Tagesdosis 25.9.2019 – Danke, Greta! (Podcast)

Ein Kommentar von Florian Kirner.

Wann, liebe KenFM-Community, wurden den versammelten Regierungschefs der Welt derartig die Leviten gelesen, wie am Dienstag von Greta Thunberg? Ihre kurzen Rede von 4 Minuten und 41 Sekunden vor den Vereinten Nationen erinnert an die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld 1968 dem Nazi-Kanzler Kurt Georg Kiesinger verpasst hat: auf der ganz großen Bühne einmal kräftig durchgezogen.

„Wie könnt Ihr es wagen?“, „Ihr habt versagt!“, „Wir haben Euren Verrat durchschaut!“ und „Wir werden Euch niemals vergeben!“  Das ist die Sprache, die die Herrschenden hören müssen. Greta Thunberg spricht diese Sprache, nicht erst seit Dienstag. Aber dieser Auftritt in New York ist wahrlich sehenswert.

Wäre es jetzt nicht an der Zeit, dass einige, die seit Monaten regelrechten Hass über diesem 16-jährigen Mädchen ausgekübelt haben, mal ein bisschen herunterfahren? Immerhin sind ja einige Prognosen nicht eingetroffen. Oder galt diese junge Frau etwa nicht vielen als naiv? Vermuteten sie nicht, sie werde sich in nullkommanix von den Herrschaften vereinnahmen lassen? Sei nur ein Spielball der Mächtigen?

Dieser Spielball ist den Mächtigen am Dienstag in New York City kräftig in die eigene Fresse geflogen. Schon zuvor aber hat Greta diese Vereinnahmungsversuche regelmäßig mit großer Sicherheit abgewehrt. Ja, sie redet mit den Herrschenden. Mit Obama oder Merkel oder Jean-Claude Junker. Aber lässt sie sich einwickeln? Wird sie dadurch zahm?

Wer das immer noch behauptet, pflegt einen Mythos. Aber er hört nicht zu.

Denn es ist schon seit langem eher unwahrscheinlich, dass sich Greta Thunberg von ihrem Weg abbringen lässt. Als sie etwa, bei einem ersten, besonders lächerlichen Versuch der Einseifung, mit der ohnehin albernen „Goldenen Kamera“ ausgezeichnet wurde, widmete Greta diese Ehrung im allerersten Satz: den Besetzerinnen und Besetzern im Hambacher Wald, der militantesten Besetzung Europas. Anschließend nahm sie in scharfen, wenig freundlichen Worten die anwesenden Jet-Set-Prominenten in die Pflicht. Es sei eben nicht akzeptabel, wenn diese zu ihrem bevorzugten Hair-Stylisten nach Paris oder für einen Yoga-Retreat um die halbe Welt düsen.

Überhaupt konnte nur, wer Gretas Reden vor zahlreichen Landesparlamenten und Gremien nicht angehört hat, von ihrer jetzigen Wutrede vor den Vereinten Nationen überrascht sein. Auch in Davos, London, Paris und Washington hatte Greta die Einladung genutzt, um den volksvertretenden Umweltversagern die Meinung zu geigen. Noch weniger zornig, als jetzt vor der UN. Dass ihre Ungeduld von mal zu mal wuchs, war aber deutlich zu spüren.

Damit steht Greta nicht allein. Die Wut wächst allerorten.

Der Buchautor, Förster und normalerweise so gut gelaunte Waldaktivist Peter Wohlleben beendete sein gestriges Video anlässlich des bevorstehenden „Waldgipfels“ der völlig überforderten Julia Klöckner zum Beispiel mit den genervten Worten: „Es reicht jetzt mal.“

Auch innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung gibt es erkennbare Verschiebungen. Es verschiebt sich weg von einem klassischen NGO-Ansatz. Dass man mit Petitionen. Latschdemos, Symbolaktionen und dem Versuch, die Herrschenden sachlich aufzuklären, nicht weiterkommt gegen Leute, die gekaufte Lakaien der ewigen, alten, naturvernichtenden Industrielobby sind, dürfte spätestens jetzt deutlich geworden sein.

Da wird am selben Tag, an dem 1,4 Millionen Menschen in Deutschland für effektiven Klima- und Naturschutz demonstrieren, ein sogenanntes „Klimapaket“ von der Bundesregierung beschlossen, dass einfach nur zeigt: die haben nichts verstanden, die haben keinen Plan, die haben es nicht drauf und die sind von denen gekauft, die aus der Zerstörung der Umwelt ihren Profit ziehen.

Prompt haben ausnahmslos alle Organisationen, die zum großen Klimastreik aufgerufen hatten, diese Regierungsbeschlüsse in schärfsten Worten verdammt.

Zur Rede von Angela Merkel vor dem Klimagipfel ließ sich dann Hubert Weiger, der Vorsitzende des Bund Naturschutz, so vernehmen:

„Angela Merkel wird den klimapolitischen Totalausfall der Bundesregierung verantworten müssen.“

Merkel habe keinerlei Bereitschaft gezeigt, Verantwortung zu übernehmen. Ihr Verhalten grenze an Realitätsverweigerung. Hubert Weiger weiter:

„Kurz nachdem Greta Thunberg die Staats- und Regierungschefs dafür kritisiert hat, nur über Geld zu reden anstatt die Klimakrise zu lösen, tut Angela Merkel genau das: Sie spricht über Geld, wo es tatsächlich darum geht, den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas umzusetzen, um die Emissionen insbesondere der Industriestaaten als Hauptverursacher der Klimakrise schnellstmöglich herunterzufahren.“

Die Aktivisten von „Ende Gelände“ haben auf den sogenannten „Klimapakt“ der Regierung – eine peinliche Ansammlung hilfloser, allerdings sozial extrem ungerechter Kleinstmaßnahmen! – auf ihre Art reagiert: sie haben für den 29. November bis zum 1. Dezember eine weitere Aktion gegen die Kohleindustrie ausgerufen, diesmal in der Lausitz.

Auch innerhalb von Fridays For Future lassen die Illusionen, ein bisschen Druck und Aufklärung würden die Borniertheit der herrschenden Oligarchie aufweichen können, laufend nach. Seit einem Jahr wird jetzt Freitags gestreikt und demonstriert. Was ist ökologisch Sinnvolles von oben gekommen in dieser Zeit? Nichts? Fast nichts?

Auch der Glaube, die Grünen würden es richten, ist in der Bewegung stark rückläufig. Das ist kein Wunder angesichts der umweltpolitischen Performance dieser Partei. Siehe Baden-Würtemberg, wo der Grüne Ministerpräsident Winfried Kretschman vor allem als Freund der Autoindustrie glänzt.

Überhaupt ist diese Vorstellung, die Umweltbewegung sei Feuer und Flamme für die Grünen und setze großartigste Hoffnungen in diese Partei, ein weitgehender Mythos. Das durften die Bremer Grünen bereits im März des Jahres erfahren:

„Auf der Landesmitgliederversammlung der Bremer Grünen hat es einen Eklat gegeben. Eine Gastrednerin der Bewegung „Fridays for Future“ warf den Grünen Versagen in der Umweltpolitik vor:
„Ihr seid nicht die Antwort auf unsere Bewegung“, sagte die Studentin Frederike Oberheim, die „Fridays for Future“ in Bremen mitorganisiert. „Hättet ihr eure Arbeit richtig gemacht“, so die Aktivistin, müssten nicht 8.000 bis 10.000 Schülerinnen und Studierende auf die Straße gehen.“

Auch die Fridays-For-Future-Aktivistin Carla Reemtsma zeigt in einem aktuellen Gespräch bei Richard David Precht eine deutliche Distanz zu allen Parteien und wenig Hoffnung auch auf die Grünen. Sie setzt darauf, die Parteien durch eine Massenbewegung vor sich her zu treiben, sie von unten zu zwingen. Auf die Frage, was sie zu tun gedenke, wenn das alles nichts nütze, hat sie freilich keine konkrete Antwort außer „Weitermachen.“ Aber das kann ja noch kommen und sie verweist bereits darauf, dass die Umweltbewegung ja vielfältig sei und es verschiedene Akteure gebe.

In der Tat gibt es unterschiedliche Akteure in dieser Bewegung, speziell in Deutschland. Dieses Land hat von Gorleben und der Startbahn West bis hin zum Hambacher Wald eine jahrzehntelange, ungebrochene Traditon des entschlossenen Umweltaktivismus. Viele der heute Aktiven sind nicht 14, 16 oder 18 Jahre alt. Sie sind schon lange im Geschäft. Ihre Illusionen in die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik haben sie vor Jahrzehnten verloren und ihre Überzeugung, dass es nur mit zivilem Ungehorsam geht, vielleicht schon 1987 am Bauzaun von Wackersdorf gewonnen oder bei einem Castor-Transport in den 90er Jahren. Diese Leute wissen, wie man kämpft und sie wissen, wie man gewinnt. Die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurde nicht gebaut. Und die Castortransporte rollen nicht mehr ins Wendland.

Diese Veteranen der Bewegung vermischen sich kontinuierlich mit der neuen Generation von Aktivisten. Anstatt am Rand zu stehen, und die Jugend zu belehren, kämpfen sie gemeinsam mit der Jugend. Bei der Gelegenheit lässt es sich dann viel besser reden etwa über die Rolle des Krieges in der Naturzerstörung, den Öl-Verbrauch der US-Army oder die auch ökologisch verheerenden Konsequenzen uranummantelter Munition, wie sie die NATO so gerne einsetzt.

Nur so, im gemeinsamen, solidarischen Aktivismus, geht es dann eben auch inhaltich voran. Etwa, wenn die die Leute von Fridays for Future auf die Leute von Ende Gelände oder aus dem Hambi treffen.

Oder aber wenn Greta Thunberg bei ihrem Besuch in London, als Extinction Rebellion seine erste große Aktionswelle startete, George Monbiot kennenlernt. Monbiot ist einer der besten, radikalsten Denker unserer Zeit. Er ist einer der prominentesten intellektuellen Vertreter des „Rewilding“ und der globalen Wiederbewaldung. Monbiot ist auch ein unversöhnlicher Kritiker des Neoliberalismus und der Religion des ewigen Wachstums. Er ruft regelmäßig dazu auf, das System zu stürzen.

Mit diesem George Monbiot – „meinem Freund George“ – hat die angeblich naive, vom System gekaufte Greta Thunberg vor wenigen Tagen ein eindrückliches Video veröffentlicht. Es ist extrem gut gemacht. Aber die Fusion von Thunberg und Monbiot zeigt vor allem, dass sich Greta keineswegs in Richtung System bewegt hat im letzten Jahr, sondern auf einen Systembruch zu.

Nun gibt es aktuell bei RussiaToday eine kurze Reportage über „die Hintermänner“ der Greta Thunberg. Ich muss sagen: auch dieser Bericht hat einmal mehr wenig Skandalöses enthalten, außer vielleicht der nicht sehr sensationellen Erkenntnis, dass Greta und ihre Familie in diesem Kampf für die Umwelt zusammenhalten und zusammenarbeiten, dass professionelle Medienleute das Projekt Greta unterstützen, sowie dass es auch einige Leute mit richtig viel Geld gibt, die die Zeichen erkannt haben und entsprechend investieren.

Natürlich kann man, was RT übrigens in diesem durchaus sachlich gehaltenen Beitrag nicht tut, wilde Theorien aus der Tatsache spinnen, dass es auch Medienleute und extrem Reiche gibt, die begriffen haben, dass wir eine Rebellion gegen den Ökozid brauchen. Selbstverständlich gibt es auch Leute, die mit ökologischen Investitionen und Projekten Geld verdienen. Einige von ihnen, sind durchaus dubios. Andere aber nicht.

Auch unser Erwin Thoma ist ja so ein Mann, der als Unternehmer mit der Rettung der Welt auch Geld verdient, indem er als Pionier der Bauwirtschaft zeigt, wie man ökologisch sinnvoll arbeiten kann. Will man ihm das etwa vorwerfen? Oder sollte man ihn nicht eher feiern dafür?

Die Krise des Ökosystems und der Wahnwitz unseres Wirtschaftssystems ist eben inzwischen so existenzbedrohend geworden sind, dass es keinen Bereich der Gesellschaft mehr gibt, wo nicht einige Leute herumlaufen würden, die eine radikale, ökologische Wende zu ihrer sehr persönlichen Mission gemacht haben. Vielleicht haben diese Leute Kinder. Vielleicht haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie auf ihrem Weg zum Reichtum die Natur geschändet haben. Und sicher wird es auch Leute geben, die von weniger als edlen Motive getrieben sind. Klar. Da muss jede Bewegung vorsichtig sein. Aber ich befürchte auch, im Moment können wir nicht allzu wählerisch sein.

Denn ohnehin wird all das nicht ausreichen. Die Borniertheit unserer Oligarchie aus der Dinosaurierzeit von Öl, Stahl und Kohle und ewigem Krieg wird solange unüberwindlich bleiben, wie wir dieses kranke System nicht überwunden haben. Greta sagte es in New York so:

„Ihr kommt hierher und behauptet, Ihr tätet genug, während die Politik und die Lösungen, die notwendig sind, nirgends in Sicht sind. Ihr sagt: „Ihr hört uns…“ und dass Ihr die Dringlichkeit versteht. Aber egal wie traurig und wütend ich bin: das will nicht glauben. Denn wenn Ihr die Situation wirklich begriffen hättet und ihr weigert Euch, zu handeln, dann wärt Ihr bösartig. Und das möchte ich nicht glauben.“

Böse oder nicht, jeder glaube da, was er will: die Damen und Herren Regierungschefs und ihre Bürokratien werden weiterhin versagen. Und deswegen wird die Bewegung von unten nicht nur weitergehen: sie wird sich auch verändern. Entschlossene Aktionsformen des zivilien Ungehorsams gewinnen laufend an Anziehungskraft. Und das ist gut so.

Ab dem 7. Oktober beginnt beispielsweise die zweite Aktionswelle von Extinction Rebellion in Berlin. Das ist das Ziel. In koordinierten, strategischen Aktionswellen den Systemwechsel erzwingen. Das Jahr 2020 ist die Zielzone: 2020WeRiseUp lautet die Parole.

Ob es gelingt? Nichts genaues weiß man nicht.

Aber versuchen müssen wir es.

Ich jedenfalls werde dabei sein, ab dem 7. Oktober in Berlin. Kommst Du auch?

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Bildhinweis: lev radin / Shutterstock

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