Tagesdosis 24.8.2019 – Solidaritätszuschlag wird zur Reichensteuer für mittlere Einkommen

Ein Kommentar von Karl Bernd Esser.

Fast dreissig Jahre nach dem Mauerfall sollte man meinen, dass es den Solidaritätszuschlag nicht mehr braucht. Doch statt zum Normalzustand ohne «Soli» zurückzukehren, funktioniert ihn die Regierung zu einer Reichensteuer um. Die reichsten 10 Prozent der Steuerzahler sollen die Abgabe, die einmal für den Aufbau der neuen Bundesländer gedacht war, weiterhin zahlen müssen.

Für neun von zehn Bürgern soll der Solidaritätszuschlag zwar entfallen, der Rest, sowie die Unternehmen, zahlen ihn jedoch zum Teil oder ganz weiter, was Berlin weiterhin knapp die Hälfte der alten Soli-Einnahmen sichert. Finanzminister Olaf Scholz verkündet: „Keine Steuersenkung für Millionäre“. Seine Aussage verwirrt etwas. Gehören die Betroffenen noch zur Mittelschicht oder handelt es sich wirklich um „Reiche“?

Das durchschnittlich jährliche Bruttogehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers lag 2017 bei 45.240 Euro. Alleinstehende mit einem Einkommen über 73 000 Euro sollen nach dem Willen des Sozialdemokraten weiterhin den Soli zahlen müssen. Die Grenzbelastung von Einkommen steigt ab 73.000 Euro von bisher rund 44 auf 47 Prozent. Statt bisher 42 Prozent Spitzensteuersatz plus 5,5 Prozent Zuschlag (44,31 Prozent) steigt die Belastung bei den Betroffenen auf 47 Prozent. Ein Selbstständiger muss ca. 20 Prozent mehr Gewinn erzielen (also 54.300 Euro), um nach Abzug des rechnerischen Arbeitgeberanteils bei einem vergleichbaren Durchschnitts-Brutto zu landen (Vgl. USA – in den USA hat ein gewinnorientiertes Unternehmen mit einem Einkommen bis 50.000 Dollar nur einen Steuersatz von 15 %). Als Spitzensteuersatz der Einkommensteuer in Deutschland gilt der Steuersatz von 42% in der Proportionalzone I des Einkommentsteuertarifs (44,31% inkl. Solidaritätszuschlag). Er wird in 2018 bei Alleinstehenden für Einkommen im Bereich von 54.951 Euro bis 260.532 Euro angewendet und betrifft in diesem Jahr geschätzte 2,99 Millionen Steuerpflichtige. Der Höchststeuersatz (Reichensteuer) in der Proportionalzone II des Einkommentsteuertarifs beträgt allerdings 45% (bzw. 47,48% inklusive Solidaritätszuschlag).

Ein weiterer Vergleichsmaßstab:

Die Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung beträgt 2019 80.400 Euro. Wer darunter liegt und rentenversicherungspflichtig ist, dürfte durch die Erhöhung der Grenzsteuerbelastung künftig von einer Gehaltserhöhung mehr als die Hälfte abgezogen bekommen.

Im vergangenen Jahr brachte der «Soli» dem Staat fast 19 Milliarden Euro ein; gegenüber 2003 ist dies ein Anstieg von knapp 9 Milliarden. Würde Scholz’ Vorschlag umgesetzt, dürften immer noch Einnahmen von etwa 9 Milliarden bleiben. Seit seiner dauerhaften Einführung 1995 hat der Soli bis einschließlich letztes Jahr 311,7 Milliarden Euro zusätzliche Steuern in die Kassen der Finanzämter gespült. Die reichsten 10 Prozent der Steuerzahler sollen jetzt weiterhin 50 Prozent dieser „Sondersteuer“ blechen.

Der sogenannte Solidaritätszuschlag wurde 1991 zunächst für ein Jahr eingeführt. Neben den finanziellen Lasten der Wiedervereinigung sollte die Abgabe nicht zuletzt auch den ersten Irakkrieg finanzieren, an dem sich Deutschland zwar nicht militärisch beteiligte, für den es aber doch Milliarden bezahlte. Allein der deutsche Finanzierungsanteil am Golfkrieg 1991 belief sich auf 18 Milliarden Mark, ebenso der japanische Anteil. Dies war zusammen etwa ein Drittel der gesamten direkten Kosten – als Preis dafür, dass sich beide Länder nicht am Krieg beteiligten. Deutschland musste den Golfkrieg 1991 mitfinanzieren, weil es diesen befürwortet hat. Die Zinseszinsen mitgerechnet, wurden aus den 18 Milliarden Mark seitdem rund 15 Milliarden Euro, etwa das Vierfache des jährlichen deutschen Entwicklungshilfehaushalts und etwa das Hundertfache des jährlichen Programms für erneuerbare Energien.

1995 wurde aus dem Provisorium endgültig eine längerfristige Einrichtung. Seither zahlen Arbeitnehmer und Unternehmen 5,5 Prozent der Einkommens- beziehungsweise Körperschaftssteuer – zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit, wie es heisst. Was insofern irreführend ist, als die Einnahmen nicht zweckgebunden sind. Es gibt eigentlich keinen Grund mehr, strukturschwache ostdeutsche Gebiete anders zu fördern als solche im Westen. Die Regierung signalisiert heute, dass Menschen mit hohen Einkommen und Unternehmen generell kein Recht auf Entlastung in Deutschland haben.

Der Bundesrechnungshof (BRH) fürchtet, dass die Betroffenen gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) klagen und nach einem (wahrscheinlichen) Erfolg dann viele Milliarden zu viel bezahlten Solidaritätszuschlag zurückfordern könnten. Dies ist das Ergebnis eines Sondergutachtens des BRH, das er Anfang Juni dem Haushaltsausschuss des Bundestags vorgelegt hat. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) wird den Solidaritätszuschlag einkassieren, denn eine Erhebung ab dem 1. Januar 2020 wäre verfassungswidrig. Dann laufe nämlich auch der Solidarpakt II aus. Dieser besagt, dass die ostdeutschen Bundesländer spezielle Ergänzungszahlungen durch den Bund erhalten. Die Finanzierung der Deutschen Einheit über den bundesstaatlichen Finanzausgleich ist abgeschlossen. Insofern liegt ab dem Jahr 2020 geltenden neuen Finanzausgleich eine finanzverfassungsrechtliche Normallage zugrunde. Auch in der einschlägigen Literatur herrscht die Meinung vor, dass eine Ergänzungsabgabe kein „Dauerfinanzierungselement“ sei. Sollte das BVG im Sinne der Kläger urteilen, müsste ein künftiger Finanzminister dann viele zu Unrecht eingenommen Steuermilliarden, die bis dahin mit Sicherheit bereits ausgegeben sind, an die zu Unrecht Besteuerten zurückbezahlen. Das wäre ein Haushaltsrisiko in bisher nicht da gewesener Größenordnung. Die Ungleichbehandlung der Steuerbürger könnte teuer werden: Allein für die Jahre 2021 bis 2023 könnte es zu Erstattungsansprüchen an den Fiskus von 42 Milliarden Euro kommen. Falls es bis zu einem BVG-Urteil wieder sechs bis sieben Jahre dauert, könnten bis dahin 80 bis 100 Milliarden an zurück zu zahlenden Steuern zusammenkommen.

Eine Umwidmung des Solidaritätszuschlags für andere Haushaltszwecke als die Finanzierung der Wiedervereinigung (z. B. für die Finanzierung von Investitionsmaßnahmen) erscheint verfassungsrechtlich nicht vertretbar. Im Ergebnis würde damit eine neue Ergänzungsabgabe eingeführt. Der für ihre Rechtfertigung notwendige außergewöhnliche Finanzierungsbedarf besteht gegenwärtig nicht. Im Ergebnis würde eine solche Umwidmung dazu führen, dass der Bund eine eigene Steuerkompetenz in Form eines Zuschlags auf die Steuern vom Einkommen zementiert. Ein solches ausschließliches Steuersetzungsrecht des Bundes sieht das Grundgesetz jedoch nicht vor. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Fall der Kernbrennstoffsteuer betont hat, darf der Bund seine Zuständigkeitsgrenzen für steuerliche Maßnahmen nicht an den Regelungen im Grundgesetz vorbei ausweiten.

Das Niedersächsische Finanzgericht hält den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig. Es hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Regelungen im Solidaritätszuschlaggesetz (SolZG) mit dem Grundgesetz vereinbar sind (1). In dem gleichen Verfahren hatte das Niedersächsische Finanzgericht schon einmal die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, das allerdings damals die Vorlage als unzulässig verworfen hatte (2).

Seit 1997 wird die Vermögenssteuer in Deutschland nicht mehr erhoben – obwohl das entsprechende Gesetz noch existiert. Grund für die faktische Abschaffung der Vermögenssteuer waren verfassungsrechtliche Probleme: Immobilien- und anderes Vermögen waren unterschiedlich behandelt worden. Im letzten Jahr ihrer Erhebung, 1996, brachte die Steuer den Ländern neun Milliarden Euro ein.

Betrachten wir mal die Steuerpolitik in den USA:

Kurzer Rückblick: Um den Ersten Weltkrieg zu finanzieren, wurde der Spitzensteuersatz 1918 auf 77 % erhöht, aber bereits 1922 wieder auf 58 % und 1924 auf 25 % reduziert. Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise wurde der Satz 1932 erst auf 63 % und dann im Zuge des Zweiten Weltkrieges kontinuierlich auf seinen Höchstsatz von 94 % für Einkommen über 200.000 US-Dollar erhöht. Der Spitzensteuersatz blieb bis 1964 über 90 %, wurde dann aber auf 70 % gesenkt. Unter der Regierung des republikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der mit Steuersenkungen und einer umfassenden Steuerreform in den Wahlkampf 1980 ging, wurde der Spitzensatz 1982 erst auf 50 % und 1988 schließlich auf 28 % reduziert.

Der Spitzensteuersatz in den USA beträgt aktuell 39,6 Prozent und wird für all jene fällig, die in diesem Jahr mehr als 418.401 US-Dollar verdienen. Wer eine Familie zu ernähren hat, wird erst ab 444.551 US-Dollar mit dem Höchstsatz belangt. Kapitaleinkünfte – die Haupteinnahmequellen der Reichen und Superreichen in den USA – werden mit nur maximal 23,8 Prozent besteuert. Das führt dazu, dass US-Amerikaner mit einem Einkommen zwischen einer und 1,5 Millionen US-Dollar im Schnitt zuletzt rund 28,1 Prozent Abgaben an den Fiskus abgeführt haben. Die Superreichen mit einem Einkommen über zehn Millionen Dollar haben gar nur 27 Prozent an Steuern auf ihr Vermögen gezahlt. Und damit kaum mehr als der typische Mittelschichtler: Wer zwischen 37.951 und 91.901 Dollar im Jahr verdient, muss eine Einkommensteuer von 25 Prozent zahlen.

In Frankreich sieht man das Ergebnis der eingeführten Reichensteuer: Nach Aufzeichnungen der EZB sind seit Herbst 2012 bis zu 7.000 Millionen Euro an Kapital aus Frankreich abgeflossen, was hauptsächlich auf die Einführung der Reichensteuer zurückgeführt wird. Seit dem 1. Januar 2015 wird die Reichensteuer dort nicht mehr angewendet.

Fazit:

Die einzig saubere Lösung lautet: Ein Vierteljahrhundert nach seiner Einführung hat der Soli seinen Dienst getan, er muss wie einst versprochen abgeschafft werden. Merkels Plan ist Augenwischerei, ein kosmetischer Korrekturversuch einer falschen Maßnahme. Die Weiterführung des «Soli» als verkappte Reichensteuer untergräbt die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik.

Quellen:

  1. (Niedersächsisches FG, Urteil v. 21.8.2013, 7 K 143/08).
  2. (BVerfG, Beschluss v. 8.9.2010, 2 BvL 3/10, BFH/NV 2010 S. 2217).
  3. https://www.welt.de/wirtschaft/plus198686627/Solidaritaetszuschlag-Neue-Reichensteuer-fuer-mittlere-Einkommen.html
  4. https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-der-soli-darf-nicht-zu-einer-reichensteuer-umgemodelt-werden/23355472.html?ticket=ST-5090041-6WgvIkTTcWoa3ls5f7e4-ap1
  5. https://diepresse.com/home/wirtschaft/international/1386850/Reichensteuer-kostete-Frankreich-bis-zu-70-Mrd-Euro
  6. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/plaene-von-scholz-wird-der-soli-zur-reichensteuer-15625554.html
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Reichensteuer
  8. https://de.wikipedia.org/wiki/Einkommensteuer_(Vereinigte_Staaten)
  9. https://einkommensteuerrechner.com.de/Spitzensteuersatz.php
  10. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/nach-gesetzentwurf-musterklage-gegen-soli-abbau-16346638.html
  11. https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-08/vermoegenssteuer-spd-cdu-paul-ziemiak-finanzen
  12. https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/gutachten-berichte-bwv/berichte/langfassungen/2019-bwv-gutachten-abbau-des-solidaritaetszuschlages-pdf

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