Tagesdosis 23.10.2017 – Kriegsübungsstadt nimmt Betrieb auf

Feuer frei: Wo NATO und Bundeswehr die Aufstandsbekämpfung proben.

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Nördlich von Magdeburg in der Colbitz-Letzlinger Heide warnen Schilder an den Ränder der Bundesstraßen 189 und 71: Militärisches Sperrgebiet. Über 232 Quadratkilometer erstreckt sich der Truppenübungsplatz in der Altmark. Er ist einer größten und modernsten Europas, lobt die Bundeswehr auf ihrer Internetseite. Am Donnerstag will sie dort etwas ganz Besonderes feiern: Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt aus CDU, SPD und Grünen übergibt einen Teilabschnitt von »Schnöggersburg« an die Bundeswehr. Ein Pressespektakel soll es werden, mit Akkreditierung, Fahrt durchs Gelände und allem Drum und Dran.

Die Geisterstadt »Schnöggersburg« steht, abgeschottet von der Außenwelt, auf einer Fläche von sechseinhalb Quadratkilometern im nördlichen Teil des Militärgeländes. Sie mutet westlich an: Neben Wohnvierteln mit Straßen und Wegen finden sich unter anderem ein Industriegebiet, ein Fluss mit Brücken, eine U-Bahn mit drei Stationen, ein Stadion, ein Slum und eine Autobahn.  Auf dem nagelneuen Flugplatz von Schnöggersburg landete bereits im vergangenen Jahr eine Transall-Maschine der Bundeswehr zur Probe. 140 Millionen Euro soll die unbewohnte Metropole kosten, vielleicht auch weitaus mehr am Ende. Ab dem kommenden Jahr sollen deutsche und NATO-Truppen dort für Kriegseinsätze in urbanen Zentren üben.

Die Linken sollen wohl Recht behalten: Seit Anbeginn vermuten sie, dass Soldaten in Schnöggersburg nicht nur für Kriegseinsätze in aller Welt fit gemacht werden, sondern auch die Niederschlagen erwarteter sozialer Unruhen in Europa trainieren sollen. Allein die Ausstattung und die Zeichen der Zeit deuten darauf hin. Vor gut fünf Jahren bereits erlaubte das Bundesverfassungsgericht den Einsatz der Bundeswehr im Inneren mit militärischen Mitteln unter so schwammigen Voraussetzungen wie »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes«.

Geplant hatten die Regierenden Schnöggersburg einst im Geheimen. Als Journalisten dem Projekt im Frühjahr 2012 auf die Schliche kamen, war alles längst in Sack und Tüten. Das Geld fließt nun aus dem Steuertopf des Bundes. Als Bauherr erklärte sich indes das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen der Amtshilfe bereit, zunächst unter Schwarz-Rot. Inzwischen halten auch die Grünen ihre Füße still. Sie sind seit 2016 Teil der Landesregierung. In den Jahren davor hatten sie noch vergeblich gegen das Vorhaben geklagt.

Wo Geld reingepumpt wird, gibt es – neben den Baufirmen – auch einen weiteren Profiteur: Der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall stattet das Gefechtsübungszentrum Altmark seit vielen Jahren mit Lasersimulationstechnik aus. Er betreibt vor Ort einen Firmenableger für »Dienstleistungen« und hilft bei der Ausbildung der Soldaten. Auch für Schnöggersburg ist Rheinmetall zuständig. Erst im vergangenen Jahr kassierte das Unternehmen nach eigenen Angaben neue Folgeaufträge im Wert von 24 Millionen Euro. Man bereite unter anderem die Durchführung von sogenannten MOUT-Übungen vor, teilte Rheinmetall damals mit. Trainiert werden sollen also militärische Operationen in urbanem Terrain.

Die Proteste gegen die Aufrüstung in Sachsen-Anhalt kochen derweil auf Sparflamme. Die Initiative Offene Heide und andere Friedensgruppen treffen sich zwar seit 2012 in jedem Sommer zum Protestcamp vor Ort. Außerdem starten sie jeden ersten Sonntag im Monat einen Friedensweg in der Heide. Viele Menschen aus dem Umkreis des Militärgeländes zu mobilisieren, ist den Aktivisten bisher aber nicht gelungen. Bundeswehr und lokale Medien tun dafür das Ihre. Jedes Jahr aufs Neue warnen sie vor »militanten Antimilitaristen«. Die vor Ort einkaufenden Soldaten loben sie als Ankurbeler der Wirtschaft, das Heer als Arbeitsplatzbeschaffer. Die Bevölkerung wird in schöner Regelmäßigkeit zu Spiel und Spaß geladen, zuletzt Ende August zum »Tag der offenen Tür« – kleine Waffenkunde und Probesitzen auf dem Panzer für die ganze Familie inklusive.

Mehr noch: Auch um die Jüngsten darf sich die Bundeswehr ganz freimütig kümmern. Die Grundschule in Letzlingen zum Beispiel lebt eine Patenschaft mit der Truppe. Soldaten organisieren Biwak-Camps und Abenteuerspiele für die Kleinen aus jener Gegend, die zwar wirtschaftlich schwach ist, aber die Kommandozentrale des Truppenübungsplatzes beherbergt. Das tut die Bundeswehr gewiss nicht ohne Grund: Denn früh übt sich, was einmal ein strammer deutscher Soldat werden soll.

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