Tagesdosis 26.11.2019 – Browder, der Magnistky-Mythos und das Versagen der Medien

Ein Kommentar von Mathias Bröckers.

Dass der “Spiegel” allenthalben nur noch “das ehemalige Nachrichtenmagazin” genannt wird, ist ja nicht erst seit den preisgekrönten Fake-Reportagen der einstigen Edelfeder Claas Relotius der Fall. Der Niedergang vom “Sagen was ist”, das der Gründer Rudolf Augstein vorgegeben hatte, zur propagandistischen Infotainment-Gazette ist schon seit mindestens zwei Jahrzehnten im Gang – wenn das Narrativ stimmt, sind die Fakten zweitranging. Das galt zum Beispiel (und gilt noch immer), wo es um den Putsch in der Ukraine 2014, den Absturz der MH 17 und die Annektion der Krim geht und sich der “Spiegel” mit anti-russischen Geschichten in der Manier von kältester “Kalter Krieg”-Propaganda hervortat. Auch aus der Feder seines Russland-Korrespondenten Benjamin Bidder, der wenn es gegen Putin und die Russen geht auch vor Relotius-Methoden nicht zurückschreckt.

Was macht nun ein solches ehemaliges Nachrichtenmagazin und sein Geschichtenerzähler, wenn Fakten auftauchen,  die einen Grundpfeiler des Anti-Russland-Narrativs als gefälscht und erfunden herausstellen? Die sind dann erst Mal zweitrangig und werden schlicht und ergreifend verschwiegen. Wenn dann immer mehr Tatsachen bekannt werden und beim besten Willen nicht mehr zu übersehen sind und sogar hohe Gerichtshöfe feststellen, dass die Story erstunken und erlogen ist? Geht man dann her und schreibt “Wie wahr sind die Geschichten von Relotius ?” und insinuiert mit dieser Formulierung und dem Fragezeichen, dass sie immerhin noch wahr sein könnten. Ja, so macht man das, wenn es darum geht, das große Narrativ zu retten, das man seit Jahren als Nachrichten verkauft. Und so schreibt man als Benjamin Bidder jetzt eben:

“Der Fall Magnitski: Wie wahr ist die Geschichte, auf der die US-Sanktionen gegen Russland beruhen? – Mit seinen Aussagen zum Tod eines Whistleblowers brachte Bill Browder die Amerikaner gegen Putin auf. Doch seine Darstellung ist voller Widersprüche.”

Das ist sie tatsächlich. Und das ist überhaupt nicht neu, sondern seit Jahren bekannt – allerdings nicht für Leser des “Spiegel” und anderer selbsternannter Qualitätsmedien, die die Fake-Story des Hedgefondmanagers Browder, sein Anwalt und Buchhalter Magnitsky sei von “Putins Schergen” im Gefängnis ermordet worden, rauf und runter beteten. In den USA, wo das Gesetz zu den Sanktionen gegen Russland “Magnitsky Act” genannt wurde, und auch in Europa, wo die Regierungen ohne jede weitere Frage auf den Sanktionszug aufsprangen und Bill Browder  sich als “Putins Staatsfeind Nr.1” und Menschenrechtsaktivist feiern lassen konnte.   

Dass er in Wahrheit ein Betrüger und perfider Geschichtenerzähler ist, entdeckte als einer der ersten der russische Regisseur Andrei Nekrasov, der über den Geschichtenerzähler Browder einen ausführlichen Dokufilm “The Magnistky Act. Behind the Scenes” gemacht hatte. Nekrasov hatte mit dem Segen und im Auftrag Browders 2010 mit dem Film begonnen, der die Geschichte der Ermordung Magnistkys zeigen sollte, doch war bei seinen Recherchen dann 2015 auf zahlreiche Ungereimtheiten gestossen. Damit konfrontiert verweigerte Browder weitere Stellungnahmen und verbot dem Regisseur, das bereits gedrehte Material zu verwenden. Er drehte den Film dennoch zu Ende, an dessen Schluss nun stand:

 “Von der erfundenen Geschichte, dass Magnitsky ein Verbrechen aufgedeckt habe und deshalb umgebracht wurde, ließen sich der Kongress und der Präsident der Vereinigten Staaten, das kanadische Parlament, der Europarat, das Europäische Parlament, der OSZE, zahlreiche NGO, die Medien und viele normale Bürger, einschließlich ich selbst, täuschen.”

Eine Ausstrahlung des Films war dann für den 3. Mai 2016 auf ARTE angekündigt – doch sie entfiel. Angeblich aus “persönlichkeitsrechtlichen Gründen”, tatsächlich aber nach Interventionen des ZDF-Intendanten und aus der Politik. Dabei tat sich unter anderem die Grünen-Abgeordnete Marie-Luise Beck hervor, die auch verhinderte, dass der Film vor der TV-Ausstrahlung im Europäischen Parlament gezeigt werden konnte. Was insofern verständlich ist, da sich ihre Aussagen in diesem Film als russophober Propagandamüll entlarven – aber auch bezeichnend für die Ignoranz der EU gegenüber jedem Zweifel an dem transatlantischen Magnitsky-Mythos.

All das kommt in dem Beitrag des Relotius-Kollegen Bidden nicht vor: nicht die Recherchen von Andrei Nekrasov, nicht sein Film, nicht die massive Kampagne, dessen Ausstrahlung zu verhindern und natürlich auch nicht, dass dieser ganze Fake im Onlinemagazin Telepolis schon lange aufgedeckt und thematisiert worden ist. Auch den Filmemacher hatte Telepolis eingeladen und den verbotenen Film in einem privaten Salon gezeigt. Die hinter einer Bezahlschranke verborgene Pseudo-Enthüllung des Spiegel kann man sich deshalb getrost sparen, sie belegt nur, dass das Prädikat „ehemalig“ für dieses „Nachrichtenmagzin“ leider angemessen ist. Inwieweit das auch für das Nachrichtenangebot der öffentlich-rechtlichen Medien gilt wird sich jetzt daran zeigen, ob und wann ARTE, ZDF oder wer immer den Film zeigen und ihrem Informationsauftrag nachkommen wird, die breite Öffentlichkeit über diesen politisch höchst relevanten Fall von Fake News aufzuklären.

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Mathias Bröckers schrieb zuletzt „Newtons Gespenst und Goethes Polaroid – Über die Natur“ . Am 2. Juli ist sein Buch  „Don’t Kill The Messenger – Freiheit für Julian Assange“ im Westendverlag erschienen. Er bloggt auf broeckers.com

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildhinweis: Sergey Bezgodov / Shutterstock: MOSCOW, RUSSIAN FEDERATION – NOVEMBER 2, 2019: Russian version of “The Statue of Liberty Enlightening the World” in housing complex TriBeCa Apartments, Moscow city, Russia. Landmark, Moscow monument

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