Tagesdosis 26.1.2018 – YPG-Führung hätte türkische Invasion verhindern können

Ein Kommentar von Rainer Rupp.

Die Invasion der türkischen Armee in die von Kämpfern der YPG besetzte nord-syrische Region um die Stadt Afrin wird vor allem in Kreisen der „Linken“ mit großer Anteilnahme verfolgt. Allerdings hätte die YPG-Führung es in der Hand gehabt, den türkischen Einmarsch abzuwenden. Denn seit Wochen und Monaten hatte Moskau in vielen Gesprächen mit allen Parteien versucht, die drohenden Kämpfe zu verhindern und eine Lösung zu finden. Vergeblich! Die von den Amerikanern gekaufte und bezahlte YPG-Führung weigerte sich, den angebotenen Kompromiss auch nur ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Verblendet von der Aussicht auf einen unabhängigen YPG-Staat unter US-amerikanischem Schutz, der zudem auf reich fließende Öleinnahmen aus den von der YPG besetzten arabisch-syrischen Regionen zurückgreifen könnte, sind sie Opfer ihres eigenen Wunschdenkens geworden. Ihr größter Fehler dabei war, sich absolut auf die Zusicherungen der Amerikaner zu verlassen. Damit waren sie verlassen. Das Schicksal ihrer kurdischen Brüder im Nordirak nach dem Unabhängigkeitsreferendum hätte der YPG eine Lehre sein müssen.

Aber wie kam es zu der aktuellen Tragödie um Afrin? Auslöser war die Entscheidung in Washington, auf syrischem Territorium in den von Kurden kontrollierten Gebieten, direkt an der Grenze zur Türkei eine 30 Tausend Mann starke, mit modernen Waffen ausgestattete YPG-Armee aufzubauen, laut US-Verlautbarungen angeblich um ISIS zu bekämpfen. Tatsächlich zielt die US-Strategie darauf, Syrien aufzuspalten und dadurch doch noch den Regime-Wechsel in Damaskus durchzusetzen.

Es war jedoch voraussehbar, dass die Türkei in dem US-Vorhaben, eine moderne, schlagkräftige YPG-Armee an ihren Grenzen aufzubauen, eine nicht hinnehmbare, sicherheitspolitische Herausforderung war. Für Ankara ist die YPG nichts anderes als eine Terrororganisation, die mit der PKK zusammenarbeitet. Die US-Argumente, dass sich die YPG unter US-Aufsicht nicht gegen türkische Interessen wenden würde, konnte Ankara nicht beruhigen. Nicht zu Unrecht fürchteten die Türken, wegen der geo-strategischen „Spielchen“ der USA um die territoriale Integrität ihres Landes. Da der NATO-Verbündete USA nicht von ihrem Plan ablassen wollte, wurde die Invasion des NATO-Verbündeten Türkei in die YPG-Regionen immer unausweichlicher.

Um eine drohende Offensive der Türkei in Nordsyrien abzuwenden, unterbreiteten die Russen den Vorschlag, dass die YPG die Truppen der syrischen Regierungsarmee wieder zu ihren rechtmäßigen Positionen an der Grenze von Afrin zur Türkei durchlässt. Die syrischen Regierungsverbände würden dabei an der Grenze von russischen Einheiten als „Stolpersteine“ unterstützt. Zugleich sollten die YPG-Verbände weiterhin die kurdischen Städte und Ortschaften im Gebiet von Afrin unbehindert kontrollieren, was dem Zugeständnis einer Autonomie von Seiten der syrischen Regierung gleichkommt. Mit diesem Kompromiss wären die US-Pläne für eine YPG-Armee blockiert und die Türkei zufrieden gewesen. Der Grund für die Invasion wäre weggefallen. Zugleich hätte die YPG in Afrin eine Garantie gegen türkische Grenzüberschreitungen gehabt, denn diese hätten zu einer direkten Konfrontation mit den syrischen und russischen Streitkräften geführt.

Allerdings war der russische Vorschlag an eine Bedingung von Damaskus geknüpft: Die YPG-Kurden sollten die von ihnen besetzten Öl-Quellen im Gebiet um Deir Ezzor in Ostsyrien wieder räumen. Diese Quellen befinden sich in einer Region, wo traditionell ausschließlich Araber leben und die Kurden weder einen historischen noch aktuellen Anspruch haben, außer, dass die YPG-Kämpfer die zuvor von ISIS gehaltenen Gebiete mit Hilfe der US-Streitkräfte erobert hatten. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Öl- und Gasproduktion von Deir Ezzor sollte allen Syrer anteilig zu Gute kommen und zugleich den Wideraufbau der Infrastruktur im ganzen Land, einschließlich in den kurdischen Autonomiegebieten finanzieren. Auf Beistand der Amerikaner werden sie vergeblich hoffen, denn denen ist die Türkei als Verbündeter wichtiger als die Kurden.

Das genügte der YPG-Führung jedoch nicht. Sie wollte alles, und sofort. In ihrem Hochmut und ihrer Verblendung, glaubten sie sich jetzt neben den Amerikanern auf der Siegerseite. Mit ihren separatistischen Ambitionen hat die YPG-Führung hoch gepokert und verloren. Jetzt besteht die Gefahr, dass sie in ihrer engstirnigen Uneinsichtigkeit und sektiererischen Ignoranz sogar bereit ist, ihr Volk in einem hoffnungslosen Widerstand gegen die Türkei zu opfern. Schuld an ihrer prekären Lage gibt die YPG-Führung jetzt den Russen, weil die kurz vor der türkischen Invasion in Afrin ihre Militärpolizei, die dort zum Schutz der russischen Diplomaten war, abgezogen haben.

Der Grad der Verblendung der YPG-Führung wird anhand der jüngsten Episode des YPG-Emissärs Sinam Mohamad in Washington deutlich. Dort hatte er zu Beginn der türkischen Invasion in einem Interview gesagt, dass das syrisch-kurdische Volk nun von den USA eine Flugverbotszone über den Kurdengebieten “einschließlich Afrin” verlangt. Vor allem Afrin sei  „eine sehr reale und unmittelbare Prüfung der Ernsthaftigkeit des US-Engagements gegenüber ihren kurdischen Partnern.” Die Vereinigten Staaten müssten und könnten die Türkei stoppen, so der YPG-Anführer.

Da fragt man sich tatsächlich, in welcher Traumwelt die YPG-Kurden leben. Die bei weitem wichtigste Operationsbasis der US-Luftwaffen in der Region ist der türkische Militärflughafen Incerlik. Der YPG-Anführer schlägt also allen Ernstes vor, dass US-Kampflugzeuge von Incerlik starten, um türkische Bomber, die ebenfalls von Incerlik kommen, davon abzuhalten, Ziele in Afrin zu zerstören. Sollten die USA von Incerlik aus mit ihren Jets fliegen, um die türkischen Jets über Afrin abzuwehren, die auch von Incerlik starten? Alle anderen, möglichen Routen für die US-Jagdflugzeuge führen entweder über türkisches oder syrisches Hoheitsgebiet, wobei Letzteres von den gefürchteten, russischen Luftabwehrsystemen abgedeckt ist.

Erwarten die Kurden, dass die USA Krieg mit der Türkei oder Russland riskieren, nur weil die Amerikaner sie so lieb haben? Dennoch hat sich Washington in eine Sackgasse begeben und Afrin könnte für sie noch sehr heiß werden. Davon geht zumindest die einflussreiche „Soufan Group“ aus, ein „Stratfor“-ähnliches, privates Unternehmen, das auf sicherheitspolitische Probleme spezialisiert ist. In einer Rundmail an Soufan-Kunden heißt es: „Die USA werden in dem Konflikt ihrem NATO-Verbündeten Ankara entweder nachgeben oder eskalieren müssen“. Ihr Opponent Erdogan scheint jedoch zu allem entschlossen und ein Kniefall vor Washington hätte für ihn zu Hause fatale politische Folgen.

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