Tagesdosis 26.3.2018 – Dekadenz der Macht (Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Der Bundestag diskutierte kürzlich über Abtreibungen. Kein Arzt dürfe für die eigentlich verbotenen, lediglich straffrei gestellten Eingriffe werben, wetterten die Fraktion der CDU/CSU und AfD unisono. Der neue Gesundheitsminister, Selbstdarsteller und gut nebenbei abkassierende Pharmalobbyist Jens Spahn kam dabei so richtig in Fahrt: Da gebe es wohl böse Frauen, die mehr für Tiere als für ungeborene Kinder übrig hätten, schlug er wie ein wild gewordener Patriarch um sich.

Nicht nur, dass es nicht um Werbung, sondern schlicht öffentliche Information für Frauen in Not geht: Da diskutieren allen Ernstes Männer in Anzügen, die mehr gekostet haben, als ein Leiharbeiter Monatslohn erhält, die Kriegseinsätzen und Rüstungsexporten zustimmen, die Banken und Großaktionäre pampern, die Flüchtlingsfamilien mit Kindern internieren oder ins Elend abschieben, die Familien im Hartz-IV-Bezug das Existenzminimum bis auf null kürzen, denen Zehntausende Straßenkinder in Deutschland völlig egal sind, die Drohnenmorde wie Wirtschaftssanktionen gutheißen und Kindermörder in Uniform schützen, über den Wert des menschlichen Lebens? Welch eine erbärmliche Heuchelei!

Natürlich hat das Geplänkel der angeblichen »Lebensschützer«, denen die alte Adelssippe und ihre fundamentalchristliche Gefolgschaft, gerne mit AfD-Parteibuch, Rückenwind gibt, rein gar nichts mit Sorge um menschliches Leben zu tun. Es geht um Macht und Unterdrückung. Wo käme der deutsche Mann auch hin, würde er Frauen zubilligen, selbst über ihre Zukunft und die ihres ungeborenen Kindes zu entscheiden!

Es interessiert das gut honorierte politische Personal kein bisschen, dass immer mehr einfache Menschen unter dem wachsenden Notstand des Sozialsystems leiden. Dass mit Armut auch Perspektiven schwinden, und dass sich vermutlich auch darum Frauen dafür entscheiden, besser kein Kind in diese Welt zu setzen. Der Zerfall der Strukturen des bürgerlichen Staats wird an vielen Punkten sichtbar.

Man braucht nur einen Blick auf das Gesundheitssystem zu werfen. Viele Kliniken sind inzwischen privatisiert. Überall schließen Kreißsäle, Kinder- und Frauenstationen, weil das keinen Profit bringt. Fachärzte spezialisieren sich auf wohlhabende Privatpatienten, weil mit ihnen mehr Geld zu verdienen ist, als mit gesetzlich Versicherten. Das Leistungsvolumen der Krankenkassen schrumpft seit Jahren.

Nicht nur das: Momentan kollabiert die Notfallversorgung. Landkreise, Städte und Bundesländer meldeten in den vergangenen Wochen eine medizinische Katastrophe. In München nahm zuletzt nur eine von 20 Kliniken schwer Kranke und Verletzte auf. Rettungskräfte müssten sogar beatmete Patienten oft stundenlang herumkarren, warnten Regionalsender. In den Kliniken herrsche totales Chaos: Betten auf dem Flur, fehlendes Personal, abgesagte Operationen sogar bei Krebspatienten. Ähnliches beklagen derzeit Mediziner aus Sachsen-Anhalt und Sachsen. Fallpauschalen, Einsparungen, Wettbewerb und Erfolgsdruck hätten das System zum Erliegen gebracht.

Nicht anders sieht es in den Pflegeheimen aus. Auch in den Schulen fehlen Lehrer, in den Kindergärten Erzieher. Doch Pharmalobbyist Spahn findet, der Pöbel möge sich nicht so anstellen. Der solle, mahnte er, doch nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt rennen. Klar, im Mittelalter starben auch mehr Menschen als heute an Grippe oder Lungenentzündung. Damals bekamen auch die Frauen der Unterschicht ihre Kinder in ihren ärmlichen Hütten – und überlebten nur selten.

Die Wahrheit ist auch: Es wird in Deutschland den Menschen immer schwerer gemacht, überhaupt an Sozialhilfe oder Hartz IV zu kommen. Es ist Alltag, dass Anträge über Monate nicht bearbeitet werden, bis Betroffene keine Miete mehr zahlen können und aus ihren Wohnungen fliegen. Jobcenter verschlampen Unterlagen und fordern Beweise, die unerbringlich sind. Sie rechnen Einkommen an, das nicht existiert, zwingen Menschen, ihre hart erarbeiteten Rücklagen auf Sozialhilfeniveau aufzuessen, bevor es auch nur einen Cent an Hilfe gibt. Sie sanktionieren skrupellos auch Eltern kleiner Kinder. Um an diesem System nicht in irgendeiner Weise zu scheitern, bräuchten Betroffene eigentlich ein spezielles Jurastudium.

Zu all dem kommt die akuter werdende Gefahr eines größeren Krieges der Nato gegen Russland. So irrwitzig es klingt: Man versucht es aktuell offensichtlich mit der »Skripal-Nummer«. Ein Rentner und seine Tochter, die auf einer Parkbank ohne konkreten Hinweis auf mögliche Täter bewusstlos werden, unterbieten jede bisher dargebotene Kriegslüge. »Vereint gegen Russland«, titelte zum Beispiel die Tagesschau am Wochenende unter Verweis auf diesen Vorfall – im Einklang mit der restlichen Medienpropaganda.

Es läuft wie immer: Die herrschenden Meinungsmacher setzen auf niedrigste Instinkte. Sie wissen: Soziale Verwerfungen produzieren Zukunftsangst und Wut. Das Aggressionspotential vieler Menschen kocht auf Hochtouren. Dann braucht man nur noch ein paar einfache Feindbilder zu installieren. »Faule Hartzer«,   »kriminelle Ausländer«, der diebische Rumäne, der »fiese Russe«. Hauptsache, die Massen begehren nur nicht gegen ihre wahren Peiniger auf.

Aus gleichen Gründen eröffnet das politische Personal allerlei Nebenschauplätze. Angeblich »moralische Bedenken« gegen Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft gehören in diese Rubrik. Damit outen sich die Kriegstreiber, die das Leben fremder Kinder noch nie interessiert hat, nicht nur als Heuchler. Sie offenbaren insgesamt eine Dekadenz der Macht, die an den langsamen wie brutalen Niedergang des Römischen Reiches erinnert.

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