explodiert und die Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges immer näher rückt?

Handelt es sich bei den Jubelmeldungen um Fake News? Oder sind die Horror-Meldungen alle übertrieben?

Weder noch. Wir leben tatsächlich mit einer seit Jahren anhaltenden Rallye an den Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkten und seit einiger Zeit mit einem leichten Wirtschaftswachstum. Nur deuten diese Phänomene keineswegs auf eine bessere Zukunft hin, denn wir haben es seit der Krise von 2007/2008 mit einer historisch einmaligen Situation zu tun: Wir leben unter dem am stärksten manipulierten Finanzsystem aller Zeiten.

Seine wichtigste Eigenschaft besteht darin, dass es nicht der Mehrheit der Menschen dient, sondern einzig und allein einer winzigen Minderheit, nämlich der globalen Finanzelite. Diese Finanzelite hat ihre Großbanken 2007/2008 von der Politik für „too big to fail“ erklären lassen und damit einen Sonderstatus erhalten, der sie zur mächtigsten Kraft gemacht hat, die es je auf der Erde gegeben hat.

Dabei kann sie sich auf drei verlässliche Helfer stützen. An erster Stelle stehen die  Zentralbanken, die riesige Geldsummen geschaffen und sie den Großbanken zu ultragünstigen Konditionen zur Verfügung gestellt haben. An zweiter stehen die der Finanzelite hörigen Politiker, die sie nach Kräften begünstigen, trotz aller Gesetzesübertretungen straffrei ausgehen lassen, während sie gleichzeitig die arbeitende Bevölkerung durch die „Austeritätspolitik“ zum Stopfen von Haushaltslöchern zur Kasse bitten. Der dritte im Bunde sind die Mainstream-Medien, die sich im Besitz der Finanzelite befinden. Sie lenken die arbeitenden Menschen ständig von den Vorgängen im Finanzsektor ab und präsentieren der Öffentlichkeit immer neue Schuldige für die vom großen Geld erzeugte gesellschaftliche Misere.

Es scheint also, als hätte die Finanzelite die Welt fest im Griff und sei absolut übermächtig. Doch das ist ein Trugschluss, denn auch  die reichsten Menschen der Welt können nicht hexen. So wie ein Arzt einem Patienten nicht unbegrenzt Medikamente verordnen kann, ohne dass es zu Nebenwirkungen kommt, kann die Finanzelite das Geldsystem nicht unbegrenzt manipulieren, ohne es dabei dauerhaft zu schädigen.

Hemmungsloses Gelddrucken entwertet das Geld. Ständige Zinssenkungen erzeugen immer billigeres Geld und verführen zum Spekulieren und Schuldenmachen. Beide Maßnahmen zusammen erzeugen riesige Schuldenberge. Ihre Bedienung würde durch ein Anheben der Zinsen erschwert, verlangt also nach weiterer Zinssenkung und weiterem Gelddrucken.

Die Finanzelite hat damit einen sich selbst verstärkenden Kreislauf in Gang gesetzt, der nicht mehr gestoppt werden kann, ohne schwere Verwerfungen im System heraufzubeschwören. Sollte sie dennoch versuchen, vom eingeschlagenen Weg abzuweichen, würde sie einen gewaltigen Einbruch an den Finanzmärkten provozieren, der u.a. einen Zusammenbruch der Altersversorgung nach sich ziehen würde.

Wir leben also nicht nur unter dem am meisten manipulierten System aller Zeiten, sondern auch unter einem, das nur noch durch die Fortsetzung von Maßnahmen am Leben erhalten werden kann, die es gleichzeitig nachhaltig untergraben und schlussendlich zerstören werden.

Auch wenn die Mehrheit der Crash-Propheten wegen der vielen Jubelmeldungen zurzeit schweigt: Ein solches System kann nur in einem Zusammenbruch enden. Wann das sein oder wer ihn auslösen wird, kann niemand vorhersagen, aber dass er kommen wird, ist so sicher wie die Tatsache, dass ein Patient eine jahrelange Überdosierung seiner Medikation nicht überleben kann.

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