Tagesdosis 25.9.2018 – Böcke zu Gärtnern? 30 Jahre Totalversagen sind genug

Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.

Man hätte es sich denken können, wenn man nur abgefeimt genug gewesen wäre. Das Internet als Ort anarchistischer, also herrschaftsloser Freiheit war ein schöner Traum der Vergangenheit. Wie viele andere Versprechen der kapitalistischen Gesellschaft entpuppt sich die Vorstellung, dass in der virtuellen Welt Freiheit herrscht, dass jeder Mensch zum Sender werden kann, statt in alle Zukunft als Empfänger der McMedien sein Dasein zu fristen, dass die Möglichkeiten der Technik den Diskurs beleben werden, mehr und mehr als frommer Wunsch – obwohl eine freiere Informationsgesellschaft möglich wäre.

Es gibt viele Indizien für den Verfall der Internetfreiheit. Ein Beleg ist die Wikipedia. Die fünft-häufigst angeklickte Website der Welt, angeblich ein basisdemokratisches Online-Lexikon, wird systematisch manipuliert. Alleine die israelische Regierung hat ein ganzes Rudel staatlicher, militärischer und in sogenannten NGOs organisierter Kriegshunde, deren Daseinszweck die Manipulation der Sozialen Medien ist. Alleine das israelische „Ministerium für strategische Angelegenheiten“ (Ministry for Strategic Affairs, im deutschen Wikipedia als “Ministerium für internationale Beziehungen” übersetzt) gibt über 70 Millionen Dollar für eine Kampagne aus, um mit den Worten der Direktorin General Sima Vaknin-Gil „eine Gemeinschaft von Kämpfern zu schaffen“ die Aktivitäten „anti-israelischer Aktivisten zum Erliegen bringen“ und “das Internet” mit pro-israelischen Inhalten „überfluten“ soll. Wie viele andere Staaten, Organisationen und Machtgruppen sind noch in dieser Weise aktiv?

Aber diese tatsächliche Manipulation findet keinen Widerhall in den deutschen McMedien. Es gibt überhaupt keine Berichterstattung dazu. Wie ist so etwas möglich? Würden die deutschen Medien funktionieren, müsste ich jetzt schreiben: nur einzelne Medien wie X Y und Z berichten über diesen Skandal. Tatsächlich aber reagieren unsere Medien wieder einmal wie gleichgeschaltet. Sie schweigen dröhnend und im Chor. Egal was der Grund für dieses „wie gleichgeschaltet“ ist, und auch darüber müssen wir dringend nachdenken, egal ob es das verengte politische Spektrum des Führungspersonals ist oder gar das gleichförmig verengte Spektrum der Journalisten überhaupt ist, der Zustand ist aus verfassungsrechtlicher Sicht der Beleg für ein Versagen der Medien.

Unsere McMedien berieseln uns statt mit Vielfalt Woche für Woche, den Leitmedien des US Imperiums folgend, mit immer neuen Meldungen über immer neuen Verdächtigungen angeblicher Manipulationen Russlands im Internet. Was man durchaus als kriegsvorbereitende Maßnahme interpretieren kann. So erst jüngst wieder die New York Times, die am Ende eines seitenlangen Artikels über angebliche russische Manipulationen zugab, dass es bisher keine Beweise für die zuvor in epischer Breite vorgestellten Verdächtigungen gibt. Bob Woodward, seit seiner Watergate Berichterstattung eine Legende des amerikanischen Journalismus, dem niemand zu große Nähe zur politischen Machtelite der USA oder Nähe zu Donald Trump vorwerfen sollte, hat jüngst klargestellt, dass er nach 2 Jahren intensiver Recherche keinen Beleg für eine Verschwörung von Donald Trump mit der Regierung Putin finden konnte. Trotzdem geht diese Berichterstattung weiter, als ob es das Abendland vor dem St. Georgsband zu retten gälte.

Ein anderer Beleg ist Facebook. Als Konsequenz der angeblichen Manipulation der US Präsidentschaftswahl 2016 hatte der US Kongress angedroht, sich der Kontrolle der sozialen Medien zu widmen. Er forderte von den großen Internetanbietern Google (zum Google Konzern gehört auch Youtube), Facebook und Twitter Auskunft über deren Maßnahmen im Kampf gegen den neuen Drachen des Industriezeitalters: die furchtbaren, gar schrecklichen Fake News.

Was dann geschah zeigt, dass Kapitalismus und Meinungsfreiheit nicht zusammenpassen, entgegen aller ideologischer Beteuerung, die wir seit Ende des 2. Weltkrieges in Fanfarenlautstärke gehört haben. Die 3 Giganten des Internet versuchten nicht einmal, sich als Wächter der Ausdrucksfreiheit in Stellung zu bringen. Die bisher gültige Definition, dass Freiheit die Möglichkeit ist, sich straffrei gegen die Mehrheit zu stellen, oder dass Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden ist, wurde nicht einmal als Feigenblatt des Kampfes gegen die Zensuranstrengungen ins Feld geführt.

Statt dessen bediente sich Facebook einer Standardmethode des marktradikalen Kapitalismus, des „Outsourcing“. Um die Inhalte seiner Kunden auf Fake News, also nicht staatsgenerierte, imperiumsgefällige Propagadalügen, sondern individuell produzierte Propagandalügen zu kontrollieren, heuerte Facebook zwei Wachhunde an, die den Eliten des US Imperium sicher keine Kopfschmerzen bereiten werden. Es sind das „International Republican Institute“ und das „National Democratic Institute“. Beides sind staatlich finanzierte Non-Profit-Organisationen, die Unterorganisationen des berüchtigten „National Endowment for Democracy“ sind. Das „National Endowment for Democracy“ hat sich als williges Werkzeug bei verschiedenen Regime Change Operationen der USA hervorgetan und gilt als Erfindung der CIA.

Die freiheitliche Medienlandschaft im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes, d.h. eine Medienlandschaft die pluralistisch, ausgewogen und staatsfern ist, ist also in Gefahr.  Das ist sehr zurückhaltend ausgedrückt, denn die Tendenzen, in welche Richtung sich das Mediensystem entwickelt, weisen mehrheitlich in die Richtung des schlimmsten anzunehmenden Falles.

Der Kapitalismus entpuppt sich als größte Gefahr statt als Garant der Meinungsfreiheit. In den privatwirtschaftlich organisierten sozialen Medien grassiert die Manipulation, sie versuchen in Deutschland das Grundrecht der Meinungsfreiheit auf Empfehlung z.B. der Amadeu Antonio Stiftung mittels AGBs zu umgehen, und sie liefern sich staatlichen Stellen und Einzelgruppen aus.

Die Vielfalt der Presse, in den 70er und 80er Jahren noch Realität, existiert nicht mehr. Statt mehrerer hundert Presseorgane sind es de facto wenige Dutzend Zeitungsredaktionen, die Inhalte produzieren, mit der Tendenz zur weiteren Konzentration.

Die öffentlich-rechtlichen Medien sind allesamt mit dem Geburtsfehler der Staatsnähe behaftet, was sich an den ständig nötigen Korrekturen des Bundesverfassungsgerichtes nachweisen lässt.

Die Medien insgesamt besitzen keine Berufsethik, die sie dazu zwingt, sich an den Interessen der Öffentlichkeit zu orientieren, was sie in einer funktionierenden Demokratie müssten.

Andererseits sind die Meinungsfreiheit und die Medien „schlechthin konstituierend“ für die Demokratie, wie das Bundesverfassungsgericht bereits in einem seiner ersten grundlegenden Urteile zu diesem Thema festgestellt hat.

Das bedeutet in der logischen Konsequenz, dass sich die Öffentlichkeit, und das sind eben nicht nur die Angestellten der McMedien und der Regierungsapparat, sondern auch das Publikum und alle Kräfte, die am „Meinungskampf“ teilnehmen wollen, z.B. Blogger und Alternativmedien, darüber Gedanken machen sollte, die Pluralität und Ausgewogenheit durch ein neues Mediensystem wiederherzustellen und zu fördern.

Dazu gehört der Ausbau, nicht die Abschaffung der öffentlich-rechtlichen Struktur. Da die kapitalistische Finanzierung der Medien zunehmend fraglich ist und zunehmend falsche Ergebnisse zeigt, die Printmedien wegsterben und der private Rundfunk Eskapismus und Unterhaltung liefert, aber keinen Diskurs, bleibt nur das Modell einer öffentlichen Finanzierung der Öffentlichkeit als realistische Möglichkeit. Und dieses Modell sollte auch auf Printmedien erweitert werden, allerdings nur nach einer radikalen Reform.

Wobei die immensen Summen, die über den Rundfunkbeitrag (früher „GEZ“) erhoben werden, falsch verteilt werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner augenblicklichen Struktur ist ein weiterer Aspekt der Krankheit, unter der unser Mediensystem leidet. Der öffentlich rechtliche Rundfunk in seiner jetzigen Form müsste abgewickelt und neu aufgebaut werden.

Noch einmal: Die Idee eines öffentlich finanzierten Mediensystems, dass nicht den Interessen von Konzernen unterworfen ist, wie das in den USA der Fall ist und was dort zu einem Versagen des Mediensystems geführt hat, ist die einzig vernünftige Möglichkeit, eine systemisch sinnvolle Medienlandschaft zu schaffen. Die Privatisierung würde das Problem verschärfen, nicht lösen.

Es gäbe heute viele Möglichkeiten, festzustellen, ob die Medien ihrer Aufgabe gerecht werden. An die Stelle der Abstimmung durch Verkaufszahlen könnte die Abstimmung des Publikums treten, besser einer weiter definierten Öffentlichkeit, wobei das Publikum die maßgebliche Größe sein sollte. Welches Medium wird vom Publikum als fair, mutig, unabhängig und wertvoll erachtet? Welche Stimme sollte stärker werden? Man könnte sich auch vorstellen, dass Chefredakteure in Zukunft vom Publikum gewählt werden.

Die Diskussion über das bestmögliche Mediensystem könnte Teil einer allgemeinen Diskussion anlässlich des 30 jährigen Totalversagens nach 1989 werden.

1989 war das Jahr in dem die Welt sich fundamental hätte zum Besseren wenden können. Eine Welt der Abrüstung, der internationalen Kooperation bei den wichtigsten ökologischen Themen, die Abschaffung der Atomwaffen, die Herrschaft des Rechtes statt der Machtpolitik mit Kriegen hätte Wirklichkeit werden können, war bereits teilweise Wirklichkeit geworden.

Welche ungenutzten  Möglichkeiten hatte die Präsidentschaft Michail Gorbatschows zur Beendigung des Kalten Krieges in die Welt gebracht! Das Ende des Kalten Krieges als Sieg des westlichen, marktradikal kapitalistischen Systems statt als kooperativen Neuanfang zu interpretieren, war das größte Versagen von allen.

Damals hatte die Vereinigung der amerikanischen Wissenschaftler die Atomkriegsuhr auf 17 Minuten vor 12 zurückgestellt. Mittlerweile steht sie auf 2 Minuten vor 12. Die ökologische Krise hat sich verschärft, die Apokalypse ist die wahrscheinliche Zukunftsvariante geworden.

Das als totales Politikversagen zu bezeichnen, ist nicht übertrieben. Und das Totalversagen der Wächter der 4. Gewalt hat dazu beigetragen.

Zeit, die Dinge neu zu bedenken und neu zu ordnen. Das Datum dafür ist 2019. Und weil es ARD und ZDF nicht tun werden, müssen wir auch das selber machen.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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